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1. Drei streiten um die Macht: Galba, Otho und Vitellius
ОглавлениеNeros Selbstmord
Im Juni des Jahres 68 n. Chr. beging Nero, der letzte Prinzeps des von Augustus begründeten julisch-claudischen Kaiserhauses, Selbstmord, und es kam zum offenen Kampf um den Kaiserthron.
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Prinzeps, lat. princeps
Der alte republikanische Titel princeps, wörtlich „erstes Haupt“ (primum caput), bezeichnete den einflussreichsten unter den führenden Adligen der Republik, der sich durch seine Verdienste für den Staat die größte Autorität (auctoritas) erworben hatte. Es gab zunächst immer mehrere principes civitatis, die sich durch Ansehen, Autorität und Würde von ihren Standesgenossen abhoben und deshalb das Recht hatten, als erste im Senat ihre Meinung zu verkünden. Dem Verständnis nach war ein princeps aber lediglich ein primus inter pares, also ein „Erster unter Gleichen“. Im Jahr 27 v. Chr. hatte Augustus den Titel princeps auf seine Person monopolisiert, um damit stigmatisierte Begriffe wie rex („König“) oder dictator zu umgehen. Auf diese Weise konnte er den Schein einer republikanischen Verfassung bewahren. Wichtig ist zudem, dass es sich bei der Bezeichnung princeps nicht um einen Amtsbegriff handelte. Mit dem Begriff principatus oder Prinzipat bezeichnen wir heute die Regierungsform der Zeit zwischen Augustus und Diokletian (27 v. Chr. – 286 n. Chr.), da alle Kaiser nach Augustus den princeps-Titel annahmen. Wesentliches Kennzeichen dieser „Vorherrschaft des einflussreichsten Mannes“ war, dass zwar faktisch gesehen alle Macht bei der Person des Kaisers lag, formalrechtlich gesehen aber die alte römische Republik mit allen ihren Institutionen weiter bestand. Wenn wir heute die römischen Herrscher des ersten bis dritten Jahrhunderts als Kaiser bezeichnen, dann ist damit immer ihr Status als princeps gemeint.
Insgesamt vier Thronprätendenten sollte das Jahr 68/69 n. Chr. kennenlernen und deshalb als Vierkaiserjahr in die römische Geschichte eingehen.
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Das Geheimnis der Herrschaft
(Tacitus, Historien I 4,2)
Neros Ende war zwar im ersten Freudensturm glückverheißend, aber es hatte auch gegensätzliche Emotionen nicht nur in der Stadt bei Senatoren und Volk oder der Garnison von Rom, sondern bei allen Legionen und Heereskommandanten; nachdem das Geheimnis des Regierens (imperii arcano) allgemein bekannt war, erkannte man, dass man zum Prinzeps auch anderswo als in Rom gemacht werden könne. (Übersetzung H. Vretska)
Galba
Der erste neue Kaiser war SERVIUS SULPICIUS GALBA. Der Senat hatte den Anspruch des bereits über 70 Jahre alten Mannes auf den Thron wahrscheinlich noch kurz vor dem Selbstmord Neros bestätigt. Wie war es dazu gekommen? Galba stammte aus einer alten patrizischen Familie, gehörte also der senatorischen Elite Roms an. Unter Nero war er Statthalter der Hispania Tarraconensis, der gesamten nördlichen und östlichen iberischen Halbinsel. Als der prätorische Statthalter von Gallia Lugdunensis Iulius Vindex von Nero abfiel, schlug sich Galba nach einigem Zögern auf die Seite des Aufständischen. Vindex wiederum trug Galba die Führung der anti-neronischen Bewegung an, die dieser im April 68 n. Chr. übernahm. Seine Provinz und die dortigen Legionen akklamierten Galba daraufhin in Carthago Nova/Cartagena zum Kaiser.
