Читать книгу Der rote Elvis - Stefan Ernsting - Страница 16

Eine Romanze im Sommer

Оглавление

Am 4. Oktober 1959 stand die dritte Single von Dean Reed, eine Schnulze mit dem Titel »Our Summer Romance/I Ain’t Got You«, angeblich auf Platz 2 der Top 50 in den USA. Im Laufe der Zeit verkaufte sich die Platte auf der ganzen Welt fast eine Million Mal. Der große Hit in den USA wurde später zu einem wichtigen Element der Legende Dean Reed und sollte im Ostblock seinen Status als Weltstar beglaubigen. Niemand hat diese Geschichte je hinterfragt. Auch in Reggie Nadelsons 1991 erschienener Reed-Biographie »Comrade Rockstar« wurde der US-Charterfolg nicht weiter bezweifelt. Nach Reeds Umzug in die DDR hieß es immer wieder, Reed hätte trotz seines Erfolges auf eine Karriere in Amerika verzichtet. In der DDR hatte man ja kaum die Möglichkeit, die alten US-Billboard-Charts aus dem Regal zu ziehen, um die Story zu überprüfen. Aber belassen wir es zunächst bei Dean Reeds eigener Historienschreibung und kommen später auf den tatsächlichen Erfolg der Single zurück, der zunächst mehr als bescheiden ausgefallen war.

»Our Summer Romance« stammte aus Reeds eigener Feder. Musikalisch paßte das Lied so gerade noch in die Zeit. Dean Reed war zwar kein klassischer Las Vegas-Crooner wie die Jungs vom »Rat Pack«, aber er klang wie einer, der es mit der Sehnsucht nach der Sommerromanze ernst meinte. In seinen besseren Momenten kam er sogar an Roy Orbinson heran, ohne aber dessen schwermütige Tiefe zu erreichen.


3. Werbung von Capitol Records

1959 hatte Dean Reed auch einen Auftritt in Dick Clarks TV-Show American Bandstand. Gäste dieser Sendung durften froh sein, daß sie hier auftreten durften, und freche Bemerkungen wurden nicht geduldet. Der erzkonservative Clark regierte seine Show wie ein Patriarch. Elvis wurde nur von der Hüfte aufwärts gezeigt. American Bandstand war eine Institution in Amerika und Dick Clark eine Legende. Ursprünglich hatte man in der Sendung Sensationsdarsteller vom Zauberer bis zur lebenden Kanonenkugel präsentiert, bis sich das Hauptinteresse auf die neuen musikalischen Stars verlagert hatte. Heute unterhält Dick Clark eine Fast-Food-Kette und wurde auch bekannt als der Mann, der Filmemacher Michael Moore in Bowling for Columbine die Autotür vor der Nase zuknallt.

Von ähnlichem Kaliber wie American Bandstand war die Bachelor Father Show, wo Dean Reed am 4. Februar 1960 mit dem heute verschollenen Titel »Twirly Twirly« auftrat. John Forsythe begründete mit dieser Sitcom seine Karriere. Die Bachelor Father Show war ein gutes Beispiel für die hilflosen Versuche, der Teenage Rebellion mit altväterlich autoritären Rollenmodellen zu begegnen und dabei die Realität mit Mitteln der Fiktion zu bändigen. In solchen Serien sagte am Ende tatsächlich noch jemand Sätze, die mit »Ich habe heute auch etwas gelernt« begannen.

Dean Reed tauchte in Episode 61 auf, die den Titel Bentley and the Majorette trug. Nichte Kelly und ihre Freunde üben darin für einen Trommelwettstreit, und Onkel Bentley wird böse, als einige der Kids nicht mehr zu den Proben erschienen. Dean Reed sang zwischendurch irgendwann seinen Titel »Twirly Twirly«. Da Popstars die beliebte Serie nur in Ausnahmefällen mit Sangesdarbietungen unterbrachen, spricht Dean Reeds Auftritt durchaus für seine Reputation in dieser Zeit, auch wenn er seinen Text in der vorgestanzten Variante, die das Studio am liebsten mochte, darbot. Wer sich nicht an die Regeln solcher Shows hielt, hatte in der Popwelt nichts verloren. Popmusik mit sozialkritischem Inhalt war immer noch unvorstellbar.

Die Rebellion fand unterdessen auf der Straße statt und manifestierte sich musikalisch in Eddie Cochran, der als Angestellter eines Tonstudios jede freie Minute nutzte, um eigene Songs zu produzieren. Während Cochran der Nachwelt Geniestreiche wie »Summertime Blues« und »C’mon Everybody« hinterließ, ließ sich Dean Reed auf das Spiel der Industrie ein. Obwohl er sich nicht an die Regeln halten mochte, wollte er doch mitspielen, um die Regeln später zu verändern. Er konnte singen, sah gut aus und konnte reiten. Dean Reed war – im Verständnis der Hollywood-Strategen – hervorragendes Material. Man engagierte ihn als Darsteller in einer netten High-School-Traumwelt fürs Fernsehen, wo es jeden Tag Hamburger und Apple Pie gab. Er machte Platten und lächelte in die Kameras. Man bejubelte ihn daheim in Denver, weil er es geschafft hatte. Plattenvertrag, Adresse in Hollywood, schöne Frauen. Doch die Wirklichkeit war weniger hochglänzend: Capitol brachte 1960 zwei weitere Singles von Dean Reed heraus, die man nur als Flops bezeichnen konnte: »Don’t Let Her Go/No Wonder« und »Hummingbird/Pistolero«. »Don’t Let Her Go«, der erste Song aus Reeds eigener Feder, kam durchaus gut weg, und er gab sich alle Mühe, wie Elvis zu klingen. Wirklich überzeugt schien er von sich selbst aber nicht gewesen zu sein, sondern eher eine Rolle zu spielen. Er gab den Typen, der es geschafft hatte, aber kaum jemand kannte wirklich seine Songs. Für die Rolle in einem Film schien er einen Hit zu brauchen, und von großen Auftritten außerhalb von Denver konnte er nur träumen.

Auch der Rock ’n’ Roll schien mal wieder am Ende. Little Richard war auf den Religionstrip gekommen, Chuck Berry saß im Knast und Elvis war zum braven Soldaten mit guter Führung mutiert. Buddy Holly, Richie Valens und Eddie Cochran waren tot. Sie hatten der Nachwelt ein paar gute Erinnerungen hinterlassen, aber ihre Ära schien so schnell wieder vorbei zu sein, wie es Vater Reed einst prophezeit hatte. Dean Reed war zu spät gekommen, um die Welle Rock ’n’ Roll noch richtig zu erwischen. Bis zum Auftauchen der Beatles saßen die alten Männer wieder fest im Sattel und definierten die Rahmenbedingungen der Industrie.

Der rote Elvis

Подняться наверх