Читать книгу Forever Young - Stefan Aust - Страница 6
Оглавление© © Ken Regan/Camera 5/Contour by Getty Images
Just Like a Woman: Bob Dylan mit Patti Smith auf einer Party während seiner Rolling Thunder Revue im Oktober 1975 in New York. »Er hat diese Fähigkeit, Poesie zu verdichten«, sagt Smith.
Patti Smith
»Joan Baez und ich mussten vor lauter Glück weinen, als wir gemeinsam Dylans Song sangen.«
Die amerikanische Rockikone und Schriftstellerin Patti Smith kennt und bewundert Bob Dylan seit langem. Aber ohne ihre Mutter und Joan Baez hätte sie ihn womöglich nie entdeckt. Ein Gespräch über Vergänglichkeit, Gemeinsamkeiten zwischen Albert Camus und Dylan und jenen peinlichen Moment während ihres Auftritts beim Nobelpreisbankett.
***
Die schönste Auszeichnung hat ihr mal R.E.M.-Sänger Michael Stipe verliehen: »Forever Queen of Cool«. Cool. Für immer. Über alle Moden hinweg. Auch mit weißen Haaren, ganz gleich, wie alt sie nun wirklich ist, die amerikanische Punkrockikone, Fotografin und Schriftstellerin Patti Smith. Patricia Lee »Patti« Smith, am 30. Dezember 1946 in Chicago geboren, ist bekannt dafür, dass sie nicht gern Interviews gibt. Seit je umweht sie die Aura des Exzentrischen, des Unberechenbaren. Als sie sich aus New York mit einer etwas erkälteten, krächzenden Stimme am Telefon meldet, bittet sie nur darum, nicht als Mrs Smith angesprochen zu werden: »Call me Patti«, sagt sie. Ihre Songs »People Have The Power« oder »Dancing Barefoot« wurden zu Klassikern. Seit einigen Jahren schreibt sie lieber Bücher, statt neue Alben herauszubringen. Ihr Buch M Train aus dem Jahr 2015 handelt von den Verlusten im Leben von Patti Smith. In all den Zeitsprüngen zwischen Vergangenheit und Gegenwart ist diese Sehnsucht nach dem Verlorenen spürbar – vor allem die nach ihrem 1994 verstorbenen Ehemann, dem Gitarristen Fred »Sonic« Smith. In ihrem 2017 erschienenen Buch Hingabe, einer Sammlung aus Essays, Betrachtungen und einer Kurzgeschichte, geht sie der Frage nach, warum wir überhaupt schreiben. Sie reist durch Europa, zu Gräbern von seelenverwandten Künstlern wie Simone Weil und Albert Camus, schildert, wie sie wurde, wer sie ist. Darüber hinaus gibt Patti Smith jedes Jahr Lesungen und Konzerte. Sie ist eine wilde Empfindsame, die immer empathisch und zugleich auch bedrohlich, vor allem aber unvorhersehbar wirkt. Das war auch so, als sie 2016 sozusagen als Stellvertreterin ihres Freundes Bob Dylan nach Stockholm reiste. Er persönlich konnte oder wollte an dem Tag nicht nach Schweden kommen, um den Literaturnobelpreis entgegenzunehmen. Dylan schwänzte, ließ die US-Botschafterin in Stockholm aus seiner Dankesrede lesen und Patti Smith an seiner Stelle singen. Die geriet bei ihrer Interpretation des Dylan-Songs »A Hard Rain’s A-Gonna Fall« ins Stocken – ausgerechnet bei ihrem Lieblingslied von Dylan, das sie in all den Jahren zuvor schon oft live gesungen hatte. Daraufhin entschuldigte sie sich vor den geladenen Gästen und der Weltöffentlichkeit, die die Zeremonie an den Bildschirmen verfolgte, machte weiter – und wurde mit Jubelstürmen gefeiert.
***
Sie sind seit langem mit Bob Dylan befreundet, mit ihm gemeinsam aufgetreten. Stimmt es, dass Sie Ihre Leidenschaft für Dylan Ihrer Mutter zu verdanken haben?
