Читать книгу Ordnungen der Ungleichheit – die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871 – 1945 - Stefan Breuer - Страница 7

ERSTES KAPITEL Boden

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Einem Ordnungsdenken, das in der Natur selbst die letzte Wurzel aller Ungleichheit verankert wissen möchte, bietet sich der Boden, die Erde in ihrer vielfältigen Gestalt, als Ausgangspunkt an. So sah es bereits die Romantik, die aus dem „festen Boden alles Himmlische, Göttliche“ hervorgehen sah. So sah es auch die völkisch-antisemitische Bewegung der Jahrhundertwende, die die „Eigenart des Bodens“ als eines „göttlichen, unantastbaren und unvermehrbaren, aber grundlegenden Heiligtums“ beschwor, „das ungeschmälert, also auch unbelastet, auf Kinder und Enkel übergehen müsse“; und Martin Heidegger wollte in seiner Rektoratsrede von 1933 die Universität auf die „erd- und bluthaften Kräfte“ verpflichten.1 Boden und Erde: das sollten die durch Arbeit, Kultur, Geschichte wohl modifizierbaren, im Wesen dennoch unveränderlichen Bedingungen sein, aus denen alles hervorwuchs und in die alles wieder zurückkehrte, der mütterliche Grund, der „ohne Geist und Sünde“ war (Klages 1944, 486). Es war deshalb keineswegs aus der Luft gegriffen, wenn Thomas Mann 1929 von einem um sich greifenden ‘Chthonismus’ sprach, einem Willen zum „großen Zurück ins Nächtige, Heilig-Ursprüngliche, Lebensträchtig-Vorbewußte, in den mythisch-historisch-romantischen Mutterschoß“, der schon die reaktionäre Romantik geprägt habe und zu seiner Zeit maßgeblich dafür verantwortlich sein sollte, daß der Nationalismus eine romantische,’völkische’ Einfärbung erhielt (Mann 1994, 129ff.).

Nach dem Historischen Wörterbuch der Philosophie ist unter Chthonismus eine Auffassung zu verstehen, die die als personifiziert gedachte Erde in den Mittelpunkt von Glaube und Kult stellt (HWPhil I, 1017). Im vollen Sinne dieser Definition kam Chthonismus innerhalb der Rechten jedoch eher selten vor. Weitaus charakteristischer waren seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Kompromißbildungen, in denen sich ein ‘entzauberter’ Chthonismus mit Arbeitsmetaphysik und Fortschrittsorientierung verband.2 Aus dieser „Konfundierung von Fortschritt, Kultur, Kunst und Religion in einem spiritualisierten Evolutionismus“ (Gebhard 1984, 406) erwuchsen die Vorstellungswelten des Panpsychismus, des psychophysischen Parallelismus, der Mikrokosmos-Makrokosmos-Spekulation, der monistischen Alleinheitslehren und der Neomystik, die auch auf die sich formierende moderne Rechte ihren Eindruck nicht verfehlten und allerlei Kombinationsversuche stimulierten. Allerdings, und auch darin irrt Thomas Mann, gab es auch dies: eine Rechte, die den Boden sowenig sakralisierte wie das Blut und in beiden nur abhängige Größen sah. Auch der Nationalsozialismus läßt sich, entgegen einer verbreiteten Annahme und entgegen seiner eigenen Parole von Blut und Boden, nicht als Chthonismus deuten.

Ordnungen der Ungleichheit – die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871 – 1945

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