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Patrizier
Als patricii, also als „zu den Vätern (patres) Gehörende“, bezeichneten sich die Nachkommen der ältesten römischen Familien. Sie bildeten in der frühen römischen Republik die vom Volk, der plebs, getrennte Aristokratie, die den Senat stellte. Als Folge der sogenannten Ständekämpfe ließen die Patrizier aber auch reiche Plebejer in den Senat eintreten, so dass der Adel seitdem als patrizischplebeische Nobilität/nobilitas auftrat.
Die Legitimation Galbas
Damit jedoch seine senatorischen Standesgenossen in Rom ihr Gesicht wahren konnten, nannte sich Galba zunächst lediglich „Statthalter des Senats und des Römischen Volkes“ (legatus senatus ac populi Romani). Auf diese Weise wahrte er das Ideal einer republikanischen Staatsordnung, derzufolge das Prinzipat nur in einem offiziellen Akt durch den Senat und das römische Volk vergeben werden konnte. Daran ist zu erkennen, dass Galba sich ganz bewusst in die Nachfolge des Augustus stellte, der alle seine Vollmachten offiziell vom Senat und dem römischen Volk erhalten hatte. Erst nach der Bestätigung durch den Senat, wohl am 8. Juni 69 n. Chr., ließ sich der neue Herrscher dann SERVIUS GALBA IMPERATOR CAESAR AUGUSTUS nennen. Er war auf diese Weise nicht nur seiner Herkunft, sondern auch seiner Legitimation nach ganz eindeutig ein Kaiser des Senates.
Die Usurpation des Vitellius
Da der sich bereits im fortgeschrittenen Alter befindliche neue Kaiser jedoch zögerte, einen Nachfolger zu bestimmen, riefen die Legionen in Niedergermanien am 2. Januar 69 n. Chr. AULUS VITELLIUS zum Kaiser aus. Galbas Fehler war es gewesen, dass er die im Norden stationierten Legionen nicht durch ihnen erwiesene Geldgeschenke, sogenannte Donative, für sich gewonnen hatte. Als Begründung hierfür gab er an, er sei es gewohnt, Soldaten auszuheben und nicht zu kaufen (Sueton, Galba XVI 1). Umso mehr verärgerte das die Soldaten, weil der Kaiser an die stadtrömische Bevölkerung durchaus ein solches Geschenk hatte verteilen lassen. Es ging sogar das Gerücht, Galba wolle die Truppenstärke in Germanien reduzieren (Tacitus, Historien I 51,5). Aufgrund der Erhebung des Vitellius zum Gegenkaiser sah sich Galba zum Handeln gezwungen und adoptierte deshalb am 10. Januar den römischen Aristokraten Lucius Calpurnius Piso Frugi Licinianus. Aufschlussreich für das römische Verständnis vom Prinzipat ist die bei Tacitus überlieferte, oder richtiger die von dem Schriftsteller formulierte Adoptionsrede Galbas.
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Die Adoptionsrede Galbas
(Tacitus, Historien I 16,1–2)
Wenn der unermessliche Reichsorganismus bestehen und sich im Gleichgewicht halten könnte ohne Regenten, wäre ich der Würdigste, mit dem die Republik (wieder) beginnen könnte. … Unter Tiberius, Gaius (= Caligula) und Claudius waren wir gewissermaßen einer einzigen Familie Erbgut: Als Ersatz für die Freiheit (libertas) wird es gelten, dass mit uns die Wahl eingesetzt hat; und nach dem Aussterben des Hauses der Julier und Claudier wird die Adoption jeweils den Besten (optimus) herausfinden. Denn es ist Zufall, Abstammung und Geburt den principes zu verdanken, und es wird auch nicht anders bewertet. Bei der Adoption ist das Urteil ungetrübt, und wenn man jemanden erwählen will, liegt der Beweis in der allgemeinen Zustimmung (consensus). (Übersetzung H. Vretska)
Die „wiederhergestellte Römische Republik“ oder Monarchie
Wenn Galba sagt, dass er am liebsten die Republik wieder beginnen lassen möchte, dann gibt er seinen Zuhörern zu verstehen, dass sie sich nicht in einer Republik, sondern in einer autokratischen Staatsform befänden. Damit verstößt er gegen einen Kodex, an den sich alle seine Vorgänger gehalten haben: Das römische Prinzipat war dem offiziellen Selbstverständnis nach eine Republik, das heißt eine Herrschaft von römischem Senat und Volk. Augustus war es nämlich, der diese Republik nach eigener Auskunft wieder hergestellt hatte (res publica restituta). In Wirklichkeit handelte es sich freilich, und das wussten auch alle Zeitgenossen, seit dieser Zeit um eine Monarchie dynastischen Charakters, da alle bisherigen Nachfolger des Augustus der julisch-claudischen Familie angehörten.
