Читать книгу Ordnungen der Ungleichheit – die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871 – 1945 - Stefan Breuer - Страница 6
Einleitung
ОглавлениеOrdnung ist ein Lieblingswort der politischen Rechten. Als sich im März 1848 in Paris die Gegenrevolution formierte, nannte sie sich Partei der Ordnung; und auch in den beiden deutschen Revolutionen von 1848 und 1918 dauerte es nicht lange, bis man nach der Wiederherstellung von Recht und Ordnung rief.1 Heinrich von Treitschke verteidigte 1874 die „aristokratische Gliederung der Gesellschaft“ als eine ebenso gerechte wie notwendige Ordnung (ARB IV, 152); Friedrich Nietzsche, der vorerst nichts mehr zu verteidigen sah, forderte dazu auf, „über die Notwendigkeit neuer Ordnungen nach(zudenken), auch einer neuen Sklaverei“ (NW II, 252). Im Ersten Weltkrieg zählte Johann Plenge die „Freiheit der Ordnung“ zu den Ideen von 1914, die diejenigen von 1789 ablösen sollten (Plenge 1915a, 206). Einige Jahre später wies Edgar Julius Jung der ‘großen konservativen Gegenrevolution’ die Aufgabe zu, „eine neue Ordnung, ein neues Ethos und eine neue abendländische Einheit unter deutscher Führung“ zu begründen, um die „Auflösung der abendländischen Menschheit“ in letzter Stunde zu verhindern (Jung 1932a, 380). „Die große Aufgabe der Politik“, hieß es, „ist die Ordnung unter Ungleichen, sei es unter Menschen oder unter Völkern“ (Jung 1933, 103). Carl Schmitt schloß 1929 seinen Vortrag über Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen mit der Vergilschen Formel: „Ab integro nascitur ordo“, um zehn Jahre später diese Aufgabe durch die „Tat des Führers“ für erledigt zu erklären (Schmitt 1988, 132, 312).
Die Ordnung, die von der Rechten erstrebt wurde, war nicht irgendeine. Sie war gedacht als natürliche Ordnung, als Ordnung, die dem Grundprinzip der menschlichen Natur entsprach, ja der Natur schlechthin: der Ungleichheit. Schon als die erste französische Revolution das europäische Ancien Régime erschütterte, waren dessen Verteidiger wie Edmund Burke oder Friedrich Gentz dem Verlangen nach rechtlicher und politischer Gleichheit im Namen der ‘wahrhaften Ungleichheit der Menschen’ entgegengetreten, die die einen zur Niedrigkeit, die anderen zu Höherem bestimme (GG II, 1027). Später legitimierten die Konservativen in Preußen ihre politischen Privilegien mit der Ungleichheit der „natürlichen Gruppen und organischen Gliederungen des Volkes“; und auch der rechte Liberalismus stand nicht an, angesichts des wachsenden politischen Gewichts der Massen der Ungleichheit vor der Freiheit den Vorzug zu geben.2 Mit dem Satz von der ursprünglichen Ungleichheit der Menschen, so Treitschke, habe alles politische Denken zu beginnen (Treitschke 1918, I, 19).
Die Reihe läßt sich mühelos fortsetzen. Daß die neue Ordnung eine Ordnung der Ungleichheit sein müsse, stand für Nietzsche ebenso fest wie für Otto Ammon, der die Ungleichheit für so „unabänderlich wie die mathematischen Wahrheiten und ewig wie die Gesetze, die den Gang unseres Planetensystems regeln“, hielt (Ammon 1900, 297). Ein Paul de Lagarde wollte die Trias von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit durch drei andere Prinzipien ersetzen: „Das Recht zu werden, was zu werden Gott uns aufgab, Ungleichheit, welche allein einen polyphonen Satz ermöglicht, Gotteskindschaft“ (SDV I, 425); ein Julius Langbehn statuierte: „Gleichheit ist Tod, Gliederung ist Leben“ (Langbehn 1943, 141). Mochte es 1919 noch die Ansicht einer Minderheit sein, „daß wir den Satz von der Gleichberechtigung alles dessen, was Menschenantlitz trägt, für eine durch die Wirklichkeit täglich widerlegte Lehr-Meinung halten, deren tatsächliche Ausführung ein Verbrechen gegen unser Volk bedeuten würde“, so war es ein knappes Jahrzehnt später der Führer der kommenden Mehrheitspartei, der sich zum „Gedanken der Wertunterschiede der Völker“ und zur „Überzeugung von der Ungleichheit des spezifischen Wertes der einzelnen Rassen“ bekannte.3 Norberto Bobbio hat deshalb vollkommen recht, wenn er in der Präferenz für das, was die Menschen ungleich macht, das Wesensmerkmal der rechten Ideologie und der ihr entsprechenden Politik sieht (Bobbio 1994, 76ff.).
