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1. Nationalismus

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Untersuchungen zum Thema Nationalismus pflegen heute mit der Feststellung zu beginnen, wie unüberschaubar die Literatur geworden sei. Solchen Statements folgt dann zumeist der Verweis auf zentrale Referenztexte, die jeder zu beachten habe, der mitreden wolle – allen voran Benedict Andersons Imagined Communities, Ernest Gellners Nations and Nationalism und Eric J. Hobsbawms Nations and Nationalisms since 17801. Typisch sind Aussagen kategorischen Stils, die die Mindestvoraussetzungen zur Teilnahme am Diskurs statuieren. „Die Auseinandersetzung darüber, ob die Nation den Nationalismus geschaffen habe oder umgekehrt der Nationalismus die Nation, hat die Forschung seit Ernest Gellners Arbeiten zugunsten der zweiten Annahme entschieden“2.

Schon ein kurzer Blick in die kanonischen Texte belehrt freilich darüber, daß man es hier mit Entscheidungen zu tun hat, die auf durchaus unsicheren Grundlagen beruhen. Besonders auffällig ist, daß zwar immer wieder formelhaft die Konstruktion der Nation durch die Nationalisten beschworen wird, die Nationalisten selbst aber auf eigentümliche Weise abwesend sind. Anderson bezieht sich auf einige wenig bekannte Schriftsteller wie de Lizardi oder Kartodikromo und verbreitet sich über irgendwelche Lexikographen und Grammatiker des 18. und 19.Jahrhunderts, ohne dem „Nationalismus der Nationalisten“ (Girardet) auch nur einen einzigen Abschnitt zu widmen. Gellner, der im Nationalismus den unvermeidlichen Begleiteffekt einer modernen, auf hochgetriebener Arbeitsteilung und industrieller Produktionsweise beruhenden Hochkultur sieht, hält die „eigentlichen Doktrinen“ des Nationalismus für der „Analyse kaum wert“; mehr oder weniger zufällig von einigen europäischen Denkern zweiten oder dritten Ranges ausgebrütet, seien sie intellektuell belanglos und im übrigen einander so ähnlich, daß sie für das Verständnis des Phänomens „weitgehend irrelevant“ seien. Eric Hobsbawm teilt dieses Desinteresse zwar nicht, doch steht seine Darstellung, nach der schon im Zeitalter der Revolution und des Liberalismus so etwas wie Nation präsent sei, während der „eigentliche“ Nationalismus erst ab 1870/80 aufkomme, in Widerspruch zu seiner von Gellner übernommenen These, derzufolge es der Nationalismus sei, der die Nation hervorbringe3.

Dies zu konstatieren, heißt nicht, für eine Sichtweise zu plädieren, die als Nationalismus nur das gelten läßt, was jeweils die Nationalisten darunter verstanden haben4. Ein wissenschaftlicher Begriff des Nationalismus kann nur ein Idealtypus sein; Idealtypen aber entfalten ihre Sinnadäquanz nur in dem Maße, in dem sie sich von der Wirklichkeit entfernen5. Damit ist jedoch nicht die Willkür reiner Nominaldefinitionen gemeint, wie sie die konstruktivistische Nationalismusforschung bevorzugt. Idealtypenbildung erfolgt nicht im Vakuum. Sie ergibt sich vielmehr aus der „gedankliche(n) Steigerung bestimmter Elemente der Wirklichkeit“, setzt also stets ein gewisses Maß an Kenntnis dieser Wirklichkeit voraus6. Und das kann im Falle des Nationalismus nur bedeuten: Kenntnis des Selbstverständnisses derjenigen, die als Nationalisten aufgetreten sind. Eine Begriffsbildung, die dieses Stadium überspringt, mag zu Konstruktionen von eindrucksvoller Sinnadäquanz gelangen; ob auch von entsprechender Kausaladäquanz, ist dagegen sehr die Frage. Es könnte gut sein, daß sich der „Nationalismus“ der neueren Forschung auf ein ganz anderes Objekt bezieht als derjenige der Nationalisten. Ich beginne deshalb nicht mit einer Definition, sondern hole zunächst nur einige Auskünfte darüber ein, was führende Nationalisten mit der Bezeichnung Nationalismus verbunden haben. Danach wird zu prüfen sein, inwieweit die in der Forschung kursierenden Definitionen damit in Übereinstimmung zu bringen sind. Erst auf dieser Grundlage wird es möglich sein, zu einer differenzierenden Typologie zu gelangen.

Nationalismus und Faschismus

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