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Einführung: Der unbekannte Cowboy

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»Dies ist der Westen. Wenn die Legende zur Wirklichkeit wird, drucken wir die Legende.«

(Der Zeitungsverleger in Der Mann, der Liberty Valance erschoß)

Am 17. Juni 1986 um 10. 30 Uhr wurde im Zeuthener See bei Berlin die Leiche des amerikanischen Schauspielers und Sängers Dean Reed gefunden. Er war die größte Popikone, die der Sozialismus hervorgebracht hatte, aber im Westen hatte kaum jemand von ihm gehört. Nicht weit entfernt vom Ufer des Sees hatten Volkspolizisten zwei Tage zuvor sein Auto entdeckt. Dean Reed hinterließ einen Abschiedsbrief auf der Rückseite des Drehbuches für seinen Film Blutiges Herz über die Vorfälle in Wounded Knee Anfang der 1970er. Am 24. Juni 1986 hätten auf der Krim die Dreharbeiten beginnen sollen, aber die Produktion war in Zeiten der Perestroika längst nicht mehr erwünscht. Die neuen Männer in Moskau hatten ihn unverhohlen »einen Lakaien Breshnews« genannt und deutlich gemacht, dass in der Sowjetuinion ein neuer Wind wehte.

Aber Dean Reed war längst zu seinem eigenen Mythos geworden und der Tod des Amerikaners wurde zum Politikum erster Güte. Freunde, Verwandte und Fans standen vor einem Rätsel. Die staatlichen Medien der DDR sprachen von einem tragischen Unfall, um eine öffentliche Diskussion zu vermeiden. Vertuschungsmanöver und die Gerüchte um einen mysteriösen Abschiedsbrief nährten einschlägige Verschwörungstheorien, die sich schon bald um den Tod von Dean Reed rankten. Niemand mochte so recht glauben, daß ein durchtrainierter Endvierziger wie er versehentlich in knietiefes Wasser fiel und ertrank. Man wußte, daß man nur einen Teil der Geschichte kannte und die Wahrheit vermutlich nie ans Licht kommen würde.

Je länger ich die Geschichte von Dean Reed recherchierte, desto dubioser erschien sie. Legendenbildung und Wunschdenken dichteten Dean Reed nachträglich eine Schlüsselrolle im Kalten Krieg an, die kaum zu überprüfen war. Verschwundene Stasiakten, Kontakte zu zweitrangigem Geheimdienstpersonal und Geschichten aus dritter Hand schienen sich zu einem Spionagethriller zu vermengen. Die Handlung: Ein Mann wird bei seinem einsamen Kampf an der unsichtbaren Grenze von Freund und Feind gleichermaßen verraten.

Dean Reed war der unbekannteste Superstar aller Zeiten. Er spielte in 18 Filmen mit, produzierte mehr als ein Dutzend Langspielplatten und pflegte Kontakte zu Politikern wie Salvador Allende oder Yassir Arafat. Für viele Menschen im Ostblock war er der erste amerikanische Rockstar gewesen, den sie zu Gesicht bekamen. Reed drehte an der Seite von Yul Brynner, Anita Ekberg, Lana Turner, Franco Citti, Armin Mueller-Stahl oder Trashgrößen wie Elisabeth Campbell, Sal Borgese und Cris Huerta, aber sein Name war lange Zeit nur als kuriose Randnotiz im Internet verzeichnet.

Dean Reed gab als erster Amerikaner Konzerte hinter dem Eisernen Vorhang und tourte durch 32 Länder. Er spielte Songs von Elvis und den Beatles, trug »richtige« Jeans und war ein echter Amerikaner wie aus dem Bilderbuch. Charisma, gutes Aussehen und ein makelloses Lächeln hatten ihm bereits 1959 einen Plattenvertrag bei Capitol Records in Hollywood beschert. Ab 1960 lebte Dean Reed in Chile, Argentinien und Peru, drehte in Italien eine Reihe von Spaghettiwestern und war ansonsten beständig auf Tourneen unterwegs.

1972 hatte er seinen Wohnsitz in die DDR verlegt und verhalf dem grauen sozialistischen Alltag zu ein wenig Glamour. Als revolutionäres Vorbild für die Jugend mauserte er sich schnell zum parteitreuen Bürger und reckte bei jeder Gelegenheit die Faust in die Kameras.

Dank der für ihn unbeschränkten Reisefreiheit konnte er auch nach seiner Übersiedlung in die DDR international gegen Atomkraft, die chilenische Militärjunta oder den Krieg in Vietnam protestieren. Er spielte im Irak, in Nicaragua, auf Kuba oder in Bangladesch, wusch Flaggen vor amerikanischen Konsulaten, schrieb öffentliche Protestbriefe an den amerikanischen Präsidenten, unterstützte die prosowjetische Volkspartei in Afghanistan und ließ sich im Libanon mit umgehängtem Maschinengewehr und Palästinensertuch fotografieren. Wo auch immer die USA sozialistische Regierungen zu unterwandern versuchten, inszenierte sich Dean Reed als Blockadebrecher im Auftrag des Rock ’n’ Roll.

