Читать книгу Forever Young - Stefan Aust - Страница 11

Pete Townshend

Оглавление

»Ich neige dazu, Bob Dylan auf ein Podest zu stellen.«

Seine erste Gitarre machte Pete Townshend 1964 zu Kleinholz. 57 Jahre später tritt er noch immer mit The Who auf. Für »My Generation«, den größten Erfolg der Band, ließ er sich seinerzeit von Bob Dylan inspirieren. Ein Gespräch über alte Schamanen, Poesie und Politik und darüber, was Bob Dylan mit Harold Pinter gemeinsam hat.

***

Die beiden schätzen sich, das haben sie in Interviews über den jeweils anderen oft betont. Und jeder hat den jeweils anderen namentlich in einem seiner Songs gewürdigt. Nur wenn sie sich trafen, wussten sie offenbar nicht, wie sie miteinander umgehen sollten. Bob Dylan und Pete Townshend, das ist eine kuriose Geschichte über große Nähe und große Distanz.

1986, zu einer Zeit, als Dylan noch lange Interviews gibt, hat er diese Verbundenheit zu Townshend mal einem australischen Journalisten in Melbourne geschildert. Dylan redet wie ein Wasserfall, ärgert sich darüber, dass er ständig nach dem richtigen Zeitpunkt für das Ende seiner Karriere gefragt werde. Erster Teil seiner Antwort: »Wenn du körperlich nicht mehr in der Lage bist, auf die Bühne zu gehen – dann war’s das. Dann ist es vorbei.« Dann redet er über ein Gedankenspiel, eine Art Generationenwechsel. »Wenn du allerdings jemanden Jüngeren entdeckst, dem du weiterhelfen könntest …«, fängt Dylan an, führt den Gedanken nicht weiter aus und kommt auf den The-Who-Gitarristen zu sprechen: »Pete Townshend hat mal darüber gesprochen und ist dafür kritisiert worden. Aber ich, ich habe genau verstanden, was er damit gemeint hat. Er hat sich gefragt, ob es möglich ist, diesen richtigen Moment zu finden, die Fackel an jemanden zu übergeben. Das Problem ist nur, dass so was im Rock ’n’ Roll nicht passiert. Aber die Idee dahinter, die ist richtig.«

Das Interview ist auch schon fast 35 Jahre her – seitdem haben beide, Dylan wie Townshend, jeder auf seine Weise die Fackel weitergetragen.

Pete Townshend, am 19. Mai 1945 in London geboren, gründete 1964 mit dem Sänger Roger Daltrey, dem Bassisten John Entwistle und dem Schlagzeuger Keith Moon die Band The Who. Er war und ist bis heute der maßgebliche Songwriter der Gruppe, schrieb Hits wie »My Generation« und Rockopern wie Tommy. Seit dem Tod von Moon und Entwistle machen Daltrey und Townshend zu zweit weiter. 2012 erschien Townshends Autobiographie Who I Am, 2018 brachte er mit Daltrey ein neues Album heraus, das schlicht Who heißt, im selben Jahr erschien auch sein erster Roman Das Zeitalter der Angst. Townshend greift darin ein Thema auf, an dem er sich in den letzten 20 Jahren oft abgearbeitet hat – älter werdende Künstler, getrieben von der Angst vor Bedeutungslosigkeit und der großen Leere. Es gibt Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll. Und Seitenhiebe auf The Who, die von den fiktiven Musikern im Roman als Gierschlünde gescholten werden, weil sie ihre Musik für Werbezwecke verkaufen. Townshend ruft uns für dieses Interview aus seinem Haus in London an. Das Gespräch dauert länger, als veranschlagt war – was nicht nur daran liegt, dass der Musiker immer wieder zu singen anfängt. Einmal macht er vor, wie der vielleicht berühmteste Who-Song geklungen hätte, wenn er ihn in einer Art Sprechgesang wie von Bob Dylan eingesungen hätte.

***

Mr. Townshend, Sie sind seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht nur Rockstar und Gitarrenzerstörer von The Who, Sie haben zudem auch als Lektor bei dem Buchverlag Faber & Faber gearbeitet, ein Buch mit Kurzgeschichten und 2018 Ihren ersten Roman veröffentlicht. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die Nachricht hörten, dass Ihr Freund Bob Dylan den Nobelpreis für Literatur bekommen hatte?

