Читать книгу Der rote Elvis - Stefan Ernsting - Страница 9
Wes Geistes Kind
ОглавлениеDer singende Cowboy repräsentierte eine Generation von Entertainern, die den amerikanischen Gründungsmythos zu ihrem eigenen machten. Gene Autry, Roy Rogers und andere singende Cowboys, deren Hüte und Hemden ebenso weiß waren wie ihre Schimmel, hatten die Zirkusherkunft des Genres von Anfang an auf die Spitze getrieben, aber ihre Ära schien bereits beendet, als Dean Reed Gitarre spielen lernte. Im Radio liefen schon bald Songs von Elvis und Little Richard. Der Rock ’n’ Roll begann seinen Siegeszug und machte die Jugend rebellisch.
Auch Dean Reed lehnte sich auf und dachte nicht daran, den Weg zu gehen, den ihm sein Elternhaus vorschrieb. Sein Vater war ein politischer Scharfmacher, der mit Extremisten wie Arizonas erzkonservativem Senator Barry Goldwater sympathisierte und Mitglied von General Jimmy Walkers »John Birch Society« war, einer Gruppe von Antikommunisten, die u. a. den Slogan »Lieber tot als rot« geprägt hatten. Das »Sergeant Pepper«-Album der Beatles empfand man in diesen Kreisen als »Teil einer internationalen kommunistischen Verschwörung« und attestierte der Band »ein Verständnis für die Prinzipien der Hirnwäsche«: Der ständige Streit mit dem heranwachsenden Sohn war vorprogrammiert. Dean Reed nannte seinen Vater später einen Diktator.
Der Haß auf die Kommunisten war Konsens im Amerika jener Jahre. 1947 begann man gegen die »Hollywood Ten« zu ermitteln, die man jeweils zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilte. Ab 1950 machte Senator Joseph McCarthy mit seinem »Ausschuß für die Untersuchung unamerikanischer Umtriebe« öffentlich Jagd auf tatsächliche und angebliche Kommunisten im öffentlichen Leben. Paranoia vermengte sich mit der Vorstellung einer gesäuberten Kultur, die der amerikanischen Sache zu dienen hatte. Die Hysterie, die von McCarthy und seinen Parteigängern ausgelöst wurde, führte zu einer Gleichsetzung von liberalem Gedankengut mit dem Kommunismus. Kaum jemand der Angeklagten war tatsächlich Mitglied der Kommunistischen Partei. Die US-Linke war allenfalls ein gemäßigter Flügel der Sozialdemokratie auf verlorenem Posten, aber in den Medien überschlugen sich die Warnungen vor der »Roten Gefahr«. 1951 wurde eine schwarze Liste von bekennenden Linken in Hollywood erstellt, die Amerika angeblich zu unterwandern suchten. Trumans »Politik der Stärke« wurde zum Totschlagargument gegen Andersdenkende. Mancher rebellische Jugendliche begann sich also in jenen Jahren schon allein deshalb für den Kommunismus zu interessieren, weil es kaum etwas gab, mit dem man seine Eltern mehr erschrekken konnte.
1953 wurde der Thrillerautor Dashiell Hammett (»Der Malteserfalke«) von McCarthy vorgeladen. Hammett hatte sich mit seinem Buch »Red Harvest« verdächtig gemacht und stand mit 74 anderen Schriftstellern auf einer Liste von potentiellen Unruhestiftern, die die Jugend zu verderben suchten. Der Senator zeterte, man könne in öffentlichen Bibliotheken schlecht die Bücher eines Marxisten anbieten, wenn man zugleich jährlich einhundert Million Dollar ausgab, um über die Gefahren des Kommunismus zu informieren. »Wissen Sie«, entgegnete Hammett lakonisch, »wenn ich den Kommunismus bekämpfen wollte, würde ich den Leuten einfach überhaupt keine Bücher geben.« McCarthy schäumte. Der Autor hatte die Angst der US-Regierung vor einer mündigen Bevölkerung lächerlich gemacht.
Drei Jahre später wurde Dashiel Hammett in einer Steuersache von der Regierung verklagt, die den Schriftsteller in den Bankrott trieb. Das amerikanische Thrillergenre wurde fortan von Mickey Spillanes ultrarechtem Superdetektiv Mike Hammer geprägt, der einen Kommunisten schon auf hundert Meter Entfernung riechen konnte.
Durch die Intervention der USA in Korea schwenkte das Land zudem auf einen neuen Kriegskurs ein. In Hollywood agierte John Wayne als Präsident der »Motion Picture Alliance for the Preservation of American Ideals« und sorgte dafür, daß Leute wie Carl Foreman, Drehbuchautor des liberalen Edelwestern 12 Uhr Mittags (High Noon) oder Ben Maddow, Autor von The Asphalt Jungle und den ersten Versionen von The Wild One oder High Noon, auf die schwarze Liste kamen.
