Читать книгу Der Dozent - Stefan Meier - Страница 9

Оглавление

5

Der zweite Bus war brechend voll. Natalie konnte sich gerade noch durch die hinterste Tür ins Trockene zwängen. Andere mussten stirnrunzelnd und kopfschüttelnd auf den nächsten Bus warten. Die Linie 7 von ihrer Wohnung zum ZOB war relativ leer. Nur einige ältere Leute, die in die Innenstadt wollen, und Schulkinder, deren weiterführende Schule in einem anderen Stadtteil lag. Aber die Linien 4 und 5 zum Campus hoch waren so wie heute auch immer überfüllt. Vor allem diejenigen, die Punkt acht oder zehn Uhr beim Campus ankommen würden, passend zum Beginn der Veranstaltungen. Und in genau so einem Bus befand sie sich gerade. Lilly war bereits wegen ihrer Veranstaltung um acht Uhr früher gefahren. Bei Natalie stand als Erstes die Pädagogikvorlesung um zehn Uhr auf dem Programm – Rituale in der Kindertagesstätte und der Grundschule.

Der Busfahrer hatte Probleme die Türen zu schließen, denn immer wieder stand jemand in der Lichtschranke und die Türen öffneten sich. Nach dem dritten Anlauf war der Bus endlich startbereit, und fuhr mit brummendem Motor los.

„Vorsicht, heee …“, mehr brachte sie nicht heraus, denn prompt wurde ihr ein Rucksack ins Gesicht gedrückt. Sie hasste es, zu dieser Zeit Bus zu fahren und hätte lieber das Fahrrad genommen. Immerhin waren es nicht mal vier Kilometer von ihrer Wohnung bis zum Campus. Es regnete allerdings in Strömen, ein typisches Montagmorgenwetter, weshalb sie sich heute Morgen für den Bus entschieden hatte und diese Entschuldung nun bereute. Sofern niemand auf den Stop-Knopf drückte und aussteigen wollte, fuhr der Busfahrer an allen weiteren Haltestellen vorbei und sie konnte die entsetzten Gesicht derer sehen, die noch länger dem Regen ohne Schutz ausgeliefert waren. Sie näherten sich dem Bahnhof. Hier war der Weg war nicht asphaltiert, sondern mit Kopfstein gepflastert. Heftige Vibrationen gingen durch den Bus und diejenigen, die keine Möglichkeit zum Festhalten gefunden hatten, vertrauten darauf, dass die Personen um sie herum sie abfedern würden, sollten sie ihr Gleichgewicht verlieren.

Der Bus erreichte den Bahnhof und Natalie hörte einige ältere Leute schimpfen, da ihnen niemand beim Aussteigen Platz machte. Einige Glückliche konnten den frei geworden Raum ausnutzen und zusteigen, dann schlossen sich die Türen wieder und der Bus setzte sich in Richtung Campus in Bewegung. Keine fünf Minuten später öffneten sich die Türen vor dem Hörsaalzentrum der Hochschule. Natalie stieg aus und schnappte erst einmal nach Luft. Der Regen war einem feinen Nieselregen gewichen. Schietwetter! Natalie hastete los, um noch einen Sitzplatz zu ergattern. Während jeder Studierende zwei Fächer frei wählen konnte, oder in Lillys Fall noch einige zusätzliche aus Interesse, waren die Module in Pädagogik für jeden verpflichtend. Und wenn jeder in die gleiche Vorlesung musste, dann wurde es vor allem eins – voll!

Das Audimax war der größte Raum auf dem Campus und umfasste etwa vierhundert Sitzplätze. Verglichen mit anderen Hochschulen war dies recht klein, doch an der Hochschule reichte es aus. Meistens zumindest. Im Hörsaalzentrum befanden sich noch zwei kleine Hörsäle, die jeweils Platz für hundertfünfzig Studierende boten, aber dort hatte sie noch nie Veranstaltungen gehabt. Oft wurden sie von den Naturwissenschaften genutzt und sie wusste von Lilly, dass in den ersten Semestern die Vorlesungen in Mathematik darin stattfanden.

