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Maik und die Drogen

Daniel lag seit einiger Zeit wach und regungslos in seinem Bett. Er schaute an die Decke und dachte einfach nach. Seine Gedanken schweiften in einem immer noch matten und ausgelaugten Kopf umher. Er dachte an Maya und an seine Mutter. Er dachte über sein neues Leben nach und er dachte an den Roman, den er schreiben würde. Der Roman – deswegen hatte er all dies die letzten Tage auf sich genommen. Er musste stark bleiben und sich beherrschen. Das alles schoss ihm durch den Kopf, während er still die Decke anstarrte und seine Seele sich ausgelaugt anfühlte.

Er wusste, dass die Drogenerlebnisse hart und schockierend genug gewesen waren, um die schwere Jugend von Maik, seinem Helden, beschreiben zu können. Momentan war er aber selbst seelisch am Boden und brauchte dringend einen Tapetenwechsel.

Apropos Tapete. Daniel notierte sich, dass er in nicht allzu ferner Zeit das Wohnzimmer mit Raufaser tapezieren sollte.

Heute wollte er einfach nur raus aus der Bude an die frische Luft, sich den Wind um die Ohren wehen lassen und den Kopf freibekommen. Daniel fasste den Plan, nach Sankt Peter-Ording zu fahren. Welcher Ort wäre besser geeignet als Sankt Peter-Ording? Der Wind an dem gut zwölf Kilometer langen und zwei Kilometer breiten Nordseestrand würde ihn kräftig durchpusten. Daniel machte sich ein Sandwich, das er in Alufolie einpackte. Er schnappte sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank, ging aus dem Haus und stieg in sein Auto, um an die Nordsee zu fahren.

In Sankt Peter-Ording war Ebbe, als er nach gut zweistündiger Fahrt ankam. Daniel stieg aus und klappte seinen Kragen hoch. Der Tag war erstaunlich freundlich. Nur wenige Schäfchenwolken trieben über den endlos langen Himmel. Daniel packte eine Decke und den Laptop in den Rucksack, in dem bereits das Sandwich und die Wasserflasche waren, und lief auf den Strand zu. Er spazierte lange über den Strand, wobei er die frische Brise genoss. Es ging auf den Winter zu, aber das Wetter machte heute eine Ausnahme, und mit seiner dick gefütterten Jacke fühlte er sich angenehm warm. Er zog die Schuhe aus und spürte den Sand unter seinen Füßen. Eine beruhigende Rückmeldung der Natur nach diesem wilden Trip, den er gestern erlebt hatte. Er war wieder im Hier und Jetzt und bei Verstand. Daniel setzte sich auf die mitgebrachte Decke und aß das Sandwich, während er den Himmel betrachtete. Es fühlte sich gut an, seine Kräfte kehrten zurück. Das Sandwich war schnell verspeist und er spülte es mit einem Schluck aus der Flasche herunter. So schön es hier auch war, er würde den Laptop nicht herausholen und anfangen zu schreiben. Der Wind wehte den Sand in seine Richtung und so verzichtete er darauf, den Computer aufzuklappen. Aber er hatte immer noch Hunger und so war die Lösung recht einfach. Das Strandcafé Silbermöwe, der Pfahlbau, war nicht weit entfernt. Dort würde er einen Teller Bratheringe bestellen und ein Bier. Der Wind hatte ihm Appetit gemacht. Daniel lief los und erreichte die Silbermöwe nach einer Viertelstunde. Ein Tisch war frei, Daniel setze sich hin und holte den Laptop heraus. Die Bedienung kam nach einigen Minuten und nahm seine Bestellung auf: Bratheringe, sauer eingelegt, mit Kartoffelsalat. Die Bedienung trabte davon. Der Rechner war kaum hochgefahren, da stand sein Bier bereits auf dem Tisch.

»Das Essen dauert ein wenig«, sagte die Bedienung.

»Was kann da denn dauern?«, dachte Daniel ärgerlich. Bratheringe und Kartoffelsalat waren schließlich kalt und fertig.

Alle Lebensgeister waren zurückgekehrt und Daniel fühlte sich in der Lage, das Roman-Dokument hier im Restaurant aufzurufen. Die Stimmung war perfekt. Er war klar im Kopf und die letzten Erlebnisse waren so frisch, dass er die dramatische Wirkung der Drogen lebhaft würde beschreiben können.