Die Frage ist allerdings, ob Ungleichheit so ohne weiteres mit Ordnung zusammengeht, wie dies die Rechte verspricht. Schon ein oberflächlicher Blick auf die Geschichte der modernen Rechten zeigt, daß es hier allen Grund zur Skepsis gibt. Die französische Forschung unterscheidet seit langem zwischen mehreren rechten ‘Familien’, die keineswegs in Eintracht und Harmonie leben (Rémond 1985); ähnliches gilt für die italienische Rechte (Chiarini 1995), und auch für Deutschland mehren sich die Untersuchungen, die sich nicht länger von der Fiktion einer einheitlichen, ultrastabilen Rechten leiten lassen. In den Arbeiten von Geoff Eley und David Blackbourn stellt sich die Rechte des Kaiserreichs als ein eher chaotisches Ensemble von heterogenen und widersprüchlichen Richtungen dar (Eley 1980; 1991; Blackbourn und Eley 1984). Woodruff D. Smith machte im deutschen Imperialismus das Gegeneinander von ‘Weltpolitik’ und ‘Lebensraum’ sichtbar (Smith 1986). Die sogenannte Konservative Revolution erwies sich bei näherer Betrachtung als eine Konstruktion ex post (Breuer 1993), und auch der Nationalsozialismus stellt sich mehr und mehr als ein dilatorischer (Leer-)Formelkompromiß heraus, der in seinem ideologischen Polyzentrismus genau der polykratischen Praxis entsprach, die nach 1933 zur Regel wurde (Lepsius 1994, 119ff.; Kroll 1998, 309). Ungleichheit mag der gemeinsame Nenner aller rechten Bewegungen und Bestrebungen sein. Aber offenbar lassen sich von diesem Ausgangspunkt aus höchst unterschiedliche Ordnungen generieren, so daß die Intention, Ordnung durch Ungleichheit zu stiften, durch den Pluralismus der Ordnungsvorstellungen konterkariert wird.
Wie hätte es auch anders sein sollen? In den Jahrzehnten, die auf die Revolution von 1848/49 folgten, verwandelte sich Deutschland in eine moderne Industrienation, in der die Politik einer fortschreitenden Fundamentaldemokratisierung unterlag. Damit entfielen die strukturellen Voraussetzungen für die vormoderne Rechte, den historischen Konservatismus, der sich der neuzeitlichen Staatsbildung ebenso widersetzt hatte wie der Herauslösung des Marktes aus dem Oikos. Die sich neu bildende Rechte nahm zwar manches von ihrem Vorläufer auf, jedoch nicht ohne es mit modernen Elementen zu legieren. Von daher die Erscheinungen eines Nationalkonservatismus, der die Stabilität und die Expansion des von Bismarck geschaffenen Nationalstaates zu seiner Sache machte; eines Sozialkonservatismus, der die Sozialreform gegen die Demokratie auszuspielen suchte; und eines Liberalkonservatismus, wie er namentlich in der Reichs- und Freikonservativen Partei seinen Ausdruck fand (Kondylis 1986, 296ff., 415; Müller 1984; Schildt 1998, 105f.). Keine dieser Richtungen vermochte indes den Konservatismus vor der inneren Auszehrung zu bewahren. Als 1918 die Gründung einer neuen Rechtspartei anstand, wollte niemand mehr sie konservativ nennen.