Sie ging durch die Haupttüren ins Gebäude und bog nach rechts zum Audimax ab. Das Foyer war riesig und die Deckenhöhe schätzte sie auf über zehn Meter, wie in einer Kirche. Ähnlich war auch die Akustik. Das Hallen ihrer Schritte wurde verstärkt und klang bis zum anderen Ende. Ebenso die Stimmen der gefühlt hundert Personen, die noch vor dem Audimax standen und sich unterhielten. Sie zwängte sich durch die Menge hindurch und betrat den Hörsaal. Eine lange Treppe führte runter zum Pult und der riesigen Leinwand. Der Raum war aufgebaut wie eine Herzmuschel. Einige Meter hinter dem Rednerpult war der Raum zu Ende und mündete in zwei schmale, aber unglaublich hohe Fenster. In der ersten Sitzreihe waren neun Sitzplätze, dann eine Treppe, dann weitere neun Sitzplätze. Alle in einem Bogen zum Pult angeordnet. Insgesamt waren es dreizehn Sitzreihen und bei jeder Reihe kam auf beiden Seiten je ein Sitzplatz dazu. Das klang wie eine Matheaufgabe. Ob Lilly die Anzahl an Sitzplätzen mal ausgerechnet hatte? Bestimmt! Sie grinste.

Der Raum war schon recht voll, obwohl die Vorlesung erst in zehn Minuten beginnen würde. Oft waren es die Raucher oder Kaffeejunkies, die zu spät kamen und keinen Sitzplatz mehr fanden. In dem Fall musste man sich auf die Treppen setzen, die heute wegen der nassen Schuhe unangenehm feucht sein würden, prophezeite Natalie. Ihr Blick glitt durch die Menge und sie erkannte Lilly und Jakob, die sich zu ihr umdrehten und sie herwinkten. Sie ging einige Reihen nach unten und zwängte sich zum Unbehagen zweier Studentinnen durch die Reihen. Wieso setzt man sich auch ganz nach außen, wenn daneben noch ein halbes Dutzend Plätze frei sind?! Dann gesellte sich Natalie zu ihren beiden Freunden.

„Da bist du endlich. Ich hatte schon gewettet, dass du verpennst“, scherzte Lilly und nahm ihre Jacke vom Nachbarstuhl, sodass Natalie sich setzen konnte.

„Und die Wette habe ich gewonnen! Nun schuldest du mir einen Muffin, Lilly, aber mit einem Kaffee wäre ich auch zufrieden“, lachte Jakob und nickte Natalie zur Begrüßung zu. Die beiden kannten Jakob seit ihrem ersten Tag. Sie hatten sich alle drei bei der Einführungswoche kennengelernt – einer Woche, die für die Erstsemester veranstaltet wurde, um sich untereinander, ihre Dozenten, die Hochschule und den Campus kennenzulernen. Für Jakob war es bereits die dritte Einführungswoche gewesen. Anfangs hatte er Mathematik und Kunst studiert, da beide Fächer einen niedrigen NC hatten und er trotz seines Abiturschnitts von 3,2 studieren wollte. In Mathematik fiel er durch die Klausuren im ersten und zweiten Semester jeweils zweimal durch und weil er keine Lust auf einen Drittversuch hatte, entschied er sich, ein Jahr später von Mathe zu Sport zu wechseln. Wieder ein Jahr später wechselte er von Kunst zu Germanistik. Nicht, weil er schlecht zeichnen konnte, sondern weil er keine Lust hatte, zu jedem seiner Bilder eine zehnseitige Ausarbeitung darüber zu schreiben, was er beim Planen, Malen und Betrachten seines Kunstwerkes gefühlt hatte. Seine Kommilitoninnen sogen sich vieles aus den Fingern und dichteten unzählige Emotionen rein und so etwas wollte er nicht. Er hatte Spaß beim Malen und Verwirklichen seiner Ideen gehabt, aber das konnte er niemals auf zehn Seiten strecken – höchstens mit Schriftgröße Zweiundsiebzig und doppeltem Zeilenabstand.

„Na, hast du Bock?“, fragte Jakob und grinste frech. Natalie kannte seine Einstellung zum Studium.

„Tatsächlich habe ich Bock …“, antworte sie und lächelte zurück. „Und wie ist es bei dir? Bist du froh, dass das Semester wieder startet?“

„Bin ich!“ Sie war überrascht. „Dieses Semester steht in Sport Segeln auf dem Programm. Ich werde für mein Hobby benotet und es muss am Ende keine Hausarbeit oder Klausur geschrieben werden. Nur ein kleiner Test zur Theorie und das packe ich locker.“

„Das klingt super! Habe dich noch nie so motiviert erlebt.“

Wenn Natalie die Gutmütige und Lilly die Intelligente in der Runde waren, dann war Jakob der Klassenclown. Warum er nicht direkt von Anfang an Sport studiert hatte, war ihr immer ein Rätsel gewesen. In seiner Freizeit übte er viele Sportarten aus und hatte mit seiner Größe von knapp zwei Metern und seinem breiten Kreuz eine sehr athletische Statur. Nur, dass das Sportstudium auch viel mit Theorie zu tun hatte, viel gelesen werden musste und jedes Semester mehrere Tests anstanden, schien bisher allerdings kein Problem zu sein. Naja, warten wir es mal ab. Mit seinen sechsundzwanzig Jahren sollte er nicht noch einen Fächerwechsel durchmachen.

