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Entzauberter Chthonismus und Nationalismus im Kaiserreich

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Chthonismus in reiner Form, im Sinne einer Rückkehr zum Kult der personifizierten Erde unter gleichzeitiger Abkehr von funktionaler Differenzierung und Rationalisierung, ist in der deutschen Rechten nur eine Randerscheinung gewesen. Wie aber steht es mit abgeschwächten, modifizierten Formen, bei denen der Kosmos, die Erde immer noch als Subjekt mit Seele und Willen gedacht wird, zugleich aber als ein Wesen mit erkennbaren, rationalen Strukturen, die vom wissenschaftlichen Verstand aufgehellt werden können? Das 19. Jahrhundert ist schließlich nicht nur das Jahrhundert der Arndt, Arnim und Görres, es ist auch und sehr viel mehr dasjenige der Oken und Carus, Lotze und Fechner, deren Tätigkeit einseitig erfaßt wird, wenn man sie nur als Übertragung theologischer oder philosophischer Totalitätsmodelle auf das Gegenstandsfeld der Wissenschaft versteht (Gebhard 1984, XIV). Mindestens ebensosehr handelte es sich um eine Rationalisierung dieser Modelle, um einen Vermittlungs- und Versöhnungsversuch zwischen Naturphilosophie und Naturwissenschaft, bei dem die Kategorien der ersteren ebensoviel an Zauber einbüßten, wie die der letzteren anthropo- und psychomorphisiert wurden.6 Es spricht viel für die Vermutung, daß sich daraus ein entzauberter Chthonismus ergab, der sich leicht mit dem Fortschrittsbewußtsein der zweiten Jahrhunderthälfte verbinden konnte und dadurch auch für die progressiven Strömungen der Rechten, insbesondere für den Nationalismus, adaptierbar war.

Das Bestreben, die exakten Wissenschaften mit dem aus der religiösphilosophischen Tradition übernommenen Bedürfnis nach Ganzheit und Sinn zu versöhnen, läßt sich in exemplarischer Formulierung im Werk Gustav Theodor Fechners studieren, das auf das Denken der Epoche einen kaum zu überschätzenden Einfluß ausgeübt hat. Friedrich Paulsen in der Philosophie, Wilhelm Wundt in der Psychologie, Friedrich Ratzel in der Geographie, der Friedrichshagener Dichterkreis in der Literatur – das sind nur einige der Namen, auf die die Ideen Fechners gewirkt haben (Fick 1993, 44ff.). Ausgehend von sinnesphysiologischen Forschungen, die betont erfahrungswissenschaftlich gehalten waren, unternahm Fechner in zahlreichen Werken, darunter Nanna oder über das Seelenleben der Pflanzen (1848), Zend-Avesta oder über die Dinge des Himmels und des Jenseits (1851) und Elemente der Psychophysik (1860), den Versuch, die Vereinbarkeit des empirischen Wissens über den gesetzlichen Aufbau der Natur mit der, wie er meinte: zu Unrecht aufgegebenen Ansicht zu versöhnen, „daß die ganze Natur göttlich und beseelt sei“ (Fechner 1901, I, VI). Fechner akzeptierte dabei die für die neuere Metaphysikkritik grundlegende Negation einer besonderen Substanz und eines festen Sitzes der Seele und lehnte es ab, „in der Orientirung über die Wirklichkeit zu einer unfasslichen Hinterwirklichkeit zurückzugehen“ (Fechner 1860, II, 417). Statt dessen hielt er sich ausschließlich an den empirischen Zusammenhang zwischen dem Physischen und dem Psychischen und definierte die Psychophysik als das Verfahren, „die thatsächlichen functionellen Beziehungen zwischen den Erscheinungsgebieten von Körper und Seele möglichst genau festzustellen“ (I, 8f.). Aus der Negation eines punktuellen Sitzes der Seele leitete er die Folgerung ab, der ganze (menschliche) Körper sei Träger der seelischen Prozesse, woraus sich im Umkehrschluß ergab, daß alles Seelische an physiologische Prozesse gebunden sei (II, 393). Damit war der Kern der Lehre vom psycho-physischen Parallelismus etabliert: alle körperlichen Vorgänge waren danach begleitet von seelischen Vorgängen, alles Seelische hatte sein Pendant im Körperlichen, so daß sich Metaphysik und Sinnesphysiologie gewissermaßen wechselseitig interpretierten, als Wissensformen, die sich auf unterschiedliche Erscheinungsweisen ein und desselben Wesens bezogen (Fick 1993, 38f.).

