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2.

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Alfons Carpaun nahm das Fernglas von den Augen. Er glaubte erkannt zu haben, dass Oberhofer selber am Steuer gesessen hatte. Nachdem der Wagen in der Garage verschwunden war, hatte er nichts mehr sehen können. Als das Licht in der Garage nicht erlosch, hatte er sich überlegt, ob er zum Haus hochfahren und versuchen soll Einblick in die Garage zu erhalten. Doch es gab einzig oberhalb der Tür eine Reihe schmaler Fenster und an die hätte er nur schwer unbemerkt gelangen können.

Deshalb verharrte er auf seinem Posten. Er versuchte zu erkennen, was in dem Turmzimmer vor sich ging, konnte allerdings nur einen Mann ausmachen, bei dem es sich wohl um Oberhofer handelte. Aber Carpaun vermochte nicht fest zu stellen, womit sich Oberhofer beschäftigte, nachdem er die Garage verlassen hatte.

Carpaun überlegte sich, wie er weiter vorgehen sollte. Lohnt es sich die ganze Nacht im kalten Auto zu warten? überlegte er sich. Er glaubte nicht, dass sich noch viel Interessantes zutragen würde. Der Alte war heute aus den Ferien heimgekommen. Nach einem kurzen Besuch in seinem Haus fuhr Oberhofer mit seinem Wagen gleich wieder weg. Carpaun hatte sich an ihn gehängt, bis er ihm an einer Einfahrt zur Hauptstrasse, aufgrund des starken Verkehrs, nicht mehr folgen konnte und deshalb das Fahrzeug aus den Augen verloren hatte. Sicher keine Meisterleistung, das wusste Carpaun selber, aber es war ja auch nicht sein Job, Leute zu beschatten.

Nachdem er Oberhofer verloren hatte, fuhr Carpaun zurück nach Sumiswald und suchte sich einen günstigen Platz, um Oberhofer abpassen zu können, ohne aufzufallen. Er fand eine geeignete Stelle, von der er einen guten Blick auf den Zufahrtsweg, wie auch auf das Haus Oberhofers selber hatte.

Hier wartete er nun seit fast drei Stunden und fror. Es hätte keinen Sinn gemacht den Wagen laufen zu lassen, denn die Heizung in seinem weissen Honda Civic funktionierte schon seit Jahren nicht mehr. Der Parkplatz, auf dem er stand, lag leer und verlassen da. Vereinzelt gingen Leute auf der Strasse am Parkplatz vorbei, doch niemand beachtete den klapprigen Wagen. Alle eilten zurück in die schützende Wärme ihrer Häuser.

Carpaun tat das alles aus Überzeugung und weil er, wenn er hier erfolgreich sein sollte, innerhalb der Organisation sicher einige Stufen aufsteigen könnte. So wurde es ihm vom Obersten jedenfalls versprochen. Würde er seine Mission erfolgreich beenden, dann hätten sie wieder alles in der Hand, was sich seit Tausenden von Jahren in ihrem Besitz befunden hatte und zu dessen Schutz sie bestimmt worden waren.

Carpaun selber gehörte noch nicht lange dem erlesenen Kreis an. Doch seit er aufgenommen worden war, hatte sein Leben wieder einen Sinn.

Es hatte lange gedauert bis er Zugang zur Gruppe gefunden hatte. Nach den ersten Gerüchten, die er über das Internet aufgeschnappt hatte, war er fast jede freie Minute damit beschäftigt gewesen, einen Weg zu finden um Kontakt mit ihnen herzustellen. In einem Chatraum gelang es ihm schliesslich mit einem Mitglied der Gruppe zu sprechen. Was er dort erfuhr, elektrisierte Carpaun geradezu. Alles was er dachte und woran er immer geglaubt hatte, schien von der Organisation vertreten zu werden. Endlich hatte er Leute gefunden mit denen er über seine Ideen sprechen konnte, ohne gleich als Spinner abgetan zu werden. Carpaun brannte darauf direkt mit den Gruppenmitgliedern in Kontakt treten zu dürfen. Doch von den Chatgesprächen bis zum ersten Treffen dauerte es Monate. Die Organisation legte grössten Wert auf Diskretion. Sie operierte im Verborgenen – noch.

