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Vier

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Belustigt und angewidert zugleich beobachtete Robert, wie der Mann mit dem schütteren Haar im dunklen Business-Anzug versuchte, möglichst unbemerkt die Hundescheiße unter seinen feinen Herrenschuhen am Rand des U-Bahnsteigs abzuwischen. Scheiße war auch Roberts heutiger Tag gewesen. Frau Tares vom Arbeitsamt hatte ihm tatsächlich die Stellenausschreibung eines Callcenters ausgedruckt. Call-Center-Agent nannte man den Job eines Telefonisten heutzutage. Klang ein wenig nach James Bond. War es aber leider nicht.

Geschichten über diese Ausbeutervereine hörte man an jeder Ecke. Als ganz armes Schwein musste man sich sowohl von den eigenen Chefs als auch von genervten Kunden beschimpfen lassen. So wie Robert selbst ganz außer sich gewesen war, als sein Handyvertrag-Kundenberater einmal nicht schnell genug eine befriedigende Lösung parat hatte. Damals fühlte er sich im Recht – jetzt unangenehm berührt. So weit, dass auch er als Boxsack gefrusteter Teleshopping- und Versandhandelskunden fungieren würde, durfte es nicht kommen.

Der Geschäftsmann war wieder sauber und setzte sich auf eine der heruntergekommenen Wartebänke. Eine Sitzgelegenheit weiter lag ein Obdachloser in voller Länge auf dem Eigentum der Berliner Verkehrsbetriebe. Reichlich Bier- und Schnapspullen sowie eine kleine Plastiktüte, aus der Essensreste hervorschauten, komplettierten die traurige Großstadt-Momentaufnahme. Zudem verbreitete der bemitleidenswerte Mann einen üblen Geruch. Eine vorbeigehende Mutter zog ängstlich ihr kleines Mädchen zu sich, das sich neugierig auf den Jägermeister-Fan zubewegen wollte. Hoffentlich ist das kein Blick in meine Zukunft, dachte Robert, immer noch geschockt vom Termin beim Amt.

Er war nach seiner betriebsbedingten Kündigung bei einem Berliner Start-Up-Unternehmen jetzt bereits drei Monate arbeitslos. Doch was stellte sich die Drachenlady von der Agentur für Arbeit eigentlich vor? Grafiker wurden zwar gesucht. Aber nur mit jahrelanger Berufserfahrung. Und die hatte Robert nicht. Und dass sein Leben bislang nicht immer optimal gelaufen war, interessierte bei der Behörde sowieso keine Sau. Schon gar nicht Frau Tares. Während die Jobvermittlerin anfangs noch zu motivieren wusste – „Akademiker kriegen wir immer schnell in Arbeit“ –, zeigte sie alsbald ein anderes Gesicht. Da muss wohl jemand seine Quote aufbessern, vermutete Robert, als sie ihm mitteilte, dass der Staat kein Auffangbecken für schlecht organisierte Uni-Absolventen sei.

„Haben Sie denn meine Mail nicht gelesen? Ich hatte Sie auf eine Stellenausschreibung als Grafiker hingewiesen, in der eine Übernahme als Volontär nach erfolgreich absolviertem Praktikum mit großer Wahrscheinlichkeit in Aussicht gestellt wird. So was gibt es selten. Sollte ich die Chance nicht wahrnehmen?“, wollte Robert noch wissen.

„Mails bearbeiten wir aus Zeitgründen aktuell gar nicht. Und jetzt bitte ich Sie, sich bei einem der von mir vorgeschlagenen Call-Center zu bewerben. Das Ergebnis schicken Sie mir postalisch mit dem beigefügten Antwortschreiben zu“, erwiderte die Tares kühl.

Natürlich gibt es immer solche und solche. Auch beim Jobcenter. Aber, dachte Robert frustriert, dass dir zur Begrüßung noch nicht einmal die Hand gereicht wird, als ob du ein Leprakranker im fortgeschrittenen Stadium wärst, sagte doch alles. Wie ein Mensch zweiter Klasse fühlt man sich da. Wie auf dem Abstellgleis. Unter ohrenbetäubendem Tosen fuhr die U8 in den Bahnhof Berlin Westkreuz ein und riss Robert aus seinen Gedanken.

Nur noch wenige Meter trennten ihn von seiner Vierzimmerwohnung in der Holzmarktstraße in Friedrichshain. Das schicke Apartment konnte Robert sich leisten, weil seine Vermieter die Eltern eines alten Bekannten waren. Diese hatten ihm nicht nur den mühsamen Besichtigungsmarathon auf dem Berliner Wohnungsmarkt erspart, sondern kamen ihm auch mit der Miete entgegen.

