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Eine deutsche Rasse?

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Die Idee einer neuen deutschen Rasse begegnet wieder in den 20er und 30er Jahren: zunächst bei Moeller selbst, der in einem seiner letzten Artikel im Gewissen den Absolutheitsanspruch der biologischen Rassenlehren zurückwies und darauf beharrte, daß die geistige Rassezugehörigkeit anderen Gesetzen gehorche als die biologische. Die Rassenanschauung dürfe nicht zu einer neuen deutschen Problematik führen, indem sie „die Menschen, die ihrer Rasse aus geistigen Gründen angehören, aus biologischen Gründen ausschließt“. Zwar sei es biologisch gesehen richtig, daß es keine deutsche Rasse geben könne. „Aber es gibt Rasse in geschichtlich-politischem Sinne. Und an diese geschichtlich-politische Rasse wollen wir denken, wenn wir von der heute möglichen, der heute notwendigen Rasse sprechen: an deutsche Rassigkeit wollen wir denken, die wir allen unseren Ahnen schulden“ (Moeller van den Bruck 1932, 212f.).

Aufgegriffen wurde diese Idee von Friedrich Merkenschlager und Karl Saller. Der erstere, ein Botaniker und frühes SA-Mitglied, wandte sich 1926 in einer scharfen Polemik gegen Günthers Rassenlehre, der er vorwarf, eine einzelne rassische Komponente des deutschen Volkes bis zur Apotheose zu verherrlichen und die anderen, ebenso zu ihm gehörigen Rassen aufs tiefste herabzusetzen (Merkenschlager 1926, 6). Eine gute Rasse gebe es jedoch ebensowenig wie eine schlechte, und wenn heute die nordische Rasse immer mehr in den Hintergrund trete, weil andere Rassen die veränderten Lebensbedingungen des Maschinenzeitalters besser bewältigten, dann müsse sie eben in einer Mischung vor dem Untergang bewahrt werden. Ohnehin sei das deutsche Volk nur durch die Mischung unterschiedlicher Rassen schöpferisch geworden (36, 40, 17).

Saller, Anthropologieprofessor an der Universität München, unterstützte seit 1927 in mehreren kleinen Arbeiten diese Auffassung und publizierte 1934 seine Schrift Der Weg der deutschen Rasse, in der er die These vertrat, daß das durch die Rassenkreuzung geschaffene „Bastardgemenge“ die „Vorstufe einer neuen Rasse“ bilde. Es bedürfe nur einer in der Kultur wirksamen Tendenz, „eine neue, eine geistige Rasse zu werden“, um daraus eine neue Fortpflanzungsgemeinschaft zu bilden, die dann als Rasse im vollen Sinne gelten könne – ein Schritt, den das deutsche Volk in der jüngsten Vergangenheit getan habe. „Deutschland ist auf dem Weg zum Chaos gewesen, 1914 ist es im Geist, 1933 auch in der Form wieder Synthese, Volk, Rasse geworden“ (Saller 1934, 17, 23, 57). Ein Jahr später publizierten Saller und Merkenschlager gemeinsam das Buch Vineta, das sich der Aufgabe verschrieb, die von Günther und anderen herabgesetzten ostbaltischen und alpinen Rassen aufzuwerten und darüber hinaus die Bedeutung des ‘wendischen Gens’ für die preußisch-deutsche Geschichte zu erweisen. Wie viel beide Autoren Moeller van den Bruck verdankten, zeigt nicht nur die These, das Preußentum sei aus der Verbindung von germanischen und wendischen Elementen zu einer „neuen Rasse“ hervorgegangen, sondern auch die Betonung der Priorität des Ortsgeistes (der ‘Heimat’) gegenüber den wechselnden Rassen.16

