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Nationalismus und Nation III: Völkischer Nationalismus

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Entgegen den Erwartungen ist auch bei den Völkischen keine eindeutige Präferenz für einen bestimmten, in diesem Fall: den holistisch-ethnischen Nationsbegriff festzustellen. Der Gründer des Deutschbundes, Friedrich Lange, etwa setzte sich seit Anfang der 90er Jahre für eine stärkere „Ausbildung des reichsnationalen Gedankens“ ein, worunter er ganz im Sinne Treitschkes die Schaffung einer Staatsnation verstand, die das bislang nur äußerlich Verbundene „nun auch innerlich mehr und mehr zu einem Guß verschmelzen“ sollte: durch Temperierung und Überformung des traditionellen Partikularismus wie durch Assimilation der Minderheiten, ihre „Aufschmelzung im deutsch-nationalen Geiste“ (Lange 1904, 13ff.).

Lange unterschied dabei explizit zwischen dem „gewissermaßen naiven Volkstum“ als einer natürlichen, eben deshalb aber auch stets gefährdeten Kategorie, und der Nationalität, welche zwar künstlich, dafür aber bewußt und politisch sei und dadurch über eine gesteigerte geschichtliche Durchsetzungskraft verfüge. Die Geschichte, so Langes völlig dem altliberalen Schwellenprinzip entsprechendes Credo, scheine „nur denjenigen Nationalitäten das Recht zu einer eigenen staatlichen Existenz gewähren zu wollen, welche mit einem kräftigen Volkstum zugleich eine hinreichende organisatorische, d.h. staatenbildende Kraft verbinden“ (21). Von diesem Standpunkt aus ist es naheliegend, all solchen Ethnien und Nationalitäten, die diese Kraft nicht bewiesen haben, das Existenzrecht abzusprechen und die Eingliederung in das jeweils erfolgreichere Staatswesen zuzumuten, was Lange denn auch mit Blick auf die Polen und die Juden nachdrücklich getan hat.

Auch bei einem anderen einflußreichen Ideologen des völkischen Lagers, Houston Stewart Chamberlain, ist eine Orientierung an der Staatsnation unverkennbar. Für ihn liegt einer der wichtigsten Vorzüge der Germanen darin begründet, daß sie „die unvergleichlichsten Staatenbildner der Welt“ sind, wobei Staat bei Chamberlain stets den „Inbegriff aller willkürlichen Abmachungen“ meint (1941, II, 891, 875). Zu großen Nationen individualisierten sich die Germanen allein auf dem Umweg über den Staat:

„Durch die Konzentrierung der politischen Gewalt um einige wenige Mittelpunkte herum haben sich grosse, starke Nationen gebildet: eine Grösse und eine Stärke, an denen jeder Einzelne teilnimmt. Und als nun diese wenigen Monarchen jede andere Gewalt geknickt hatten, da standen sie allein; nunmehr war die grosse Volksgemeinde in der Lage, ihre Rechte zu fordern, und das Ergebnis ist ein so weithin reichendes Mass von individueller Freiheit, wie es keine Vorzeit gekannt hatte. Der Einherrscher ward (wenn auch unbewusst) der Freiheit Schmied; der maßlose Ehrgeiz des Einen ist Allen zu Gute gekommen; das politische Monopol hat der politischen Kooperation die Wege geebnet“ (985).

Das ist ein Gedankengang, wie man ihn auch in der Kleindeutschen Schule finden kann; und so wundert es nicht, wenn Chamberlain auch in bezug auf Deutschland eine ähnliche Position vertritt und im deutschen Volk nicht nur, aber nicht zuletzt das Produkt des preußischen Staates und namentlich der preußischen Armee sieht (798; 1915a, 78ff.).

Doch die Völkischen waren nicht nur Leser Treitschkes. Sie waren auch Leser Lagardes, Langbehns und – seit der Übersetzung durch Schemann (1897) – Gobineaus, wodurch gänzlich andere Akzente in ihr Nationsverständnis hineinkamen. Sehr häufig stößt man auf die von Lagarde herrührende Vorstellung, der Staat sei „nicht der Inbegriff, sondern, soweit er nicht Notbehelf ist, nur die Form des Lebens der Nation“, bloßes Mittel eines Subjekts, dessen Tendenz auf Vollkommenheit gehe (SDV I, 375, 69). Auf dieser Linie liegt die Deutschtumsmetaphysik eines Friedrich Lange, die um die Idee einer nationalen Wiedergeburt im Geiste eines „neuen Idealismus“ kreist (Lange 1904, 121), liegt die mit einer Huldigung an Lagarde verbundene Behauptung Max Robert Gerstenhauers, die „Deutschheit“ sei „die vollkommenste Wiedergabe des menschheitlichen Ideals“ (Gerstenhauer 1933, 15), liegt die – freilich um das Moment der Weltablehnung beschnittene – Forderung Theodor Fritschs, „wieder eine sittliche Lebensauffassung in die Masse zu bringen, oder mit anderen Worten: sie einer religiösen Gesittung zurückzuerobern“ (Fritsch 1922, 92), liegt die Überzeugung Chamberlains, nur durch eine neue, wahre Religion die Gebrechen der germanischen Kultur heilen zu können (Chamberlain 1941, I, 19). Noch die späteren deutschreligiösen Gruppen reihen sich hier ein, wenn sie von einem natürlichen innerweltlichen Göttlichen sprechen, das sich in genialen Einzelnen sowohl als in auserlesenen Völkern manifestiere (Mathilde Ludendorff, Ernst Bergmann).