Seine Laune hatte aber auch etwas Gedämpftes und Niedergedrücktes. Es war die perfekte Gemütslage für seine Arbeit und so schrieb sich Daniel die Jugend seines Helden Maik von der Seele. Während Daniel die Drogen nur einmal probiert hatte, durchlebte Maik diese Erfahrung über Jahre. Maik war ein Loser, der sich in Drogen flüchtete, um sein Elternhaus zu vergessen, und die wildesten Dinge erlebte. Die Polizei war sein bester Freund. Sie kannte Maik gut und wusste, dass er dealte. Maik war ein harter Kerl, er benutzte Mädchen und machte sie mit Drogen gefügig. Daniel zeichnete ein Bild von einem heranwachsenden Kriminellen, dem andere Menschen egal waren, solange sie nicht hilfreich waren für seine Pläne. Er erfand einen kalten und rücksichtslosen Menschen und erklärte dessen Werdegang mit brutalen Familiengeschichten und der Enttäuschung, die er mit seiner ersten Liebe erlebt hatte. Sein Mädchen hatte ihn mit seinem besten Freund betrogen. Daniel zeichnete eine immer mehr abstumpfende Persönlichkeit, entstanden durch fehlende Zuwendung der Familie und den Betrug der ersten großen Liebe. Daniel war dabei, in Sankt Peter-Ording ein Monster zu schaffen. Es gelang ihm wirklich gut.

Daniel war gegen Abend wieder in Hamburg und überflog sein Manuskript, das bereits auf vierzig Seiten angewachsen war. Morgen würde er wahrscheinlich die letzte Droge ausprobieren, einfach um dieses Kapitel hinter sich zu bringen. Bisher ging sein Plan voll auf und er hatte es geschafft, die Geschichte mit echtem Leben zu füllen.

Zum Abschluss des Tages würde er sich ein Bier genehmigen. Allerdings war der Kühlschrank leer. Kein Problem. Unten, nur wenige Meter weiter, gab es den Laden von Ali. Daniel kaufe dort immer ein, wenn er keine Lust hatte, bis zum nächsten Discounter in Altona zu fahren. Das war vornehmlich am Abend der Fall. Neben Gemüse und allerlei Kleinwaren hatte Ali Bier im Sortiment. Als Hamburger Türke nahm er es mit der Religion nicht so streng und berief sich auf die toleranten Suren im Koran. Ganz abgesehen davon war Bier am Abend ein gutes Geschäft für Alis Laden. Daniel schnappte sich die Jacke und lief nach unten. Der Miramar Süpermarket lag drei Wohnblöcke weiter. Es nieselte und so beeilte sich Daniel, in den Laden zu kommen. Ali stand verlassen hinter der Kasse und blickte von seinem Kreuzworträtsel auf.

»Hallo Daniel«, rief Ali ihm entgegen.

»Hi Ali«, antwortete Daniel knapp.

»Gib mir mal drei kalte Astra!«

»Alles klar, Chef«, sagte Ali und verschwand mit Zielrichtung Kühlschrank, der sich im hinteren Raum befand. Ganz so offensichtlich musste es mit dem Alkohol auch nicht sein.

Daniel schaute sich um. In der Fensterfront gab es allerlei türkischen Nippes mit Beleuchtung, bei dem sich kaum ein Deutscher wünschen würde, so etwas in der Tombola zu gewinnen. Es gab die Bosporus-Brücke hinter Glas, über der einige LED-Sterne funkelten, oder die Sultan-Ahmed-Moschee, über der der Halbmond hektisch blinkte. Die Elektrik der Verkabelung und der Stecker sahen, gelinde gesagt, zweifelhaft aus. Es gab Tafeln mit Sprüchen aus dem Koran, Plastikdrucke mit in Goldfarbe gefassten Schriftzeichen. Alis Laden hatte sichtlich keinerlei Konzept.

Für einen Typen aus der Werbebranche, wie Daniel, war das Durcheinander von beleuchtetem Kitsch und Lebensmitteln sowie Plastikpflanzen und Spielzeug ein Beispiel dafür, wie man es beim Marketing nicht machen sollte. Es gab keine Linie. Dennoch: Alis Laden gab es schon seit fast zwanzig Jahren. Ein Mysterium, das er immer schon bewundert hatte. Es schien also ein im bescheidenen Rahmen erfolgreiches Leben außerhalb der erlernten Marketing- und Werbekonzepte zu geben. Daniel schaute zur Theke und Ali kam zurück.

