Читать книгу Ordnungen der Ungleichheit – die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871 – 1945 - Stefan Breuer - Страница 16

Rezeption in Deutschland II: Ammon, Woltmann

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Für die deutsche Aufnahme der Ideen Gobineaus und Lapouges sind deshalb andere Namen wichtiger geworden. Eine Schlüsselrolle kommt dabei dem badischen Ingenieur und Journalisten Otto Ammon zu. Entgegen der von Ammon selbst und seinem Freund Claß gepflegten Legende, derzufolge er allein in eigener Arbeit zu seinen Ergebnissen gekommen sei, gelangte er erst durch die Schriften Lapouges dazu, seinen anthropometrischen Erhebungen an badischen Rekruten, die er seit 1886 betrieb, einen spezifischen Sinn zu verleihen.6 In seinem Werk über Die natürliche Auslese beim Menschen (1893) stellte er die badische Bevölkerung als zu 98 % aus Mischlingen bestehend dar, die aus zwei Hauptrassen hervorgegangen seien: „einer hoch gewachsenen langköpfigen (dolicho- und mesocephalen) Rasse mit blauen Augen, blondem Haar und weisser Haut, welche man gewiss mit Recht als ‘arisch’ oder ‘germanisch’ bezeichnet hat, und einer kleinen, rundköpfigen Rasse mit braunen Augen, schwarzem Haar und brauner Haut“ (Ammon 1893, 44).

Ganz im Sinne Lapouges, der unter Rassen eine Gesamtheit von Individuen mit gleichen oder ähnlichen physischen und psychischen Eigenschaften verstanden hatte (Lapouge 1896, 5), waren diese beiden anthropologischen Typen mit bestimmten seelischen Eigenschaften ausgestattet. Die Langköpfe germanischer Abkunft galten Ammon „als die Träger des höheren Geisteslebens, als die von der Natur berufenen Inhaber herrschender Stellungen, als die geborenen Vertheidiger des Vaterlandes und der gesellschaftlichen Ordnung“, deren ganzes Wesen sie zur Aristokratie bestimme. Die Rundköpfe dagegen besäßen landwirtschaftliche und technische Fertigkeiten, verstünden industrielle Unternehmungen zu organisieren und ihr Vermögen zu mehren (Ammon 1893, 185).

Die eigenen Akzente, die sich nichtsdestoweniger bei Ammon finden, rühren nicht daher, daß er den darwinistischen, ‘dynamischen’ Rassenbegriff übernommen hätte, demzufolge sich die Rassen durch Selektion veränderten (so: Mühlen 1977, 86ff.). Für Ammon gehörten die beiden Hauptrassen zu den stabilen Formen oder Typen, die sich über längere Zeit konstant zu halten vermögen – so lange, daß er explizit den auf die Entstehung neuer Varietäten bezogenen Aspekt des Darwinismus – die Abstammungslehre – als für seine Zwecke bedeutungslos ausklammern zu können glaubte (Ammon 1893, 9; 1900, 5). Ammons Abweichung bestand vielmehr darin, daß er, vom bürgerlichen Liberalismus kommend, die Rassenmischung nicht im gleichen Maße perhorreszierte wie die Aristokraten Gobineau und Lapouge. Ablehnung fand lediglich die „beliebige Mischung von Individuen der verschiedensten Herkunft“, weil sie „neben einer Minderzahl günstiger Combinationen eine Mehrzahl ungünstiger“ hervorbringe. Eine Mischung dagegen, die sich nicht allzuweit von den reinen Typen entferne und nur bestimmte nützliche Eigenschaften kombiniere, könne unter veränderten Umweltbedingungen von Vorteil sein. Dies zeige etwa die deutsche Bildungsaristokratie, in der sich die Kühnheit und der Idealismus der alten Germanen mit dem stillen, ausdauernden Fleiß der Rundköpfe verbunden hätten (1893, 315, 229f.; 1900, 284).

In diesen Überlegungen ist unschwer die Absicht zu erkennen, sowohl dem Leistungsprinzip Rechnung zu tragen als auch die Grundelemente des konstanten Rassenbegriffs zu bewahren. Unter allen Mischlingsarten seien nur diejenigen im Daseinskampf begünstigt, „welche einem der reinen ursprünglichen Typen nahe stehen mit einer kleinen Beimengung des andern Typus“ (1893, 315). Diese hervorzubringen sei Aufgabe der Ständeordnung, die durch soziale Schließung, insbesondere durch Endogamie und unterschiedliche Erziehung, die Mischungsmöglichkeiten einenge (1900, 66f.). Andererseits dürften die Stände „keine durch unübersteigliche Schranken abgeschlossenen Kasten sein“, weil sie von sich aus zu Erstarrung und Selbstvernichtung tendierten. „Den höheren Ständen muß fortwährend frisches Blut durch von unten hinzukommende, begabte und bewährte Individuen zugeführt werden, sonst sterben sie aus. Die einseitige geistige Tränierung (sie), gewöhnlich mit Vernachlässigung einer dem Körper zuträglichen Lebensweise verbunden, reibt die Individuen unerbittlich auf, und die sozialen Rücksichten gestatten nur eine beschränkte Kinderzahl“ (139). Ansichten dieser Art, die auf eine rassenanthropologische Legitimierung des sozialen Status quo hinauslaufen (Sieferle 1989, 176), weisen Ammon als einen Anhänger des alten Nationalismus aus, wozu auch sehr gut seine Beziehung zum Alldeutschen Verband und seine Verteidigung des preußischen Dreiklassenwahlrechts passen (Peters 1992, 35; Lichtsinn 1987, 100).