Ich wünschte nur, Bob Dylan wäre mein Freund. Ich bewundere ihn sehr, schon seit seinen Anfängen. Wir sind uns jedoch nur ein paarmal begegnet, persönlich kenne ich ihn nur oberflächlich. Aber Bob Dylan war für mich schon immer in erster Linie ein Poet. Insofern habe ich mich sehr gefreut, als ich hörte, dass er den Literaturnobelpreis bekommen hat. Das war mehr als verdient. Ich fand nur, dass diese Würdigung ein bisschen spät kam. Der Nobelpreis ist in jedem Fall eine besondere Wertschätzung, die man nicht mit den meisten anderen Preisen für Künstler vergleichen kann. Die Preise basieren ja oft eher auf Verkaufszahlen von Konzerttickets, Alben, Downloads oder Büchern. Letztlich geht es dabei mehr darum, wie viel Geld ein Künstler einnimmt oder auf der Bank hat. Das ist eine entsetzlich traurige Art, Kunst zu bewerten. Davon mal abgesehen, fasziniert es mich, dass Bob Dylan weiterhin etwas zu sagen hat – was er ja auf seinem aktuellen Album wieder bewiesen hat. Dass er darüber hinaus als Performer nicht aufhören kann, regelrecht rastlos ist, hat glaube ich noch mit etwas anderem zu tun.

Womit?

Ich bin mir sicher, dass es in seinem Inneren eine Stimme gibt, die Angst davor hat, dass Bob Dylan verschwindet. Es gibt heute viele junge Menschen, die keine Ahnung mehr haben, wer Bob Dylan eigentlich ist. Vielleicht hat er auch einfach Angst vor dem Sterben oder dass ihm das Geld ausgeht. Ich weiß es nicht. Mir scheint nur, dass Bob Dylan auf eine sehr außergewöhnliche Weise getrieben ist, immer weiter zu machen.

Sind Sie das selbst nicht auch? Sie schreiben weiterhin neue Songs, gehen mit The Who auf Tournee.

Ich liebe es, Songs zu schreiben. Das stimmt. Wenn es aber in meinem Leben als Musiker etwas gibt, das ich gar nicht mag, sind es Live-Auftritte. Ich bin kein Performer von Natur aus, auch wenn das vielleicht den Anschein haben mag.

Gitarren zerstören oder den Arm wie einen Windmühlenflügel über die Saite zu schrubben – ist das nach all den Jahrzehnten doch zu anstrengend?

Darum geht es nicht. Grundsätzlich fällt es mir zwar leicht, live zu spielen. Nur ist jener Pete Townshend, der auf der Bühne spielt, eine völlig andere Person als jene, die jetzt mit Ihnen spricht, und die ich wirklich bin. Ich habe ein Alter Ego, das an meiner Stelle auf der Bühne lebendig wird. Nur fühle ich mich innerhalb dieses Spannungszustands auf und jenseits der Bühne nicht wohl. Wenn ich dagegen Songs schreibe, bin ich ich selbst. Es erfüllt mich, Texte zu schreiben, dazu auf der akustischen Gitarre oder am Piano zu spielen. Das ist immer noch eine besondere Leidenschaft, ich bin verrückt danach. Deshalb hatte ich mir zu Hause auch immer Aufnahmestudios eingerichtet. Das war so, seit ich 18 bin. Aber so wie Dylan immer weiter zu touren, das ist nichts, was ich mir wünschte. Meinem Freund Roger Daltrey würde das sicher gefallen. Er ist da anders als ich. Für mich gilt: Je eher ich mit den Tourneen aufhören kann, desto glücklicher werde ich sein. Ich habe das Leben »on the road« nie wirklich gemocht. Ich weiß zwar, dass ich gut bin, wenn ich auf einer Bühne spiele. Ich weiß nur nicht, wer ich dann genau bin, wenn ich im Rampenlicht stehe. Ich bin nicht mehr daran interessiert, mich im Konzert in diesen Schamanen zu verwandeln. Meine kreative Energie entfaltet sich am besten zu Hause, wenn ich Songs schreibe. Wenn ich einen Song fertig geschrieben habe, lasse ich ihn los. Ich trage ihn dann nicht mehr mit mir herum. Bei Bob Dylan kommt es mir dagegen oft so vor, als würde er seinen gesamten Songkatalog mit sich herumschleppen. Er ist wie eine seltsame Jukebox – du weißt nie, in welcher Form er die bekannten Songs daraus abspielen wird. Aber ich freue mich jedes Mal, wenn er wie 2020 wieder ein neues Album veröffentlicht hat. Dass er darauf in einem Song The Who zitiert hat, hat mir natürlich besonders gefallen.