»Das macht vier Euro achtzig«, sagte Ali, während er die Flaschen in eine dünne Plastiktüte einpackte und auf den Tresen stellte.

»Hey Mann. Nimm doch etwas Halwa mit. Das Zeug habe ich gestern reinbekommen. Schmeckt echt super.«

Daniel grinste und hielt Ali einen Zwanzigeuroschein entgegen.

»Ey Alter, das Zeug liegt hier doch schon seit Wochen. Erzähl mir doch nichts. Ne, lass mal bleiben. Das Zuckerzeug haut mir sowieso die letzten Plomben raus.«

Ali wurde nachdenklich. »Hm, die Pakete oben sind von gestern, ich schwöre. Aber mal was anderes: Ich habe einen Cousin, der hat echt coole Radioteile am Start. Mit DVD und dem ganzen Scheiß. Echt billig.

Da machst du zu Hause voll Party mit. Die kosten ganz wenig. Hast du Interesse?«

Daniel winkte ab: »Lass stecken, mein Lieber. Ich habe keinen Bock drauf, dass mir die Bude ausbrennt wegen deiner mit Klingeldraht verbauten Geräte.«

Das war wenig emphatisch von Daniel und Ali hielt ihm resigniert das Wechselgeld entgegen. Fünf Euro zwanzig.

»Was soll das denn, Alter!«, rief Daniel. »Willst du mich verarschen? Ich habe dir zwanzig Euro gegeben. Gib mir meine Kohle, aber sofort. Alter, ich hasse das, wenn mich jemand verarscht.«

Ali schaute erschrocken hinter seinem Tresen hervor.

»Hey Mann, mach mal halblang! Keine Panik. Da muss ich mich versehen haben.«

Daniels Ärger schaukelte sich immer mehr auf.

»Ich sag es dir, Ali. Wir sind Freunde, aber jeder, der mich verarschen will, dem schieß ich in Zukunft in den Kopf. Ich bin jetzt nicht mehr der Idiot. Ich ändere mein ganzes Leben.«

Ali holte umgehend einen Zehneuroschein aus der Kasse und hielt diesen Daniel wortlos entgegen. Ali schaute nun humorlos und ernst drein.

»Alter, es tut mir leid, wenn ich mich versehen habe. Ich will keinen Ärger. Nimm das Geld und das Bier und hab einen schönen Abend. Ich mache bald Feierabend.«

Daniel nahm die Plastiktüte und das Geld entgegen und drehte sich um. Im Hinausgehen sagte er: »Tschüss, Ali.« Ali antwortete nicht.

Vor der Tür wurde Daniel klar, was er gerade von sich gegeben hatte. Er war wirklich so wütend geworden, dass er jemanden in den Kopf hätte schießen können. Aber er hatte es auch ausgesprochen und das war erschreckend. Er war über sich selbst schockiert. Warum hatte er das gesagt? Und warum fühlte er sich nicht schuldig, wenn sein Verstand ihm sagte, dass er mehr als falsch reagiert hatte? Ali war natürlich kein Dieb. Was zum Teufel war mit ihm los? Waren das alles Nachwirkungen der Drogen? Er wusste es nicht, aber auf dem Weg zu seiner Wohnung schwor er sich, Ali in den nächsten Tagen um Entschuldigung zu bitten.

Als Daniel wieder in seiner Wohnung war, blinkte der Anrufbeantworter. Es war Maya.

»Hallo, Daniel.«

Bei den ersten Worten musste Daniel schlucken. Er hatte ihre Stimme lange nicht mehr gehört, abgesehen von der Ansage auf ihrem Anrufbeantworter.

»Ich habe deinen Anruf abgehört. Ist alles in Ordnung bei dir? Du, ich bin die letzte Zeit viel beschäftigt, mache viele Überstunden, aber wir können uns in zwei Wochen ja mal treffen. Okay, alles Liebe, Maya.«

Daniel spürte Wut in sich aufkommen. Weniger wegen der Worte von Maya als vielmehr über sich selbst und weil er sie überhaupt angerufen und eine Nachricht hinterlassen hatte. Er tobte innerlich und schaute auf den blinkenden Anrufbeantworter. Dann griff er sich den Kasten und riss ihn samt Kabel aus der Wand. Er feuerte das Gerät in die Ecke des Flurs, wo es zerbrach.