Heterogenität und Unübersichtlichkeit wurden noch dadurch gesteigert, daß die neue Rechte von Anfang an auch Zustrom vom ehemaligen Antagonisten der alten Rechten erhielt, dem Liberalismus. Dieser entschied sich in seiner Mehrheit 1867 dafür, die Einheit der Freiheit voranzustellen und wurde zum Nationalliberalismus, der sich in der Folgezeit nur allzu oft als ‘Liberalnationalismus’ entpuppte (Wehler 1995, 228ff., 946ff.). Im Kaiserreich ordneten sich starke Kräfte dieses Nationalliberalismus selbst der Rechten zu und stellten einen Großteil der Mitglieder des nationalistischen Alldeutschen Verbandes.4 Die neue Rechte speiste sich damit ebensosehr aus einem nach links gerückten, liberal gewordenen Konservatismus, wie aus einem nach rechts gerückten Liberalismus. Und sie erhielt darüber hinaus wichtige Impulse von einer überwiegend von Intellektuellen getragenen, politisch nicht eindeutig zu lokalisierenden, radikalen Modernitätskritik, die je nach Standpunkt als ‘Kulturpessimismus’ oder als ‘ästhetische Opposition’ erscheint.
In den Grundpositionen der deutschen Rechten habe ich versucht, die Ordnungsvorstellungen dieser neuen, fluktuierenden und oszillierenden Rechten zu systematisieren. Dazu habe ich einen intellektuellen Raum konstruiert, der durch Grenzbegriffe, Idealtypen markiert ist und zugleich durch die Anordnung dieser Grenzbegriffe auf gedanklichen Achsen eine innere Struktur erhält. Die erste Achse drückt die unterschiedliche Haltung gegenüber dem aus, was die Soziologie, wie immer auch vage, als Modernisierung bezeichnet. Am einen Pol, der Kürze halber mit ‘Progression’ bezeichnet, stehen alle diejenigen, die die funktionale Differenzierung sowie die Durchsetzung formal-operativer, berechenbarer Strukturen in den zentralen Lebensordnungen bejahen, mithin für die „Steigerung der subjektiven Rationalität und objektiv-technischen ‘Richtigkeit’ des Handelns als solche“ eintreten (Weber 1973, 530). Am anderen Pol finden wir diejenigen, die zwar die funktionale Differenzierung z.T. hinnehmen, nicht aber die formale Rationalisierung: die Vertreter des Fundamentalismus, die sich zunächst um eine religiös begründete Weltablehnung kristallisieren, mit fortschreitender Rationalisierung aber sich von religiösen Traditionen abkoppeln, die Weltablehnung zur Zeitablehnung abmildern und Erlösung von innerweltlichen Instanzen wie der Kunst oder der Nation erwarten. Zwischen diesen beiden Extrempositionen findet sich ein Mittelfeld, eine Interferenzzone, die durch vielfältige Kompromisse gekennzeichnet ist, etwa derart, daß man die ‘einfache Modernisierung’ im Sinne Ulrich Becks akzeptiert, der ‘reflexiven Modernisierung’ hingegen Widerstand entgegensetzt (zu diesen Konzepten: Beck 1986).
Die zweite Achse drückt die Stellung der Rechten zu jener Dimension der Modernisierung aus, für die sich der Begriff der Inklusion eingebürgert hat.5 Während die vormodernen Gesellschaften stratifizierten Typs überwiegend „Exklusionsgesellschaften“ waren (Castel 2000, 20), beruhen moderne, funktional differenzierte Gesellschaften darauf, daß im Prinzip jeder gleichen Zugang zu allen Funktionssystemen hat. Korrelativ zur Ausdifferenzierung der Funktionssysteme mit ihren je spezifischen Leistungsrollen vollzieht sich eine Herausbildung von Publikumsrollen, „die die Inklusion der Gesamtbevölkerung in das jeweilige Sozialsystem über komplementär zu den Leistungsrollen definierte Formen der Partizipation sichern“ (Stichweh 1988, 261). Dies geschieht vorerst im Rahmen des Nationalstaates bzw. der Nation, die entsprechend als „der vielleicht erfolgreichste Inklusionsbegriff der Moderne“ angesehen werden kann (287).
