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Nordische

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Das war nun freilich schwärzer gesehen, als es dem von Schemann angesprochenen Adressatenkreis recht war. In den Preußischen Jahrbüchern wies Arthur Drews den gobinistischen Pessimismus als Folge einer materialistischen Denkweise zurück und empfahl eine Annäherung der Rassenlehre – die er grundsätzlich befürwortete – an Eduard von Hartmanns Philosophie des Unbewußten, derzufolge die Idee „das leitende und bestimmende Prinzip des Weltprozesses“ sei und „ihrerseits auch den Prozeß der Rassenmischung“ leite.11 Noch schärferer Protest erhob sich in den Reihen der sogenannten nordischen Bewegung – eine Bezeichnung, die anfangs noch auf völkische Organisationen wie den Hammer- und den Mittgart-Bund angewendet, dann aber mit Erfolg von Hans F. K. Günther und seinen Anhängern für sich reklamiert wurde.12 Günther, der von der Literaturwissenschaft herkam, allerdings in Freiburg Eugen Fischers anthropologische Vorlesungen gehört hatte (Lösch 1997, 134), trat 1920 mit dem Buch Ritter, Tod und Teufel an die Öffentlichkeit, in dem er in fundamentalistischer Manier der Gegenwart – dem ‘herzlosen Kapitalismus’, der Großstadt, der Feminisierung und dem Hedonismus – den Prozeß machte und als Antidot den ‘heldischen Gedanken’ beschwor. Er repetierte die bekannte Auffassung der nordischen Rasse als eines Ausbunds an Schönheit und Begabung, erweiterte sie aber um die Behauptung, daß auch die nordische Gesinnung ein Rassenmerkmal sei, das sich unabhängig von den physiologischen Merkmalen vererbe. Der bloße „Wille zur heldischen Rasse“ sei „fast schon an sich eine heldische Tat“, die den Weg aus dem Chaos der Rassenmischung weise. „Reine heldische Rasse ist uns nicht gegeben, wohl aber aufgegeben“ (Günther 1920, 155, 157).

Seine ungewöhnliche Fähigkeit zu Rezeption und Kompilation stellte Günther 1922 mit seiner Rassenkunde des deutschen Volkes unter Beweis. Das Buch, das bis 1933 16 Auflagen mit über 50.000 Exemplaren erlebte, verband auf geschickte Weise die schon von Woltmann in seinen Germanenbüchern praktizierte Methode der Rassenidentifizierung mittels ‘Blickes’, der ‘Kraft körperhaften Sehens und Aufnehmens’, mit einer Popularisierung des erbbiologischen Wissensstandes (etwa des im Vorjahr erschienenen Baur/Fischer/Lenz) und der in der zeitgenössischen Diskussion kursierenden Modelle der Rasseneinteilung. Es operierte zunächst mit der geläufigen Gliederung in die nordische, alpine und mediterrane Rasse und fügte später weitere Differenzierungen hinzu, indem die alpine Rasse in eine dinarische, ostbaltische und ostische, die mediterrane in eine westische und fälische Gruppe unterteilt wurde.

An der herausragenden Rolle der nordischen Rasse änderte sich dadurch jedoch nichts. Sie blieb die durch Hellhäutigkeit und Dolichocephalie charakterisierte „adelsfähige Rasse“ par excellence, die sich durch „vordenkliche Willenskraft, bestimmtes Urteilsvermögen bei kühl abwägendem Wirklichkeitssinn, Drang zur Wahrhaftigkeit von Mensch zu Menschen, eine Neigung zu ritterlicher Gerechtigkeit“ auszeichnete und zu „weitblickendem Führertum im Staate oder Schöpfertum in Technik, Wissenschaft und Kunst“ berufen war (Günther 1927, 19; 1943, 59). Ärgerlich nur, daß sie in der deutschen Bevölkerung in reinem Zustand bloß noch bei gerade mal 6–8 % erhalten war (1943, 92).

Aus der Einsicht, „daß heute der nordische Geist im deutschen Volkstum schon gefährdet ist, nicht-nordischer Geist schon bestimmen möchte“ (136), zog Günther die Konsequenz, daß nur durch eines der Untergang abgewendet werden könne: „durch eine Mehrung höherwertiger Erbanlagen, d.h. durch eine höhere Kinderzahl der Erblich Tüchtigsten und eine Hemmung der Fortpflanzung der Erblich-Minderwertigen“ (1927, 13). Während der zweite Teil dieser Forderung auch von den Rassehygienikern vertreten wurde, ging der erste Teil deutlich weiter. Im Unterschied etwa zu Lenz, der die Rassenhygiene in den Dienst der Erhaltung aller Rassen stellen wollte und, wie gezeigt, vor der Bevorzugung eines bestimmten Typus warnte, war es genau dies, was Günther beabsichtigte. Der nordische Gedanke ziehe nicht, wie der Rassegedanke früherer Prägung, einen Graben um das eigene Volk als einer in seiner Gemischtrassigkeit zu verteidigenden Größe. Vielmehr wende er sich von außen nach innen, indem er ein „leiblich-seelisches Vorbild für die Auslese im deutschen Volk“ aufstelle. Er beruhige sich deshalb nicht beim Status quo, sondern bringe Unruhe, indem er für eine „erbgesundheitliche und rassische Reinigung“ sowie den „Geburtensieg der vorwiegend nordischen Menschen innerhalb aller deutschen Stämme“ eintrete (39f., 62, 25).

Günther mochte noch so sehr beteuern, daß ihm eine Spaltung des Volkskörpers fernliege. Sein Doppelprogramm einer gezielten „Aufartung“ und „Aufnordung“, das die nichtnordischen Rassen Deutschlands zwar nicht mit unmittelbarer Vernichtung bedrohte, wohl aber à la longue auf den Aussterbeetat setzte, mußte zur Zerstörung des Ethnos führen, lief es doch nicht nur auf die Abspaltung des nordwestlichen, protestantischen Deutschland vom katholischen Süden hinaus, in dem das nordische Blut geringer vertreten sein sollte, sondern auch auf eine alliance aryenne im Sinne Lapouges, auf die „Blutverschwörung der nordischen Menschen aller Völker und Stände“ (1920, 153; vgl. Lutzhöft 1971, 145; Essner 1994, 88.). Man versteht, weshalb diese Lehre wohl einzelne Nationalsozialisten wie Darré, Rosenberg und Himmler in Bann schlagen mochte, aber niemals den Status einer offiziellen Doktrin des Dritten Reiches erhielt.

Ordnungen der Ungleichheit – die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871 – 1945

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