Ganz anders als bei seiner ersten Singlebude, die er zu Münsteraner Zeiten bezogen hatte. Dreihundertneunzig Euro für knapp dreißig Quadratmeter. Ohne Balkon. Ohne Fenster im Badezimmer. Zweckdienlich, aber Küche, Schlaf- und Wohnzimmer in einem Raum vereint funktionierte nicht als Dauerlösung. Der eigentliche Hammer kam nach dem Auszug. Behielt der Bluthund von Hausverwalter die gesamte Kaution in Höhe von zwei Kaltmieten ein. Angeblich, weil das die notwendigen Renovierungsarbeiten erfordert hätten. Eine Dreistigkeit sondergleichen. Robert hatte die verrauchten Wände wieder weiß gestrichen und alles blitzblank geputzt. Die Vermieterin hingegen war in all den Jahren nicht für eine einzige Reparatur aufgekommen. Lediglich die Fenster wurden isoliert, natürlich inklusive entsprechender Mieterhöhung. Robert fehlten damals das Geld und die Zeit, um gegen den Verlust der Kaution juristisch vorzugehen. Sollten die Gierschlünde doch an der Kohle ersticken.

Seine Wohnung in Berlin dagegen erwies sich als echter Glücksfall. Er mochte das pulsierende Leben in Friedrichshain. Auch wenn der Stadtteil inzwischen zu hip geworden war. Zumindest empfand Robert das so, seit er als Arbeitssuchender nicht mehr offiziell zu den coolen Kreativen gehörte.

Die Dämmerung setzte bereits ein und wurde durch das gleißende Licht der Straßenlaternen kompensiert. Außer Robert, der jetzt vor der Eingangstür des Mehrfamilienhauses stand, in dessen erster Etage er residierte, war keine Menschenseele auf der Straße. Oder doch? Robert hörte leise Schritte und drehte sich um. Vor ihm stand eine junge Frau. Sie hatte ihre Arme hinter dem Rücken verschränkt und sich die Kapuze tief in das Gesicht gezogen. Dennoch spürte Robert, dass ihre Augen ihn fixierten.

„Kennen wir uns?“ Mehr fiel ihm in der paradox anmutenden Situation nicht ein. Sein Gegenüber blieb stumm. Robert wurde es langsam unheimlich. Hatte sie ihn etwa verfolgt? Im Gegensatz zu seiner sittsamen Heimatstadt Münster zogen in Berlin so einige Verrückte durch die Gegend. Menschen, die mit sich selbst sprachen. Laut vor sich hin fluchten. Oder Passanten anpöbelten. Die Fremde vor ihm war anders, starrte ihn einfach weiterhin an. Durchgeknallt, aber harmlos, beruhigte sich Robert. Oder kannte er sie sogar? Er konnte keine direkte Verbindung herstellen, doch die Statur und der schmale Mund … Ach, egal.

„Komm, verpiss dich“, presste Robert hervor, der diesen weiblichen Freak als Krönung seines misslungenen Tages ausmachte und einfach nur in seine Wohnung wollte. Hastig zog er den Haustürschlüssel aus der rechten Tasche seiner Jeans und steckte ihn in das Türschloss. Nicht ahnend, dass er sich schon bald nie wieder Sorgen über unfreundliche Behördenmitarbeiter oder bezahlbaren Wohnraum zu machen brauchte.

Ein Bier in der linken, eine Zigarette in der rechten Hand. Entspannt sitzen auf dem Balkon, der nur spärlich durch die Schreibtischlampe seines angrenzenden Zimmers beleuchtet wurde. Das war Fredericks tägliches Ritual nach der Arbeit, um abzuschalten. Abzuschalten vom nervtötenden Piepen beim Durchziehen der Artikel aus dem Produktsortiment des Lebensmittelladens, in dem er als Azubi im ersten Ausbildungsjahr tätig war.

