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Nationalisierung des Gentilcharismas

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Das andere Reaktionsmuster, von dem oben die Rede war, entsprang aus einer Verbindung von Versatzstücken der modernen Biologie mit dem Regenerationsidealismus, wie er in Bayreuth gepflegt wurde. Hatte schon Wagner, wie oben gezeigt, die Untergangsvision Gobineaus nicht übernehmen wollen, so zog auch der leitende Redakteur der Bayreuther Blätter, Hans von Wolzogen (1848–1938), dem Rassen-Buch das Spätwerk vor, in dem Gobineau den historischen Determinismus aufgegeben und den Schwerpunkt von der „Blutsgeschichte“ in die Geistesgeschichte verschoben habe (Wolzogen 1905, 88). In einigen Aufsätzen, die er für Friedrich Langes Deutsche Welt verfaßte, erörterte er die Frage, ob nicht auch die sogenannten reinen Rassen „erst Produkte aus besonders glücklichen Mischungen“ seien, und überlegte, ob und wie sie sich aus dem Geiste heraus züchten ließen (144, 120f.). Bestätigt fand er sich darin durch das 1899 erschienene Werk Houston Stewart Chamberlains über Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts, dem er denn auch sogleich seine Reverenz erwies:

„Sehr interessant ist mir auch Ihre Darstellung der Rassenfrage. Seit ich unter Gobineaus Einfluß stehe, also nun schon seit 18 Jahren, hat mich diese Frage, die ich durch seine französische Dogmatik nicht gelöst fand, immer wieder beunruhigt, und ich war mehr und mehr auf den Gedanken hingedrängt worden, daß die reinen Rassen nichts Gegebenes, sondern eben ein Gewordenes seien (…) Nun haben Sie dies in ein wohlbegründetes System gebracht, und Ihre fünf Gesetze werden mir ein sicherer Erkenntnisbesitz bleiben“ (Brief vom 20.3.1899, zit. n. Schüler 1971, 255).

Chamberlain verstand sich selbst, wie Wolzogen schon fünf Jahre zuvor zu berichten wußte, als ‘wissenschaftlicher Antigobineauianer’ (ebd., 123). Dies sicher nicht in einem absoluten Sinne, war er doch ebenfalls von der Ungleichheit der Rassen überzeugt und glaubte auch er, daß diese im ‘Geblüt’ verankert war, also eine natürliche Grundlage im Sinne der physischen Anthropologie besaß (Chamberlain 1941, I, 334, 543, 574f.). Das physische Moment, so beharrte er, dürfe nicht unterschätzt werden. „Denn wie die Ungleichheit der menschlichen Individuen auf ihren Physiognomien, so ist die Ungleichheit der menschlichen Rassen in ihrem Knochenbau, in ihrer Hautfarbe, in ihrer Muskulatur, in den Verhältnissen ihres Schädels zu lesen“ (572).

Im Widerspruch zu diesem Axiom verstand er Rasse allerdings zugleich wagnerianisch-nietzscheanisch als etwas Gewordenes bzw. Werdendes, als Ergebnis einer immer weiter fortgetriebenen Differenzierung und Individualisierung, die sich seit dem Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte vollzogen habe. Edle Rasse, so seine Überzeugung, könne in jedem Augenblick von neuem entstehen, sofern nur der erforderliche Wille und das nötige Rassenbewußtsein vorliege. Geschichte sei deshalb nicht durch die Arierdämmerung bestimmt, sondern im Gegenteil durch die Möglichkeit eines neuen, ‘moralischen Ariertums’ (323ff., 366, 320, 140). „Nicht also aus Rassentum zur Rassenlosigkeit ist der normale, gesunde Entwickelungsgang der Menschheit, sondern im Gegenteil, aus der Rassenlosigkeit zur immer schärferen Ausprägung der Rasse“ (347). Das Haupt der Gobineau-Vereinigung, Ludwig Schemann, zeigte sich über solche Gedanken wie auch über Chamberlains abwertende Bemerkungen über den „Gobineau-Rummel der letzten Zeit“ so verärgert, daß er 1901 ankündigte, er werde in Zukunft von Chamberlain keine Mitgliedsbeiträge mehr annehmen (Schüler 1971, 124). In der Rückschau konnte er es sich nicht versagen, deutlich auf den Rangunterschied hinzuweisen, der in seinen Augen zwischen Chamberlain und Woltmann bestand: der erstere sei ein Meteor gewesen, der letztere hingegen ein Dauergestirn (Schemann 1931, 231).

