Читать книгу Ordnungen der Ungleichheit – die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871 – 1945 - Stefan Breuer - Страница 18
Rassenhygieniker
ОглавлениеDie rassenhygienische Bewegung entstand im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts unter dem Eindruck der Forschungen Darwins und Galtons. Ihre wichtigsten Autoren und Propagandisten waren Alfred Ploetz, Eugen Fischer, Fritz Lenz und Wilhelm Schallmayer; ihr publizistisches Organ das seit 1904 erscheinende Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, das ähnlich wie die Politisch-Anthropologische Revue etwa 1200 Bezieher zählte; ihr organisatorisches Zentrum die 1905 gegründete Gesellschaft für Rassenhygiene, die überwiegend aus Medizinern, Anthropologen und Naturwissenschaftlern bestand (Mitgliederstand 1911: etwa 400) und über Ortsgruppen in Berlin, München, Freiburg, Stuttgart, Dresden, Tübingen und Graz verfügte (Pickhardt 1997, 18; Lösch 1997, 96f.).
Die Rassenhygieniker grenzten sich von den Rassenanthropologen im Stil Ammons und Woltmanns vor allem in drei Punkten ab. Sie verlagerten, erstens, den Akzent stärker von der morphologischen auf die physiologische Ebene, indem sie Rasse als „Vielheit von abstammungsverwandten Individuen“ definierten, „die untereinander durch ihre Fortpflanzungs- und Vererbungsfunktionen neue Individuen, ähnliche Funktionskomplexe, erzeugen“. Die Möglichkeit, Rassen auch durch morphologische Kriterien zu bestimmen, war damit allerdings keineswegs ausgeschlossen, da viele Rassentheoretiker an der im späten 19. Jahrhundert auch und gerade unter Naturwissenschaftlern verbreiteten Idee eines psycho-physischen Parallelismus festhielten (Ploetz 1904, 6, 3f.).
Die derart als Fortpflanzungsgemeinschaften definierten Rassen galten, zweitens, nicht länger als konstante Arten, sondern als veränderliche Größen, aus denen durch Selektion neue Rassen hervorgehen konnten (9). Woltmann etwa hielt es dagegen für ausgeschlossen, „daß eine Rasse physisch eine höhere erzeugt, welche die alleinige Trägerin des Fortschrittes bleibt“ (Woltmann 1903, 149). Das Phänomen, daß Rassenmerkmale über bestimmte Zeit konstant bleiben, wurde nicht bestritten, aber auf das Fehlen der natürlichen Auslese zurückgeführt (Fischer 1923, 140f.).
Ein dritter Unterschied war, daß Rassenmischung nicht in gleicher Weise perhorresziert wurde wie noch bei Gobineau. Eugen Fischer, der mit seiner 1913 erschienenen Untersuchung über die Rehobother Bastards in Deutsch-Südwestafrika zwar mitnichten den Beweis erbracht hatte, daß die Rassenmerkmale beim Menschen ‘mendelten’,8 gleichwohl erheblich dazu beigetragen hatte, das bis dahin geltende Vorurteil gegen Mischlinge abzuschwächen, kam wenig später in einem Überblicksartikel zur Speziellen Anthropologie für Europa zu dem Befund, daß gerade die Mischung der nordischen Einwanderer mit bodenständigen Rassen „ein äußerst begabtes, kulturfähiges, produktives, ja stellenweise darin geradezu glänzendes Menschenmaterial“ geschaffen habe (Fischer 1923, 167; der Beitrag wurde 1914 verfaßt: Lösch 1997, 128). Fischer verzichtete darauf, die nicht-nordischen Rassen Europas abzuwerten, ja, er sprach ihnen, wenn auch nur in der Mischung mit nordischen Elementen, einen eigenen Anteil an der kulturellen Blüte des Kontinents und damit der Welt zu. Eine besondere Pflege der nordischen Rassekerne oder gar ihre Rückzüchtung war von hier aus gesehen kontraproduktiv, da sie u.U. das erreichte kulturelle Niveau gefährdete.
Ähnliche Auffassungen konnte man bei Fritz Lenz lesen, der sich in dem gemeinsam mit Fischer und Baur verfaßten Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene gegen eine besondere Förderung der nordischen Rasse aussprach und durchaus der Meinung war, daß Kulturleistungen keineswegs nur von reinen Rassen vollbracht würden (BFL II, 270; Becker 1988, 173). Den Gobineauschen Affekt gegen die Rassenmischung wies auch er zurück (ARGB 25, 1931, 303). Schallmayer gar protestierte vehement gegen den „grenzenlosen nordischen Rassedünkel“ und wies darauf hin, daß ein auf Selektion und rassische Reinzucht gerichtetes Programm nur „durch blutige Kriege nach außen und innen“ zu verwirklichen sei (Schallmayer 1910, 375f.).