Carl Foreman hatte man übelgenommen, daß er den archaischen Western entmystifiziert und in High Noon einen gebrochenen Helden gezeigt hatte, der sich Angst und sogar Tränen erlaubte. Der Film galt als unamerikanische Kommunistenpropaganda, erhielt trotzdem vier Oscars und erfreute sich in Europa großer Beliebtheit.
Als Richard Brooks mit der Arbeit an The Brothers Karamazov (1958) begann, war die sowjetische Regierung sofort bereit, Drehgenehmigungen zu erteilen. Als einzige Bedingung wollte man parallel eine russische Version in denselben Kulissen drehen, um Geld zu sparen. Joseph Vogel von MGM war außer sich. »Ein russischer Autor und Dreharbeiten bei den Kommunisten, Sie spinnen wohl«, brüllte er Brooks an. Selbst der Hinweis, das Buch sei von 1880, und zu dieser Zeit hätte es noch keine Kommunisten gegeben, half nicht weiter. Das Drehbuch wurde umgeschrieben, und statt Marlon Brando und Marilyn Monroe mußte man sich bei der Besetzung außerdem mit Dean Reeds späteren Intimfeind Yul Brynner, Maria Schell und William Shatner, dem späteren Captain Kirk, begnügen.
1958 drehte John Wayne Rio Bravo, den Regisseur Howard Hawks als einen »Anti-High-Noon«-Film bezeichnete. Die Story hatte er mit El Dorado schon einmal verfilmt. Neben John Wayne standen ihm Dean Martin, Ricky Nelson und Walter Brennan zur Verfügung, die als Höhepunkt des Films gemeinsam »My Pony, My Rifle and Me« singen durften. Teeniestar Ricky Nelson sollte damit das Erbe der singenden Cowboys antreten, die Jahrzehnte den American Spirit verkörpert hatten, aber für ein Festhalten an der guten alten Westerntradition war es längst zu spät.
Neben ernsthaften Western wie High Noon oder Shane war einer der großen Kinoerfolge des Jahres 1952 Bleichgesicht Junior (Son of Paleface), die Fortsetzung von Sein Engel mit den zwei Pistolen (The Paleface, 1948) gewesen. Roy Rogers ritt darin an der Seite von Bob Hope, der danach eine ganze Reihe von Western drehte. Lange Jahre stand der singende Cowboy für das uneingeschränkt Gute des amerikanischen Traumes, aber neben dem rotzigen Bob Hope wirkte Roy Rogers nur noch wie eine lächerliche Figur in einem Zirkuskostüm.
Es war aber weniger der beliebte Ostküstenkomiker Hope, der die Schnulzencowboys verdrängte, als die Entwicklung der schwarzen Musik und des frühen Rhythm and Blues. 1951 erschien bei Chess Records mit »Rocket ’88« von Jackie Brenston and his Delta Cats die erste Rock ’n’ Roll-Platte, die mit einem wilden Saxophon-Solo aus dem Schema der anderen Boogie-Bands ausbrach und auf Platz 1 der R & B-Charts landete. Obwohl Brenston immer wieder als Komponist genannt wurde, stammte der Song ursprünglich aus der Feder von Ike Turner and his Kings of Rhythm. Die Platte war zunächst allein auf weiter Flur, aber der amerikanische Geschmack begann sich zu ändern. Der Erfolg farbiger Musiker ließ Roy Rogers & Co. bald in Vergessenheit geraten.
1952 spielte ein jodelnder Cowboy namens Bill Haley eine neue Version von »Rocket 88« ein und erzielte einen gewissen Achtungserfolg. Der rundliche Gitarrist stand vorher einer Band namens The Saddlemen vor, die sich erfolglos an einer Mischung aus Country, Polka und Swing versucht hatte. 1954 tauchten Chuck Berry und Little Richard auf. Plötzlich schepperte aus sämtlichen Radios dieser seltsame Sound namens Rock ’n’ Roll, ein Umstand, der vor allem der grenzenlosen Bestechlichkeit der Radiomacher zu verdanken war. Jahre später war im großen »Payola«-Prozeß zu erfahren, daß der Siegeszug des Rock ’n’ Roll letztendlich eine Verschwörung großer Plattenfirmen war, die den neuen Sound mit dicken Geldbündeln in die Radios drückten.
