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Wo stehen Wetterstationen?

Wetterstationen sollen mit ihren Messungen das Wetter des Standortes repräsentieren. Die Topografie spielt hier eine gewaltige Rolle, schließlich ist die Landmasse unseres Planeten nicht platt wie ein Teller. Selbst Gebiete, die als Ebene gelten, weisen sanfte Hügel und Senken auf – das kennen wir nicht zuletzt von der Norddeutschen Tiefebene. In Gebirgen gibt es – wenig überraschend und ganz offensichtlich – große Höhenunterschiede, an Küsten treffen Wasser und Land unmittelbar aufeinander.

All dies führt zu regionalen Wetterunterschieden, und sei es auch nur zu einer divergierenden Temperatur, beispielsweise zwischen zwei verschieden hoch liegenden Orten. Hierbei muss die Höhendifferenz nicht hunderte Meter betragen, es reichen weniger als 10 Meter. So haben Messungen auf Rügen ergeben, dass es in Putbus 0 Grad Celsius sein können, zur gleichen Zeit in Samtens -10 Grad und am Kap Arkona +5 Grad. Solche regionalen Unterschiede lassen sich nur entdecken, wenn man ein Messnetz immer weiter verdichtet. Genau diese Strategie verfolgt seit Mitte der 1990er-Jahre der Meteorologe Jörg Kachelmann. „So wie wir heute messen, werden wir morgen vorhersagen“, hat er einst gesagt. Wenn Ihnen dieser Satz irgendwie bekannt vorkommt, haben Sie in der DDR gut aufgepasst. Er klingt nach der Weberin Frida Hockauf. Ihr wird die in den 50er-Jahren propagierte These zugeschrieben: „So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben.“

Die Kachelmannsche Einschätzung teile ich, denn wer wissen will, wie es wird, der muss wissen, wie es ist. Wer nicht weiß, dass es in Morgenröthe-Rautenkranz im Vogtlandkreis im Winter -30 Grad Celsius kalt werden kann, der wird dies auch nicht vorhersagen. Also wurde dieser Ort von Kachelmann in sein Messnetz aufgenommen, fortan hatten er und seine Mitarbeiter die Messwerte auf dem Tisch und lernten so die örtlichen Besonderheiten kennen. Man konnte vor regionalem Frost warnen – andere, denen die Messwerte verborgen blieben, konnten das nicht, Unkenntnis führt dann zu ungenauen Vorhersagen.


Jörg Kachelmann bei einer Veranstaltung auf Hiddensee (1998)

Wenn ich in Mecklenburg-Vorpommern unterwegs bin, zum Beispiel für Vorträge oder Lesungen, höre ich häufig, dass der Ort, an dem ich mich gerade befinde, sein ganz eigenes Wetter habe. Schauer verfehlten diesen magischen Ort in schöner Regelmäßigkeit – und überhaupt sei es hier oft kälter oder wärmer als vorhergesagt. Man hat auch stets die Ursache für dieses exklusive Wetter parat. Jeder Ort hat in der Umgebung Neuposemuckeler Berge oder das Kleinkennstenicher Moor, für die den halben Atlantik überquerenden Wetterfronten sei hier einfach Schluss. Der sich über tausende Kilometer um die Nordhalbkugel schlängelnde Jetstream, das Starkwindband, welches die Wolkenströme in fünf bis zehn Kilometern Höhe lenkt, nimmt vieles in Kauf: die Rockies in Kanada, Grönland, den großen Ozean, die Britischen Inseln, Rhein, Weser und Elbe. Doch irgendwann ist Schluss, er gibt sich den steilen, himmelhoch aufragenden Wänden des Mecklenburger Höhenrückens und den hunderten Seen geschlagen. Spätestens die Peene gibt ihm den Rest. Kein Gewitter hat es je über den vorpommerschen Amazonas geschafft, die Menschen an der Mündung wissen gar nicht mehr, was Blitz und Donner überhaupt sind, geschweige denn, was ein ordentlicher Schauer sein soll, von dem im Wetterbericht zuweilen die Rede ist. „Immer zieht hier alles vorbei, nie kommt was an!“, heißt es. Auf Nachfrage wird aus dem „immer“ dann meistens ein „kommt schon mal vor“ oder ein „naja, vielleicht nicht immer“, was mich nicht nur sehr beruhigt, sondern meine Erfahrungen auch bestätigt.

Natürlich findet sich in unseren Breiten kein Ort, dem Schauer „nie“ Regen spendieren, genauso wie wenige Kilometer davon entfernt keine Stelle vorhanden sein dürfte, die ständig von Regengüssen heimgesucht wird. Wäre es so, ergäbe sich ein Landschaftsbild, in dem sich in Wanderdünen eingebettete Dorfoasen mit auf Pfählen errichteten Moorsiedlungen abwechselten. Da dem nicht so ist, muss es über die Monate oder Jahre dann doch so etwas wie einen Ausgleich zwischen nassen und trockenen Phasen geben.