Natürlich ist dieser Begriff als solcher weder rechts noch links. Aber er bot der Rechten die Chance, sich von Exklusion auf Inklusion umzustellen und zugleich die Präferenz für Ungleichheit weiterzuverfolgen: via Externalisierung der Ungleichheit in die Weltgesellschaft. Diese Chance wurde auf unterschiedliche Weise wahrgenommen. Im fundamentalistischen Lager bildete sich ein nationalreligiöser Fundamentalismus, der in der Nation das geeignete Mittel sah, um die Welt von der Moderne zu erlösen. Am Gegenpol entstand ein progressiver Nationalismus, der sich in zwei Strömungen differenzierte: den alten Nationalismus, der zwar die generelle Inklusion bejahte, gleichwohl bei der Inklusion ins politische System für eine restriktive Lösung optierte, und den neuen Nationalismus, der in bezug auf die politische Inklusion offener war, auch wenn er sich von bestimmten Formen der internen Exklusion ebenfalls nicht gänzlich verabschieden mochte. In der Interferenzzone zwischen Progression und Regression plazierte sich ein völkischer Nationalismus, der hinsichtlich der politischen Inklusion in ähnlicher Weise changierte wie der progressive Nationalismus.
Mit diesen vier Typen des Nationalismus ist freilich das Spektrum rechter Orientierungen noch nicht erschöpft. Denkbar war einmal eine weitere Steigerung der Inklusion über den organisatorischen Rahmen des Nationalstaates hinaus, wie sie vom planetarischen Imperialismus angestrebt wurde. Denkbar war aber auch eine Abkehr vom Prinzip der Inklusion, die sowohl unter progressivem als auch unter regressivem Vorzeichen realisiert werden konnte. Im ersten Fall ergab sich ein Neoaristokratismus, der, wenn schon nicht hinsichtlich des Erwerbs von Statuspositionen, so doch hinsichtlich der sozialen Schließung auf naturalistische Argumente zurückzugreifen pflegte; im zweiten Fall ein ästhetischer Fundamentalismus, der eine Kumulierung von Statuspositionen für das Genie vorsah. In einer Epoche, die so sehr auf Inklusion setzte, waren diese Positionen eigentlich zur Marginalität verurteilt. Doch konnten sie unter Umständen, im Bündnis mit einer nationalistischen Bewegung, zu erheblicher Wirksamkeit gelangen, wie etwa die Rolle des Neoaristokratismus in der NSDAP belegt. Im oben gezeigten Schema sind die verschiedenen Positionen zusammengefaßt.
Bei der Arbeit mit diesen Typen muß man sich stets bewußt halten, daß es sich um Analyseinstrumente handelt, um gedankliche Konstrukte, nicht um die Wirklichkeit selbst. Diese ist vielgestaltig, mehrdeutig. Ein Richard Wagner ist zu ein und derselben Zeit nicht nur ein ästhetischer Fundamentalist, sondern auch ein nationalreligiöser Fundamentalist, ja manchmal sogar der Verfechter eines nicht der politischen Rechten zuzuordnenden ‘moralischen’ Fundamentalismus. Der Nietzsche der Geburt der Tragödie ist noch ein ästhetischer Fundamentalist, aber auch schon ein Neoaristokrat. Hitler ist zur gleichen Zeit Neoaristokrat, völkischer Nationalist und Neonationalist. Diese Vieldeutigkeit schließt aber nicht aus, daß es Prioritäten, Präferenzen, Schwerpunkte gibt, und wenn auch nur auf Zeit. Heinrich von Treitschke hat sich eindeutig für den alten, nicht für den neuen Nationalismus ausgesprochen. Theodor Fritsch war weder für den einen noch für den anderen, sondern für den völkischen Nationalismus. Die Texte Ernst Jüngers aus den 20er Jahren sind durchweg dem neuen Nationalismus zuzuordnen. Der Arbeiter von 1932 dagegen vertritt den planetarischen Imperialismus. Wer solche Zuordnungen als Reifikation von Idealtypen zurückweist, sollte sich darüber klar sein, daß er damit die idealtypische Methode überhaupt verwirft. Idealtypen stehen nicht nur unter dem Gebot der Sinnadäquanz, sondern auch unter demjenigen der Kausaladäquanz. Wenn sie nicht dazu dienen, Erscheinungen zu identifizieren, die ihnen näher oder ferner stehen, sind sie nutzlos.