Keine sechs Monate dabei und bereits jetzt ging ihm die stupide Arbeit auf die Nüsse. Und die Kundschaft erst! Manchen Einkäufern konnte es gar nicht schnell genug gehen – gereizte, laute Rufe nach einer zweiten oder dritten Kasse waren keine Seltenheit. Andere behaupteten, die Preise würden nicht mit den Angeboten aus den Prospekten übereinstimmen. Deren Überprüfung wiederum kostete viel Zeit. Zeit, welche die besagte erste Kundengruppe ja nicht hatte. Sein persönliches Highlight waren jedoch die Punks und Penner, die versuchten, ihre unbezahlten Schnapspullen an der Kasse vorbeizuschmuggeln. Frederick war es im Prinzip egal, ob jemand klaute. Bei dem kargen Stundenlohn war das nicht seine Baustelle. Wehe aber, der Filialleiter konnte später anhand der Videoüberwachung feststellen, dass einer seiner Verkäufer nicht aufgepasst hatte. Die Spätschicht ging sogar bis einundzwanzig Uhr. Und so mancher Berliner schien Spaß daran zu haben, diese großzügige Öffnungszeit bis zur letzten Sekunde auszureizen. Doch Frederick würde nicht ewig Wechselgeld rausgeben, Regale einräumen oder, wenn es hochkam, mal an der Fleischtheke aushelfen.

Musik war sein großes Ding. Er konnte Freestyle rappen wie ein junger Gott. Das sagten zumindest seine Freunde. Und Freunde belügen dich nicht, da war sich Frederick sicher. Sie hatten auch nicht ganz unrecht. Schließlich wurde der erste Platz beim Berliner Nachwuchswettbewerb Spreebeats an ihn und seine Jungs vergeben. Und wenn sie jetzt noch den szenebekannten, gut vernetzten Typ des größten lokalen Hip-Hop-Labels auf sich aufmerksam machen würden, konnte nichts mehr schiefgehen. Die Konkurrenz war groß, aber er, als echter Berliner, war doch wie gemacht für eine Karriere als Gangster-Rapper. Zwar kam Frederick aus gutbürgerlichem Hause und nicht von der Straße, aber bei den Genregrößen wie Bushido und Sido war doch auch alles reine Show. Als ob die sich täglich mit den Bullen prügeln würden.

Frederick sah sich schon in der prunkvollen Lobby des Hyatt-Hotels auf einen Journalisten der Juice warten. Während er lässig an einer Zigarre zog – Künstlern wie ihm würde man das erlauben – tuschelten die Gäste mit den Rezeptionsmitarbeitern darüber, dass mal wieder ein echter Star in dem 5-Sterne Etablissement zugegen war. Besonders die weiblichen Gäste natürlich, denn als VIP wäre endlich auch seine überschaubare Anziehungskraft auf Frauen Vergangenheit. Dass er in einem früheren Leben als Kassierer gearbeitet hatte, würde Frederick natürlich vertuschen, dem Interviewpartner stattdessen erzählen, er hätte mit kleinen Straßenauftritten den Grundstein für seine Karriere gelegt. Wer kauft schon ein Hip-Hop-Album, wenn die Vorgeschichte des Interpreten darin bestand, alten Damen zu zeigen, wo die Gemüsetheke ist?

Frederick spitzte den Mund und blies den Rauch in kleinen Ringen in die warme Spätsommerluft. Wenn er erst mal angefangen hatte, sich in seinen Tagträumereien zu verlieren, gab es kein Halten mehr. Die werden alle Augen machen, wenn ich auf der Bühne stehe und die Fans in der ausverkauften Mercedes-Benz-Arena meine Songs textsicher mitrappen. Besonders mit den Lehrern seiner Realschule hatte er noch eine Rechnung offen. Aus dir wird nichts, wenn du nicht büffelst, hatten sie immer gesagt. Bald würde er mehr Kohle bei einem Gig verdienen als diese Spastis in einem Jahr.

Fredericks Leben als gefeierter Star wurde jäh unterbrochen, als er einen kurzen, aber lauten Schrei von der anderen Straßenseite vernahm. Er erhob sich aus seiner Liege und richtete den Blick auf den Hauseingang gegenüber. Hatte der Typ den anderen gerade zu Boden gezogen? Frederick wohnte mit seinen Eltern im Erdgeschoss, er war also auf Sichthöhe, der Bürgersteig jedoch gute zwanzig Meter weit entfernt. Außerdem war es schon recht dunkel geworden. Wenn die Straßenlaternen doch nur heller leuchten würden. Frederick beugte sich vor.

Jetzt entkleidete der Angreifer den Oberkörper des regungslos daliegenden Mannes und fummelte mit irgendeinem Gegenstand auf dessen nackter Brust rum. War das etwa ein Messer?

Da wird gerade einer abgemurkst, schoss es ihm durch den Kopf. Panisch drückte er seine Zigarette in dem Aschenbecher aus und stellte die Bierflasche leise auf den steinernen Boden. Vorsichtshalber ging Frederick in die Hocke und betrachtete das Geschehen durch die Stäbe des Balkongitters.