Das Beispiel von Merkenschlager und Saller dokumentiert, daß der neue Nationalismus, wenn er auf den Rassenbegriff rekurrierte, eher die dynamische Variante bevorzugte, die er auf unklare Weise mit nietzscheanischen Motiven vermengte. In diese Richtung weisen die freilich erheblich vageren Äußerungen Wilhelm Stapels, Ernst Jüngers oder Otto Straßers, aber auch detailliertere Beiträge wie etwa der von Fritz Benitz 1932/33 im Umsturz publizierte zweiteilige Artikel Rasse – Ansatz oder Ziel?, der auf der Linie der Rassenhygiene argumentierte.17 Insgesamt aber kann man sagen, daß der Rassenbegriff gegenüber dem Nationsbegriff deutlich sekundär blieb. Die Nation genoß im neuen Nationalismus einen solchen Vorrang, daß Rasse nicht viel mehr war als eine Materialisierung des Volksgeistes. Und da es den meisten als vordringlich erschien, diesen Volksgeist zu mobilisieren und zur Aktion zu bewegen, überrascht es nicht, wenn in der Publizistik des neuen Nationalismus die Rassenfrage sehr stark zurücktritt und so selten diskutiert wird, daß es sogar Protest hervorruft.18 In der Standarte und im Arminius dominiert die aktuelle Politik, desgleichen im Reich, im Vormarsch, im Vorkämpfer, im Gegner oder in der Sozialistischen Nation.19 Im Widerstand finden sich Bezüge zur Rassenlehre fast nur im Rezensionsteil; für die Tat gar lag sie so gänzlich außerhalb ihres Horizonts, daß sie sie noch nicht einmal bei den Nazis wahrnahm. Friedrich Hielscher sprach für viele, als er schrieb: „wer das Wesen einer Seele auf den Körper und den Geist ihrer Erscheinung zurückführt, gehört zum Westen“. Und nicht einmal innerhalb der westlichen Ordnung gehöre die Rassenlehre zu den Kräften von Rang, sondern zum „Pöbel“: „die lauten Verherrlicher der Rasse sind nur die zwar plumpen, aber dafür wider Willen ehrlichen Vertreter dieser läppischsten unter allen westlichen Kehrichterscheinungen“ (Hielscher 1931, 331).

1 Vgl. nur Ludwig Klages (1944, 263): „Blut ist die Essenz des Menschen. Am Blut haftet die Seele.“ Ernst Niekisch (1982, 91): „Vorgänge und Wandlungen, die sich ausschließlich im geistigen Gebiet vollziehen, haben keinen Bestand; sie dauern nur, wenn sie an Blut und Boden haften.“ Julius Langbehn (1943, 259): „Die ganze Geschichtschreibung wird eine Umwälzung erfahren, wenn man sich erst entschließen wird, dem Einflüsse des Blutes auf die Entwicklung der Völker, Stämme, Menschen gründlicher nachzugehen. Man wird dann das Völkerleben nicht mehr nach den unsicheren politischen Grenzen, sondern nach den mit- oder gegeneinander bewegten Blutströmungen, in Vergangenheit wie Gegenwart, schildern, studieren, beurteilen.“ Wilhelm Stapel (1920, 24): „Völker und Organismen überhaupt werden zusammengehalten durch ein Sein, durch einen Lebenszusammenhang, durch Blut und Seele.“ Hans Freyer (1925, 151): „Blut, das ist dasjenige, was unser Wesen aufbaut und von dem wir uns nicht scheiden können ohne zu entarten.“ Und sogar Oswald Spengler (1973, 560): „Das Blut ist für uns das Sinnbild des Lebendigen.“

2 Wie Taureck 1989, 30 meint. Auch Young 1968, 282 rückt Nietzsche in die Nähe Gobineaus.

3 KSA XI, 582. Zur Bedeutung der Erblichkeit der Eigenschaften für Nietzsche vgl. auch KSA VIII, 301; Cancik 1999, 94.

4 Zum Begriff vgl. Max Weber, MWG I/20, 110; zur Anwendung auf die Rassenlehren Mühlfeld und Schönweiss 1989, 29 u.ö., die den Begriff allerdings weiter fassen und ihn z.B. auch auf Gobineau und die NS-Rassenlehren übertragen.

5 Vgl. Blüher 1917, II, 224; 1919, 5. Seine Version der Lehre vom Übermenschen hat Blüher auf folgende Weise ausgedrückt: Man könne durchaus vermuten, „daß die Natur, indem sie die Tonleiter der Wesen hinaufstieg und beim Menschen anlangte, danach trachtet, auch ihn zu übertönen, und es ist keine Frage, daß sie sich dann jene in der Metanoia Stehenden zum Grundthema nimmt. Es würde also eine plötzliche neue Geburt erfolgen, durch welche die übrigen Gattungswesen gänzlich antiquiert würden und ihre Lebensfähigkeit verlören“ (1919, 61).

6 Vgl. Claß 1932, 50. Ammons erster Zwischenbericht über diese Untersuchungen erschien 1890; Zu diesem Zeitpunkt kannte er bereits die seit 1886 vorliegenden Thesen Lapouges, wie aus seinen Zeitungsartikeln hervorgeht. Gobineau allerdings dürfte er nicht vor 1899 gelesen haben: vgl. Lichtsinn 1987, 27, 8, 88.