Alles lief geheimnisvoll und anonym ab. Nachdem die Person im Chat offenbar zur Ansicht gelangt war, dass er in die Organisation passt, musste ihm Carpaun alles über sich erzählen. Danach hörte er fast einen Monat nichts mehr. Weder im Chat, noch sonst auf eine Art und Weise konnte er mit der Person in Kontakt treten. Bis er an einem Abend einen roten, unbeschrifteten Umschlag im Briefkasten vorfand. Goldene Lettern prangten auf dem ebenfalls roten Papier im Umschlag. Darauf wurde ihm angekündigt, dass er am selben Tag um 19.00 Uhr zu einer Anhörung abgeholt werde. Es wurde ihm mitgeteilt, wann und wo er zu warten habe. Wie aufgetragen verbrannte er den Brief, nachdem er sich alles eingeprägt hatte.

Carpaun konnte sein Glück kaum fassen. Weil er es kaum erwarten konnte, stand er schon dreissig Minuten früher am vereinbarten Treffpunkt. Pünktlich um 19.00 Uhr fuhr dann ein schwarzer Mercedes mit getönten Scheiben vor. Das Fenster auf der Beifahrerseite öffnete sich einen Spalt und eine Hand deutete auf die Hintertür. Carpaun ging zum Wagen, öffnet die Hintertür und stieg ein. Die Rückbank war leer. Nur ein rotes Tuch und eine Karte lagen auf der hellbeigen Rückbank. Der Fahrerbereich war durch eine undurchsichtige Scheibe abgetrennt, so dass er nicht erkennen konnte, wer vorne sass. Er nahm das Tuch und verband sich damit die Augen, so wie es ihm auf der Karte befohlen wurde. Als er diesen Befehl ausgeführt hatte, setzte sich der Mercedes in Bewegung.

Die Fahrt dauerte lange. So kam es Carpaun jedenfalls vor.

Nachdem der Wagen endlich wieder zum Stehen kam, blieb Carpaun sitzen. Die Tür öffnete sich und eine Hand packte seinen rechten Oberarm. Mit verbunden Augen führten sie ihn in ein Haus und dann zwei Stockwerke nach unten. Sie blieben stehen und sein Begleiter klopfte dreimal kurz hintereinander an die Tür und nach einer kurzen Pause nochmals viermal mit längeren Abständen. Hinter der Tür fragte eine Stimme etwas in einer Sprache, die Carpaun nicht verstand, worauf sein Begleiter eine Antwort murmelte, scheinbar ebenfalls in derselben, fremden Sprache.

Quietschend öffnete sich die Tür. Carpaun wurde hindurch geschoben. Im Raum konnte er Stimmen hören, die alle durcheinander sprachen. Sein Begleiter und auch die Person von der Tür geleiteten ihn in durch den Raum und setzten ihn auf einen Stuhl. Als sie ihm die Augenbinde abgenommen hatten, blickte sich Carpaun um. Er sass in der Mitte eines grossen Gewölbekellers, dessen Decke von Scheinwerfern angestrahlt wurde. An den Wänden ruhten riesige Kerzenständer auf denen viele grosse Kerzen brannten. Es gab keine Fenster und die Tür, durch die er gerade gekommen war, bildete scheinbar den einzigen Zugang zu dem grossen Gewölbe, das wie eine fensterlose Kirch auf ihn wirkte. Die Wände aus nackten, grob behauenen Steinen erhoben sich hinauf zu der gewölbten Decke und trugen keine Verzierungen.

Hinter ihm sassen auf einfachen Holzstühlen ungefähr fünfzig vermummte Personen. Sie trugen alle rot-schwarze Roben und ihre Gesichter steckten in roten Kapuzen, die nur zwei Öffnungen für die Augen enthielten.

Vor ihm, an einem langen schweren Holztisch der mit feinen Schnitzereien verziert war, sassen sieben weitere Leute. Sechs trugen leuchtend rote Roben mit einer schwarzen Kapuze, während die Person in der Mitte eine sonnengelbe Robe trug. Als einziger trug er keine Kapuze, sondern eine Maske, die der des Tutanchamun sehr ähnlich sah. Wie Carpaun bald erfahren würde, war er der Oberpriester der Organisation. Er sass auf einem geschnitzten Thron aus dunklem Holz und goldenen Verzierungen.

Das heben seiner Hand liess alle Anwesenden sofort verstummen. Dann sprach er zu Carpaun. Mit deutlichen Worten machte er ihm unmissverständlich klar, dass alles was er hier sehen und hören würde auf keinen Fall nach aussen dringen dürfe. Dies sei das oberste Gebot der Gruppe und wer dagegen verstosse, werde mit dem Tode bestraft.

Nachdem Carpaun geschworen hatte, dass er sich daran halten werde, stellten sie ihm unzählige Fragen. Alle beteiligten sich an dem Verhör, nicht nur der Rat der Priester. Durch die Stimmen konnte Carpaun erkennen, dass es auch Frauen in der Gruppe gab. Eine sass sogar im Priesterrat.