In »Murder Most Foul« beschreibt Dylan die Folgen der Ermordung John F. Kennedys und lässt in einem galoppierenden Namedropping die Beatles, Woodstock, Altamont und das The-Who-Erfolgsalbum Tommy Revue passieren: »Tommy, can you hear me? I’m the Acid Queen.« Was meinen Sie, war das seine späte Antwort darauf, dass The Who ihn 1970 namentlich in »The Seeker« gewürdigt hatten?

Wer weiß. Ich fühlte mich jedenfalls sehr geschmeichelt. Ich bin ein Riesenfan von ihm, und ich neige dazu, Dylan auf ein Podest zu stellen. Du kannst dir irgendeinen Bob-Dylan-Song herausnehmen, egal welchen – du wirst in jedem etwas finden, das auch heute noch relevant ist. Für mich gehört Bob Dylan einer anderen Spezies an. Ich weiß, so viel Wertschätzung kann problematisch sein. Ich kenne das ja aus eigener Erfahrung, wenn ich Fans von mir treffe und eigentlich nie eine normale Unterhaltung mit ihnen führen kann – weil sie auch in mir eine andere Spezies sehen. Bob Dylan und ich werden wohl nie eine normale Unterhaltung führen können. Auch deshalb, weil er sehr exzentrisch ist, ich bin es wahrscheinlich auch. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass wir es noch mal schaffen, ein normales Gespräch zu führen.

Sie sind sich doch schon begegnet. Wie verliefen denn Ihre Gespräche?

Ich hatte bisher nur wenige, meist sehr kurze Gespräche mit ihm. Bei einem war meine zweite Frau Rachel dabei. Dylan interessierte sich sehr für sie. Er wollte wissen, was sie so macht, fragte sie über ihr Leben aus. Sie ist eine Komponistin, eine klassische Organistin. Er war fasziniert von ihr. Na ja, und ich stand daneben, als Dylan quasi meine Frau interviewte, und wartete die ganze Zeit darauf, dass er auch mal mit mir sprechen würde – was er aber nicht tat. In all den Jahren hatten The Who und er zwar öfter auf denselben Festivals gespielt, auf der Isle of Wight und an anderen Orten, seltsamerweise hat es sich dabei nie ergeben, dass wir uns trafen. Zuletzt spielten wir beispielsweise beide 2016 auf dem Desert-Trip-Festival in den USA. Mit The Who flogen wir aber nur rein und nach dem Auftritt sofort wieder weg. Wenn ich jetzt darüber rede, fällt mir auf, dass ich Bob Dylan noch nie live gesehen haben.

Im Ernst jetzt?

Ich habe natürlich zig Filme von seinen Auftritten gesehen. Heutzutage sehe ich mir grundsätzlich nicht mehr viele andere Musiker live an, aber früher habe ich das noch oft gemacht. Dass ich Bob Dylan nie live gesehen habe, war auch keine bewusste Entscheidung, es hat sich einfach nur nie ergeben. Ich weiß allerdings, dass Dylan The Who mehrmals live gesehen hat. Und nach den Konzerten traf er uns. Einmal kam er zu uns, als wir unser Konzeptalbum Tommy in der Fillmore-East-Halle in New York aufführten. Am Tag zuvor war auch Leonard Bernstein gekommen, mit seiner Tochter, die damals 14 war. Bernstein kam backstage zu mir, er schüttelte mich, war völlig begeistert: »Pete! Pete! Das ist phantastisch. Phantastische Arbeit. Du musst noch mehr solcher Rockopern schreiben. Viel mehr. Phantastisch. Wundervoll. Ich hatte ja keine Ahnung, was ich erwarten sollte.« Dann zischte er wieder ab. Am nächsten Abend sagte mir jemand nach der Aufführung: »Bob Dylan würde gerne backstage kommen und dir hallo sagen.« Er kam dann in meine Garderobe. Stand einfach nur da. Ich könnte jetzt gar nicht sagen, was ich in diesem Moment von ihm erwartete. Vermutlich einen ähnlich euphorischen Ausbruch wie jenen von Leonard Bernstein. Aber Dylan sagte nur: »Hey.« Und ich dann: »Hey, wie geht’s dir?« »Ganz okay«, sagte er. Ich fragte: »Würdest du nachher noch einen Drink mit uns nehmen?« Und Dylan: »Das geht nicht, ich habe noch einen Termin.«