Was zum Teufel war nur mit ihm los? Woher kam diese Wut in ihm? Er musste sich beruhigen und öffnete eines der Biere, die er bei Ali gekauft hatte. Es ging auf den Abend zu und Daniel legte eine DVD ein, ein Horrorfilm mit obskurer Handlung und einem Kettensägenmassaker am Ende. Der Film langweilte ihn und so wartete er das Ende nicht ab, sondern ging ins Bett.

Am nächsten Tag stand Daniel früh auf und verzichtete auf das Frühstück. Er duschte und setzte sich aufs Sofa. Heute wollte er seine Drogenerlebnisse beenden. Er wollte es endlich hinter sich bringen. Das Kokainbriefchen lag auf dem Tisch und er öffnete es behutsam. Zum Vorschein kam ein weißes Pulver. Daniel ging in den Flur und schnappte sich seine Brieftasche, aus der er einen Fünfzigeuroschein hervorholte. Er machte mit dem Kokain eine Line auf dem Tisch und rollte den Geldschein zusammen. So hatte er es in einem Krimi mal gesehen. Er setzte den gerollten Schein an ein Nasenloch und beugte sich über den Tisch. Dann hielt er sich das andere Nasenloch zu und zog ein Drittel der Line in einem Zug weg. Einige Krümel rutschten ihm in den Hals und er musste husten. Daniel lehnte sich auf dem Sofa zurück.

Die Wirkung trat bereits nach wenigen Minuten ein. Sein Hirn schüttete nun große Mengen an Dopamin und Serotonin aus. Die Folge war, dass er sich umgehend euphorisch fühlte. Seine Laune hellte sich auf. Aber im Gegensatz zum Heroin fühlte er sich mit diesem Zeug klar im Kopf, voller Power. Er war hellwach und hatte das Bedürfnis aufzustehen. Das Kokain machte aus ihm eine Art Supermann, jedenfalls fühlte es sich so an. Daniel musste sich unbedingt bewegen, er war hyperaktiv und hatte keine Ahnung, wie er seine Energie in der Wohnung abbauen könnte. Es war noch früh, so gegen acht Uhr, und so zog er schließlich seine Laufklamotten an. Er wollte laufen gehen und machte sich auf den Weg in den Heinepark. Direkt vor seiner Haustür startete er seinen Lauf und joggte den Weg hinunter an die Elbe, vorbei am Altonaer Rathaus und in den Park, der hoch über der Elbe lag. Er war lange nicht mehr gelaufen und Daniel sog den Sauerstoff ein, der ihn immer weiter aufputschte. Im Normalfall wäre er jetzt umgedreht, aber er bekam plötzlich Lust auf den Elbstrand und so rannte er weiter am Wasser entlang über den Rosengarten bis zum Museumshafen in Oevelgönne. Weitere hundert Meter entfernt begann der Strand und am Ende lag die Strandperle. Er lief den ganzen Weg, ohne einmal langsamer zu werden, und stoppte erst, als er außer Atem an der Strandperle angekommen war. Heute, mitten in der Woche, hatte das Bistro gerade erst geöffnet. Daniel setzte sich auf einen Strandstuhl und schaute sich hektisch um. Die Angestellten standen noch schlaftrunken am Tresen oder machten den Laden für den Tag klar. Er schnippte mit den Fingern und wedelte mit dem Arm, bis die Angestellten ihn bemerkten.

»Hey, bring mir mal Kaffee und ein Bier. Und ein Sandwich«, rief er.

Die Angestellte am Tresen glotzte blöde zurück.

»Wir haben Selbstbedienung hier«, zischte sie abfällig.

»Oh, alles klar«, antwortete Daniel, sprang auf und mit einigen Sätzen an die Theke.

»Dann halt hier: einen Kaffee, ein Bier und ein Sandwich bitte.« Daniel grinste.

Die junge Frau schaute Daniel verwundert an und schlug ihren Block auf, um die Bestellung zu notieren.

»Das mit dem Sandwich kann aber noch zwanzig Minuten dauern. Die Küche ist noch nicht da«, sagte die Frau und sah Daniel dabei patzig an.

»Wie, die Küche ist noch nicht da? Die Küche ist doch da, wo sie immer steht«, erwiderte Daniel und zeigte durch das Fenster in den Laden.

»Na, der Typ, der die Küche macht«, giftete die Angestellte zurück.

Daniel wurde wütend, aber er versuchte sich zu beherrschen.