7 Vgl. Ammon 1904/05; Lapouge 1904/05; zum Preisausschreiben siehe Stölting 1987, 136ff.

8 Das wäre nur möglich gewesen, wenn er dafür die erforderlichen Stamm- oder Ausgangspopulationen hätte untersuchen können: vgl. Lösch 1997, 66.

9 Vgl. Nissen 1926, 142, 195, 110; zur Publikationsgeschichte von Rembrandt als Erzieher siehe Behrendt 1996, 95. Eine wichtige Rolle scheint bei dieser Akzentverschiebung der Antisemitismus gespielt zu haben, der sich bei Langbehn – nicht zuletzt verstärkt durch eine ausführliche positive Besprechung seines Buches in den Deutschsozialen Blättern – zunehmend in den Vordergrund schob. Vgl. dazu auch die Hinweise von Rudolf Linke in der Festschrift zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen des Hammer, 1926, 41f.

10 Ebd., 410f. Eine spätere Würdigung Hentschels durch Schemann ist deutlich wohlwollender, wiederholt aber das gleiche Argument: vgl. Schemann 1931, 256f.

11 Preußische Jahrbücher 140, 1910, 316. Drews war Philosophieprofessor in Karlsruhe und eine Art Transmissionsriemen, über den philosophische Konzepte in die völkische Bewegung und völkische Ideen in das Bildungsbürgertum gelangten. In den Preußischen Jahrbüchern, für die er seit Mitte der 90er Jahre regelmäßig Artikel und Rezensionen schrieb, setzte er sich u.a. für Gobineau, Schemann, Leopold von Schröder („Arische Religion“) und Ludwig Fahrenkrog ein: vgl. 161, 1915, 150ff.; 165, 1916, 137ff.; 167, 1917, 485ff.; 173, 1918, 258ff. Näheres zu Drews bei Groschopp 1997, 149ff. sowie im Neunten Kapitel dieses Buchs.

12 Die Anwendung auf völkische Organisationen findet sich noch 1923 bei Ploetz (1923, 605). Generell zur Geschichte der nordischen Bewegung: Lutzhöft 1971.

13 Vgl. dazu näher: Mühlen 1977, 99; Young 1968, 260; Field 1981, 223.

14 Vgl. Frymann 1913, 105, 143; Edmund Weber 1913, zit. n. Hobohm und Rohrbach 1919, 11. Diese Redeweise fand übrigens Deckung durch die zeitgenössische medizinische Anthropologie. Daß sich aus der Rassenmischung mit der Zeit u.U. ein bestimmter physischer Typus entwickeln könne, eine ‘nationale Rasse’, war eine Vorstellung, die 1896 von keinem Geringeren als Rudolf Virchow vertreten wurde: vgl. Kiefer 1991, 28.

15 Moellers Buch Die Zeitgenossen enthält ein längeres Kapitel über Chamberlain: 1906, 99ff.

16 Vgl. Merkenschlager und Saller 1935, 85, 87, 125; Lutzhöft 1971, 155ff.; Essner 1994, 96f. Zu Saller vgl. außerdem Weingart u.a. 1992, 317ff., 539f.

17 Vgl. Benitz 1932/33. Ferner: Stapel 1926; E. Jünger 1926e, 579; ders. 1927c, 71; O. Straßer 1932, 15f., 89f. Ausführlicher hierzu: Breuer 1993, 89f.

18 Etwa vom Kapitän-Ehrhardt-Mann Hartmuth Plaas, der in einem Leserbrief im Arminius dem neuen Nationalismus vorwarf, zu wenig auf rassische Gesichtspunkte Rücksicht zu nehmen. Eine Zukunft werde der neue Nationalismus nur als „Nationalismus der nordischen Rasse“ haben, die zur Führung der Erde berufen sei: Arminius 8, 1927, H.11, 12.

19 Dort im übrigen auch eine klare Absage an den anthropologischen Rassenbegriff: „Der revolutionäre Nationalismus wehrt sich gegen den Gebrauch der Rassenfrage zur Konstruktion einer zum Herrschen geborenen Herrenrasse ebenso wie gegen die Dogmatik der Rasse als außenpolitisches Kriterium, fordert als Beweis für die Wertigkeit der Rasse nicht Anspruch, sondern Leistung auch beim sozialistischen Aufbau“ (Die Sozialistische Nation 2, 1932, H. 7, 9). Wörtlich übernommen in Paetel 1933, 23f.

Ordnungen der Ungleichheit – die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871 – 1945

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