Und dann?

Und damit war unsere Unterhaltung beendet. Das meinte ich, als ich vorhin sagte, wir beide werden in diesem Leben keine normale Unterhaltung mehr führen. Dylan erinnert mich in dieser Hinsicht stark an den Dramatiker Harold Pinter, den ich oft traf, als ich Mitte der achtziger Jahre eine Auszeit von The Who genommen und als Lektor bei Faber & Faber gearbeitet hatte. Pinter war unter den Schriftstellern die schwierigste Person, die einem bei Faber begegnen konnte. Weil er es, wie Dylan, einfach ablehnte, normale Gespräche zu führen. Ich wäre beispielsweise nie auf die Idee gekommen, Harold Pinter zuzurufen: »Schöner Tag heute, nicht wahr?« Er hätte sich dann nur brüsk umgedreht und mir »Waaaassss?!« ins Gesicht gebellt. Woraufhin ich dann mit etwas mehr Nachdruck gesagt hätte: »Aber es ist doch wirklich ein schöner Tag, nicht wahr?« Was ihn wiederum zu einem noch lauteren »Waaasssss?!« motiviert hätte. Woraufhin ich dann schließlich gebrüllt hätte »Es ist verdammt noch mal ein irrsinnig schöner Tag, Harold, nicht wahr?« »Waaaaaaasss?!«

Klingt wie eine Szene aus einem von Pinters Theaterstücken.

So war das mit Harold. Von den Begegnungen mit ihm mal abgesehen, hatte ich in dem Verlag viel Spaß. Zu meinem Job gehörte es, in die Welt der Populärkultur hineinzuspüren, wie Mode oder Musik von Politik inspiriert wurden, revolutionäre Ideen zu entdecken, die auf der Straße geboren wurden. Ich liebte diesen Job.

Warum sind Sie nicht bei Faber geblieben?

Ganz ehrlich? Weil ich in der Zeit nahezu kein Geld verdient habe. Am Ende musste ich The Who wieder zusammenbringen, für eine Stadiontournee zu unserem damals 25-jährigen Bestehen. Ansonsten wäre ich bankrott gewesen. Aber es war ein fabelhafter Job.

Verstehe. Auch wenn Sie sich mit Dylan nicht normal unterhalten konnten, war er dennoch ein großer Einfluss für Sie. Stimmt es, dass Dylans Musik Sie zu Ihrem größten Hit »My Generation« inspiriert hat?

Ja, das stimmt. Ich hörte mein erstes Dylan-Album 1962, und ich liebte The Freewheelin’ Bob Dylan, das noch ein pures Folkalbum war. Vor allem aber gefiel mir sein drittes, das mit dem weißen Cover. Jetzt fällt mir doch partout der Name nicht mehr.

The Times They Are A-Changin’.

Genau. Als ich anfing »My Generation« zu schreiben, wollte ich zunächst, dass der Song sehr schlicht klang – wie ein simpler Blues: »Da da da da dadada, people try to put us down.« Es war eine Beschwerde, mehr noch: eine Anklage. Und The Times They Are A-Changin’ war ein Album voller Songs, die anklagten, die eine Veränderung einforderten. Oder auf seinem zweiten Album, darauf gab es den Song »Masters of War«, der mich damals stark beeindruckte. Wobei ich rückblickend finde, dass Dylan es sich damit zu leicht gemacht hat – als er diejenigen kritisierte, die in den Krieg zogen. Wir wissen, dass Krieg manchmal notwendig ist. Wir wissen aber auch, dass Krieg nie gut ist. Damit hatte er absolut recht. Aber zurück zu »My Generation«. Ich wollte vor allem, dass der Song cool klang. Meine erste Version hörte sich wie eine Mischung aus Bob Dylan und Mose Allison an.