Ja, das stimmt. Denn meine Mutter hatte mir mein erstes Album von ihm gekauft, Another Side of Bob Dylan. Das muss so 1964 gewesen sein. Ich war damals fast 16. Ich hatte zwar schon vorher von Bob Dylan gehört, besaß aber keine Platte von ihm. Auf dem Cover war diese schöne Schwarz-Weiß-Fotografie von ihm zu sehen. Meine Mutter wusste damals rein gar nichts über Bob Dylan, sie war nicht an ihm oder seiner Poesie interessiert. Aber sie wusste, dass mir Schwarz-Weiß-Fotografien gefielen – und deshalb hatte sie mir dieses Album gekauft. Für 90 Cent. Meine Mutter arbeitete als Kellnerin, wir hatten nie viel Geld, sie sparte immer ihr Trinkgeld, um mir etwas zu kaufen. Meine Mutter mochte nicht dieselben Dinge, die ich mochte, aber sie hatte ein sehr feines Gespür dafür, was mir wichtig war, was mir guttat. Und wenn sie dann von Flohmärkten und irgendwelchen Basaren zurückkam, brachte sie mir etwas mit, von dem sie glaubte, das würde mich interessieren – Gedichte von Baudelaire oder eben: Bob Dylan.
Haben Sie das Album noch?
Nein. Ich bin in meinem Leben so oft umgezogen, irgendwann muss es verloren gegangen sein. Aber ich sehe es immer noch sehr genau vor mir. Und wenn ich das Album heute irgendwo in einem Schallplattenladen oder bei jemandem zu Hause entdecke, dann denke ich nicht an Bob, sondern an meine Mutter.
Als Dylan den Literaturnobelpreis erhielt, kam er nicht selbst zur Feier nach Stockholm, stattdessen sangen Sie seinen Song »A Hard Rain’s A-Gonna Fall«, bei dem Ihnen die Stimme stockte – Sie unterbrachen, entschuldigten sich und sangen dann weiter.
Ja, ich war einfach zu nervös an dem Abend. Für mich war dies ein großer Moment. Die Verantwortlichen hatten mir zuvor erlaubt, Alfred Nobels Büro zu sehen. Sie zeigten mir auch eine Art Gästebuch, in das sich frühere Literaturnobelpreisträger wie Albert Camus, Hermann Hesse und Thomas Mann eingetragen hatten. Ich war überglücklich, es hat mir wirklich unendlich viel bedeutet, in jenem Raum sein zu dürfen, in dem all diese großen Schriftstellerinnen und Schriftsteller vor mir gewesen waren. Die Tochter von Albert Camus hat mich kürzlich gebeten, die Einleitung zu einem kleinen Buch zu schreiben, seiner Nobelpreisrede von 1957, die noch mal neu herausgegeben wird. Es ist nur ein kleines Buch, aber in seiner Rede gibt es diesen großen Satz, dass der Künstler in unserem Jahrhundert Gefahr läuft, wirklichkeitsfremd zu sein, wenn er in seinem Elfenbeinturm verharrt, und unfruchtbar, wenn er unaufhörlich in der politischen Arena herumgaloppiert. Er müsse die Tragödien seiner Zeit kennen und Partei ergreifen, wenn er es kann und versteht. Von Zeit zu Zeit müsse er aber auch einen gewissen Abstand zu unserer Geschichte bewahren. In dieser Spannung zu wirken, Risiken einzugehen – das ist für Camus das Wesen eines Künstlers. Ich finde, das gilt heute genauso wie damals.
Sie selbst schreiben seit langem Bücher, Kurzgeschichten, Essays. Wie lesen Sie die Liedtexte von Dylan – so wie Literatur von Camus?
Ja, ich lese Dylan, auch ohne die Musik dazu zu hören. Ich habe mir all seine Bücher mit den Song-Lyrics gekauft. Das habe ich auch schon gemacht, als ich jünger war. Auch deshalb, weil ich auf meinen Konzerten viele seiner Songs singe, die muss ich lernen. Ich lese vor allem seine frühen Songs gern. Ich mag die Texte von John Wesley Harding oder Songs wie »Chimes Of Freedom«, »Changing of the Guards« und ganz besonders »A Hard Rain’s A-Gonna Fall«. Ich habe diesen Song schon als Teenager geliebt, es war auch ein Lieblingssong meines verstorbenen Mannes.
Der Gitarrist Fred »Sonic« Smith …
Ja, wir beide haben diesen Song oft zusammen gespielt. Wissen Sie, Bob Dylan hat, ähnlich wie es Jim Morrison hatte, diese Fähigkeit, Poesie zu verdichten, und gleichzeitig ist seine Poesie sehr komplex. Und beide haben diese Begabung, von dieser Art der Dichtung scheinbar mühelos zu Liedern wie »Hello, I Love You« oder »Rainy Day Women« zu wechseln, die man ja fast schon als Popsongs bezeichnen kann.