Chamberlains Werk ist nun freilich nicht so sehr wegen seiner rassenpolitischen Perspektiven von Bedeutung gewesen; in dieser Hinsicht wirkte es bloß als Verstärker, als das „rassentheoretische Äquivalent zur Eugenik“ (Sieferle 1989, 190f.). Mindestens ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger ist ein anderer Aspekt, der ihn sowohl von Gobineau als auch von Nietzsche unterschied: die Übertragung des der Rasse zugeschriebenen Gentilcharismas auf die Nation.13 Für ihn waren die Germanen im Kollektiv, was Christus als Person war, nämlich die „Erscheinung einer neuen Menschenart“, die sich durch „echten Geburtsadel“ auszeichnete (Chamberlain 1941, I, 239, 243) – und dies nicht nur in ihren Spitzen, sondern toto genere; und da sie die Eigenart besaßen, sich zu Kollektivgebilden zu individualisieren, teilte sich jene Qualität auch diesen mit. Schönheit, Ehre, kulturelle Schöpferkraft, alle diese Merkmale, die nach Gobineau nur dem Ariertum der herrschenden Stände zukamen, wurden damit gewissermaßen vergesellschaftet und den Nationen zugeschrieben, darüber hinaus in eine Relation zur Nationalisierung gebracht. „Weit entfernt, dass die Bildung der Rasse in unseren Nationen abnähme, nimmt sie notwendiger Weise täglich zu“ (347). Rasse, so die Botschaft, war bereits da, sie mußte nicht erst geschaffen werden; was nötig war, war, sie zu erhalten und weiter zu fördern, wozu es jedoch keiner speziellen Züchtungsprogramme bedurfte, sondern nur der Fortsetzung des Nationalisierungsprozesses, am besten durch Ausscheidung aller heterogenen Elemente, insonderheit des Judentums.

Genau dies war die Botschaft, die viele gern hören und glauben wollten. Ein Repräsentant des alten, besitz- und bildungsbürgerlichen Nationalismus wie Ernst Hasse, von 1893 bis 1908 Vorsitzender des Alldeutschen Verbandes und zugleich nationalliberaler Reichstagsabgeordneter, hatte für das Gentilcharisma als solches wenig übrig, wie sein Plädoyer für eine ‘historische Behandlung’ des Adels zeigt, die auf nichts anderes zielte als dessen Aufhebung bzw. Umwandlung in eine Leistungselite (Hasse 1905, 71f.). Die für Deutschland wie für andere zeitgenössische Nationalstaaten typische Rassenmischung wurde mit gewissen Einschränkungen akzeptiert und das deutsche Volk, gemischt wie es war, in den Rang eines ‘Herrenvolkes’ erhoben (30). Allerdings sollte es in Zukunft unter sich bleiben und Inzucht treiben, um die etwa noch vorhandenen Rassenunterschiede auszugleichen. Den „allzufern stehenden, nicht aufsaugungsfähigen Rassefremden, deren Zusammenfassung im deutschen Nationalstaate der Zukunft nötig werden sollte“, bot Hasse „Sondergebiete (Reservationen) mit Sonderrechten“ an (Hasse 1907, 59). Sein Nachfolger an der Spitze des Alldeutschen Verbandes, Heinrich Claß, setzte gar Rasse und Volk, nach Abzug der nichtassimilierbaren Elemente, weitgehend gleich und sprach umstandslos von der „deutschen Rasse“ – durchaus im Einklang mit anderen Publizisten des Verbandes, die lautstark „Ellbogenfreiheit für die teutonische Rasse“ forderten.14 Es entsprach deshalb völlig der communis opinio, wenn die Verbandsstatuten es als Aufgabe des Verbandes definierten, das Bewußtsein der rassenmäßigen und kulturellen Zusammengehörigkeit aller deutschen Volksteile zu wecken und zu pflegen (Härtung 1996, 28).