Der amerikanische Jazzpianist?

Ja. Mir schwebte ein Mix aus Folksprechgesang und Jazzeinflüssen vor. In einer der ursprünglichen Fassungen singe ich den Song in einer von mir nachgeahmten Mose-Allison-Stimme: »People try to put us down, talking ’bout my generation.« Als wir dann mit The Who ins Studio gingen, passierte Folgendes: Roger fing an wie wild zu schreien, ich drosch auf meine Gitarre und Keith Moon auf sein Schlagzeug, und John Entwistle spielte viel mehr Noten auf seinem Bass, als nötig waren. So kam es zu der Version, die heute weltbekannt ist.

Ein Urschrei, ummantelt von überwältigendem Lärm.

Der Song hat viele Ecken und Kanten, Dynamik und Kraft, er strahlt jugendliche Energie aus. Aber »My Generation« sollte vor allem ein schlichtes Statement sein.

»Hope I die before I get old«.

Das ist oft missverstanden worden. Im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Meinung ging es gar nicht darum, jung zu sein, oder darum, möglichst zu sterben, bevor man alt wird. Wir wollten einfach nicht so sein, wie die Menschen aus der vorherigen Generation. Jene Generation, die es im Zweiten Weltkrieg komplett vermasselt hatte.

Dylan hatte neben seinen anklagenden Liedern 1974 eine andere, philosophische Jugendmetapher eingeführt. In seinem Song »Forever Young« ist der Zustand des Jungseins ein Bild dafür, offen, neugierig, stark und anständig durchs Leben zu gehen.

Ich liebe diesen Song von Dylan. Er ist wunderbar. Viele meine Freunde haben darum gebeten, er möge doch auf ihrer Beerdigung gespielt werden. »My Generation« ist im Vergleich dazu sehr limitiert. Es ist das Lied eines jungen Mannes, der sagt: »Ich werde nicht so sein wie ihr.« Ich wollte eine Grenze ziehen zwischen meiner und der vorherigen Generation. Interessant war, dass dieser Song damals eigentlich schon nicht mehr notwendig war. Denn die ältere Generation hatte sich zu dem Zeitpunkt ja bereits von uns abgegrenzt und über uns geurteilt. Sie hatte uns als nutzlos, verzichtbar, geistlos, leer, marode und dreckig beschimpft. Mein Song war aber weniger eine Retourkutsche, ich wollte mich nur abgrenzen und sagen: Wir fangen auf unserer Seite neu an.

Sie haben sich später oft für Amnesty International engagiert. Anlässlich des 50. Geburtstags der Menschenrechtsorganisation ist 2012 die 4-CD-Box Chimes of Freedom erschienen, auf der 72 Musiker ausschließlich Songs von Bob Dylan nachspielen. Sie waren auch darunter und sangen »Corrina, Corrina«. Warum gerade dieses Lied?

Mit diesem Song verbindet mich eine besondere Geschichte. Das Lied stammt ja nicht zur Gänze von Dylan. Bereits in den zwanziger Jahren hatten es amerikanische Bluesmusiker aufgenommen, seitdem wurde es in den unterschiedlichsten Musikstilen neu eingespielt. Aus meiner Kindheit kannte ich »Corrina, Corrina« in einer englischen Folkfassung aus Lancashire in Northumberland, mit etwas anderem Text als Dylan ihn dann geschrieben hat. Aber Dylans Version liebte ich mehr als alle anderen. Als ich noch zur Kunstschule ging, gab es da ein sehr hübsches Mädchen, das zwei Jahre jünger war als ich. Sie wurde später meine erste Ehefrau. Und sie liebte diesen Song genauso wie ich. Dylan hat »Corrina, Corrina« auf dem Album The Freewheelin’ Bob Dylan zu seinem eigenen Song gemacht. Als ich ihn dann für die Amnesty-CD neu aufnahm, habe ich mich vor ihm verneigt und den Song gleichzeitig für mich zurückerobert.