Die Befragung dauerte ungefähr eine Stunde. Er wurden alle Aspekte seines Lebens ausgeleuchtet, von der Kindheit über seine Eltern, den Glauben, seine Haltung zu den Religionen allgemein, bis zu seiner momentanen politischen Einstellung.

Schliesslich verbanden ihm wieder zwei Männer die Augen. Der Oberste erklärte ihm, dass er, falls er aufgenommen werden sollte, wieder von der Gruppe hören werde. Er dürfe bis zur Entscheidung keine Versuche unternehmen mit der Gruppe in Kontakt zu treten. Sollte er dagegen verstossen, hätte dies zur Folge, dass die Aufnahme automatisch abgelehnt werde. Bei einer Ablehnung sei es ihm untersagt, weitere Nachforschungen über die Organisation anzustellen. Solche Aktivitäten würden unter keinen Umständen geduldet.

Carpaun erklärte bereitwillig, dass er die Regeln einhalten werde. Damit endete die erste Sitzung für ihn und sie brachten ihn an die Stelle zurück, wo sie ihn abgeholt hatten. Nachdem er mit verbunden Augen aussteigen musste und die Tür geschlossen hatte, jagte der Wagen sofort davon und verschwand in der Nacht.

Es dauerte zwei lange Monate bis er endlich wieder etwas von der Gruppe hörte. Er hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, als er eines Abends in seine kleine, muffige Zweizimmerwohnung neben den Bahngleisen zurückkehrte und auf dem Sofa im Wohnzimmer ein rotes Paket vorfand. Schnell riss er die Schnur und das Papier herunter. Darin fand er einen Brief und eine rot-schwarze Robe mit einer roten Kapuze.

Vor Freude schrie Carpaun und sprang im Zimmer herum.

Der Brief enthielt lediglich Informationen darüber, wann und wo das nächste Treffen der Organisation stattfinden würde. Die Robe symbolisierte, dass er jetzt dazugehörte. Carpaun hatte eine Familie gefunden, einen Ort an dem er sich selber sein durfte und an dem man ihn achtete.

All das lag nun schon drei Monate zurück und dieser Auftrag war sein erster. Er hatte sich sofort freiwillig gemeldet, als der Rat jemanden dafür suchte. Seine Erfahrungen als Bodyguard sollten ihm helfen auch in schwierigen Situationen auf sich selber aufpassen zu können. Sein Ehrgeiz liess ihn nicht warten bis er an der Reihe war in der Organisation aufzusteigen. Er wollte schneller empor. Auch lohnte es sich finanziell. Die untersten Schichten, in der er sich derzeit befand, erhielten keine Zuwendungen von der Organisation. Dies galt als eine Prüfung der Loyalität. Bei höheren Rängen erhielt man Vergünstigungen und auch einen Lohn. Carpaun wollte seinen momentanen Job als Nachtwächter so schnell wie möglich loswerden und ganz den Zielen der Gruppe dienen.

Carpaun zog das Handy aus der Tasche und wählte die Nummer des Obersten. Nach zweimaligem Klingeln meldete sich eine dunkle, warme Männerstimme.

„Was gibt es Neues?“, fragte der Oberste ohne Umschweife. Es konnte sich nur um Carpaun handeln. Die Nummer, die Carpaun gewählt hatte, war speziell für diese Operation eingerichtet worden, genauso wie das Handy das Carpaun benutze nur dieses eine Mal verwendet wurde. Am Ende der Mission würden beide Handys zerstört werden. Dadurch sollte es Verfolgern unmöglich gemacht werden, die Personen zu identifizieren, welche die Telefone benutzten. Die Gruppe verfügte über genügend Verbindungen sich eine Telefonnummer unter Angaben von falschen Daten einrichten zu lassen.

„Oberhofer ist vor ungefähr zwanzig Minuten zu Hause angekommen, blieb dann eine Weile in der Garage und sitzt nun in einem Turmzimmer“, berichtete Carpaun.

„Und, hat er die Kiste?“

„Ich konnte es nicht genau erkennen. Oberhofer fuhr mit dem Wagen direkt in die Garage und ging von dort ins Haus. Aber ich glaube gesehen zu haben, wie er eine Kiste im Arbeitszimmer auf den Tisch gestellt hat.“

„Und bei der Übergabe? Konntest du dort auch nichts erkennen?“ Die Stimme des Obersten klang ungeduldig.