Das Typentableau markiert Grundpositionen. Aber auch nicht mehr. Weder handelt es sich um Abbilder der Realität noch um Totalsichten der Welt oder wenigstens der Gesellschaft. Aus der Stellung zur formalen Rationalisierung und zu Exklusion/Inklusion ergeben sich gewiß mancherlei Konsequenzen für die Gestaltung der politischen, wirtschaftlichen, religiösen und kulturellen Ordnungen, doch keine zwingenden Vorgaben darüber, wie etwa das Verhältnis von Exekutive und Legislative oder die Distribution der Revenuen zwischen den verschiedenen Gesellschaftsklassen zu gestalten sei, ob in der Bevölkerungspolitik ein eher pro- oder antinatalistischer Kurs angebracht und welcher Kunststil den modernen Lebensbedingungen am angemessensten ist. Gerade im Fall der rechten Ideologien ist nicht anzunehmen, daß den Grundpositionen jeweils eindeutige Positionen in den verschiedenen Lebensordnungen und Handlungsfeldern entsprechen, gehören sie doch zur Gruppe der aggregate ideologies im Sinne von Woodruff D. Smith (1986, 14f.). Sie sind nicht, wie etwa das Totalitätsdenken der idealistischen Philosophie oder der materialistischen Dialektik, aus einem Grundprinzip entwickelt, sind keine Systeme im Sinne Kants, sondern lose Verbindungen heterogener Elemente, die nicht im emanatistischen Sinne zu deduzieren, vielmehr zunächst erfahrungswissenschaftlich zu registrieren und sodann kulturwissenschaftlich zu verknüpfen sind.
Deshalb dieses, sachlich und methodisch an die Grundpositionen anschließende Buch. Um die für die Rechte charakteristischen ideologischen Aggregate zu erfassen, habe ich – nach einigen Vorklärungen über die Leitbegründungen für Ungleichheit – für die verschiedenen Lebensordnungen und Handlungsbereiche jeweils feldspezifische Idealtypen konstruiert, die sich auf ideale Ordnungen der politischen Herrschaft, der Wirtschaft, der Religion etc. beziehen, wobei ich mich möglichst eng an die konzeptionellen Vorgaben in den untersuchten Texten selbst gehalten habe. In einem zweiten Schritt werden diese Typen dann mit den Grundpositionen abgeglichen, um Wahlverwandtschaften und Inkompatibilitäten deutlich zu machen. Am Ende ergibt sich auf diese Weise für jede Grundposition ein Set von Optionen und Präferenzen, die zwar nicht zwingend sind, aber immerhin bestimmte Wahrscheinlichkeitsannahmen erlauben.
Bei der Auswahl der Texte habe ich mich nicht auf die organisierte Rechte beschränkt. Gewiß kommt der Publizistik der großen rechten Parteien und Verbände eine zentrale Rolle für jede Arbeit zu, die sich mit dem Selbstverständnis der Rechten befaßt. Aber es wäre eine unangemessene Verengung des Spektrums, wenn man sich nur darauf konzentrieren würde. Wesentliche Konzepte wurden von Autoren formuliert, die sich von den Organisationen fernhielten und sie nicht selten mit Skepsis oder Sarkasmus beurteilten – Paul de Lagarde, Oswald Spengler, Ernst Jünger sind nur einige besonders herausragende Beispiele. Außerdem bliebe die Dynamik unberücksichtigt, die namentlich gegen Ende der Weimarer Republik eine starke Oszillation nach rechts auslöste, auch bei Gruppen, die nur in bestimmten Politikfeldern Affinitäten in dieser Richtung aufwiesen, sich ansonsten aber darum bemühten, sie durch andere, sei es christliche, sei es liberale oder soziale Präferenzen zu balancieren – man denke etwa an die Deutsche Demokratische Partei, die sich mit dem rechten Jungdeutschen Orden zur Deutschen Staatspartei verband, oder an die Bewegung der Deutschen Christen innerhalb des Protestantismus. Das Einzugsgebiet der Rechten war stets größer, als es der aktuelle Pegelstand der Parteien und Verbände vermuten ließ, weshalb auch eine Untersuchung über den ‘Geist’ der Rechten gut daran tut, den Horizont nicht zu eng abzustecken.
