Читать книгу Kreibohms Welt! - Stefan Kreibohm - Страница 18
ОглавлениеNeben der Erhebung der Temperatur- und Feuchtedaten gab es alle sechs Stunden die Messung des Niederschlages und der Schneehöhe. Alle zwölf Stunden wurden zusätzlich noch die höchste und tiefste Temperatur ermittelt, dazu dienten zwei weitere Thermometer mit einer etwas anderen, aber vergleichbaren Messmethode. Ergänzend hierzu kam am Morgen die tiefste Temperatur, gemessen 5 Zentimeter über Grund. Diese Temperatur ist gemeint, wenn man von Bodenfrost spricht.
Aber auch im Boden selbst wurde und wird gemessen, und zwar in 5, 10, 20, 50 und 100 Zentimetern Tiefe, das ist gleichfalls internationaler Standard. Interessant sind diese Daten unter anderem, um festzustellen, wie tief der Frost ins Erdreich eingedrungen ist (die sogenannte Frosteindringtiefe). Zugleich wird so der Erdbodenzustand eingeschätzt. Ist er trocken, feucht, nass oder gefroren?
Auch Schnee musste, als ich beim Meteorologischen Dienst begann, noch ohne große automatische Unterstützung eingeordnet werden – in nassen oder trockenen, gleichmäßig oder verweht liegenden.
Zu all diesen Messungen und Schätzungen kam die Augenbeobachtung. Wie viel Bewölkung zeigte sich am Himmel? Mit dem Zählen der Wolken kam man nicht weit, aber mit der Abschätzung des Bedeckungsgrades. Hierfür wurde der Himmel in Achtel eingeteilt und man musste überlegen, wie viel Achtel komplett mit Wolken ausgefüllt wären, würde man alles Gewölk zusammenschieben. Wichtig war auch die Bestimmung der Wolkenart, alles gemäß des internationalen Wolkenatlas’. In diesem hat man festgelegt, was eine Cumulus-, eine Schicht- oder eine Cirruswolke ist, mit all ihren Unterarten in den verschiedenen Höhen der Troposphäre.
Doch die Augenbeobachtung ging weiter. Wie weit konnte man schauen? Jede Wetterstation hatte Sichtmarken in der näheren und weiteren Umgebung, die der Orientierung dienten. War zum Beispiel eine Kirchturmspitze in 20 Kilometern Entfernung gerade noch zu sehen und befanden sich entfernter liegende Sichtmarken hinter einem Dunstschleier, konnte man die Sichtweite auf 21 oder 22 Kilometer festlegen.
Schließlich musste natürlich noch zur Erfassung des aktuellen Wetterzustandes festgehalten werden, ob es gerade regnete oder schneite – und wenn ja, wie stark. Diese Aspekte waren allerdings permanent zu dokumentieren, folglich hatte man im Dienst schon darauf zu achten, was zwischen den stündlichen Beobachtungsterminen draußen los war. Wenn beispielsweise Regen angekündigt war, ging es doch immer wieder vor die Tür, damit man dessen Beginn nicht verpasste. Die Wetterstation in Berlin-Dahlem besaß hierfür einen elektrischen Regenmelder, eine unter schwachem Strom stehende Metallplatte im Freien. Trafen Regentropfen darauf, ging im Dienstraum des Wetterbeobachters ein rotes Licht an. Bei Vogelschiss allerdings auch. So einen Regenmelder, eine geniale Erfindung, habe ich in meiner Laufbahn jedoch nur in Dahlem kennengelernt, die zum Meteorologischen Institut der Freien Universität gehörende Station wollte es offenbar ganz genau machen.
Seine Wetterbeobachtungen hatte der Diensthabende jede Stunde in ein Beobachtungstagebuch einzutragen, im Falle des Beginns oder Endes eines Schauers minutengenau auch zwischendurch. Hierbei handelte es sich aber nicht um ein in Leder eingeschlagenes oder mit Einhörnern bedrucktes Tagebuch, wie Teenager es benutzen. Es war ein schnödes A3-Blatt mit Tabelle, jede Stunde (fachlich korrekt: jeder Termin) hatte eine Zeile, jeder meteorologische Parameter eine Spalte. Hinzu kam noch Raum für die Beobachtung zwischen den Terminen.
So füllte sich nun, beginnend um 0 Uhr, dieses Blatt Kästchen für Kästchen und Zeile für Zeile, das Wetter eines ganzen Tages wurde auf einem Blatt festgehalten. Der Sinn des Ganzen hatte weniger damit zu tun, das tägliche Wetter zu registrieren und zu archivieren. Viel wichtiger war es, die Wetterbeobachtung an die Zentrale Wetterdienststelle weiterzuleiten – in der DDR befand sich diese in Potsdam, in der Bundesrepublik damals wie heute in Offenbach. Und das nicht per Telefonplausch – den konnte es schon allein deshalb nicht geben, weil alle Wetterstationen gleichzeitig ihre Meldung absetzen mussten, und zwar jeweils zehn Minuten vor der vollen Stunde.
Eine solche Wettermeldung sah beispielsweise folgendermaßen aus:
SMDL DWBD 131800
AAXX 13181
10381 01983 41905 10195 20159 30016 40109 57010 69902
76162 84070333 10242 20121 31010 55300 69907 81360
84365=
NNNN
Ein Geheimcode? Nein, die Wetterdaten wurden nach dem international einheitlichen Wetterschlüssel mit dem klangvollen Namen FM12 verklausuliert. Wenn man so will, ist dies das Esperanto der Meteorologie. Jeder, der diese „Sprache“, diesen Code kennt, weiß, wie das Wetter an der Station ist, von der die Meldung stammt.
Es würde zu weit führen, an dieser Stelle den gesamten Code zu erklären, im Internet findet man unter dem Suchbegriff „FM12“ die komplette Erläuterung. Als kleines Entschlüsselungsbeispiel sei hier die wohl wichtigste Zahlengruppe genannt, beginnend mit 10381, der Stationskennung. Die 10 steht für Deutschland, die 381 für Berlin-Dahlem. Jede Wetterstation kann so über eine Nummer identifiziert werden. Die folgenden Kombinationen stehen für Parameter wie Sichtweite, Bedeckungsgrad, Windgeschwindigkeit. Auch die Lufttemperatur verbirgt sich natürlich darunter, in der vierten Gruppe bedeutet die 10195 beispielsweise 19,5 Grad Celsius. In der ersten Zeile weist die Gruppe 131800 darauf hin, dass die Beobachtung vom 13. eines Monats um 18:00 Uhr Weltzeit stammt.
Jedes Rechenzentrum der verschiedenen nationalen Wetterdienste kann so eine verschlüsselte Wettermeldung verarbeiten, und, es sei noch einmal betont, jeder gut ausgebildete Wetterbeobachter kann sie „von Hand“ lesen.
Diese Methode wurde und wird exakt so auf der ganzen Welt angewandt und macht bis heute einen Datenaustausch überhaupt erst möglich. Durch die international standardisierte Messtechnik und Messmethode sind die erhobenen Daten miteinander vergleichbar. Mittlerweile liegen jahrzehntelange Messreihen vor oder sogar die kontinuierlich erfassten Daten von mehr als einem Jahrhundert, oft vom gleichen Standort. Wetterstationen leisten so ihren Beitrag für die Erfassung des aktuellen Wetters und durch die Speicherung der Daten spielen sie die Hauptrolle bei der Einordnung der aktuellen globalen Erderwärmung. Man kann die Entwicklung des Weltklimas bis mindestens 1880 aufgrund von Messdaten zurückverfolgen, an einigen Orten sogar bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts.