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1.7 Die Eschatologie als hermeneutischer Schlüssel aller Theologie

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Nach dem klassischen Aufbau der Dogmatik ist die Eschatologie ihr letzter Traktat. Sie nähert sich den letzten Dingen, die ein Mensch nach seinem Tod erfährt. Da aber der eschatologische Niederschlag für den Glauben von größter Bedeutung ist, könnte sie ohne weiteres auch am Anfang aller theologischen Überlegung stehen.65 So wie vom Auferstehungsglauben der Jünger her sich das gesamte Neue Testament entfaltet und verstehen lässt (und darauf aufbauend die Theologiegeschichte bis heute), so stellt sich auch das einzelne christliche Glaubensleben von Beginn an unter den Horizont ewiger Vollendung in Gott.66 Die Eschatologie wird damit zum Schlüssel aller Theologie. Alles vorher Gesagte findet dort seinen Widerhall oder es verhallt am Ende des einzelnen Lebens. Der Eschatologie kommt es daher zu, die einzelnen dogmatischen Traktate, ja die Gesamtheit der Theologie, in Korrelation zu stellen im Blick auf das, was seine Relevanz behält über alle Raumzeitlichkeit hinaus.

Ohne eschatologischen Bezug hat das Scheitern kirchlichen und theologischen Bemühens das letzte Wort, obliegt die Theologie der fundamentalen Gefahr, sich selbst zu verabsolutieren. Das Mysterium Gottes wird erst in der Vollendung erkannt oder ER wird in seiner Fülle nie erkannt : Die letztlich zutreffende Theologie als Einsicht in das göttliche Geheimnis ist in der visio Dei beheimatet.67 Dante selbst bemerkt ja mehrfach, dass irdische Worte ungenügend sind, dass ein angemessenes Sprechen über die Gotteserfahrung nicht möglich ist. Dieser eschatologische Vorbehalt ist Kernbestand aller kirchlichen wie theologischen Aussage. Die Ideale, welche im Neuen Testament selbst – etwa in der Bergpredigt – zum Ausdruck kommen, sind daher nur im Blick auf die eschatologische Einholung all dessen, was hinter diesen Idealen zurückbleibt bzw. zurückbleiben muss, zu deuten und aufrechtzuerhalten. Die Differenz von Ideal und Wirklichkeit – auch in Fragen der Kirchendisziplin oder kirchlichen Morallehre – ist vor dem Hintergrund der eschatologischen Erwartung zu interpretieren als eine Spannung, die dem ›Schon-und-noch-nicht‹ der Reich-Gottes-Botschaft Jesu entspricht. Erst in der Verheißung Gottes auf Erlösung und Vollendung sind diese Ideale als solche dem Glaubenden trotz persönlichen Scheiterns Ziel und Motivation : Der Christ kann die Brüchigkeit und das Nichterreichen seiner Ideale – angesichts der Realität des irdischen Scheiterns – akzeptieren, weil sie letztlich eschatologisch verankert trotz allem ihre Gültigkeit bewahren.68 Im Horizont der christlichen Jenseitsvorstellung können Ideale letztlich niemals scheitern, müssen nicht aufgegeben werden. Die Dialektik von Diesseits und Jenseits stärkt somit beide Seiten : Alle irdische Sehnsucht hat in der Eschatologie ihren sie aufrechterhaltenden Horizont, alle Eschatologie verleiht der irdischen Realität gerade auch angesichts ihrer Brüchigkeit Sinn. Damit ist die Rede von einem jenseitigen Leben nicht Weltflucht, sondern Katalysator der Weltbejahung. Die Rede von einem Leben nach dem Tod dient dem Leben vor dem Tod. Es wäre zutiefst missverständlich, würde man Dantes Göttliche Komödie als Minderachtung irdischer Realitäten verstehen. Gerade weil er seinen konkreten Erfahrungen nicht seine Ideale opfern will, gerade weil das reale Leben für ihn als solches einen größeren Verstehenshorizont braucht, um daran nicht irrezugehen, wird die Jenseitswanderung für ihn zum Schlüssel seines Lebens, in das er gestärkt wieder zurückkehren kann. Seine eschatologische Erfahrung lässt Dante sein Leben wieder aufnehmen. Durch die hinzugewonnene Jenseitsperspektive schaut er gelassener auf die ihm in der Verbannung aus seiner Heimatstadt Florenz begegnende Missachtung. Seine Erlebnisse in der DC sind ihm Interpretationshorizont aller diesseitigen Erfahrungen. Damit ist ihm Furcht und Angst genommen, selbst die vor dem eigenen Tod.

