Читать книгу Die Zeit der Flavier - Stefan Pfeiffer - Страница 11
2. Der Vierte im Streit: Vespasian
ОглавлениеTITUS FLAVIUS VESPASIANUS konnte, anders als Galba, Otho und Vitellius, auf keine senatorische Familientradition verweisen, ja die aus dem sabinischen Reate (Rieti) stammende Familie ließ sich lediglich auf zwei Generationen zurückverfolgen. Der Großvater Vespasians war Centurio im Heer des Caesargegners Pompeius gewesen, der Vater, Flavius Sabinus, Zollbeamter bei den Helvetiern. Der ältere Bruder Vespasians und der zukünftige Kaiser selbst waren die ersten in der Familie, die es schafften, die Toga mit dem breiten roten Streifen (latus clavus) anzulegen – dem Standeskennzeichen eines römischen Senators. Der am 17. November 9 n. Chr., also im Jahr der Varusschlacht in Reate geborene Vespasian hatte die typische Karriere eines zukünftigen römischen Senators durchlaufen, in der er militärische Tätigkeiten ebenso wie Magistraturen (Ädil: 38 n. Chr.; Prätor: 39 n. Chr.) in der Stadt ausübte. Kaiser Claudius zeichnete Vespasian für seine Leistungen als Kommandant der legio II Augusta während der Eroberung Britanniens mit den Triumphalinsignien (ornamenta triumphalia) aus. Das war an Ehre gleichbedeutend mit einem Triumphzug in Rom, der in dieser Zeit nur noch dem Kaiser als oberstem Feldherrn zustand. Im Jahr 63 n. Chr. war Vespasian Prokonsul der Provinz Africa und seit 66 n. Chr. führte er als General den Krieg gegen das aufständische Judäa.
Q
Der politisch unbelastete Kaiser
(Sueton, Vespasian 4,1)
Auf der Griechenlandreise Neros befand Vespasian sich unter dessen Begleitern; als er sich, während dieser sang, entweder zu oft entfernte oder, wenn er anwesend war, schnell einschlief, wurde ihm dies sehr übel genommen, und er wurde nicht nur aus dem Gefolge des Kaisers ausgeschlossen, sondern auch von den öffentlichen Empfängen; so zog er sich in eine kleine, abgelegene Stadt zurück, bis ihm, der sich verborgen hielt und immer noch das Schlimmste befürchtete, eine Provinz mit militärischem Kommando angeboten wurde.
(Übersetzung nach H. Martinet)
Sueton präsentiert Vespasian bereits vor seiner Thronbesteigung als einen grundständigen und ehrlichen Mann, der es, anders als die meisten seiner Zeitgenossen, trotz der damit einhergehenden Gefahr für Leib und Leben, nicht für nötig hielt, Nero geheuchelte Bewunderung zu erweisen. Statt jedoch in die direkte Opposition zum angeblich größenwahnsinnigen Nero zu gehen, schlief Vespasian einfach ein und übte damit eine Art passive Verweigerung. Sueton kontrastiert Vespasian so nicht nur zu seinem Konkurrenten, dem „zweiten Nero“ Vitellius, sondern auch zu den ehrwürdigsten Männern Roms. Auf diese Weise war Vespasian für die Zukunft, obgleich einer der wichtigsten Feldherren Neros, politisch unbelastet und kaisertauglich.
Die militärische Leistungsfähigkeit Vespasians
Konnte Vespasian nicht auf eine lange senatorische Familientradition, auf die sogenannten Bilder der Ahnen, verweisen, die seinen Anspruch auf den Kaiserthron für die adlige Führungsschicht des Reiches zumindest akzeptabel gemacht hätte, so besaß er doch einen ausschlaggebenden Vorteil, der ihm die Herrschaft brachte: seine militärische Leistungsfähigkeit. Diese hatte dazu geführt, dass Vespasian, obwohl er bei Nero in Ungnade gefallen war, im Jahr 66 n. Chr. mit der Niederschlagung des jüdischen Aufstandes betraut wurde. Die Qualifikation des Vespasian erkannte auch der Statthalter Syriens, Gaius Licinius Mucianus, der als erster Vespasian vor versammelter Menge zum Ergreifen der Herrschaft um der Republik willen aufrief (Tacitus, Historien II 76–78). Entscheidend war daraufhin das Handeln des Präfekten Ägyptens, Tiberius Iulius Alexander. Er hatte bereits Nero und Galba treue Dienste erwiesen und übernahm diesmal eine weltpolitische Funktion, indem er am 1. Juli 69 n. Chr. „als erster seine Legionen auf den Namen Vespasian schwören ließ“ (Sueton, Vespasian VI 3). Diesem Vorbild folgten am 3. oder 11. Juli die Truppen des Vespasian in Judäa. Der neue Kaiser erklärte später den 1. Juli zum Tag seines Herrschaftsantritts, zum dies imperii, und hatte damit den gleichen ‚Thronbesteigungstermin‘ wie Augustus.