»Muss man dafür eine Ausbildung machen, um ein Sandwich zusammenzuschrauben, oder was? Okay, dann lass das Essen und bring mir die Getränke bitte.«

Ohne zu antworten oder sich umzusehen, trabte die Bedienung, die angeblich keine war, davon.

»Kaffee läuft gerade durch«, warf sie noch in einer rotzigen Art hinter sich. Daniel fühlte sich angemacht und schnappte sich, ohne ein Wort zu sagen, das Bier, das die Frau ihm nach einigen Minuten herüberreichte.

»So eine verpennte Schlampe«, dachte er sich, während er seinen Platz einnahm. Der Kaffee ließ weitere fünf Minuten auf sich warten. In der Zwischenzeit hatte Daniel das Bier bereits geleert. Die junge Frau spazierte mit dem Kaffee im Schneckentempo auf ihn zu. Im Hintergrund kam ein langhaariger Typ die Treppe herunter und verschwand im Laden. Die Bedienung stellte den Kaffee auf den Tisch. Da fiel Daniel auf, dass er ja auf einmal doch bedient wurde. Von wegen Selbstbedienung.

»Ich möchte gleich zahlen«, raunzte er.

»Einen Moment, ich komm gleich«, sagte die Bedienung und machte sich daran, zurück in den Laden zu gehen.

»Hey, stopp!«, rief Daniel und wedelte mit dem Fünfziger vor ihr herum. Die junge Frau schaute genervt und nahm den Schein entgegen.

»Die Küche ist übrigens jetzt da. Was ist nun mit dem Sandwich?«

Daniel grinste und sagte:

»Lass mal stecken, ich hab den langhaarigen Hippietypen gesehen. Außerdem, wenn das in der bisherigen Geschwindigkeit geht, dann bin ich heute Mittag noch hier. Leute, in dem Tempo verkauft ihr doch nicht mehr als ein Käsebrötchen pro Stunde.«

Die Bedienung stemmte die Arme in die Seite und schaute böse.

»Hey, kein Grund, unfreundlich zu werden. Vielleicht ist dir aufgefallen, dass es früh am Morgen ist und du erst vor fünfzehn Minuten angekommen bist. Mach mal halblang oder hast du irgendwas eingeschmissen?«

Dann drehte sich die junge Frau um und ging zurück zur Strandperle.

»Behalt den Rest!«, rief ihr Daniel hinterher.

Er wollte nun eiligst den Kaffee hinunterkippen. Dabei verbrannte er sich schon beim ersten Schluck die Lippen. Die Tasse war nicht einmal halb leer, da stand Daniel ungeduldig auf und machte sich im Laufschritt auf den Weg nach Hause.

»Hey, dein Restgeld!«, rief die Bedienung ihm hinterher.

Anscheinend hatte sie das Angebot des großzügigen Trinkgelds nicht ernst genommen. Es war in dieser Höhe auch nicht angebracht, aber Daniel wollte schnell wieder los und es war ihm egal. Er warf einen Arm in die Höhe und winkte aufreizend mit dem ausgestreckten Mittelfinger, während er wieder in seinen gewohnten Laufschritt verfiel.

»Fick dich!«, hörte er aus der Ferne.

Gegen halb elf kam er wieder in der Wohnung an. Daniel sprang unter die Dusche und merkte, während das Wasser an ihm herunterglitt, wie die Droge langsam aufhörte zu wirken. Nach dem Abtrocknen setzte er sich nackt auf das Sofa. Das war eindeutig zu schnell gewesen und er hatte noch einen Rest des Kokains im Haus.

Daniel nahm kurzerhand eine zweite Nase und ließ den Rest auf dem Tisch zurück. Auch dieses Mal ließ die Wirkung nicht lange auf sich warten.

Er fühlte sich wie das mechanische Häschen aus diesem Werbespot eines bekannten Batterieherstellers. Seine Batterie war augenblicklich wieder aufgeladen. Daniel wurde wieder wuselig, aber diesmal würde er definitiv nicht wieder laufen gehen. Stattdessen machte er sich daran, seine Wohnung zu putzen, und überbot sich in der Geschwindigkeit, die er sonst so an den Tag legte. Währenddessen dachte er an sein Buch und an die Dinge, die er erledigen müsste. Verleger finden, Werbung, Abverkauf und Lesungen, es gab viel zu tun. Nach einer Stunde blitzte die ganze Bude. Er fühlte die Hummeln in seinem Kopf und im Bauch und er hatte noch lange nicht genug. Er erinnerte sich an die Rollen Raufaser und den Tapetenkleister in seinem Keller. Es waren noch Rollen übrig, nachdem Maya damals auf die Idee gekommen war, die eine Wand mit der verdammten Blumentapete zu versehen. Daniel hatte es ihr zulieb gemacht und war mit ihr in den Baumarkt gefahren. Jetzt war Maya weg und diese Blumentapete sollte auch verschwinden. Er sprintete in den Keller und brachte alles hoch in seine Wohnung. Das Tapezieren ging ihm gut von der Hand, sah man einmal davon ab, dass die Bahnen recht unsauber geschnitten waren und er den Kleister nur grob und dick verteilte. Nach einer weiteren Stunde war auch dieses Werk mehr oder weniger getan.