In den Sechzigern gehörten The Who neben den Beatles und den Rolling Stones zu jener »British Invasion« des Pop, die Amerika eroberte. Zu einer Zeit, als es in den USA Rassenunruhen und gewaltsam niedergeschlagene Proteste gegen den Vietnamkrieg gab – zu einer Zeit, als Dylan nicht nur Protestsongs sang, sondern für Afroamerikaner eintrat. Er war ein Mittler, der gesellschaftliche Spaltungen überwand. Hat er diese Rolle noch heute?

Ich weiß nicht, ob Bob Dylan heute noch diese Macht hat. Ich weiß auch nicht, ob er sie überhaupt je hatte. Glauben Sie denn, dass er diese Kraft heute noch hat?

Na ja, über seinen 17 Minuten langen Song »Murder Most Foul« ist in den Medien und im Netz jede Zeile mit Liebe zum Detail interpretiert worden – dieses opulente Sittengemälde der USA, das er da zeichnet, in dem er an vielen Stellen den Übergang vom Traum in den Albtraum beschreibt, wenn er, quasi en passant, von der Utopie des Woodstock-Festivals zum Wahnsinn und zu den Toten des nur wenige Monate darauffolgenden Festivals in Altamont springt. Darüber hinaus war es sein erstes Album seit langer Zeit, das wieder auf Platz eins kam. Irrelevant ist er offenbar noch nicht, oder?

Da haben Sie nicht unrecht. Sehen Sie, Dylan ist ja nur ein bisschen älter als ich. Ich hörte seine ersten Alben bereits, als ich noch aufs College ging. Und ich weiß noch genau, wie ich damals versuchte, den Sinn hinter dem zu entdecken, was er da sang. Heute sehe ich ihn einerseits als einen älteren Performer, der einst vom Folk zum Rock gewechselt ist. Gleichzeitig ist er für mich wie ein Großmeister, ein Zirkusdirektor, der in der Mitte von uns allen steht und immer noch versucht uns zu motivieren, anzutreiben, für uns zu sprechen. Es gibt nur wenige Galionsfiguren wie ihn. Heute, da haben wir Bewegungen wie Extinction Rebellion.

Die radikale Umweltschutzbewegung, die mit zivilem Ungehorsam Regierungen zwingen will, schärfere Maßnahmen gegen die Klimakrise einzuleiten.

Ja. Nur gibt es heute im Umfeld von Extinction Rebellion und anderen Bewegungen niemanden, der sich auf ein Podium stellen und die Masse vor sich zur Ruhe bringen könnte. Dem jeder zuhört, weil das, was er sagt, für alle Sinn ergibt, weil es sie zusammenbringt. Bei anderen Protesten wie der Occupy-Bewegung trugen dann die meisten Guy-Fawkes-Masken. Alle versteckten sich hinter Masken, blieben anonym, alle werden gesichtslos. Dylan hat der Bewegung immer ein Gesicht gegeben. Er hat meiner Generation ein Gesicht gegeben, mein ganzes Leben lang. Und »Blowin’ in the Wind« war der Song, der damals dem Ethos der Vorläufer der heutigen Klimaschützer direkt entsprach.

Wen meinen Sie damit?

Ich meine Philosophen wie Bertrand Russell, der in Großbritannien für den Abbau von Nuklearwaffen eintrat, oder den Aktivisten und Aktionskünstler Gustav Metzger, der mich am College unterrichtete. Metzger warnte schon damals vor Entwicklungen, die unseren Planeten zerstören würden – vor ausuferndem Verkehr und dem Massentransport, vor immer mehr Flugzeugen und Autos. Und das erkannte er 1961. Metzger war damals sehr wichtig für mich. Aber derjenige, der diesen Aktivismus umwandelte in der Hoffnung, dass sich in der Gesellschaft durch diese Verbindung von Kunst, Musik und Gemeinschaftssinn etwas verändern kann – das war Bob Dylan. Mit »Blowin’ in the Wind« hat er all diese gesellschaftlichen Strömungen in Poesie übersetzt. Der Song ist schlicht, aber ungemein stark. Und darüber hinaus einfach wunderschön.