Mit diesem Buch liegt nun das Mittelstück des Triptychons vor, an dem ich seit gut zehn Jahren arbeite. Daß es diese Form annehmen würde, hat sich erst im Laufe der Zeit ergeben, nicht zuletzt aufgrund der vielen Anstöße und Anregungen, die ich von anderen erfahren habe. Rainer Kühn, seinerzeit Lektor bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, hat dafür gesorgt, daß aus einer Gelegenheitsarbeit die Anatomie der Konservativen Revolution wurde. Ernst Osterkamp hat meinen Blick auf die literarischen Repräsentanten der Rechten gelenkt und damit den Ästhetischen Fundamentalismus initiiert. In der Folgezeit haben vor allem die Einladungen literarischer und philosophischer Gesellschaften zu Vorträgen und Diskussionen dazu beigetragen, meine Positionen schärfer zu profilieren. Genannt seien die Stefan-George-, die Rudolf-Borchardt-, die Ludwig-Klages- und die Thomas-Mann-Gesellschaft, ferner das Nietzsche-Forum Weimar, die Theodor-Heuss-Stiftung, der Oldenburger Kunstverein und die Straßburger Forschungsgruppe um Louis Dupeux. Viel profitiert habe ich von einem dreisemestrigen Projekt über ‘Herrschaftssystem und Familienpolitik im Nationalsozialismus’, das ich gemeinsam mit Wolfgang Voegeli an der Hochschule für Wirtschaft und Politik durchgeführt habe. Meiner Hochschule habe ich für die Gewährung zusätzlicher Hilfskraftstunden zu danken, Matthias Brosch für die Überlassung zahlreicher Kopien aus der völkischen Publizistik, Ina Schmidt für ihre unermüdliche und findige Unterstützung bei der Erschließung des Quellenmaterials. Die Verantwortung für die Fehler in diesem Buch würde ich gerne abschieben, aber leider hat sich dafür niemand gefunden.
Zur Vermeidung eines unruhigen Schriftbildes wurde darauf verzichtet, pseudowissenschaftliche Termini wie ‘Rasse’, ‘nordisch’, ‘semitisch’, ‘arisch’ etc. durchgängig in Anführungszeichen zu setzen. Auch wurden sämtliche Hervorhebungen in den Zitaten gelöscht. Die Quellenangabe erfolgt im Text mit Nachname und Erscheinungsjahr. Wird der Verfasser im Text genannt, nur mit Erscheinungsjahr. Bei mehreren aufeinanderfolgenden Zitaten aus dem gleichen Werk wird nur die Seitenzahl angeführt. Häufig benutzte Werke werden unter Sigel zitiert.
1 Vgl. Marx 1969, 58; Siemann 1985, 77; Liebe 1956, 107.
2 Vgl. den Gründungsaufruf der Deutsch-Konservativen Partei von 1876 sowie das Revidierte Programm von 1892: Treue 1961, 65, 78; Schildt 1998, 97. Zu den Liberalen siehe Sheehan 1983, 184ff., 224ff.
3 Bamberger Erklärung des Alldeutschen Verbands, zit. n. Lohalm 1970, 18; Hitler, R III.1, 85. Ähnlich sahen es Neoaristokraten wie Edgar Julius Jung (1930, 101), neue Nationalisten wie Moeller van den Bruck (1931, 217), planetarische Imperialisten wie Oswald Spengler (1973, 1121f.), ästhetische Fundamentalisten wie Friedrich Wolters (1923, 54) oder nationalreligiöse Fundamentalisten wie Ernst Niekisch (1930a, 183).
4 Vgl. Stegmann 1970, 53, 225, 227, 230, 246, 321, 400ff.
5 Ich verwende den Begriff in der engen Fassung, die Luhmann ihm durch die Bindung an unterschiedliche Formen der primären Differenzierung verliehen hat (Luhmann 1995a, 142f.). Die noch von Luhmann selbst vorgenommene Erweiterung, die die gegenwärtige Diskusssion in der Soziologie bestimmt, muß hier unberücksichtigt bleiben: vgl. Luhmann 1995b, 237ff.; Nassehi 1997; Göbel und Schmidt 1998.