„Ja, Segeln wird super! Das war es denn aber auch schon. Den Rest des Semesters muss ich halt ertragen, aber dafür habe ich ja euch, ha!“ Er stieß mit der Hand gegen Lillys Schulter und lachte. „Und wenn ich weiterhin so gut wette, dann kriege ich immerhin jeden Tag frischen Kaffee.“

„Mit dir wette ich nicht mehr, ätsch“, konterte Lilly und holte aus ihrem Rucksack einen Collegeblock, einen Kugelschreiber, einen Bleistift und Marker in diversen Farben.

„Allzeit bereit …“, dachten sich die beiden anderen und schüttelten ihren Kopf.

Sie tauschten sich noch über ihren Stundenplan aus, verglichen ihre Kurse und schließlich folgte der übliche Klatsch und Tratsch. Wer mit wem, Jakobs Trinkallüren, Gott und die Welt und diverse Geschichten über Familie und Freunde aus der Heimat. Schließlich hatten die beiden Jakob eine Weile nicht gesehen und dass der Dozent bereits fünf Minuten zu spät war, wurde ausgenutzt.

„… und dann haben wir die Rechnung erhalten und irgendwie hatte jeder sieben Gin getrunken – und dabei wollten wir einfach nur einen Happen essen gehen. Zack! Fünfundsechzig Euro weg und für die nächsten Wochen gab es für mich nur noch Reis mit Ketchup und Kräuterbaguette mit paar Scheiben Gouda überbacken!“

Natalie und Lilly warfen sich einen vielsagenden Blick zu. „Du alter Pleitegeier! Erinnerst du dich noch an letztes Semester? Du hast so viel gearbeitet, dass wir dich kaum zu Gesicht bekommen haben. Jetzt wissen wir auch, warum“, grinste ihn Natalie an. „Teil dir dein Geld mal klüger ein.“ Aber das Problem mit den Geldsorgen kannten sie auch. Mittlerweile waren sie Expertinnen darin, mit einem kleinen Budget auszukommen. Große Portionen vorkochen, mehrere Tage davon essen und zur Not die Reste einfrieren. Nichts wurde unnötig weggeworfen.

„Ja, du hast ja recht“, seufzte Jakob. „Mittlerweile habe ich meine Ausgaben wieder im Griff.“ Er lachte.

„Habt ihr eigentlich Felix und Sandy gesehen? Müssten die nicht auch hier sein?“, fragte Lilly.

„Also von Felix weiß ich, dass er dieses Semester ein anderes Modul belegen wollte. Von Sandy weiß ich nichts. Habe sie ewig nicht mehr gesehen oder mit ihr gesprochen“, erwiderte Jakob und Natalie nickte. Sie hatte auch seit langem keinen aktiven Kontakt mehr.

Ein Mann im Sakko und Laptoptasche stapfte die Treppen zum Rednerpult herunter. Unverkennbar schien er der Dozent zu sein – Prof. Dr. Kurt Lempertz. Den Namen Kurt würde man nur mit älteren Leuten assoziieren, aber Natalie hätte ihn eher auf Mitte Dreißig geschätzt. Zumindest war noch kein graues Haar zu entdecken, aber die Geheimratsecken zeigten sich in seinen kurzen, schwarzen Haaren. Professor Lempertz legte seinen Laptop auf das Pult, klappte ihn auf und steckte ein HDMI Kabel an die Seite. Es dauerte einen Moment und dann war sein Desktop auf der Leinwand zu sehen. Er öffnete seine PowerPoint-Präsentation. Das Wort Rituale stand über einem Bild, das fast die ganze Leinwand bedeckte und eine Gruppe von Kindern mit Schultüten zeigte. Ins Auge fiel sofort der Junge in der Mitte. Er trug eine Schultüte in Form eines Dinos und die Tüte war locker einige Zentimeter größer als er. Sein Gesichtsausdruck war angestrengt, wahrscheinlich durch das Gewicht seines neuen Dino-Freundes, aber unheimlich fröhlich zugleich. Ob die Einschulung der Grund der Fröhlichkeit war oder er später einfach nur die riesige Schultüte auspacken wollte, konnte man nicht sagen.

