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Es begann mit einer Lüge

Es ist zweifellos so, dass die Welt auf mich gewartet hat. Nicht die ganze, aber ein Teil. Damit meine ich nicht allein die Eltern oder Großeltern, die mir stets versicherten, meine Ankunft auf diesem Planeten erwartet und sich sogar auf mich gefreut zu haben. Dies wird auch so gewesen sein, nicht zuletzt, weil für mich mit dem Tag der Geburt eine fabelhafte Kindheit in und um Parchim begann.

Gewartet hat man, wie Presseberichte belegen, aber gleichfalls in der Lokalredaktion der „Schweriner Volkszeitung“ (kurz: SVZ), seinerzeit „Organ der Bezirksleitung Schwerin der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“. Ob man dafür stundenlang vor dem Parchimer Kreißsaal herumgelungert hat, ist nicht überliefert, allerdings auch nicht sehr wahrscheinlich. Dafür hätte man eine Nachtschicht einlegen müssen, denn das erste Interview mit meiner Mutter gab es schließlich in den Morgenstunden, kurz nachdem ich das künstliche Licht der Welt erblickt hatte.


Ein gefundenes Fressen für die Weltpresse, Zeitungsartikel vom 24. März 1970

Doch was wollte die Presse von meiner Mutter? Nichts. Es ging um mich! Und es ging um den Sonntag, der nicht irgendein Sonntag war. Es war Wahltag. Die meisten, selbst die Leserinnen und Leser der SVZ, werden sich kaum daran erinnern, aber am 22. März 1970 gab es in der DDR Kommunalwahlen. Für eben diese Wahl wurde ein „Wahlkind“ gesucht – und gefunden. Da ich wahrscheinlich das einzige wehrlose junge Wesen im Parchimer Krankenhaus war, blieb es an mir hängen. Ich wurde besagtes Wahlkind.

Ein Artikel entstand, in dem die Leserschaft der SVZ erfuhr, was passiert war: Stefan Kreibohm war geboren worden! Sensationell und vor allem praktisch, denn so wurden gleich alle Verwandten informiert, schließlich hatte kaum jemand ein Telefon, worüber man die frohe Botschaft hätte vermitteln können. Eine schöne, runde Geschichte, ein Kind kommt am Tag der Wahl zur Welt, Sohn der Intelligenz (Mutter Kindergärtnerin) und der Arbeiterklasse (Vater Schlosser). Wie man lesen konnte, war auch meine Mutter von den Socken, dass ihr Kind nun „in unserem sozialistischen Staat“ aufwachsen könne.

Daran habe ich mich sogar strikt gehalten, bin gewachsen, weitgehend bananenlos und ganz und gar ohne fruchtige Zwerge und dem Besten aus der Milch. Ich habe einfach gleich die ganze Milch getrunken, also wohl auch das Schlechte darin. Selbst als Wahlkind blieb mir da keine Wahl. Vielleicht auch deshalb, weil ich gar nicht an einem Sonntag geboren wurde, sondern schon an einem Freitag. Der ganze Artikel vom 24. März 1970 war eine Ente, oder realistisch betrachtet: Mein Leben begann mit einer Lüge! Gut, meine Mutter freute sich, mich gab es wirklich, ich war noch recht frisch, aber eben nicht vom Sonntag. Egal, die Zeitung wollte die Geschichte so und bekam sie. Aus einem Freitagmorgenkind wurde ein Wahlsonntagkind.


Kreibohms Welt!

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