Ein Höhepunkt dieser Allianz aus Protest und Poesie war damals der »Marsch auf Washington« am 28. August 1963. Als Martin Luther King seine legendäre »I have a dream«-Rede hielt, sangen 250000 Demonstranten mit Bob Dylan sein Lied »Blowin’ in the Wind«. Joan Baez war ebenfalls bei ihm …

Wann immer ich den Namen Joan Baez höre, schlägt mein Herz höher. Sie ist Bob Dylan ebenbürtig. Ich habe ihre Musik schon gehört, bevor ich Bob Dylan entdeckte. Sie war ja bereits erfolgreich, als er erstmals auf eine Bühne ging. Das sollte man nicht vergessen. Dylan und Baez waren damals Galionsfiguren – Aktivisten und Pazifisten.

Wenn Sie jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Demonstrationen von Extinction Rebellion oder Fridays for Future heute erklären sollten, worin die besondere Strahlkraft bestand, die von Dylan, Baez und Martin Luther King an jenem Tag in Washington ausging, was würden Sie ihnen sagen?

Ich kann dazu nur sagen, dass mir persönlich diese Strahlkraft heute fehlt. Aber ich bin jetzt ja auch schon 75. Wenn Sie einen jüngeren Menschen fragten, würde er Ihnen vielleicht eine andere Galionsfigur von heute nennen können. Ich frage mich allerdings, ob junge Menschen heute überhaupt Galionsfiguren wie Dylan brauchen. Durch Social Media kann heute jeder seine Ideen und Meinungen direkt und unmittelbar mit allen teilen. Nur, um das besser einordnen zu können: 1958 fand in Großbritannien der erste Protest gegen Nuklearwaffen statt, auf dem Trafalgar Square in London. In den kommenden Jahren wiederholten sich solche Aktionen und weiteten sich auch auf andere Länder aus. Das geschah vor allem deshalb, weil die Menschen, die daran teilnahmen, sich engagierten und andere überzeugen konnten, mitzumachen. Die Zeitungen berichteten anfangs kaum über die Hintergründe der Proteste. Sie schrieben erst darüber, nachdem sie stattgefunden hatten. Und dann bewegte sich die Berichterstattung größtenteils auf einem sehr niedrigen Niveau. Da wurde dann geschrieben, dass Männer in Dufflecoats und mit ungewaschenen Haaren mit ihren Freundinnen bei irgendjemandem in den Vorgarten pissten. Heute können sich Menschen über die sozialen Medien in Windeseile mobilisieren und zusammenkommen. Brauchen sie da noch Galionsfiguren wie Dylan? Ich weiß es nicht. Aber damals brauchten wir Bob Dylan, ganz sicher sogar. Wir brauchten Dylan, wir brauchten Martin Luther King, und wir brauchten John F. Kennedy, wir brauchten ehrliche Politiker. Donald Trump gehört ganz bestimmt nicht in diese Kategorie. Ich weiß nicht, was genau er alles in seiner Amtszeit angestellt hat. Aber eines weiß ich ganz sicher: Er hat sein Land nicht in jenem Sinne angeführt, wie John F. Kennedy es tat.

Mr. Townshend, welchen Dylan-Song würden Sie auswählen, um den 80. Geburtstag jenes Mannes zu würdigen, mit dem Sie kein normales Gespräch führen können?

Jetzt wird es kurios: Ich weiß, dass ich am Anfang unseres Gesprächs »Masters of War« ein bisschen gedisst habe. Aber genau diesen Song würde ich gerne an seinem Geburtstag singen.

Wie kommt es zu dem Sinneswandel?

Ich liebe die Schlichtheit des Songs. Und ganz grundsätzlich auch den Standpunkt, den Dylan darin vertritt, dass nämlich Pazifismus ein Wert an sich ist. Auch wenn der Blick auf Kriege an sich vielleicht etwas zu kurzsichtig ist. Aber es hat für mich einen großen Wert zu sagen: »Ich werde nicht kämpfen, egal worum es geht.« Also ein »Feigling« zu sein und im äußersten Fall zu sagen: »Okay, dann erschießt mich.« Für mich ist das ein Akt unglaublichen Heldentums.

Forever Young

Подняться наверх