Der Täter kniete mit dem Rücken zu ihm, eingehüllt in einen Kapuzenpullover. Zu seinen Füßen lag ein geöffneter Rucksack. Genau konnte Frederick die Situation nicht einschätzen. Aber dass sich der Mann dort drüben an einem leblosen Körper zu schaffen machte, war mehr als nur unheimlich. Fredericks Neugier gewann die Oberhand. Hatten die Titelseiten der Zeitungen an der Kasse nicht über einen Mord hier in Berlin berichtet? Über einen Killer, der Leute aufschlitzte? Vielleicht war das derselbe Täter!

Frederick beschloss ein Foto zu machen. Manchmal stellte die Polizei doch eine Belohnung in Aussicht, wenn man zur Aufklärung eines Falls beitrug. Die Kohle könnte er gut gebrauchen – ein professionelles Mischpult war unter tausend Euro nicht zu haben. Dafür musste er näher an den Täter heran. Oder besser noch, er würde ihm folgen. Mann, das wäre ein Ding, wenn er den Behörden Informationen über den Aufenthaltsort des Mörders preisgeben könnte.

Ganz langsam bewegte sich Frederick rückwärts durch die Balkontür in sein Schlafzimmer, zog sich rasch seine sündhaft teuren Marken-Sneaker an, steckte Handy und Haustürschlüssel ein und verließ die Wohnung lautlos. Seine Eltern, die im Wohnzimmer gerade schlaftrunken die Wiederholung einer Kochsendung im Privatfernsehen konsumierten, hatten nichts gehört.

Die Person auf dem Boden war tot, das war Frederick nun klar. Durch die eine Handbreit geöffnete Haustür beobachtete er, wie der Mörder den Leichnam anhob und im Eingangsbereich des Gebäudes gegenüber positionierte.

Dann ging alles schnell. Von irgendwoher rief jemand „Hey, was machen Sie da?“, der Mann steckte die Tatwaffe in seinen Rucksack und rannte los.

Frederick wartete einen Moment, bis der Täter einen Vorsprung hatte, aber noch einholbar war. Dann sprintete auch er los. Dabei musste Frederick die Straße gut fünfhundert Meter runter hasten, um schließlich zu sehen, wie seine Zielperson links abbog. Sie wollte zum S-und-U-Bahnhof Jannowitzbrücke. Verdammt, ist der fit, dachte Frederick, dessen Puls spürbar in die Höhe geschossen war. Doch war der Täter überhaupt ein Mann? Anhand des Laufstils und der Statur schien es sich eher um eine Täterin zu handeln.

Kurz vor der Station reduzierte die Verfolgte das Tempo, um gemäßigten Schrittes die Rolltreppe nach oben zu betreten, wo die S-Bahnen ein- und abfuhren. Frederick nahm die Treppe, wollte schneller sein, doch in diesem Moment kam ihm eine grölende Meute von Fans der Eisbären Berlin entgegen. Frederik schlüpfte durch die nach Schweiß und Alkohol riechende Menge hindurch, nicht ohne dass ihm einer der Trunkenbolde aus Versehen einen halben Plastikbecher Bier auf seine Baggy Pants kippte. Mitten in Fredericks Schritt. Die Menge lachte, pfiff und schrie. Frederick fluchte kurz, aber er musste weiter.

Oben angekommen hörte er das Quietschen der einfahrenden S-Bahn. Am Bahnsteig drängelten sich die Menschen – schließlich war Samstag. Samstag in der Partymetropole Berlin.

Auf dem Gleis stand die S5 in Richtung Berlin Westkreuz. Die Durchsagestimme kündigte die Abfahrt an. Frederick schaute hektisch in alle Richtungen. Da – in eines der vorderen Abteile stieg eine Person mit Kapuze und Rucksack ein. Frederick setzte zu einem Schlussspurt an und schaffte es so gerade noch hineinzuschlüpfen, bevor die automatische Tür unter Begleitung des piependen Warnsignals schloss.

Während die S-Bahn langsam anfuhr, schaute sich Frederick verstohlen um. Fast alle Plätze waren besetzt, viele Fahrgäste standen wie er im Eingangsbereich oder auf dem Gang und hielten sich an den Stangen und Schlaufen fest.

Wo bist du, Kapuzenmörderin, dachte Frederick. Nicht, dass sie ihm jetzt noch entwischte. Um das zu verhindern, musste er sich wohl oder übel durch das Gedränge kämpfen.