Bei keinem anderen Weltstar verliefen die Grenzen zwischen Pop und Propaganda so fließend wie im Falle von Dean Reed. Sein Erfolg in den Siebzigern und sein späteres Scheitern an den eigenen Ansprüchen stand stellvertretend für das Scheitern einer staatlichen Kulturpropaganda, die jungen Menschen im ehemaligen Ostblock einen Hauch von weiter Welt vermitteln sollte und dabei unfähig blieb, eine eigene Popkultur zu entwickeln.

Es waren weniger seine Cowboyfilme oder seine Countrysongs, die Dean Reed zum Star machten, als die einfache Tatsache, daß er aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten in den Osten gekommen war. Sein globaler Freiheitskampf wurde von den Ostmedien in Szene gesetzt, und man entwickelte um ihn einen Starkult, der sich kaum von den westlichen Inszenierungen zu kommerziellen Zwecken unterschied. Die falsch verstandene Akzeptanz durch hochrangige SED-Parteibonzen korrespondierte dabei mit Dean Reeds Unvermögen, die eigene künstlerische Mittelmäßigkeit zu überwinden.

Die Rolle, die Reed in der Realität spielte, nährte seinen Mythos vom unbeugsamen Cowboy weit stärker als die Figuren, die er auf der Leinwand darzustellen hatte. Er war ein perfekter Repräsentant der Popmoderne, einem Zeitalter, das lediglich den Unterhaltungsfaktor als Meßlatte gelten lassen mochte und Politik in Show verwandelt hatte. Eine künstlich geschaffene Ikone spielte in der Realität und auf der Leinwand die Rolle des abenteuerlichen Helden mit sozialistischem Auftrag. Die Grenze zwischen Pop und Propaganda verschwamm.

Dean Reed sprach von sich selbst oft in der dritten Person. Er kannte die Wirkung seines medial erschaffenen Alter ego und ließ sich mit Vorliebe an der Seite politischer Ikonen ablichten. Irgendwann verschmolz Dean Reed mit seinem Image als Freiheitskämpfer und Popikone und verlor den Bezug zur Realität. Sein Erfolg im Ostblock hatte ihn blind gemacht für die politischen Mißstände dort. Seine »natürlichen« Privilegien als Amerikaner ließen ihn jegliches Maß verlieren, um künstlerisch zu verwirklichen, wovon er träumte. »You can take the boy out of the country, but you can’t take the country out of the boy«, kommentierte Reed seinen Spagat zwischen den Welten. Die Erinnerung an die weiten Prärien seiner Heimat Colorado ließ ihn nicht los. Am Ende seiner Karriere dachte er sogar über eine Rückkehr in die USA nach, doch als überzeugter Marxist hatte er dort keine Aussicht auf Erfolg.

Seine Geschichte ist auch die des Kalten Krieges, der den Erfolg von Dean Reed begünstigt und befördert hat. Zu keiner anderen Zeit wäre seine Inszenierung möglich gewesen und so wurde es in den 1980ern stiller um Dean Reed. Als die hilflose Ikonographie sozialistischer Popkultur immer stärker unter dem Einbruch der politischen Realität litt, war auch der linientreue Countrysänger schnell zur Bedeutungslosigkeit verdammt. Spätestens mit der aufkommenden Perestroika hatte man keinen Bedarf mehr für einen singenden Freiheitskämpfer, der die Unfreiheit in der DDR immer ignoriert hatte.

Die Geschichte von Dean Reed schien ideal, um sich nebenbei mit dem Amerika des 20. Jahrhunderts anzulegen und seinen Erfolg vor dem Hintergrund amerikanischer Popular-Mythen zu untersuchen, deren Ursprünge im Wilden Westen zu suchen sind. So ist dieses Buch auch die Geschichte vom Scheitern des amerikanischen Traumes und seinem Fortleben in den Welten von Hollywood, die das globale Bewußtsein prägten und prägen.

Das 20. Jahrhundert stand im Zeichen des Buffalo-Bill-Effektes. Es ging darum, zu sein, was man vorgab, und man wurde, was die Massen sehen wollten. William F. Cody, der vom Herumtreiber zum Filmstar und Zirkusdirektor Buffalo Bill aufstieg, war nur der Darsteller eines Helden aus Groschenromanen. Codys Westernzirkus, sein »National Entertainment«, prägte aber weltweit die Vorstellung eines historischen Amerikas mit braven Siedlern und wilden Eingeborenen. Lebensentwürfe orientierten sich immer mehr an den Produkten der Massenmedien, vor allem an denen der Traumfabrik Hollywood. Cody zerbrach am Ende ebenso wie Dean Reed an einem Film, der das wahre Leben der Indianer zeigen sollte. Er kämpfte gegen seinen eigenen Mythos, aber das Publikum bevorzugte die Märchen aus dem wilden Westen und ignorierte Codys ambitionierten Versuch, der historischen Wahrheit etwas näher zu kommen.

Die Popkultur diente einer Verschleierung der Realität. Politik wurde Unterhaltung und Pop zu Propaganda. Wo jeder Aspekt des Lebens der maximalen Unterhaltung dienen sollte, verloren die Unterschiede zwischen den einzelnen Sphären an Bedeutung.