Genau an dieser Stelle sah sich freilich auch Ammon, sonst eher Optimist, genötigt, dem Pessimismus der französischen Rassentheoretiker Zugeständnisse zu machen, schien ihm doch das Reservoir an qualitativ hochstehenden Individuen nicht unerschöpflich zu sein. Während historisch gesehen der Bauernstand immer wieder für eine Auffrischung gesorgt habe, indem er die in ihm enthaltenen dolichocephalen Bevölkerungsanteile an die Stadt abgegeben habe, sei dies für die Zukunft nicht als selbstverständlich anzunehmen. Der latente Überschuß der seelischen Anlagen werde nach und nach zurückgebildet, der Anteil der Rundköpfe vergrößere sich auf Kosten der Langköpfe, und die zunehmende Verschuldung und Enteignung des Grundbesitzes beschleunige den Bevölkerungsstrom vom Land in die Stadt, so daß mit einer allmählichen Aufbrauchung des bäuerlichen Elementes zu rechnen sei (Ammon 1893, 307f.). „Die Stadt wirkt so als Katalysator des Rassenprozesses. Sie trennt den germanischen Anteil vom Rest der Bevölkerung, um ihn sozial zu erhöhen, bevor er schließlich verschwindet. Die Stadt bildet daher ein Rassensieb, ein Instrument der Kontraselektion. Langfristig bekommt sie die gleiche Funktion, die in früheren Zeiten die Fehden und Kriege zwischen aristokratischen Gruppen hatten: Sie wird zum Grab der höherwertigen Rasse“ (Sieferle 1989, 172).

1904/05 traten Ammon und Lapouge, seit der Jahrhundertwende auch durch persönliche Freundschaft verbunden (Lichtsinn 1987, 11), mit einer Kritik des Krupp-Preisausschreibens von 1900 an die Öffentlichkeit. Dieses hatte die Frage zur Beantwortung gestellt: Was lernen wir aus den Prinzipien der Deszendenztheorie in bezug auf die innerpolitische Entwicklung und Gesetzgebung der Staaten? Den preisgekrönten Autoren – unter ihnen, primo loco, Wilhelm Schallmayer – wurde vorgehalten, von Deszendenztheorie und Rassenfrage nicht mehr als oberflächliche Kenntnisse zu besitzen und minderwertige Dutzendware verfaßt zu haben, die der Aufgabenstellung nicht gerecht werde. Die einzige wirklich wertvolle Arbeit, darin waren sich die Kritiker einig, sei nicht hinreichend gewürdigt worden: die Politische Anthropologie von Ludwig Woltmann.7

Der Autor hatte einen Weg mit vielen Windungen hinter sich, der ihn vom Pietismus über Büchner, Vogt, Schopenhauer, Spinoza, Kant und Marx bis zu Darwin und Weismann geführt hatte. Sein frühes Engagement für die Sozialdemokratie endete 1898, als sich die Orthodoxie gegen die von ihm präferierten Revisionisten durchsetzte. Er trat aus der Partei aus, schloß seine Praxis als Augenarzt und widmete sich ganz anthropologischen Studien in den Bahnen von Lapouge und Ammon. Zur Verbreitung der dabei gewonnenen Einsichten gründete er 1901 die Politisch-Anthropologische Revue, die rasch zum Sprachrohr der Anhänger des gobinistischen Rassenbegriffs wurde und etwa 1200 Abonnenten gewann (Mühlen 1977, 230). Woltmann selbst veröffentlichte in ihr mehr als sechzig Artikel, z.T. unter Pseudonymen (Bibl. bei Hammer 1979). Nach seiner Politischen Anthropologie legte er noch zwei weitere Bücher vor, die sich mit dem kulturellen Einfluß der Germanen auf die romanischen Länder befaßten (Woltmann 1905, 1907).