Die Eschatologie als Lehre von dem, was letztlich im Jenseits auf den Menschen zukommt, ihn erwartet bzw. was er selbst erwarten, erhoffen kann, wird so zum Kriterium aller Theologie, die auf ihren jeweiligen eschatologischen Gehalt und Vorbehalt geprüft werden muss. Sie bildet den Interpretationsrahmen von Kirche und Glaube, die gerade dadurch sich als lebensbejahend und lebensermöglichend ausweisen. So wie die Auferstehung Jesu hermeneutischer Schlüssel zu den Evangelien und zur Entstehung der ersten christlichen Gemeinschaften ist69, so auch für alles Weitere, was auf diesem Glauben und dem darin enthaltenen Erweis der Gottessohnschaft Christi und seines Erlösungswerkes (die Verheißung der Auferstehung aller) aufbaut.

Allerdings weiß eine eschatologische Hermeneutik immer nur unter Vorbehalt Aussagen zu treffen – im permanenten Verweis darauf, dass die letztgültige und alles klärende Selbstoffenbarung Gottes jenseitige Verheißung ist. Sie hält sich zurück mit eindeutigen Bestimmungen Gottes Heilszusagen (oder -absagen) betreffend.70 Sie ist vorsichtig in der Definition letztgültiger Lehrsätze über das Wesen Gottes, da sie gegenüber der Offenbarung Gottes in seiner visio immer zurückstehen bzw. zurückbleiben muss.71 In dieser Hermeneutik ist alles Reden über Gott bestenfalls analoge Annäherung, zugleich aber auch Verheißung und Hoffnung, Vorarbeit.72 Aus dem Horizont der Eschatologie leuchtet die noch ausstehende Erfüllung des gläubigen Hoffens und Vertrauens auf. Auch die Möglichkeit theologischen und kirchlichen Scheiterns wäre in diesem hermeneutischen Rahmen mit ausgesagt, da die entscheidende Dimension der Einholung des Glaubens dort beheimatet ist, wo Gott von sich aus darüber befinden wird. Alle kirchliche Verkündigung, die von den Konsequenzen irdischen Lebens im Jenseits spricht, muss daher von Letzterem ausgehen. Der hermeneutische Schlüssel zum Diesseits ist das Jenseits, nicht umgekehrt.73 Da die Theologen aber über dieses Jenseits nur unter eschatologischem Vorbehalt sprechen können, muss dieser – bei aller analogen Koppelung von irdischem Verhalten und entsprechendem jenseitigem Niederschlag – in der Lehre der Eschatologie konstitutiv verwurzelt sein und von dorther auf das Gesamt der Theologie ausstrahlen. Damit mahnt Theologie zur Vorsicht, auch und v. a. sich selbst gegenüber. Dies gilt umso mehr angesichts der Tatsache, dass eschatologische Aussagen im Lauf der Dogmengeschichte unterschiedlich gedeutet wurden. Deshalb muss Eschatologie nach F.-J. Nocke den Fehler vermeiden, den Eindruck zu erwecken, „sie versuche eine Totalerklärung der Welt und eine verobjektivierende Beschreibung der Zukunft […].«74

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