Ganz auf der Linie Chamberlains lag auch der neue Nationalismus, wie er von Moeller van den Bruck formuliert wurde.15 Bei Moeller war Rasse einerseits das Prius, die Quelle aller religiösen, kulturellen und politischen Hervorbringungen, die etwa für den individualistischen und persönlichen Charakter der germanischen Völker verantwortlich war (D III, 12; D V, 11ff., 59 u.ö.). Daß die Deutschen in so vielem exzellierten, war zuvörderst dem Umstand geschuldet, daß hier das Urmäßig-Germanische, das Fundament der Rasse, ungeschmälert durch die Zeit hindurch bestehen blieb, wohingegen es in Frankreich, Italien oder England zunehmend an Reinheit und Kraft einbüßte. Es war in Deutschland die Rasse, die zur Nation wurde, was hier, und nur hier, den „Aristokratismus der ganzen Nation“ begründete (D V, 18ff.; D IV, 33).

Andererseits war Rasse aber auch ein Posterius, das erst aus der Nationsbildung erwuchs. Den Germanenschwärmern seiner Zeit hielt Moeller entgegen, daß es keinen Zweck und keine Berechtigung habe, heute noch von den Deutschen als von Germanen zu reden. Wohl liege nach wie vor die stärkste Kraft der Deutschen im Anschluß an ihre „Urrassigkeit“, doch nur im Sinne einer gleichsam natürlichen Voraussetzung. Politisch dagegen seien Germanentum und Deutschtum „durchaus unverbunden“. „Wir sind heute Deutsche in Deutschland, neue Deutsche, nach Geschichte und Bestimmung, nach Blut und Gesinnung eine neue Nation auf der Erde“ (D VII, 309). Dieses Neue liege sowohl in der „Zufuhr fremden Blutes“, ohne die Preußen nicht denkbar gewesen wäre, in der Mischung und Kreuzung der Rassen und Kulturen, die auf deutschem Boden stattgefunden habe, und in der Schaffung eines auf dem ‘geschlossenen Deutschtum’ beruhenden Nationalstaates durch Bismarck (311; D IV, 56). Aufgabe der Gegenwart sei es nicht, möglichst viel germanisches Blut zu sammeln und das „Imperium einer ganzen Rasse“ zu begründen, sondern diesem neuen Nationalstaat die Vorherrschaft in Europa, ja in der Welt zu verschaffen (D VII, 313, 311). In der Verfolgung dieses Ziels sei es möglich, daß die deutsche Nation wieder zur Rasse werde, „aber zu einer neugebildeten“, einer „Neurasse, wie es den Vorgängen in der Fortpflanzung allen Lebens entspricht, und wie seither noch alles Rasseleben entstanden ist“:

„Ja, so soll es sein: als neue Rasse, als ein neuer Grundsatz auf Erden, in einem Volke zu einem einheitlichen Nationalcharakter verkörpert, muß das Deutschtum sich seinen politischen Anteil an der Erdherrschaft erobern, wie es sich seinen zivilisatorischen, von Hamburg bis Saloniki, von Antwerpen bis Wladivostok, heute schon und täglich mehr und mehr erobert! Und nur in dem Sinne wird man dann sagen können, daß dieses neue Deutschtum das alte Germanentum, daß die Schöpfung Bismarcks die Schöpfung Karls des Großen nicht nur kulturell, sondern auch politisch fortsetzt, als diese eigentümliche Wechsel- und Wiederkehrbeziehung zwischen den beiden ist: als es der einen Schöpfung bestimmt war, zugrundezugehen, indem sie, die eine der Rasse war, in Nationen zerfiel, während es der andern als Rasse und Rassigkeit dadurch zu siegen gelang, daß sie zunächst einmal eine feste und geschlossene Nation darstellte“ (316).

Ordnungen der Ungleichheit – die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871 – 1945

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