„Tschuldigung, müsste hier vorbei. Darf ich eben mal?“

„Hinten ist auch alles voll, du siehst doch, dass es hier nicht vor und nicht zurück geht“, grummelte ein Mann im Maler- und Lackieranzug. Die blaue Hose war mit lauter weißen Farbklecksen beschmiert. Im Gegensatz zu den meisten anderen Fahrgästen, die angeregt plauderten, lachten oder entspannt der Musik aus ihren Kopfhörern lauschten, war dieser Typ genervt. Frederick nun auch. Um einer möglichen Konfrontation aus dem Weg zu gehen – schließlich hatte er ja gerade eine Mission – bat er noch einmal höflich um Durchlass. Der Maler verdrehte die Augen und quetschte sich in den Zwischenraum des nächsten Vierersitzes. Dabei berührte sein famoser Bierbauch die weiße Bluse eines dieser – wie Frederick fand – lächerlichen It-Girls mit verspiegelter Sonnenbrille auf dem Kopf und Adiletten an den Füßen. Die sah in Frederick den Verursacher der unerwünschten Körpernähe und strafte ihn mit bösen Blicken.

Ihr habt doch alle den Arsch auf, fluchte Frederick innerlich und schlängelte sich weiter durch die Menschenmenge. Er musste sich beeilen, schließlich konnte die Kapuzenfrau jederzeit wieder aussteigen. Die Haltestellen Alexanderplatz und Hackescher Markt hatten sie bereits passiert.

Als sich die S-Bahn der Station Friedrichstraße näherte, war Frederick endlich auf der anderen Seite des Waggons angekommen. Es standen bereits mehrere Fahrgäste an der letzten Tür. Eine Frau mit Kinderwagen wartete in der ersten Reihe. Die musste sich bücken, nachdem das Baby seinen Schnuller über Bord geworfen hatte.

Und da stand sie plötzlich, fast so als hätte sie sich vor Fredericks suchenden Blicken hinter der Mutter versteckt. Den Kopf zur Seite geneigt, sodass Frederick ihr Gesicht nicht sehen konnte.

Die Tür ging auf und die Täterin huschte aus dem Waggon. Frederick hastete hinterher. Jetzt würde er sie nicht mehr aus den Augen verlieren. Das Katz- und Mausspiel ging weiter, entlang der Gleise bis zur Fußgängerbrücke, die über die Spree führte. Frederick rannte ihr so schnell er konnte nach.

Auf der anderen Seite angelangt, drosselte die Täterin abermals ihre Geschwindigkeit und ging gemächlichen Schrittes die Uferstraße entlang. Vorbei an der Ständigen Vertretung, deren große Fenster ein reges Treiben offenbarten, vorbei an der Berliner Republik und zahlreichen weiteren prall gefüllten Restaurants und Bars. Auch die draußen aufgebauten Tische an der Spree waren gut besucht. Menschen mit reichlich Geld aßen, tranken und lachten. Dabei drang ein Kauderwelsch aus Deutsch, Englisch und Sprachen, die Frederick nicht zuordnen konnte, an seine Ohren.

Sorgfältig gab er darauf acht, einen Abstand von circa zwanzig Metern einzuhalten. So, bald weiß ich, wo du wohnst und dann gibt’s eine Meldung bei der Polizei. Die würde spektakulär zugreifen, die Killerin dingfest machen, und er, er wäre der Held von Berlin. Auf allen Titelseiten.

Die Frau bog nun ab auf den Bertolt-Brecht-Platz, ließ das stattliche Gebäude des Berliner Ensembles links liegen, um danach rechts hinter einer Litfaßsäule zu entschwinden.

Frederick zögerte. Der Straßenabschnitt war nur schwach ausgeleuchtet und er kannte sich hier kein bisschen aus. Nicht seine Hood, wo die gehobene Mittelschicht ins Theater oder schick Essen ging. Die Täterin weiß doch gar nicht, dass jemand hinter ihr her ist, machte sich Frederick Mut. Vorne am Wasser sind etliche Leute am Start, hier kann dir nichts passieren.

Aber da irrte Frederick. Nachdem er die Verfolgung wieder aufgenommen hatte und ebenfalls um die Ecke hinter der Litfaßsäule bog, drückte ihm jemand ein feuchtes Taschentuch auf Nase und Mund. Ein süßlicher Geruch verbreitete sich in seinen Atemwegen. Frederick wehrte sich mit Händen und Füßen. Vergeblich. Die Angreiferin hatte ihn mit dem freien Arm in den Schwitzkasten genommen und machte jede Gegenwehr unmöglich. Sekunden später sackte der Jugendliche bewusstlos in sich zusammen.

Rot ist die Rache

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