Daniel setzte sich an den Schreibtisch und fing an zu schreiben. Er verfasste einen Standardbrief, den er den Verlegern schicken würde. Dabei ging ihm auf, dass sein Werk noch gar keinen Titel hatte. Spontan fiel ihm ein geeigneter Titel ein: Tödliche Inspiration.

Nachdem das geklärt war, schrieb er Pressemeldungen, Einträge für die sozialen Medien, Posts und Tweets auf Halde und zu guter Letzt eine Laudatio, sofern er eine Auszeichnung bekommen würde, woran er in diesem Moment nicht im Geringsten zweifelte. Mit all diesen Dokumenten würde er natürlich einen Verleger überzeugen können, sein Buch zu veröffentlichen. Er hatte alle Texte am Start, abgesehen von seinem Buch, das er noch schreiben würde. Momentan Details. Es ging um das Ganze.

Nach einer Dreiviertelstunde gab es eine Leere in Daniels Kopf und seine Gedanken schweiften zu seiner Familie. Er hatte seinen Bruder, seine Mutter und die kleine Nichte seit Wochen nicht getroffen. Die letzten Anrufe des Bruders waren eine deutliche Erinnerung daran gewesen. Daniel öffnete ein Tabellen-Programm auf seinem Laptop und importierte den Kalender des aktuellen und des folgenden Jahres. Dann begann er strategisch zu planen, Wochentage und Wochenenden mit Terminen und Kommentaren zu versehen. Er fügte die Frankfurter Buchmesse und alle möglichen Feiertage ein. Am Ende hatte er einen perfekten Plan entworfen und fühlte sich euphorisch, weshalb er das Telefon nahm, um seinen Bruder anzurufen. Arne war natürlich zur Arbeit gegangen und seine Frau war beim Halbtagsjob in der Bank. Lena, seine Nichte, befand sich im Kindergarten. Und so sprang nur der Anrufbeantworter an.

Daniel legte hektisch los:

»Hallo Arne, ich bin's, Daniel. Also, ich habe mir das mit Mutter und den Treffen überlegt. Ich habe dir ein Tabellen-Dokument per Mail geschickt, wo alle Wochenenden und Feiertage eingetragen sind. Gib mir mal Feedback, okay? Bis denne, Daniel.«

Die zweite Ladung Kokain war schon wieder eine Stunde her und die Batterie entleerte sich in rasender Geschwindigkeit. Es gab aber noch den Rest von dem Zeug und so setzte sich Daniel, immer noch nackt, auf das Sofa.

Nun erst bemerkte er, dass er vorhin ebenso nackt in den Keller gehuscht war, um die Tapete und den Kleister hochzuholen. Die dritte Nase Koks zog er durch das andere Nasenloch. Er benetzte seinen Finger, wischte die letzten Krümel vom Tisch und schmierte sich diese auf das Zahnfleisch, das unmittelbar taub wurde. Nach ein paar Minuten war der Ladevorgang wieder beendet, aber mittlerweile fühlte er sich wie ein in Watte gepackter Supermann. Er fühlte sich stark und wach, aber sein Körper sandte dennoch Zeichen der Überanstrengung. »Das Kokain könnte als Mittel für extreme Situationen nützlich sein«, dachte Daniel.

Was sollte er nun mit den letzten Superkräften tun, die er die nächste Stunde haben würde? Er nahm den Hörer ab und wählte Peters Nummer. Peter war aber nicht zu Hause. Daniel gab den Versuch des Telefonierens auf, setzte sich an seinen Schreibtisch und begann wieder zu schreiben. Seinen Roman. Mithilfe seiner neu gewonnenen Erfahrungen.

Tödliche Inspiration

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