Dean Reed, der strahlende Sonnyboy, der seiner Heimat den Rücken gekehrt hatte, um im Osten für den Sozialismus zu kämpfen, funktionierte nach diesen uramerikanischen Unterhaltungsmustern. Als singender Cowboy mit rotem Stern am Revers seiner Lederjacke repräsentierte er einen grotesken Gegenentwurf zum Westernmythos, der ebenso unrealistisch war wie die Filme eines Elvis Presley, fungierte aber gleichzeitig als Dauerwerbung für den amerikanischen Traum eines Jungen vom Lande, der es »geschafft« hatte.

Die Eroberung der Wirklichkeit reichte dabei in den USA vom frühen Westernfilm zu den Auswüchsen des Action-Kinos im frühen 21. Jahrhundert. Was mit dem »National Entertainment« von Buffalo Bill begann, endete mit einer Geschichtsschreibung, die von Hollywood übernommen wurde. Motive aus Westernfilmen wurden als politische Strategien ausgegeben. Die Welt bekam eine Sichtweise vorgesetzt, die jede Realität durch »brutalstmögliches« Wunschdenken ersetzte. Spätestens seit es John Rambo gelungen war, den Vietnamkrieg nachträglich im Kino zu gewinnen und man für das erfolgreiche Historiendrama Pearl Harbour (2001) einen neuen Schluß schrieb, der einen amerikanischen Rachefeldzug mit großem Showdown beinhaltete, war die Realität im neuen Jahrtausend kaum noch von der Fiktion zu unterscheiden.

Dean Reed selbst geizte nie mit Anekdoten und Übertreibungen, die seine Legendenbildung beförderten. Er ließ sich als Hollywood-Deserteur feiern, der aus politischen Gründen auf eine große Karriere in den USA verzichtet hatte, und präsentierte sich als großer Spieler, der den Mächtigen auf der Nase herumrumtanzte. Seine Biographie liest sich wie ein Drehbuch, und sein mysteriöser Tod bietet mehr als genug Raum für Spekulationen aller Art. Dean Reed wurde von seinem Mythos überschattet und mutierte posthum zu einer Projektionsfläche für abenteuerliche Geschichten jeglicher Couleur.

Es galt deshalb vor allem, zwischen Propaganda, Pop, Promotion, Bildzeitung, Wunschvorstellung, Hollywood, Hirngespinsten und politischer Intrige zu unterscheiden, um zu beleuchten, was für ein Mensch Dean Reed tatsächlich war. Was hat ihn beeinflußt? Woher kam er, und wie erfolgreich war er in den USA wirklich? War Dean Reed der Liebe wegen in die DDR gezogen, oder hatte die Stasi ein wenig nachgeholfen? Hat er wirklich Selbstmord begangen und warum? Was hat er in den letzten 24 Stunden vor seinem Tode getan? Galt der Mann in Geheimdienstkreisen nur als kleiner Informant der Stasi, war er ein mit allen Wassern gewaschener CIA-Spion oder gar Doppelagent zwischen den Fronten des Kalten Krieges? Wurde er am Ende tatsächlich verfolgt und umgebracht?

Wieviel von der Legende entsprach den Tatsachen, und was eignete sich einfach nur für eine gute Geschichte?

Es verwundert nicht, daß im neuen Jahrtausend auch Hollywood auf die Geschichte von Dean Reed aufmerksam wurde. Martin Scorsese, Blake Edwards, Ed Pressman oder auch Stewart Copeland, ehemaliger Drummer von The Police, interessierten sich zeitweise für eine Verfilmung. In Deutschland verfaßten zwei prominente Drehbuchautoren 1999 für einen Privatsender ein surreales Spielfilmkonzept mit dem Titel The Man in Red. Reeds Mutter Ruth Anna Brown schwebte eine TV-Saga über die ganze Familie Reed vor und auch David Hasselhoff will irgendwann im Gespräch gewesen sein, Dean Reed auf der großen Leinwand zu spielen. Alle Projekte schienen jedoch daran zu scheitern, daß man aus Dean Reed ständig etwas machen wollte, was er nie gewesen war. Zum Schluß machte sich Tom Hanks an die Geschichte und plant mit Comrade Rockstar seine erste Regiearbeit. Steven Spielberg soll seit 2003 als Produzent fungieren und die Firma Dreamworks hat das Projekt seitdem in der Vorproduktion. Angeblich soll inzwischen ein Drehbuch von Sacha Gervasi (Anvil, Hitchcock) fertig sein. Tom Hanks gastiert regelmäßig mit neuen Filmen in Berlin und wird dort auf fast jeder Pressekonferenz nach Comrade Rockstar gefragt. Hanks, der sich immer wieder mit einzelnen Zeitzeugen getroffen hat und bereits beim »Location Scouting« in Eisenhüttenstadt gesichtet wurde, hat dabei bis 2014 immer wieder öffentlich bekundet, dass er den Film nach wie vor drehen will.

Stefan Ernsting, Kathmandu, April 2014

Der rote Elvis

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