Vespasian in Alexandria
Nachdem der ehemalige Feldherr Neros dann einige Monate später, im Herbst des Jahres 69 n. Chr., in Alexandria eintraf, „um sich der ägyptischen Schlüsselstellung zu bemächtigen“ (Sueton, Vespasian VII 1), also um die Kornversorgung Roms zu kontrollieren (Josephus, Jüdischer Krieg IV 605), empfing ihn die alexandrinische Bevölkerung mit Begeisterung. Sie pries den neuen Kaiser, wie zuvor die ptolemäischen Könige des Landes und dann besonders Augustus, als Heiland und Wohltäter. Die Zustimmung der ägyptischen Untertanen half Vespasian aber nicht, seinen Anspruch auf den Kaiserthron zu legitimieren, der zu dieser Zeit allein auf der faktischen Macht der ihm ergebenen Legionen ruhte. „Noch fehlte Vespasian das nötige Ansehen (auctoritas) und gleichsam die Hoheit (maiestas)“, wie es Sueton (Vespasian VII 2) schrieb. Viele Wunder bestätigten daraufhin aber die Wirkmächtigkeit des neuen Kaisers und damit seine Befähigung zur Herrschaft, da „durch die Wunder des Himmels Gunst und eine gewisse Neigung der Götter für Vespasian sich kundtat“ (Tacitus, Historien IV 81). Das wichtigste Wunder war die Heilung eines Blinden und eines Lahmen, die bei Tacitus, Sueton und Cassius Dio überliefert ist. Die drei Autoren weichen zwar in Details voneinander ab, bieten grundsätzlich aber die gleiche Geschichte.
Der Heilgott Sarapis hatte einem Blinden und einem Lahmen offenbart, dass sie von dem neuen Kaiser Heilung erfahren würden. Entweder wird die Sendung durch Sarapis direkt erwähnt, oder ein Traumgesicht, das wohl der Gottheit zuzuschreiben ist, ließ die Kranken zu Vespasian kommen. Nach skeptischem Zögern vollbrachte Vespasian das Wunder und erwies damit seine Befähigung als Kaiser.
E
Sarapis (lat.: Serapis)
Eine im ausgehenden 4. Jahrhundert v. Chr. von dem ersten griechisch-makedonischen König Ptolemaios geschaffene griechisch-ägyptische Mischgottheit. Der Name Sarapis leitet sich von Osiris-Apis ab, dem ägyptischen Gott des Königtums, der Fruchtbarkeit und der Unterwelt. Von den griechischen Göttern Zeus und Hades nahm Sarapis sein väterliches Aussehen (gelockter Bart, langes gelocktes Haupthaar) an, von Dionysos seine Zuständigkeit für die Fruchtbarkeit, die ein Korb mit Kornähren auf dem Kopf symbolisierte (kalathos). Kultgenossin des Sarapis war die ägyptische Göttin Isis. Schnell verbreitete sich beider Kult im gesamten Mittelmeerraum und in römischer Zeit bis an die Nordgrenzen des Reiches. In Ägypten wurde Sarapis zudem besonders als Heil- und Orakelgottheit verehrt.
Vespasian als „Werkzeug“ des Sarapis
Da die Geschichte in unterschiedlichen Ausgestaltungen von drei antiken Quellen überliefert ist, liegt ihr wahrscheinlich ein wahrer Kern zugrunde. Das bedeutet freilich nicht, dass der Kaiser wirklich ein Wunder vollbrachte, sondern dass es sich um eine geschickte herrschaftliche oder ägyptisch-priesterliche Inszenierung handelte, an deren Verbreitung Vespasian allem Anschein nach sehr gelegen war. Die Forschung streitet sich aber darüber, ob sich Vespasian durch den Vollzug des Wunders als Gottheit auswies oder ob er „nur“ im Auftrag des gräko-ägyptischen Gottes handelte. Nicht berücksichtigt ist in dieser Diskussion, dass man zwischen den Berichten der drei römischen, senatorisch eingestellten Autoren auf der einen und der Wahrnehmung des Geschehens durch das alexandrinische Volk auf der anderen Seite zu unterscheiden hat. So nämlich, wie Tacitus, Sueton und Cassius Dio von dem Mirakel berichten, ist die Interpretation, dass Vespasian als Gottheit handelt, nicht zulässig. Eindeutig bestätigt hier vielmehr die Gottheit Sarapis Vespasian als Heilsherrscher, der als Werkzeug des Gottes auftritt. Das entsprach auch der zeitgenössischen stoischen Philosophie der römischen Elite, der zufolge der Kaiser, wie es sich etwa bei Seneca (De Clementia I 1,2) formuliert findet, „Stellvertreter der Götter“ auf Erden ist.
Auf einem anderen Blatt steht dann aber selbstverständlich, wie die Alexandriner das Wunder wahrnahmen. Dass nämlich das Vollbringen von wundersamen Heilungen für das sogenannte einfache Volk im hellenistischen Osten durchaus Kennzeichen einer Gottheit sein konnte, belegt uns eine Episode aus der Apostelgeschichte. Paulus heilte in Begleitung des Barnabas einen Gelähmten, und die Menge rief daraufhin: „Die Götter sind in Menschengestalt zu uns herabgestiegen.“ (Apostelgeschichte 14,11). Gleiches könnte man vielleicht in Alexandria von Vespasian gedacht haben.
Bei Tacitus folgt dem Heilungswunder ein zweites, auch von Sueton überliefertes miraculum, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit allein für Vespasian geschah. Als der Usurpator sich in den Sarapistempel zurückgezogen hatte, erschien ihm im Tempel sein Freigelassener Basilides, der sich zum gleichen Zeitpunkt eigentlich weit von Alexandria entfernt aufhielt und zudem krank war. Sueton lässt das Wunder unkommentiert, doch wie es zu deuten ist, erfahren wir von Tacitus. Er erklärt die „göttliche Erscheinung“ des Basilides als Herrschaftsbestätigung, denn Vespasian „schloss aus dem Namen Basilides auf die Bedeutung eines Götterspruchs“ (Tacitus, Historien IV 82), da sich der Name Basilides auf das griechische Wort für König – basileus – zurückführt.