Fechner zögerte nicht, diese Ideen auf die Pflanzen- und Tierwelt, ja auf die Gestirne zu übertragen. So entstand eine Lehre, die die Einsichten der exakten Wissenschaften und erste Ansätze zu ihrer ökologischen Selbstbegrenzung mit einem „Weltbild von merkwürdig phantastischem Gepräge“ verband (ebd., 41). Fechner schlug vor, die Erde als ein lebendiges Wesen aufzufassen, das wie der Mensch über einen Leib verfügte – das systemisch gekoppelte anorganische und organische Reich –, und darüber hinaus über „eine einige, individuelle, selbständige Seele“, die sich von derjenigen des Menschen nur durch einen höheren Grad der Individualität und Selbständigkeit unterschied (Fechner 1901, I, 115). Zwar könne die Erde nicht im gleichen Sinne Mutter wie eine menschliche Mutter genannt werden, doch könne sie es sehr wohl in einem höheren Sinne, „wie Gott, der uns durch ihre Vermittelung erzeugt, nicht in gemeinem menschlichen Sinne unser Vater heißen kann, aber in einem höhern“ (143). Selbst den Zwischenstufen zwischen dem einzelnen Menschen und der Erde, den menschlichen Gemeinschaften und den elementarischen Mächten, denen keine Persönlichkeit im eigentlichen Sinne zuzusprechen sei, wollte Fechner doch in einem uneigentlichen, metaphorischen Sinn die Personifikation zugestehen:

„Weder das Wissen noch Wollen einer Familie, eines Volkes u.s.w. schließt sich in einem einheitlichen Bewußtsein für sich ab, noch hat eine solche Gemeinschaft einen zusammenhängenden Leib für sich. Vielmehr kommt das einheitliche Bewußtsein wie der einheitliche Leib einerseits nur den einzelnen Menschen zu, die sich der Gemeinschaft unterordnen, andrerseits der ganzen Erde, der sich alle irdischen Gemeinschaften selbst unterordnen, und nur hierin finden sie nach der Gesammtheit dessen, was in und an ihnen, ihr Band so unter sich, als jede in sich. Aber sofern der obere Geist doch jede Gemeinschaft, die er einschließt, aus einem besondern einheitlichen Gesichtspunkte zusammenhält, bestimmt und dadurch rückbestimmt wird, kann man dieses besondere Walten desselben darin uneigentlich wohl auch als einen besondern Geist fassen“ (197).

Fechner hat aus seiner Lehre, wenn ich recht sehe, keine politischen Konsequenzen gezogen. Das geschah erst in den Jahren vor und nach der Jahrhundertwende, als diese Lehre einen vielfältigen Widerhall fand, der sich in Neuauflagen, Biographien und wissenschaftlichen Untersuchungen niederschlug. Für den alten Nationalismus kann dabei das Werk des Geographen Friedrich Ratzel stehen, der sich besonders in seinem letzten Lebensjahrzehnt Fechnerschen Ideen genähert hat (Ratzel 1911a, 500ff.; Steinmetzler 1956, 137ff.). Ratzel kam ursprünglich von der Naturwissenschaft her, promovierte in Zoologie und stand zumindest während dieser Zeit Darwin und Haeckel nahe (ebd., 69ff.; Müller 1996, 39f., 48). In den 70er Jahren wandte er sich der Geographie zu und veröffentlichte eine Reihe von großen Monographien, die ihm Weltruf verschafften: die zweibändige Anthropogeographie (1882, 1891), die dreibändige Völkerkunde (1885, 1886, 1888), die Politische Geographie (1897) und die zweibändige vergleichende Länderkunde Die Erde und das Leben (1901, 1902). Sein politisches Profil ergibt sich zum einen aus der Zugehörigkeit zur Nationalliberalen Partei und seinen Beiträgen zu den dieser Partei nahestehenden Grenzboten, zum andern aus dem Faktum, daß er sowohl zu den Gründungsmitgliedern des Kolonialvereins als auch des Alldeutschen Verbandes gehörte (Smith 1986, 147ff.; Peters 1996, 303).