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Julisch-claudisches Kaiserhaus
Es handelt sich um die Kaiser Augustus (27 v. Chr.–14 n. Chr.), Tiberius (14–37 n. Chr.), Gaius Caligula (37–41 n. Chr.), Claudius (41–54 n. Chr.) und Nero (54–68 n. Chr.). Als Adoptivsohn des Gaius Iulius Caesar hatte Octavian-Augustus den Gentilnamen Iulius angenommen, den er an alle Nachfolger aus seiner Familie weitergab. Die Ergänzung der Dynastiebezeichnung durch den Gentilnamen der Claudier ist auf den zweiten Kaiser Tiberius zurückzuführen, der von Augustus adoptiert worden, aber der leibliche Sohn des Tiberius Claudius Nero war. Die nachfolgenden drei Kaiser enstammten alle diesem familiären Umfeld.
Die Wahl des Besten
Es ist unwahrscheinlich, dass Galba in einer offiziellen Rede das augusteische Ideal derart negiert hätte – die Rede dürfte eher eine schriftstellerische Fiktion des Tacitus sein, der sie dem Kaiser in den Mund gelegt hat, um uns seine eigene Sicht über den Prinzipat zu vermitteln. So schrieb er etwa in seinen Annalen (IV 33), dass „das römische Gemeinwesen (res Romana) nichts anderes darstellt, als dass einer herrscht“. In der Galba in den Mund gelegten Rede weist Tacitus aber auch auf die Lösung hin, die vielen Senatoren vorschwebte, um zumindest einen Ausgleich für die verlorene Freiheit zu erhalten: Der Beste (optimus) musste gewählt werden. Die Erbfolge hatte in der julisch-claudischen Zeit dazu geführt, dass sie mit dem Tyrannen Nero auf dem Cäsarenthron endete. Nicht die Eignung, sondern der Zufall der Geburt hatte nämlich den Kaiser gemacht. In der Adoption hingegen sieht Tacitus, und da spricht er wahrscheinlich für große Teile der senatorischen Elite, die Lösung, die zur Wahl eines optimalen Lenkers des Reiches führt, ohne den „der Reichsorganismus nicht im Gleichgewicht gehalten werden kann“. Auf diese Weise können im Sinne des Tacitus senatorische Freiheit und Prinzipat ausgesöhnt werden (Agricola III 1: libertas ac principatus), denn so ist seiner Ansicht nach der consensus, die Zustimmung aller, gewährleistet.
Der von Galba adoptierte Mitsenator Piso sorgte jedoch für alles andere als für den beschworenen consensus. Der designierte Thronfolger war zwar nach Ansicht seiner Standesgenossen der Beste (optimus), seine Designation stellte aber einen politischen Missgriff sondergleichen dar. Piso besaß aufgrund eines langen Exils in der Zeit des Nero keinerlei Verbindungen zum Militär und keine tragfähigen innenpolitischen Beziehungen. Das führte dazu, dass jetzt auch Rom unruhig wurde. Insbesondere der Prätorianergarde in der Stadt gefiel die neue Wahl nicht, weil Galba eine Prämie für ihre Zustimmung zu Piso verweigert hatte.
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Prätorianer(garde), cohors praetoria
Eine militärische Eliteeinheit, die in einem Lager (castra praetoria) in Rom, auf dem Hügel Viminal, stationiert war. Die Prätorianer unterstanden einem Präfekten (praefectus praetorio). Sie dienten als Eskorte des Kaisers, sorgten für seinen Schutz und übernahmen polizeiliche Aufgaben in der Stadt. Da es ansonsten keine Soldaten in Rom geben durfte, hatten die Prätorianer vor allem in Krisenzeiten großen Einfluss auf die politischen Geschicke des Reiches.