„Guten Morgen, ich begrüße sie alle ganz herzlich zu meiner Veranstaltung Rituale in der Kindertagesstätte und Grundschule. Mein Name ist Professor Kurt Lempertz“, sagte er in einem erfrischend fröhlichen Ton. „Schauen Sie sich bitte das Bild an. Beschreiben Sie bitte, was sie sehen.“

***

Den größten Teil der Vorlesung wurde über das Bild geredet. Es lief zunächst auf das Thema soziale Ungleichheit hinaus. Prof. Dr. Kurt Lempertz rief die nächste Folie auf, auf der die Studierenden einer Statistik entnehmen konnten, dass Eltern im Schnitt etwa fünfzig Euro für die Schultüten samt Inhalt ausgeben. Es wurden Erfahrungsberichte gezeigt, die die Inhalte von Schultüten auflisteten: Süßigkeiten führten die Liste an, gefolgt von Schulsachen, Spielzeug und Kuscheltieren. Einige Eltern setzten noch einen drauf. Gutscheine für Media Markt oder Saturn und sogar das neuste iPhone.

„Bah, immer diese reichen Blagen. Einige Eltern werfen echt mit Geld um sich“, beschwerte sich Jakob.

Natalie erinnerte sich an ihre Schultüte. „Meine Mama hat meine Schultüte selbst gebastelt und sie hat Malkreide, Lakritze, ein Pixie-Buch und ein Teddy-Schlüsselanhänger hineingetan, aber doch kein Handy!“ Die drei lachten laut.

Und so wurde eine Diskussion entfacht, ob man den Eltern einen preislichen Rahmen vorgeben sollte. Nach einer hitzigen Debatte, die keinerlei Ergebnisse erzielte, machte Professor Lempertz weiter und listete einige Rituale in der Grundschule auf. Der Morgenkreis und der Erzählstein, um nur einige zu nennen. Anschließend war die erste Veranstaltung des neuen Semesters zu Ende.

Natalie blickte auf ihre Notizen und musste sich eingestehen, dass sie nur im Mittelfeld lag. Jakob hatte lediglich den Namen der Veranstaltung aufgeschrieben, weiter nichts. Den Großteil der Zeit verbrachte er mit seinem Handy unter dem Tisch. Lilly hingegen legte die Messlatte wieder einmal sehr hoch. Fünfeinhalb Seiten. Selbst jedes Argument während der Diskussion wurde notiert.

„Streeeber …“, flüsterten Natalie und Jakob synchron ins Ohr und Lilly zuckte zusammen. „Jaja, lasst mich.“

Sie packten ihre Sachen zusammen und folgten dem Strom von Studierenden aus dem Audimax. Natalie hatte heute Morgen noch nichts gegessen und ihr knurrte der Magen.

„Kommt ihr mit in die Mensa? Ich sterbe vor Hunger!“

„Tut mir leid, ich habe jetzt Zahlentheorie. Direkt nebenan.“

„Und ich habe jetzt auch eine Veranstaltung – glaube ich. Ich weiß zwar nicht, wo oder was, aber das finde ich auf dem Weg heraus“, grinste Jakob, zückte sein Handy und suchte seinen Stundenplan im Netz. „Haut rein und bis später!“ Dann war er verschwunden.

„Lilly, wie lang bist du heute in der Uni? Zwanzig Uhr?“

„Nein, achtzehn Uhr, Montag ist mein kurzer Tag.“

„Okay, ich bin früher zu Hause und koche vor. Wir hatten uns auf Kartoffelsuppe geeinigt, oder? Viel Spaß, pass auf und verbrauche deinen Collegeblock nicht am ersten Tag.“

„Ja, Mama“, Lilly rollte gespielt mit den Augen. Beide lachten herzlich und ihre Wege trennten sich.

Natalie machte sich auf den Weg zur Mensa, die sich direkt neben dem Hörsaalzentrum befand. Sie stand vor der Auswahl, eine Kleinigkeit wie belegte Brötchen und Muffins an der Theke zu holen oder etwas Warmes zu essen. Da ihr schon ordentlich der Magen knurrte, entschied sie sich für die letztere Alternative und schlenderte zur Speisekarte. Als sie mit dem Studium begonnen hatte, hatte man mit den Begriffen auf der Speisekarte noch etwas anfangen können. Heutzutage blickte man darauf und sah Gerichte wie Gremolata, Bulgur, Karotten-Mango-Konfit und Tofunese. Sie hatte nur eine grobe Vorstellung, was sich dahinter verbarg und war mit ihrem Hunger nicht sonderlich experimentierfreudig. Zum Glück war das letzte Gericht auf der Karte Seelachsfilet mit Salzkartoffeln und sie musste nicht zweimal überlegen, was sie heute essen wollte.