In seinem Denken war Ratzel der typisch liberalen Vorstellung verpflichtet, nach der die Arbeit die Springquelle allen Wertes und allen Reichtums ist (Ratzel 1897, 46); und typisch liberal war auch, daß er darunter nicht nur Ackerbau und Handwerk, sondern auch die industrielle Produktion verstand, die ihm als eigentlicher Träger des Fortschritts galt (Bensch 1995, 68, 76, 82f.). Zugleich zeigte er sich jedoch von dem von konservativer Seite vorgebrachten Argument beeindruckt, daß es zum Erfolg bestimmter Naturbedingungen bedürfe und daß insbesondere ein Staat nichts sei ohne geeigneten Boden. Diese Vorstellung brachte ihn, im Verein mit gewissen materialistischen Restbeständen aus seiner ‘zoologischen’ Phase, zu Ansätzen und Formulierungen, die von der Kritik oft als geographischer Determinismus gegeißelt wurden (Steinmetzler 1956, 49f., 67). Der Mensch, heißt es immer wieder, sei ein erdgebundenes Wesen; was man von ihm wisse, gehöre der Erde an, stofflich, physikalisch und entwicklungsgeschichtlich (51). Bei allem geschichtlichen Wandel sei die Erde nicht bloß der leidende Boden, vielmehr weise sie den Völkern „mit ihren tausend Verschiedenheiten der Lage, des Raumes, der Bodengestalt, der Bewässerung und des Pflanzenwuchses die Wege, hemmt, fördert, verlangsamt, beschleunigt, zerteilt, vereinigt die sich bewegenden Massen“ (Ratzel 1899, I, 78). Auch mit steigender Kulturhöhe könne keine Rede davon sein, daß der Mensch sich aus dieser Abhängigkeit befreie. Eher sei es die Regel, „daß ein großer Teil des Kulturfortschrittes in der Richtung einer eindringenderen Ausnutzung der natürlichen Gegebenheiten sich bewegt, und daß in diesem Sinne dieser Fortschritt innigere Beziehungen zwischen Volk und Land entwickelt. Ja, man kann noch allgemeiner sagen, daß die Kultur einen viel innigeren Anschluß der Völker an ihren Boden mit sich führt“ (63f.; Bensch 1995, 73ff.).

Dem Vorwurf des Determinismus entzog sich Ratzel, indem er auf die Wechselwirkung hinwies, die zwischen Volk und Land bestehe; dem Vorwurf des Materialismus, indem er sich Fechners Panpsychismus zu eigen machte. In einem Gedenkaufsatz zu Fechners 100. Geburtstag in den Grenzboten bekannte er sich zu dessen Überzeugung, daß Erde und Leben, Anorganisches und Organisches ein einziges Ganzes bildeten, und skizzierte die Stellung des Menschen darin auf eine Weise, die zweifellos Fechners Zustimmung gefunden hätte:

„Wir teilen mit allen andern Geschöpfen der Erde die tiefe Zugehörigkeit zu dem Planeten, der in Wahrheit unsre Muttererde ist: dieselbe Erde, die uns und alle ihre Geschöpfe durch dieselbe Kraft an sich gefesselt hält, hat auch alle aus sich geboren, nimmt alle wieder in sich zurück, nährt und kleidet alle, vermittelt den Verkehr zwischen allen und behält bei allem diesem Wechsel einen durch den Wechsel selbst sich forterhaltenden und fortentwickelnden Bestand. Und so wie in diesen materiellen Beziehungen die Erde sichtbar alle ihre Teile, und auch uns, verknüpft und damit über ihnen allen steht, tut sie es unsichtbar in den geistigen. Die Erde hat alles, was die Menschen haben, da sie sie selbst hat“ (Ratzel 1911a, 506).