Otho
An die Spitze der römischen Opposition gegen Galba setzte sich der Senator Marcus Salvius Otho, der sich um den Thron betrogen fühlte. Er hatte Galba nach dessen Erhebung voll und ganz unterstützt, insbesondere weil er hoffte, von ihm adoptiert zu werden. Zum Militär besaß er aufgrund seiner Spendierfreudigkeit bereits beste Beziehungen, und so akklamierten ihn die Prätorianer fünf Tage nach der Adoption des Piso zum Kaiser mit dem Namen IMPERATOR MARCUS OTHO CAESAR AUGUSTUS.
Der Tod Galbas
Der gleiche Tag brachte auf dem Forum den Tod des Galba von Soldatenhand. Bis zu seinem Ende erwies sich Galba als überzeugter Römer, denn seine letzten Worte an den Mörder lauteten: „Tut es nur, wenn das zum Heile des römischen Volkes ist!“ (Plutarch, Galba XXVII).
Othos Bemühen um einen Ausgleich
Während Vitellius also im Norden mit der Hilfe der germanischen Legionen die Position des Kaisers für sich beanspruchte, hatte in Rom ein Kaiserwechsel stattgefunden. Otho setzte als neuer legitimer Prinzeps in den wenigen Monaten seiner Herrschaft alles auf einen Ausgleich zwischen den militärischen und politischen Kräften des Reiches. Er rehabilitierte die Anhänger Neros und versuchte, Vitellius für ein Doppelkaisertum zu gewinnen; ein Angebot, das Vitellius ausschlug. Der Usurpator zog vielmehr mit den Armeen Germaniens in Richtung Rom, um seinen Anspruch auf den Kaiserthron durchzusetzen.
Erste Schlacht bei Bedriacum
Am 14. April schlugen seine Legionen ein unter der Führung Othos stehendes Heer bei Bedriacum in Oberitalien, und Otho beging Selbstmord. Sueton überliefert uns die Vermutung, dass der Kaiser den Freitod wählte, um den Staat und die Menschen vor der Gefahr des weiteren Krieges zu bewahren (Sueton, Otho IX 3; vgl. Plutarch, Otho 15). Im Juni zog der Sieger Vitellius in Rom ein und wurde von Senat und Volk als neuer Kaiser anerkannt.
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Tacitus über Vitellius vor dessen Einzug in Rom
(Tacitus, Historien II 71)
Je mehr sich Vitellius (Rom) näherte, desto zuchtloser ging es auf dem Marsch zu. Dazugesellt hatten sich Schauspieler, Scharen von Verschnittenen und was sonst noch dem Hof Neros sein Gepräge gegeben hatte; gerade den Nero nämlich verehrte Vitellius in Bewunderung: Er hatte ihn gewöhnlich, wenn er sang, begleitet, nicht aus Zwang, wie viele der ehrenwertesten Männer, sondern dem Wohlleben und der Völlerei hingegeben und verfallen. (Übersetzung H. Vretska)
Glaubt man der Schilderung des Tacitus, so schien dem Reich mit Vitellius die Herrschaft eines zweiten Neros zu drohen. In dieser Situation betrat dann aber der römische General Vespasian als von den Legionen des Ostens getragener Usurpator die Bühne. Ebenso wie die Legionen in Germanien, verstanden sich die des Ostens als Schützer der Reichsgrenze und machten sich nun Sorgen: „Es dürften nicht den anderen die Vorteile der Herrschaft, ihnen selbst der Zwang der Knechtschaft bleiben“ (Tacitus, Historien II 6,2). Die Ost-Legionen befürchteten also letztlich, vom Heer in Germanien übervorteilt zu werden. Denn die Truppen, die den Kaiser stellten, durften sich auch sicher sein, in den Genuss großer Zuwendungen zu kommen.