Rassen waren nach Woltmann natürliche „Dauertypen“ (1907, 10), d.h. Lebenseinheiten von Individuen gemeinsamer Abstammung, die einen spezifischen Set von leiblichen und geistigen Merkmalen über die Zeit hinweg relativ konstant tradierten. Soweit man die Geschichte zurückverfolgen könne, seien die körperlichen und geistigen Unterscheidungsmerkmale der Menschenrassen im wesentlichen gleichgeblieben, so daß man die letzteren durchaus als „Naturfaktoren“ in die „Bilance der geschichtlichen Ereignisse“ einsetzen könne (1903, 246). Die Konstanz der Typen zeige sich nicht zuletzt darin, daß sie bis zu einem gewissen Grade der organischen Verschmelzung widerstünden „und daß fremdrassige Elemente, wenn sie nicht allzu zahlreich sind, nach mehreren Generationen wieder vollständig aus dem plasmatischen Keimprozeß der Rasse ausgeschaltet werden können“ (1903, 77f.). Selektionistische Argumente wurden von Woltmann nur für die Erklärung des historischen Wandels ins Spiel gebracht, der sich vor allem durch „Rassenwechsel“ vollziehen sollte (1903/04, 14).

Das hohe Lob, das Woltmann von Lapouge und Ammon zuteil wurde, erklärt sich nicht zuletzt daraus, daß er den konstanten Rassenbegriff für soziale Positionszuweisungen nutzte. Seine politische Anthropologie verstand sich ausdrücklich als „Anthropologie der Stände und Genies“, für die zwei Tatsachen als unumstößlich galten: der überproportionale Anteil der „höheren Stände und Berufe“ – nicht nur, aber vor allem des Adels – an der Hervorbringung von Genies; und die besondere rassische Qualität der abendländischen Führungsschichten, ihre Zugehörigkeit zur nordischarisch-germanischen Rasse, die die „geniale Rasse par excellence“ sei (1907, 3, 82; 1903, 285; 1905/06, 279). Unter den harten Bedingungen der Eiszeit habe diese Rasse spezifische Merkmale wie die Langschädeligkeit (Dolichocephalie) und die Verminderung des Pigmentgehaltes erworben, die mit einer Vervollkommnung der Körper- und Geistesorganisation einhergegangen seien (1903, 251). Die ganze europäische Zivilisation, auch in den slavischen und romanischen Ländern, sei eine „Leistung der germanischen Rasse“, die auf diese Weise als Kulturrasse schlechthin gewirkt habe (292, 226). Die Frage nach den Gründen für diese „größere Leistungsfähigkeit der blonden weißen Rasse“ beantwortete Woltmann mit der Behauptung eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen organischen und geistigen Bedingungen. Das Zurücktreten des Pigments wie auch die spät eintretende Geschlechtsreife habe den Stoffverbrauch vermindert und damit dem Aufbau des Gehirns gedient (1907, 12f.).

Obwohl Woltmann die germanische Rasse für berufen hielt, die Herrschaft über die Erde anzutreten und sich die ‘passiven Rassen’ zu unterwerfen, sah er darin doch nicht den letzten Akt der Geschichte. Über der germanischen Kultur waltete das tragische Schicksal, das allen derartigen Gebilden bestimmt war: „Die Kultur verzehrt die Menschen“ (1903, 294). Ihrer Natur nach eine Wanderrasse, drängte die germanische Rasse in die Ferne und in die Städte, wo sie den von Lapouge und Ammon aufgezeigten Gesetzmäßigkeiten erlag. Parallel zur Ausbreitung nach außen vollzog sich im Innern, in den Zentren der germanischen Kultur, ein unaufhaltsamer Rassenwechsel, der die Verdrängung der langköpfigen Rasse durch die kurzköpfige zur Folge hatte (1907, 110). In Italien und Frankreich sei dieser Wechsel bereits weit vorangeschritten und habe dort zu einer Erschöpfung der kulturellen Energien geführt. Wolle Deutschland dieses Schicksal, wenn nicht vermeiden, so doch wenigstens aufschieben, so sei es geboten, „den gesunden und edlen Bestand des gegenwärtigen Geschlechts durch rassenhygienische und rassenpolitische Maßnahmen zu schützen“ (1903, 324).

Eine systematische Auslese wie bei Lapouge schloß dies nicht ein (Hammer 1979, 101). Wohl aber: Fortpflanzungsbeschränkungen für Kranke, Bauernschutz, Sozialgesetze sowie eine Förderung „der im Arbeiterstand vorhandenen germanischen Schichten“, einschließlich ihres Strebens nach Selbständigkeit und Freiheit (1903, 326). Verglichen mit Ammon war dies eine erheblich größere soziale Offenheit, die mit dem genetischen Potential der Gesamtgesellschaft und nicht nur der Ober- und Mittelschicht rechnete – zunächst nur mit dem der eigenen Nation, virtuell aber auch darüber hinausgreifend. Da dieses Potential indes nur zum Aufbau einer neuen, auf rassischen Zuschreibungen beruhenden Weltordnung der Ungleichheit genutzt werden sollte, kann man bei Woltmann eine deutliche Neigung zum Neoaristokratismus konstatieren.

Ordnungen der Ungleichheit – die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871 – 1945

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