Die Essensausgabe in der Mensa ging glücklicherweise zügig voran. Es waren nur noch ein paar Leute vor ihr, dann war sie an der Reihe. Die Laune der Kantinenmitarbeiterinnen rangierte von sehr freundlich bis Wo-zur-Hölle-bin-ich-hier-nur-gelandet. Die Mitarbeiterin, die Natalie bediente, gehörte zum Glück zu der freundlichen Sorte.

„Zumindest weiß ich hier, was ich bekomme“, hörte sie jemanden sagen.

Natalie drehte sich um. Vor ihr stand ein junger Mann, mit kurzen, dunklen, zotteligen Haaren und lächelte sie an. Einige Krähenfüße waren um die Augen erkennbar, was ihn sympathisch machte. Er trug einen roten Rollkragenpullover, Jeans und weiße Sneaker.

„Bei den anderen Sachen hatte ich absolut keinen Plan, was das sein soll. Gremola-was, bitte?“, sagte er in einem freundlichen Ton.

„Ging mir exakt genauso …“, antworte sie. „Wenn hier bei der Ausgabe nicht dranstehen würde, was welches Gericht ist – ich hätte es nie im Leben zuordnen können.“

„Genau! Wo sind die klassischen Gerichte wie das gute alte Schnitzel mit Pommes oder Hähnchenbrustfilet mit Reis oder eine Portion Erbsensuppe?“

„Das frage ich mich auch.“

„Nächster bitte“, hörte sie von der anderen Seite. Sie drehte sich um und bemerkte, dass sie nun an der Reihe war.

„Na dann, guten Appetit.“

„Vielen Dank, das werde ich haben“, sagte Natalie lächelnd und ging weiter zur Kasse.

„Das macht dann bitte drei Euro und dreißig Cent. Haben Sie eine Karte?“

„Ja, einen Moment.“ Sie öffnete ihr Portemonnaie und suchte nach ihrer blauen Studentenkarte. Die Karte gab es extra, um in der Mensa zu zahlen. Einfach am Eingang aufladen und dann bei der Kasse auf das Gerät halten – fertig. Nur fand sie ihre Karte nicht. Krankenkassenkarte, Führerschein, Personalausweis, Kreditkarte, Debitkarte – alles nur nicht diese verflixte Mensa-Karte! „Ich hab’s gleich …“ Wie unangenehm! Bargeld hatte sie auch keins mit und mit anderen Karten konnte man nicht zahlen.

„Haben Sie sonst Bargeld?“, fragte die Frau an der Kasse höflich.

„Nein, leider nicht und ich finde meine Karte gerade nicht … tut mir leid.“

„Warten Sie, ich mache das schon. Aber dann rechnen Sie meine Portion auch gleich mit ab.“

Sie drehte sich um. Es war der junge Mann von eben. Er reichte der Kassiererin seine Karte. Natalies Blick fiel drauf. Sie war grün. Er war also Mitarbeiter und kein Student.

„Bitte sehr.“ Die Kassiererin reichte ihm seine Karte zurück. „Nächster bitte.“

Natalie und der junge Mann nahmen ihre Tabletts mit den Seelachsfilets und verließen die Kassenbereich.

„Vielen, vielen Dank. Das ist wirklich nett von Ihnen. Ich konnte meine Karte einfach nicht finden …“, stammelte sie und war sehr erleichtert, dass einerseits die Szene vorbei war und sie andererseits gleich endlich etwas essen konnte.

„Gar kein Problem, so etwas passiert. Ich bin froh, dass ich helfen konnte“, sagte er mit einem freundlichen Ton und schaute sich um. „Ich sehe meine Kollegen gerade nicht. Darf ich mich zu Ihnen setzen?“

„Sie haben mir mein Essen bezahlt, natürlich, bitte setzen Sie sich!“, antwortete sie lachend, dachte an seine grüne Mitarbeiterkarte und wechselte automatisch zum Siezen.

„Lassen Sie gut sein.“ Sie gingen beide zum nächsten, freien Tisch, stellten die Tabletts ab und setzen sich. „Bitte siezen sie mich nicht, sonst fühle ich mich alt. Duze mich ruhig.“

„Oh, okay. Arbeitest du hier?“ fragte sie unsicher.

„Ja, ich bin Dozent …“

Der Dozent

Подняться наверх