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3. Rom und das Reich zwischen Vitellius und Vespasian

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Zweite Schlacht von Bedriacum

Statt als Befehlshaber und Usurpator nach Italien aufzubrechen und sich dort des Kaiserthrons zu bemächtigen, wartete Vespasian im Osten ab, wie sich die Situation im Reich nach seiner Proklamation entwickeln würde. Im Auftrag Vespasians brach zunächst Mucianus, der Statthalter Syriens, mit seinen Legionen nach Italien auf, um Vitellius zu vernichten. Noch bevor Mucianus hier eintraf, waren jedoch Antonius Primus, der Kommandeur der sechsten Legion in Pannonien an der Donau, gemeinsam mit dem illyrischen Statthalter Cornelius Fuscus, die sich beide ebenfalls auf die Seite Vespasians geschlagen hatten, mit nur fünf Legionen in Italien einmarschiert. Hiermit handelten sie gegen den Willen des Vespasian, denn in Italien erwarteten sie die zahlenmäßig weit überlegenen Truppen des Vitellius. Am 24. Oktober 69 n. Chr. kam es zum zweiten Mal innerhalb von wenigen Monaten in der Nähe von Bedriacum zur Entscheidungsschlacht, bei der die Flavianer, die partes Flaviani, den Sieg davontragen konnten. Noch war Rom nicht erobert, doch nachdem ein von Vitellius den Flavianern entgegengesandtes Heer kampflos zu Vespasian überlief, suchte der legitime Kaiser Vitellius nach einem staatsrechtlich interessanten Ausweg aus seiner Notlage, der uns viel über das zeitgenössische Verständnis vom römischen Prinzipat zeigt.

Q

Der Abdankungsversuch des Vitellius

(Tacitus, Historien III 68,2–3)

In der von ihm selbst einberufenen Volksversammlung, mitten unter seinen Soldaten, sogar vor den Augen der Frauen, sprach er wenige, der traurigen Gegenwart entsprechende Worte – er trete ab um des Friedens und des Staates willen (pacis et rei publicae causa), bewahren sollten sie nur die Erinnerung an ihn …; schließlich, als Tränen seine Stimme erstickten, wollte er den vom Gürtel gelösten Dolch dem daneben stehenden Konsul … gleichsam als Symbol des Rechtes über Leben und Tod der Bürger übergeben. Als der Konsul das ablehnte und alle Versammlungsteilnehmer laut Einspruch erhoben, ging er weg, als wollte er im Tempel der Concordia die Zeichen der Herrschaft (insignia imperii) ablegen und das Haus seines Bruders aufsuchen. Da schwoll das Geschrei der Leute an, die ihn am Betreten eines Privathauses hinderten und ihm zuriefen: „Zurück in den Palast!“ Versperrt war ein anderer Weg, nur der eine, auf dem er zur Via Sacra gelangen konnte, stand offen; da kehrte er ratlos, wie er war, in den Palast zurück.

(Übersetzung H. Vretska)

Bei Sueton (Vitellius XV 2–4) ist die gleiche Geschichte mit leicht variierendem Verlauf ebenfalls überliefert, und es besteht kein Zweifel an ihrer Historizität. Von Sueton erfahren wir ergänzend zu Tacitus, dass sich Vitellius vor seinem geschickt inszenierten Abdankungsversuch von Vespasians Bruder Flavius Sabinus leibliche Unversehrtheit und eine angemessene Abfindung hatte zusichern lassen.

Von besonderer Bedeutung ist die Begründung, mit der Vitellius abtreten wollte: des Friedens und der Republik wegen. In diesen Worten zeigt sich zum einen, dass alle Kaiser des Vierkaiserjahres ihr Handeln, glaubt man den antiken Schriftstellern, mit dem Wohl Roms begründeten und, wie Galba und Otho, für das Wohl Roms bereit waren zu sterben. Die Begründung des Vitellius lässt zudem erkennen, dass man auch noch in dieser Zeit die Fiktion der von Augustus wiederhergestellten Republik aufrecht erhielt – die Herrschaft lag de iure bei Senat und römischem Volk (senatus populusque Romanus), die diese dann an den geeigneten „Ersten“, eben den Prinzeps, verliehen.

Für die Zeitgenossen unerhört war der Abdankungsversuch vor allem, weil Vitellius als ein rechtmäßig von Senat und Volk bestimmter Kaiser bereit war, das damit verbundene Privileg der Herrschaft aufzugeben. Wichtig ist aber, dass Vitellius sein Zeichen der Herrschaft nicht an einen Anhänger der Flavier übergeben wollte, sondern dem amtierenden Konsul, also dem republikanischen Staatsoberhaupt – Senat und Volk oblag damit die Entscheidung über den legitimen Herrscher. Bei Sueton ist der Versuch der Übergabe des Dolches sogar noch dramatischer geschildert, denn Vitellius hielt, nach der Ablehnung der Annahme durch die Konsuln, den Dolch danach noch den übrigen amtierenden Magistraten, und als diese ablehnten, jedem Senator einzeln hin.