Dieselben Autoren, die mit Lagarde versicherten, das Deutschtum liege im Gemüte, nicht im Geblüte, stimmten allerdings als Leser Langbehns und eines (optimistisch umgedeuteten) Gobineau damit überein, daß es auch umgekehrt richtig sei. Der gleiche Lange, der die Begründung des reinen Deutschtums auf anthropologischem Wege ablehnte und ganz auf das Ideal abstellte, ging wie selbstverständlich davon aus, daß es deutsches und jüdisches Blut gebe und daß das erstere nur gedeihen könne, wenn es sich jeglicher Vermischung mit dem letzteren enthielte (Lange 1904, 139, 91ff.). Der gleiche Fritsch, der die Geistesart für maßgeblicher hielt als das äußerliche Rassenmerkmal, war sich gewiß, „daß nicht nur die Religion, sondern auch das Recht und die Sittlichkeit aus dem Blute, aus der besonderen Eigenart der Rasse geboren sein müssen, wenn die Nation gedeihen soll“ (Fritsch 1922, 214, 211). Bei Chamberlain ist die Rasse einerseits der Nation und damit auch dem Staat und der Geschichte nachgeordnet, bis zu dem Punkt, daß es fast immer die Nation als politisches Gebilde sei, „welche die Bedingungen zur Rassenbildung schafft“ (1941, I, 343). Andererseits soll aber auch das Gegenteil gelten: Rassen sollen als letzte grundlegende natürliche Einheiten die Basis der Nationsbildung sein (542f., 572ff.). Die Natur, heißt es kryptisch, „ist unendlich verwickelt; was wir als Rasse bezeichnen, ist innerhalb gewisser Grenzen ein plastisches Phänomen, und wie das Physische auf das Intellektuelle, so kann auch das Intellektuelle auf das Physische zurückwirken“ (II, 1006). In der Version Graf Reventlows hieß dies, Rasse sei ein zugleich empirischer und metaphysischer Begriff und deshalb ebensowenig zu vergöttern wie zu verneinen (Reventlow 1910, 155f.).

An dieser Stelle wird erkennbar, wie der Versuch, der Nation durch die Rasse ein zusätzliches Prestige zu verleihen, geradewegs auf deren Zerstörung hinauslief. Wenn die Nation eine Bluts- und Abstammungsgemeinschaft mit charismatischen Qualitäten war, dann war sie teils weniger, teils mehr als die Staatsnation, woraus sich die Forderung nach einem readjustment ergab. Das Heterogene mußte ausgestoßen oder eliminiert werden, und zwar nicht bloß, wie es dem staatsnationalen Assimilationismus entsprach, im Hinblick auf Sprache und Religion, sondern auch und gerade im Hinblick auf die physische Existenz; das Artgleiche dagegen mußte in seiner Entfaltung und Vermehrung gefördert und, soweit es sich jenseits der staatlichen Grenzen befand, heimgeholt oder durch Ausweitung des Staatsgebiets einverleibt werden.

Auf dieser Linie lag die bereits zitierte Forderung des Deutschbunds nach Ächtung des Konnubiums mit Angehörigen nichtarischer Rassen, lagen Pläne, den Zustrom slawischer Arbeiter zu stoppen und die Auswanderung deutscher Bauern und Handwerker nach Osten umzulenken. Der nötige Boden sollte durch ein „System gründlicher Einverleibung“ gewonnen werden, durch ein „großartiges Enteignungsverfahren (…), durch welches Polen und Elsaß-Lothringer allmählich ins Innere des Reiches, an ihre Stelle aber Deutsche an die Grenzen gesetzt würden“ (205ff.).

Genauso sah man es im Alldeutschen Verband, in dem nach der Jahrhundertwende der Einfluß des völkischen Nationalismus immer stärker wurde. Ein Ernst Hasse, der im allgemeinen eher dem alten Nationalismus zuneigte, wollte doch die Nation gegen unerwünschte Zuwanderer schließen und „möglichst viele fremde Volksbestandteile durch Auswanderung aus(zu)scheiden“ (Hasse 1907, 59); ein Heinrich Claß, bei dem die Annäherung an die Völkischen schon sehr viel weiter ging, erklärte alle nicht rasseverwandten Fremden für unerwünscht und verlangte, sie „so schnell wie möglich aus dem Reichsgebiet (zu) entfernen und sie dann dauernd fern(zu)halten“ (Frymann 1913, 75). „Ein Mischmaschvolk als Nutznießer der Schöpfung Bismarcks ist ein unerträglicher Gedanke – lieber ein Ende mit Schrecken, aber in Ehren, als ein Fortbestehen, das den deutschen Namen entweiht“ (104). Man sieht, die am meisten über die drohende „Umvolkung“ klagten, waren die ersten, die sie betrieben, und dies mit allen Mitteln jenes Rationalisierungsprozesses, den man gleichfalls zu beklagen nicht müde wurde.

Ordnungen der Ungleichheit – die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871 – 1945

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