Auf den neuen Nationalismus hat Fechner vor allem durch die Vermittlung Moeller van den Brucks gewirkt, der vielleicht schon in seiner Leipziger Zeit (1895), spätestens aber durch seine Beziehungen zur Friedrichshagener Bohème (ab 1896) mit Fechners Ideen in Berührung gekommen ist (Schwierskott 1962, 14f.; Kauffeldt/Cepl-Kaufmann 1994, 56, 261, 296f.). Im dritten Band seines Werkes über Die Deutschen hat Moeller diesen Ideen ein ganzes Kapitel gewidmet. Er nennt Fechner einen „Naturwissenschaftler von höherer Art“, einen Denker, von dessen Werk „wahrhaft kopernikanische Umkehrungen“ ausgingen, wie etwa die Aufhebung des Gegensatzes von Idealismus und Materialismus oder von Monismus und Dualismus (D III, 203, 224). Nie, in keinem Augenblick, habe Fechner „die Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Naturwissenschaft seines Jahrhunderts aufgegeben“ (201), und doch ein Weltbild geschaffen, in dem neben den Gesetzen der Mechanik auch für die Besonderheiten der menschlichen Seele und der ‘Weltseele’ Platz gewesen sei. „Zureichender zur Begreifung der Natur und des Lebens ist bis heute keines Mannes Lehre gewesen, als diese psycho-physische. Sie ist eine Metaphysik gleichsam, die zum Korrelat die Physik hat. Sie mag steigen, wohin sie will, sie mag zu Gott vordringen und das Diesseits bis ins Jenseits verfolgen, stets folgt ihr diese Physik, als ob sie ihr – leibhaftiger – Schatten wäre. Und stets bleibt Fechner damit in der Natur und im Gesetz“ (209).

Was Moeller an Fechner beeindruckte, war die eigentümliche Mischung von anthropomorphem Animismus und Modernität. Aus der Behauptung, daß das ganze All ein großes Lebendiges sei, leitete Moeller ab, daß auch die Erde ein beseeltes Subjekt mit eigenen Absichten und eigenen Plänen sei (212; D V, 300). Zwar könne es diese nicht selbst ausdrücken, doch habe es dafür den Menschen als Werkzeug, und nicht zuletzt auch: den genialen Menschen, „die schöpferische Kraft, die nur einmal vorkommt und in Ausnahmenaturen der Erde entsteigt“ (1909, 11). Mittels der aus dem Boden wachsenden Kunst und Kultur (D IV, 149) könne die Natur alles sagen, was sie nicht durch sich selber sagen könne:

„Die ganze Natur will sprechen. Jedes Ding will sagen, was es ist und wohin es geht, und durch jedes Ding will die Natur sagen, was die Natur ist und wohin sie geht. Ihr bestes Werkzeug dazu ist auf der Erde der Mensch. Durch ihn fühlt, denkt, schafft die Erdnatur wie durch kein anderes Erdwesen. Als rohes Werkzeug hat die Natur dem Menschen die Sprache gegeben: für das Außenleben, das Natur und Mensch miteinander führen, genügt sie. Ein verfeinertes Werkzeug schuf sich die Natur durch den Menschen in der Kunst: mit der Kunst drückt sie ihr und sein Innenleben aus“ (98).

Moellers Bücher Die italienische Schönheit (1913) und Der Preußische Stil (1916) waren auf dieser Idee aufgebaut. Immer wieder wird hier die „Urseele des Landes“ beschworen, die die geistige Grundform, den Grundstil gebe, der stets von neuem durchschlage (1913a, 6); und immer wieder begegnet man der „Erdkraft“, dem Geist der Erde und des Landes (92, 126), in dem Max Hildebert Boehm eine Entsprechung zu Barrès’ Kult der Erde und der Toten gesehen hat (Boehm 1965, 100). Das Preußenbuch beschwört in der ersten Auflage die Kraft des ‘Ortsgeistes’, sich eine fremde Architektur – in diesem Fall: die französische – anzuverwandeln (1916, 58f.). In der zweiten Fassung ist dies zu einem Objektivismus zugespitzt, der für eine eigenständige Subjektivität des Menschen keinen Raum mehr läßt. Anläßlich der Architektonik von Potsdam heißt es: „Wieder bestätigte sich, daß es eigentlich gar nicht die Menschen sind, die Formen bilden, sondern die Natur, die Nation, die Zeit in den Menschen: daß es einziger und ursprünglicher Ortsgeist ist, der an einer einzigen und großen Überlieferung arbeitet“ (115). Später haben Hans Schwarz und Otto Weber-Krohse diesen Gedanken zu einer Landschaftlichen Politik weitergesponnen, und auch die ‘Geozentriker’ in der Geographie der 20er und 30er Jahre (Wilhelm Volz, Albrecht Penck, Oswald Muris u.a.) lassen Anklänge in dieser Richtung erkennen (Schultz 1980, 306). Daß sich Moellers Ansatz auch in einem antiborussisch-katholischen Sinne wenden ließ, zeigte 1933 Albert Mirgeler, der Boden und Raum im geschichtlich-symbolischen Sinne verstanden wissen wollte und die nationalsozialistische Bewegung als einen Aufbruch der ‘Stammlande’ des Reiches gegen das einseitige Übergewicht der ‘Mark’ begrüßte.7