Der Dolch als Insignium der Herrschaft

Es ist weiterhin bemerkenswert, dass der Prinzeps den Dolch als wichtigstes Zeichen seiner kaiserlichen Position auffasste, weil, wie es heißt, dieser das Symbol der Strafgewalt war. Damit wich Vitellius von der augusteischen Tradition ab. Als Augustus nämlich einmal sterbenskrank war, überreichte er seinen Siegelring als Zeichen der Herrschaft an Agrippa. Das mit dem Bild des ersten Prinzeps versehene Siegel war auch bei den späteren Kaisern noch in Gebrauch (Sueton, Augustus L). Insbesondere beim Ableben des Tiberius spielte die Übergabe dieses Siegelringes eine wichtige Rolle (Sueton, Tiberius LXXIII 2) und zeigt damit, dass am Besitz des Ringes die faktische Herrschergewalt hing. Von dem Akt der Übergabe seines Siegels hat Vitellius jedoch abgesehen, weil sie vom staatsrechtlichen Gesichtspunkt her nicht so wirkungsvoll gewesen wäre wie die des Dolches. Letzterer war nämlich das politische Symbol der durch Senat und Volk verliehenen umfassenden Gewalt des Prinzeps. Eine Rückgabe des Siegels an den Senat wäre zudem überhaupt nicht möglich gewesen, weil dieser den Ring nie an den Prinzeps verliehen hatte.

Die Eintracht und der consensus universorum

Im Bericht des Sueton ist zudem die Rede davon, dass Soldaten und Volk den Kaiser bestürmten, nicht zurückzutreten, und ihm ihre volle Unterstützung zusicherten. Um dem Ganzen einen dramatischeren Zug zu verleihen, versuchte der Kaiser, nachdem der Senat die Annahme des Dolches verweigert hatte, das Insignium seiner Herrschaft im Tempel der Concordia, also der personifizierten Gottheit Eintracht, niederzulegen. Ziel des Kaisers war es natürlich, genau diese Eintracht in Volk und Senat von Rom zu seinen Gunsten wiederherzustellen. Die wenig verlässliche Treue seiner römischen Untertanen hatte Vitellius schließlich dadurch erfahren können, dass viele seiner Truppen zum Usurpator übergelaufen waren. Nichts war also nötiger als ein großer symbolischer Akt des Treuebeweises für den legitimen Herrscher, und zwar nicht nur von Seiten des Senats, sondern auch von den Soldaten und vom römischen Volk. Nachdem der Kaiser sich derart der vollen Unterstützung seiner verbliebenen Anhänger versichert hatte, war das eigentlich intendierte Ziel der vorgeblichen Abdankung erreicht: Vitellius hatte die Vertrauensfrage gestellt. und danach war der dringend notwendige consensus universorum, die „Übereinstimmung aller“, wiederhergestellt. Der Kaiser wollte sicherlich niemals wirklich die Macht abgeben, sondern er wollte die brüchig gewordenen Reihen seiner Anhänger für den entscheidenden Kampf um den Thron fest zusammenschließen. Sueton berichtet, Vitellius hätte sich nach der öffentlichen Loyalitätserklärung sogar selbst den Beinamen Concordia zulegen wollen.

Der Brand des Kapitols

Die Flavianer scheinen überhaupt nicht damit gerechnet zu haben, dass Vitellius die Abdankung nur inszeniert hatte, um den Zusammenhalt seiner Anhänger zu stärken. Der besiegt geglaubte Gegner griff sie plötzlich, am 19. Dezember 69 n. Chr., an, während die flavischen Truppen sich bereits im Anmarsch auf die Stadt befanden. Die Anhänger Vespasians konnten sich nur noch auf das Kapitol zurückziehen, wo die Gefolgsleute des Vitellius sie belagerten. Diese schreckten nicht einmal vor dem Sakrileg zurück, das Kapitol mitsamt dem wichtigsten Tempel des Reiches, demjenigen der Kapitolinischen Trias, bestehend aus Iuppiter Optimus Maximus, Iuno und Minerva, in Brand zu stecken. Währenddessen „saß Vitellius zu Tisch und schaute dem Kampf und dem Feuer vom Palast des Tiberius aus zu“ (Sueton, Vitellius XV 3). Noch einmal, kurz vor seinem Tod, zeichnet uns Sueton den Vitellius damit als einen zweiten Nero (s.o.), denn auch dieser hatte den „Brand (Roms) aus der Ferne angeschaut, vom Palast des Maecenas aus; nach seinen eigenen Worten machte ihn die Schönheit des Brandes glücklich“ (Sueton, Nero XXXVIII 3).

Flavius Sabinus, der Bruder des Vespasian, verlor in den Kämpfen das Leben, doch konnte sich Domitian, der Sohn des Usurpators, verkleidet vom brennenden Kapitol retten. Am folgenden Tag marschierten die flavischen Truppen unter Antonius in Rom ein und machten die wenigen, dem Vitellius verbliebenen Anhänger in Straßenkämpfen nieder.

Der Charakter des Vierkaiserjahres

Versuchen wir kurz, die Charakteristika des Vierkaiserjahres zusammenzufassen: Die von Augustus begründete Herrschaftsform des Prinzipats war eine Erbmonarchie. Als der letzte Vertreter dieser Dynastie verstorben war, offenbarte sich zum ersten Mal mehr als deutlich, dass die eigentliche Macht eines Herrschers auf dem Militär und dessen Unterstützung ruhte. Zunächst waren es Galba, Otho und Vitellius, die den Purpur des Kaisers anstrebten, und hinter allen dreien stand das Militär. Der Senat hingegen, das einstmals wichtigste Gremium Roms, spielte keine politische Rolle mehr und bestätigte ohne den geringsten Widerstand die jeweilige Kür der Legionen oder der Prätorianergarde. Am Ende konnte derjenige General den Sieg davontragen, der es geschafft hatte, die meisten Legionen auf seine Seite zu ziehen.

Die Zeit der Flavier

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