Sie haben mal in einem Interview über eine Ihrer ersten Begegnungen mit Dylan 1975 gesprochen – er würde für Sie den Rock ’n’ Roll repräsentieren, er sei der König.
Ja. Wobei ich dazu sagen muss, dass es ja eigentlich Joan Baez war, die mich für ihn begeisterte – neben meiner Mutter, die mir das Album von ihm geschenkt hatte. Ich habe die Musik von Joan Baez bereits geliebt, als ich noch ein junges Mädchen war, 14, 15 Jahre alt. Ich besaß bereits Platten von ihr, bevor ich die Dylan-Platte bekam. Joan Baez war für mich als Sängerin und Aktivistin, mit ihren wunderschönen langen schwarzen Haaren, immer ein role model, ich sah in ihr immer so was wie meine geheime Schwester. Und sie war es ja gewesen, die Bob Dylan erstmals einem größeren Publikum vorgestellt hatte. Auch Joan Baez und ich sind Freunde geworden, wir haben ein paarmal zusammen auf der Bühne gesungen.
Im Sommer 2018 brachte Sie Ihrer beider Verbundenheit zu Dylan sogar in Köln zusammen, dort haben Sie gemeinsam »A Hard Rain’s A-Gonna Fall« gesungen. Es ist Ihr Song für sehr besondere Auftritte, nicht wahr?
Ja, wobei das gar nicht geplant war. Ich hatte schon angefangen, als ich sah, wie Joan Baez von der Bühnenseite zu mir nach vorn kam, und wir dann gemeinsam sangen. Es war unerwartet, ist einfach so passiert. Am Ende mussten wir beide weinen vor lauter Glück. Es war herzzerreißend. Joan Baez hatte all diese Songs gemeinsam mit Bob Dylan gesungen, und zwar in jener Zeit, als er sie geschrieben hatte, sie marschierten beide an der Seite von Martin Luther King. Ich werde diesen gemeinsamen Auftritt mit ihr in Köln nie vergessen.
Baez war 2019 auf Abschiedstournee, sie sagte, sie werde danach nicht mehr auf Konzertreisen gehen, weil ihre Stimmbänder müde seien und den Tourneestress nicht mehr mitmachen würden. Sehen Sie das mit Wehmut?
Sie hat in all den Jahren auf Tournee ihre Stimmbänder geopfert. Meine sind noch in Ordnung, ich habe aber auch fast 16 Jahre lang nicht live gesungen, weil ich in der Zeit meine beiden Kinder großzog. Joan hatte oft schlechte Soundanlagen, wenn sie auf Tour war, sie musste ihre Lieder geradezu schreien – und dann war sie wirklich viel unterwegs, als Musikerin wie als Aktivistin. Sie hat es verdient, dass ihre Stimmbänder sich jetzt ausruhen können. Und wir haben ja immer noch ihre wunderbaren Platten, die wir hören können.
Denken Sie darüber nach, wann die Never Ending Tour von Bob Dylan zu Ende sein könnte? Der Gedanke hat viele beschäftigt, als die Nachricht von Mick Jaggers bevorstehender Herzoperation Schlagzeilen machte und man sich drängender als zuvor fragte, wie lange Musiker wie Dylan und er noch live auftreten werden.
Ja. Ich kann Sie beruhigen, ich habe Mick Jagger erst kürzlich gesehen, und es geht ihm sehr gut. Sehen Sie, ich bin 74, ein bisschen jünger als Bob, Joan und Mick. Aber wir alle sind uns sehr bewusst, dass unsere Leben durch einen zeitlichen Rahmen begrenzt sind. Wir sind alle sterblich. Es ist interessant, dass Sie das ansprechen. Denn ich spüre als Performerin inzwischen eine andere Form der Wertschätzung vonseiten des Publikums. Die Zuschauer wissen auch, dass wir alle sterben werden, umso mehr scheinen sie sich dieser Tage zu freuen, wenn sie uns bei guter Gesundheit sehen. Ich finde das wundervoll. Ich habe nie das Gefühl, dass da jemand steht, der sich denkt: »Hör auf, du bist zu alt für diesen Job, du bist nicht mehr hübsch, oder was weiß ich.« Wenn ich auf der Bühne mal ins Wanken gerate oder husten muss, sind die Leute sehr geduldig und verständnisvoll. Und dann fange ich eben noch mal von neuem an. Und dann applaudieren sie. Es gibt da eine andere Verbundenheit. Die Zuschauer sind ganz bei uns. Und wir sind bei ihnen.