Auch im völkischen Nationalismus sind die Spuren des Panpsychismus der zweiten Jahrhunderthälfte unübersehbar. Julius Langbehn hat sich zwar von Fechner distanziert, weil dieser Naturforscher und Prophet sei, er, Langbehn, aber Poet und Geschichtsforscher (Nissen 1926, 142); doch deutet allein schon die Nennung des Namens in diesem Fall auf eine gewisse Kenntnis des Werkes hin. Der Idee des psycho-physischen Parallelismus jedenfalls hat er Tribut gezollt (Langbehn 1943, 259), und auch die Lehre vom Stufenbau der Welt ist präsent. „Das Naturreich selbst ist aristokratisch aufgebaut; es gliedert sich von niederen zu höheren Zuständen, von niederen zu höheren Wesen. Nicht weil sie auf Luxus, sondern weil sie auf ureigner Kraft beruht, ist die Kunst aristokratisch; eben diese angeborene, sozusagen dem Erdboden entstammende Kraft ist die höchste irdische Kraft, die es gibt. Es ist eine geistige Schwerkraft; sie zieht den Menschen zur Erde; sie verschwistert ihn mit ihr; sie hält die Welt des Geistes gerade so zusammen, wie die physische Schwerkraft die körperliche Welt zusammenhält“ (35).

Die hier aufscheinenden chthonischen Motive lassen sich durch das ganze Buch verfolgen. Es beschwört den „Geist der deutschen Erde“ und die „Macht der Erdgeister“, die in der Politik nicht weniger als im Geistesleben ihr Recht behaupteten (73, 126). Es würdigt den Bauern, weil er ein „ganz direktes Verhältnis zum Erdzentrum und durch dieses wieder zum Weltzentrum wie zum Herrn der Welt“ habe. Und es lobt Preußen, weil es ein Bauernstaat sei (118, 115). Von der Politik verlangt Langbehn, dieses bäuerliche Erbe zu konservieren und zu kultivieren: „Solange der eingeborene Erdcharakter des deutschen Volkes gepflegt und erhalten wird, wird auch dieses selbst gedeihen“ (183).

Alle Gebrechen, an denen Deutschland gegenwärtig leide, so Langbehn, resultierten aus der Kluft, die sich zwischen der „Kultur des Geistes und des Bodens“ aufgetan habe. Sie zu lindern, bedürfe es vor allem der „heilende(n) Kraft der Scholle“ (ebd.). „Der Rauch, der aus der Scholle aufsteigt, ist die Seele des Landes; zu dieser Seele muß die deutsche Bildung zurückkehren“ (129). Das klingt nach Regression. Aber es ist nicht „Otahaiti“, wohin es Langbehn zieht, sondern das Weimar Goethes (ebd.), und das lag 1890 gerade erst zwei Generationen zurück. Der Drang zur „Mutter Erde“ (127), für Langbehn schloß er künstlerische, wissenschaftliche, handwerkliche und bäuerliche Produktivität nicht aus, ja sogar ein maßvoller technischer Fortschritt fand seine Zustimmung: „Man braucht deshalb die guten Errungenschaften der Neuzeit nicht aufzugeben; man braucht deshalb keine Butzenscheibenzimmer einzurichten – weder wirklich noch geistig; man soll, man kann modern und fromm sein“ (Langbehn, zit. n. Nissen 1926, 182). Noch deutlicher tritt die Verbindung von Bodenverklärung und Fortschrittsdenken bei Friedrich Lienhard hervor, der die Übermacht des ‘Zeitgeistes’ durch den ‘Zauber des Ortsgeistes’ korrigieren wollte, gleichzeitig aber energisch für den Flottenbau eintrat (Lienhard 1900, 18, 28).

Ordnungen der Ungleichheit – die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871 – 1945

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