Inwieweit diese Positionen mit einer bei den Rassenhygienikern verbreiteten Präferenz für den (alten) Nationalismus zusammenhingen, habe ich an anderer Stelle dargelegt (Breuer 1999a, 44ff.). Dort ist freilich auch gezeigt, daß neben dieser Präferenz eine weitere für neoaristokratische Auffassungen bestand, wodurch die Bewegung ein schillerndes und ambivalentes Gepräge erhielt. Die Ursachen hierfür liegen nicht zuletzt in der Ambiguität des Rassenbegriffs. Schon für Ploetz war es typisch, daß er nach Belieben zwischen physiologischen und morphologischen Kriterien hin und her sprang, je nachdem, was er gerade beweisen wollte (Weingart u.a. 1992, 92). Während er etwa gegenüber dem gleich zu erläuternden Zuchtprogramm Willibald Hentschels geltend machte, die Bevorzugung der „sog. germanischen Rasse“ sei „eine nicht notwendige Beschränkung des Auswahlsbereichs der Tüchtigsten“ (ARGB 1, 1904, 892), schloß er sich in seiner Abhandlung über Sozialanthropologie vorbehaltlos der von Ammon, Woltmann u.a. aufgestellten Behauptung an, daß unter den Rassen der nordische Typ die oberen Stände stelle – früher und z.T. immer noch den Adel, heute die Gebildeten und die wirtschaftliche Elite. Es sei nicht zu leugnen, „daß wir uns heute die rasche originale Weiterentwickelung der Kultur einer Nation ohne einen hohen Bruchteil nordischen Blutes nicht gut denken können“ (Ploetz 1923, 655, 597, 604f.).
Daß die Steigerung dieses Bruchteils möglicherweise auf Kosten der Nation gehen könnte, deutete Ploetz ebenfalls an, sah er doch das nach Herrschaft strebende Nationalitätenprinzip in der Gegenwart von zwei Seiten her in Frage gestellt: durch den Staatsgedanken und den demokratischen Kosmopolitismus sowie durch „die weitere Entwicklung der Anthropologie und besonders der Sozialanthropologie mit ihrer Feststellung der angeborenen Unterschiede der Menschen und das daraus fließende aristokratische Selbstgefühl der sich als höher oder auch nur als eigenartig veranlagt empfindenden Varietäten und Typen und der von ihnen zusammengesetzten Volksteile“ (639). Wo er selbst in diesem Konflikt stand, bewies er 1911 durch die Gründung eines Nordischen Rings in München, der als Kristallisationskern einer nordisch-germanischen Rassenhygiene gedacht war (Becker 1988, 83).
Auch Eugen Fischer verhehlte seine Sympathien nicht. In öffentlichen Vorträgen erklärte er die von Gobineau, Lapouge, Ammon und Woltmann entwickelten Ideen ausdrücklich für richtig und betonte die Notwendigkeit therapeutischer Maßnahmen, um das nordische Blut zu erhalten (Fischer 1910, 18ff.). Bei der Unterscheidung von Rassen orientierte er sich durchweg an eben jenen anthropometrischen Merkmalen, von denen er gleichzeitig durchblicken ließ, daß sie durch Umwelteinflüsse bedingt, also eben nicht genetisch verankert sein könnten (Fischer 1923, 124, 128, 132f.). Die Fairneß gebietet es hinzuzufügen, daß ihm im Laufe seiner weiteren Forschungen erhebliche Zweifel an der Triftigkeit seiner Einteilungen wie auch an der Rolle der nordischen Rasse kamen, so daß er 1936 das entsprechende Kapitel in der vierten Auflage des Baur/Fischer/Lenz strich. Seine positive Einstellung zur Rassenmischung brachte ihm 1934 eine Kampagne des neoaristokratischen Flügels der Nazis um Walther Darré ein, zu der vermutlich sein Verriß von dessen Neuadel aus Blut und Boden einiges beigetragen haben dürfte (Lösch 1997, 158, 243ff.).
Dieselbe Ambiguität ist bei Fritz Lenz zu erkennen, der mit Ploetz zusammen den Nordischen Ring gründete (Becker 1988, 83). Seine wahren Sympathien kamen nicht nur im privaten Briefwechsel mit Ludwig Schemann zum Ausdruck, in dem er bekannte, daß „die wirklich unbefangenen Forscher fast mit Notwendigkeit zum Ideale Gobineaus kommen müssen“ (zit. n. Weingart u.a. 1992, 96). Sie zeigten sich auch öffentlich, etwa wenn Lenz seinen Essay Zur Erneuerung der Ethik mit einem Bekenntnis zu Gobineau ausklingen ließ und das deutsche Volk zum ‘letzten Hort der nordischen Rasse’ erklärte (Lenz 1917, 56).
Auf der gleichen Linie lag seine Betonung des Anteils dieser Rasse an den oberen Schichten sowie die auf Ammon zurückweisende Vorstellung, daß die ländliche Bevölkerung eine Quelle der rassischen Erneuerung sei und deshalb mit allen Mitteln, z.B. der Schaffung bäuerlicher Lehen, erhalten werden müsse (BFL II, 85ff., 230) – eine Vorstellung, die ihm, nebenbei bemerkt, das oben genannte Buch Darrés, in dem genau dies gefordert wurde, als „gesund und wertvoll“ erscheinen ließ (ARGB 26, 1932, 447). Auch wenn er vor einer einseitigen Förderung der nordischen Rasse warnen zu müssen glaubte, weil dies in einer gemischten Bevölkerung Mißhelligkeiten hervorrufen würde, sah er sich doch zugleich zu der Versicherung veranlaßt, daß ein generelles rassenhygienisches Programm gerade dieser Gruppe zugute kommen würde, da es sich automatisch zugunsten der höher begabten Familien auswirke, die in der Regel wenn nicht dem körperlichen Erscheinungsbild, so doch dem seelischen Erbbild nach der nordischen Rasse angehörten (BFL II, 270). Es war deshalb nur konsequent, wenn Lenz Hitlers Mein Kampf einer ausführlichen Besprechung im Archiv für wert befand, in der er dessen Plädoyer für die „Förderung besonders hochwertiger rassischer Elemente“ stark herausstellte (ARGB 25, 1931, 302).