Carpaun wollte dem Obersten nicht mitteilen, dass er Oberhofer nicht bis zur Übergabe hatte folgen können. Er begann mit der Ausrede, die er sich während der Wartezeit auf dem Parkplatz zurechtgelegt hatte. „Die Übergabe fand auf einer Autobahnraststätte statt. Ich konnte deshalb nicht nahe genug ran, ohne bemerkt zu werden“, log er deshalb und hoffte das ihm der Oberste die Geschichte abkaufen würde. „Ich wollte unsere Organisation nicht in Gefahr bringen und ausserdem hat unser Informant ja gesagt, dass die Kiste zu Oberhofer unterwegs sei“, fügte er noch schnell hinzu.

„Da hast du richtig gehandelt“, antwortete der Oberste mit ruhiger Stimme. „Aber wir müssen wissen, ob die Kiste bei ihm angekommen ist. Es könnte sein, dass sie an jemand anderen gegangen ist. Unser Mann vor Ort hat lediglich spekuliert. Sicher lassen die Verbindungen zwischen Deutz und Oberhofer eine solche Vermutung als wahrscheinlich erscheinen, aber wir brauchen Gewissheit. Danach können wir weitere Schritte planen. Erst dann wissen wir wie ernst die Lage ist.“

„Ich kann leider nicht genau in das Zimmer sehen, in dem sich Oberhofer im Moment aufhält. Es ist auch schwer ungesehen zu seinem Haus zu gelangen. Es liegt abgelegen am Waldrand. Jeder der auf der Strasse zum Wald fährt, muss zwangsläufig zum Haus gelangen. Von dem Turm, in dem Oberhofer sitzt, kann er die gesamte Zufahrt überblicken. Es fiele ihm sicher auf, wenn sich jemand seinem Anwesen nähern würde.“

„Was schlägst du also vor?“, fragte der Oberste fordernd.

„Wie wäre es, wenn ich in sein Haus einbreche um nach der Kiste zu suchen?“, schlug Carpaun vor.

Es entstand eine kurze Pause. „Ja, mach das. Wenn er schläft, brichst du ins Haus ein und holst unser Eigentum für uns zurück.“

„Wäre es nicht besser, wenn wir warten bis er das Haus verlässt?“ Carpaun hatte noch nie einen Einbruch begangen und wollte es lieber versuchen, wenn sich niemand im Gebäude befand.

„Und was geschieht, wenn er die Kiste mitnimmt?“, fragte der Oberste wütend. Er war es gewohnt, dass seine Befehle ausgeführt und nicht hinterfragt wurden. „Ausserdem können wir es uns nicht leisten noch länger zu warten. Je mehr Zeit vergeht, desto grösser ist die Gefahr, dass noch weitere Leute von der Kiste erfahren. Das darf nicht geschehen! Es sind schon zu viele Gerüchte im Umlauf. Alleine, dass von der Kiste gesprochen wird, ist schon zu viel! Seit langem lag sie in Ruhe gebettet und von der Menschheit unbeachtet, so wie es sein muss. Was zurzeit geschieht, darf nicht sein. Die Zeit ist noch nicht reif. Wir brauchen die Kiste für unsere Organisation. Sie wird uns eines Tages dazu verhelfen, endlich das Ansehen und die Wertschätzung zu erhalten, die uns zusteht. Wir werden diejenigen sein, die der Menschheit die Augen öffnet! Wir alleine werden die Überbringer der Wahrheit und Weisheit sein! Wir werden denjenigen an die Spitze setzen, der laut der Überlieferung dorthin gehört! Doch ist noch zu früh, die Welt nicht bereit. Wie müssen weiter geduldig warten und die Geheimnisse bewahren. Unsere Stunde wird kommen und dann werden wir bereit sein.“ Er predigte mit einer Stimme, mit der er Zuhörer in seinen Bann zu schlagen vermochte.

„Jawohl Oberster, ich werde noch heute Nacht den Auftrag erledigen!“, antwortete Carpaun mit brennendem Eifer.

„Und vergiss nicht“, erinnerte der Oberste Carpaun eindringlich, „es gibt nichts, was wichtiger ist als unsere Organisation. Für den Ruhm und die Anerkennung in der Gesellschaft ist kein Preis zu hoch!“

Die Leitung wurde unterbrochen. Der Oberste hatte aufgelegt. Carpaun wusste, was er mit der letzten Bemerkung meinte. Er griff in das Handschuhfach und nahm die geladene Magnum und das Messer heraus, steckte beides in seine alte Winterjacke und stieg aus dem Honda Civic. Er streckte seine starren Glieder und begab sich entschlossen auf den Weg zu Oberhofers Haus. Er wollte das Eigentum der Organisation zurückholen: Koste es was es wolle.

Die Kiste Gottes

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