Bei der Temperatur sieht dies schon anders aus, ich hatte es bereits beschrieben. Hier hängt vieles davon ab, ob ein Ort eher auf einem Hügel oder in einer Senke liegt. In der Niederung ist es nach klaren, windarmen Nächten kälter als auf der Anhöhe. Der Einfluss größerer Gewässer auf die unmittelbare Umgebung ist nachvollziehbar. Neubrandenburg wird an einem heißen Sommertag bei Südwind vom langgezogenen Tollensesee gekühlt, Grimmen, ganz ohne See, nicht. In Klink am Westufer der Müritz wird es im Winter bei Ostwind und offenem Wasser nicht so kalt wie in Kargow-Schwarzenhof auf der anderen Seite des Sees, das eingebettet in einem vor dem Wind schützenden tiefen Wald liegt.

Es gäbe noch hunderte Beispiele, die deutlich machten, dass im Grunde jeder Ort eine Wetterstation nötig hätte. Gebraucht wird dazu eigentlich nur eine Freifläche, die Platz für eine Messeinheit zur Ermittlung von Temperatur, Niederschlag und Wind bietet.

In großen Städten reicht ein Messpunkt meist nicht aus, denn in der Innenstadt ist es grundsätzlich wärmer. Für wen soll man eine Vorhersage der Temperatur machen, wenn sie in Rostock am Doberaner Platz in einer Sommernacht nicht unter 20 Grad Celsius sinkt, dafür aber in der nur wenige Kilometer entfernten Südstadt sehr wohl? Da man diesen Umstand als Meteorologe kennt, helfen allgemeine Formulierungen wie: „In der kommenden Nacht kühlt es auf 18 bis 15 Grad ab, in den Zentren der größeren Städte fallen die Temperaturen aber nicht unter 20 Grad.“ Dies wäre dann eine „tropische Nacht“, die offizielle Bezeichnung für Nächte mit einer Tiefsttemperatur von 20,0 Grad und mehr. Richtete sich dann der Sternberger oder Grimmener auf eine „tropische Nacht“ ein, könnte die Enttäuschung groß sein, wenn er möglicherweise in der Frühe bei 18 Grad fröstelnd über den Markt schlenderte. Mit „größere Städte“ würde ich in Mecklenburg-Vorpommern alles ab Parchim aufwärts bezeichnen.

Zurück zu den Wetterstationen. Sie sollen das Wetter des Ortes dokumentieren. Dazu ist es wichtig, sich an die international verbindlichen Richtlinien für das Aufstellen der Messgeräte zu halten, zumindest wenn es eine Station des nationalen Wetterdienstes ist oder privater Wetterdienste mit hohem Anspruch an die Qualität der Messwerte. Die besten Thermometer nützen nichts, wenn nicht strahlungsgeschützt gemessen wird. Alle Temperaturvorhersagen beziehen sich auf diese Art der Messung. Daher sollte es nicht verwundern, wenn das Autothermometer an einem sonnigen Tag viel höhere Werte anzeigt. Es misst zwar in der Regel im Schatten, aber kaum mehr als 30 Zentimeter über der Straße, die sehr viel Wärme abstrahlen kann. In den „Sehr Unsinnigen Vehikeln“ (SUV) mag der Messgeber etwas höher angebracht sein, aber das spielt keine entscheidende Rolle. Dennoch: Autothermometer erfassen sehr gut Bodenfrost – und nicht umsonst erscheint in einigen Fahrzeugen schon bei wenigen Grad über 0 Grad Celsius ein Glättewarnsymbol, schließlich können bei +2 Grad Celsius in 30 Zentimeter Höhe oder mehr am Boden schon 0 Grad oder weniger vorherrschen.

Inzwischen gibt es in immer mehr Straßen, vor allem in den Fahrbahnen der Autobahnen, Messfühler. Sie erfassen die Temperatur von der Oberfläche bis in 30 Zentimeter Tiefe, stellen fest, ob die Fahrbahn trocken oder nass ist, wie viel Wasser sich auf ihr befindet, Windstärke und Windrichtung werden gleichfalls oft ermittelt, meist in wenigen Metern Höhe neben der Fahrbahn. Hinzu kommt noch die Erfassung der Sichtweite im Bereich von unter zwei Kilometern. Elektronische Verkehrsleitsysteme können so zum Beispiel schon vor Nebel warnen, bevor die Fahrzeuge in die „Suppe“ eintauchen.