Nicht nur Vater Reed war entsetzt von der neuen »Negermusik« und jenen schamlosen Bewegungen, die plötzlich als der letzte Schrei galten. Das alte Eisenhower-Amerika stand einer Emanzipation der Jugend gegenüber, die sich nicht länger an die alten Spielregeln halten wollte.
Auch Dean Reed wurde von der neuen Musik im Radio inspiriert, aber er blieb dem Country treu und hörte bevorzugt einen Sender namens »Radio Hillybilly«. Elvis hatte man bereits als gewöhnlichen GI nach Deutschland verfrachtet, einen Ort, der langweilig genug schien, um den King für eine Weile aus dem Verkehr zu ziehen. Rock ’n’ Roll schien nichts als ein kurzlebiger Trend zu sein, der bald wieder verschwinden würde. Schwarzer Musik mit weißen Interpreten sagte man keine große Zukunft voraus. In den Vierzigern und Fünfzigern sprach man noch abschätzig von »Sepia«- oder »Race«-Platten, wenn man Blues oder Jazz meinte. Mit Okeh Records, dem ersten Label, das später nur schwarze Künstler produzierte, hatte aber trotzdem längst eine schleichende Veränderung begonnen. Am 14. Februar 1920 hatte Mamie Smith mit einem weißen Orchester die historische Single »That thing called love« aufgenommen. Die Symbolkraft der ersten Blues-Aufnahme einer schwarzen Künstlerin war gewaltig, und die Platte wurde ein Hit. Im August 1920 folgte »Crazy Blues« von Mamie Smith and her Jazz Hounds, die erste Single mit einer schwarzen Begleitband.
Die Sängerinnen des Blues waren einer Tingeltangel-Tradition von Cabaret- und Vaudeville-Theatern entwachsen, die dem weißen Amerika zu schmuddelig war. Lange Zeit war der Blues vor allem Bestandteil der »Nigger Minstrels«, die mit Zirkuszelten durch Amerika tourten. Dressierte Elefanten und Löwen konnte man sich nur selten leisten, und so ließen meist nur die Clowns auf die Herkunft schwarzer Zirkusveranstaltungen schließen, die sich mit dem Blues aber sowieso immer mehr in Tanzveranstaltungen verwandelten. Vor allem im sündigen Chicago von Al Capone sorgten Blues und Jazz für einen langsamen Abbau uralter Vorurteile. Schon 1909 hatten deshalb ein paar clevere Manager die TOBA (Theatre Owners Booking Agency) gegründet und für schwarze Bühnen gesorgt, die dennoch fest in weißer Hand bleiben sollten. Die TOBA war auch als Abkürzung für »Tough on Black Asses« bekannt. Die schwarzen Künstler wurden nach Strich und Faden ausgebeutet, unterwanderten aber immer wieder die strengen Rassengesetze in den USA.
1942 konnte »Billboard«, seit 1893 Amerikas Showbiz-Magazin Nr. 1, den Einfluß schwarzer Musik nicht länger ignorieren. Mit der »Harlem Hit Parade« wurden erstmals auch die Erfolge schwarzer Künstler in ihren eigenen Ghetto-Charts gelistet. Die USA waren in den Zweiten Weltkrieg eingetreten, und manch farbiger Soldat mochte sich nun ein wenig mehr wie ein vollwertiger Amerikaner fühlen. Nachdem man die schwarze Hitparade zeitweise in »Race Music Charts« umbenannt hatte, taufte man sie am 17. Juni 1949 endgültig auf den Namen »Rhythm and Blues« bzw. R & B. Man faßte darunter das gesamte Spektrum schwarzer Musik von Jazz bis Boogie-Woogie, daneben gab es die Country- und die Popcharts. Country und Blues existierten parallel nebeneinander und beeinflußten sich gegenseitig. In den Vierzigern etablierte sich dazwischen der Begriff Pop. Anfangs sprach man nebenbei auch vom »Black Pop« als Strömung, um den Begriff an sich als weißes Hoheitsgebiet zu deklarieren.
Der große Erfolg schwarzer Musik führte dazu, daß man fieberhaft über eine weiße Variante nachdachte. Den Bebop Cats sicherte man noch immer nicht ihre vollen Bürgerrechte zu, und Musiker wurden teilweise mit einem Glas Marmelade oder einer Flasche Bier entlohnt, aber man stahl ihre Musik und verwässerte den Sound mit schnulzigen Arrangements, die von weißen Interpreten in die richtige Stimmlage geschraubt wurden. Die Industrie behauptete, das Publikum würde die weißgewaschene Popvariante vorziehen, aber in einer Billboard-Liste der R & B-Bestseller fanden sich unter den fünfzig erfolgreichsten Titeln von 1949 bis 1953 lediglich zwei Singles, die bei einem großen Mayor Label erschienen waren.