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1.2 Bildungsbenachteiligung
ОглавлениеBis zum Beginn der 2000er Jahre war die Frage der ausländischen Staatsangehörigkeit eine zentrale Größe in der Bildungsstatistik. Seit der Änderung des Staatsbügerschaftsrechts im Jahre 2003 ist der Passbesitz jedoch keine Kategorie, mit der sich die Vielsprachigkeit der Schüler*innen erfassen lässt. Seit dem Jahr 2003 wird in Bildungsstatistiken die Kategorie »Migrationshintergrund« angewendet (Beauftragte, 2020, S. 12ff). Demnach hat eine Person einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren ist oder keinen deutschen Pass hat. In der Schulstatistik wird darüber hinaus häufig der nicht deutsche Sprachgebrauch als Teilaspekt des Migrationshintergrunds erfasst. Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamts hatten im Jahr 2018 20,8 Millionen Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund, das sind 25,5 %, davon hatte etwa die Hälfte einen ausländischen Pass. Die Zahlen zum sogenannten Migrationshintergrund sagen nicht unbedingt etwas über die Mehrsprachigkeit der Familien aus. So gibt es Familien mit Migrationshintergrund, in denen fast ausschließlich Deutsch gesprochen wird, andererseits gibt es nicht wenige Familien der sogenannten dritten Generation, in denen die Herkunftssprache(n) der Großelterngeneration nach wie vor eine der Familiensprachen ist (sind). So ist davon auszugehen, dass die deutsche Gesellschaft insgesamt wesentlich vielsprachiger ist, als es die Zahlen vermuten lassen (Chlosta & Ostermann, 2017)
Der Begriff Migrationshintergrund wird von Seiten der Migrationspädagogik kritisiert (Mecheril 2010; Dirim & Mecheril, 2018): Mit der Betonung auf dieses eine Merkmal wird eine Differenzkategorie zur wichtigsten Variable, andere Kategorien, wie z. B. der sozioökonomische Status, werden erfasst, verschwinden aber in der öffentlichen Wahrnehmung. Dirim & Mecheril (2018, S. 171) sprechen von der »Essentialisierung der Differenz«: Ein Merkmal wird überbetont und die Schlechterstellung im Schulsystem wird mit einer einzelnen Eigenschaft der Schüler*innen erklärt. So hat der Begriff in der Alltagsverwendung häufig eine negative Konnotation. Bei der folgenden Darstellung muss also genau unterschieden werden zwischen der statistisch belegten Schlechterstellung der Schüler*innen mit Migrationshintergrund einerseits und den Ursachen für diese Schlechterstellung andererseits.
Trotz des seit Mitte der 1980er Jahre zu beobachtenden Trends zu höherer Bildungsbeteiligung gehören Schüler*innen mit Migrationshintergrund in Deutschland nach wie vor zu den Bildungsbenachteiligten. Im Bericht der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung (2020) wird festgestellt, dass in Deutschland lebende junge Erwachsene mit »Migrationshintergrund« im Vergleich zu deutschen Jugendlichen über ein niedrigeres Bildungsniveau verfügen. Damit verbunden sind eine Reihe sozialer Folgeprobleme: »Mit 28,6 % ist das Armutsrisiko bei Menschen mit Migrationshintergrund mehr als doppelt so hoch wie in der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund (11,8 %)« (Beauftragte, 2020, S. 25). In Bezug auf den Schulbesuch lässt sich die Bildungsbenachteiligung exemplarisch an den Zahlen in Baden-Württemberg zeigen ( Tab. 1.1): Schüler*innen mit Migrationshintergrund sind überproportional an Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren vertreten (35 % der Sonderschüler*innen, Kap. 3.5), dafür sind Kinder mit Migrationshintergrund an Gymnasien unterrepräsentiert (14 % der Gymnasiasten). Dabei ist allerdings zu beachten, dass Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf zunehmend Regelschulen besuchen.
Trotz leichter Verbesserungen ist der Trend seit Jahren stabil. Die folgende Tabelle 1.1 zeigt die Zahlen des Schuljahres 2018/2019. Deutschlandweit verlassen ungefähr 8 % der deutschen Jugendlichen die Schule ohne Abschluss gegenüber ca. 15 % der Jugendlichen mit Migrationshintergrund (Beauftragte, 2020, S. 160).
Tab. 1.1: Schulbesuch in Baden-Württemberg nach Schularten im Schuljahr 2018/2019, vgl. Statistik Baden-Württemberg.
SchuleAlle Schüler*innen ca.Darunter Schüler*innen mit »Migrationshintergrund«
Die Ursachen für die Bildungsbenachteiligung werden in verschiedenen Faktoren gesehen. In Schulleistungsstudien wird ein Zusammenhang zwischen der Beherrschung der deutschen Sprache und dem Schulerfolg hergestellt (Stanat et al., 2017). Eine Ursache für die Bildungsbenachteiligung wird in der sozialen und gesellschaftlichen Benachteiligung der Familien gesehen: Im Durchschnitt haben Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland einen geringeren Bildungsstand und Lebensstandard als Deutsche, die Arbeitslosenquote liegt mehr als doppelt so hoch wie bei einsprachig deutschen Familien (Beauftragte, 2020, S. 202). Überdurchschnittlich viele Familien leben in Sozialwohnungen, in vielen Großstädten gibt es Kindertageseinrichtungen, in denen die Mehrzahl der Kinder ausländischer Herkunft ist. Die hohe Dichte von Migrationsfamilien in einzelnen Stadtteilen wird als eine Ursache dafür gesehen, dass sich die Deutschkenntnisse von einzuschulenden Kindern im Vergleich zu früheren Jahren eher verschlechtert haben. Eine Annahme ist, dass hier die Anreize fehlen, Deutsch zu lernen, da es zu wenige Kontakte mit der deutschen Umgebungssprache gibt.