Kurios wird es bei so einer Nebel-Wetterlage auf der Rügenbrücke. Hier erfolgt die Warnung nicht zeit-, aber ortsnah. Das führt dazu, dass man den Hinweis auf den Nebel zunächst gar nicht sieht, um dann aber im Nebel bei der Vorbeifahrt am leuchtenden Warnzeichen zu erfahren, dass gerade Nebel ist – eine immer sehr beruhigende Erfahrung, macht es einem doch deutlich, dass die Sehschwäche keine organischen Ursachen hat, sondern meteorologische.


Auch die Wetterstation in Vitte auf Hiddensee ist Teil des weltweiten Messnetzes.

Die auf und an Straßen gewonnenen Messdaten ergänzen das offizielle weltweite Netz der Wetterstationen nur in dem Sinne, dass die Daten wirklich exakt dort ermittelt werden, wo Menschen unterwegs sind – für sehr zeitnahe Warnungen vor Ort. Oder für Straßenwettervorhersagen, denn es ist gut zu wissen, ob schon oder noch Frost im Boden unter der Fahrbahn steckt, selbst wenn die Oberfläche Plusgrade aufweist. Steht eine klare Nacht bevor, kann es dann viel schneller glatt werden als ohne eisige Temperatur in der Tiefe. Ansonsten sind derartig gewonnene Daten natürlich nicht mit denen vergleichbar, die nach dem Standard der WMO (World Meteorological Organization) erhoben werden. Folglich fließen sie in keinerlei Klimamodelle ein. Im Internet sind die Autobahnstationen auf „kachelmannwetter.com“ unter „Autobahnwetter“ zu finden.

Mir stehen für meine tägliche Arbeit im Wetterstudio schon seit Jahr und Tag die Bodentemperaturen der Stationen des Deutschen Wetterdienstes zur Verfügung. Mit ihnen lässt sich beispielsweise die Eindringtiefe des Frostes feststellen. Wie bereits erwähnt, wird in 5, 10, 20, 50 und 100 Zentimetern Tiefe gemessen. An der Wetterstation auf dem Potsdamer Telegrafenberg widmet man sich diesbezüglich auch den tieferen Lagen in 2, 4, 6 und 12 Metern. Bis dort dringt kein Frost vor, am tiefsten Messpunkt ist es im Winter wärmer als im Sommer.

In unseren Breiten sind Frosttiefen von einem Meter und mehr extrem selten. 1998 ging es im Nordosten Deutschlands zum Teil bis eineinhalb Meter. Es handelte sich damals um den trockensten Januar seit Beginn der Wetteraufzeichnung, an einigen Orten gab es während des gesamten Monats keinen messbaren Niederschlag, dafür aber strengen Frost unter -15 Grad Celsius und schneidend kalten Ostwind. Dieser hatte über Tage und Wochen durch das Fehlen einer schützenden und isolierenden Schneedecke die Wärme aus dem Boden gezogen. Manche Wasserleitung – laut Vorschrift liegen diese in 80 Zentimeter Tiefe – fror ein und ging kaputt. Dies vor allem in sandigem Boden. Betroffen waren deshalb besonders frisch gebackene Häuslebauer, die ihre Außenanlagen vor diesem Eisjanuar nicht mehr rechtzeitig hatten begrünen können. Verbunden mit noch nicht optimal verdichtetem Boden, war es für den Frost ein leichtes Spiel, rasch und konsequent Schaden anzurichten.

Fazit: Wetterstationen erfassen weit mehr als nur das Wetter im Sinne von Wolken, Wind, Regen und Temperatur. Das weltweite Netz ermittelt meteorologische Parameter zwischen einem Meter Tiefe und mindestens 15 Kilometern über Grund, und dies tagtäglich, rund um die Uhr – manchmal heute noch durch einen menschlichen Wetterbeobachter, in den meisten Fällen jedoch (leider) nur automatisch. Hierbei gilt aber: lieber automatische Stationen als gar keine. Je dichter das Netz ist, desto besser kann das Wetter erfasst werden. Je besser es erfasst wird, desto größer ist der Datensatz, mit dem Computermodelle das Wetter vorausberechnen.

Dass die Rechner überhaupt tätig werden können, haben wir den Helden der Synoptischen Meteorologie zu verdanken, den Entwicklern der Vorhersagemodelle. Diese menschlichen Mathematik-Meteorologie-Hybriden entwickeln die Formeln, mit denen die Supercomputer gefüttert werden. Durch die Kombination ihrer Arbeit mit den Ergebnissen der Forschung ist es möglich, das kommende Wetter zu berechnen – woraus dann die Vorhersage entsteht.

Die Daten jedoch, mit denen hier gerechnet wird, stammen zum großen Teil von solchen Wetterstationen, auf denen ich mein Handwerk gelernt und jahrelang gearbeitet habe. Es lebe die Wetterstation – und hoch lebe jeder Wetterbeobachter!

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