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1.9.3 Der Konstruktivismus als Hermeneutik der Eschatologie ?
ОглавлениеWatzlawick unterscheidet zwischen einer Wirklichkeit erster Ordnung, in welcher Experiment und Beobachtung ihren legitimen Ort haben, und einer Wirklichkeit zweiter Ordnung, durch die den Fakten erster Ordnung Sinn, Bedeutung und Wert erst verliehen werden. Innerhalb des naturwissenschaftlichen Paradigmas bleiben Letztere Desiderat. Theologie ist in diesem Sinn sozusagen Wissenschaft zweiter Ordnung. Wenn Watzlawick allerdings schreibt, »dass die Welt weder einen Sinn noch keinen Sinn hat – dass die Sinnfrage sinnlos ist. Was die Welt nicht enthält, kann sie auch nicht vorenthalten«113, so grenzt er damit die Möglichkeiten konstruktiver Weltsicht ein. Das Feld konstruktivistischer Auseinandersetzung und Interpretation bleibt auf das in der Welt Vorfindbare beschränkt. Hintergrund von Watzlawicks Reserviertheit gegenüber universalen Sinndeutungen ist seine skeptische Sichtweise der Ideologien (in) dieser Welt. Seine Überlegungen drehen sich dabei um die Paradoxien des Ewigkeitswertes und derer von Vollkommenheit und Unendlichkeit. Auf endliche Lehren und auf im Diesseits zu verwirklichende Ideologien bezogen muss sich Enttäuschung und Ernüchterung zwangsläufig einstellen, oftmals erst nachdem die ideologische Irrlehre selbst viele Opfer kostete, um die irrige Position so lange als möglich aufrechtzuerhalten. Nach dem Konstruktivismus kann sich jegliche Lehre nur aus sich heraus begründen (womit wiederum das Problem der Rückbezüglichkeit angesprochen ist). Was die Ideologie auch zu erklären vermag, ihr Erklärungssystem selbst bleibt auf der Metaebene unerklärt.
Das Christentum unterscheidet sich jedoch nach Watzlawick von politischen Ideologien, da es gerade über die Welt hinaus verweist.114 Der eschatologische Metarahmen ist zwar Konstruktion, vermag aber die Spannung der Widersprüchlichkeit von Ideal und Wirklichkeit – im Gegensatz zu den immanenten Ideologien dieser Welt – aufzulösen. Insofern könnte ein theologischer Konstruktivismus, der um die Möglichkeit und Notwendigkeit konstruierter Reflexion über Gott, die Kirche, das Heil des Menschen weiß, die Sinnfrage gerade deshalb angehen, weil hier etwas in den Blick genommen wird, was die Welt so nicht enthält und so nicht in ihr einfach vorfindbar wäre.
Ein eingestandener theologischer Konstruktivismus bekennt sich dazu, eine bestimmte und konstruierte Wirklichkeitssicht zu vertreten.115 Er baut auf der Grundannahme des Konstruktivismus auf, dass auch jede innerweltliche und wissenschaftliche Sichtweise sich letztlich als konstruiert erweist.116 Innerhalb aller Konstruktion hat aber die Sinnfrage ihren legitimen Ort, ist treibendes Moment der Konstruktion selbst, die damit eine sinnstiftende werden kann.117 Auch wenn Watzlawick jeglicher Metaphysik kritisch gegenübersteht, so ist für ihn doch unbezweifelbar, dass Menschen aufgrund ihrer existentiellen Fragen und Nöte dazu veranlasst werden, ihre Welt zu deuten (was auch immer wieder durch ihre selektive Aufmerksamkeit Bestätigung erfährt). Im Gegensatz zu Watzlawicks Verständnis der selbsterfüllenden Prophezeiung118 kann sich der Glaubende sein Paradies auf Erden aber nicht erschaffen. Die Verheißung bezieht sich in der Spannung des ›Schon-und-noch-nicht‹ auch und gerade auf ein erhofftes Jenseits. Bleibt zu fragen, ob innerhalb des Konstruktivismus die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod mit einer Realität begründet werden kann, die unabhängig von der menschlichen Konstruktion als Jenseits tatsächlich existent ist.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Konstruktivismus insofern als möglicher Schlüssel zum Verständnis eschatologischer Aussagen dienen kann, als er die Notwendigkeit und Legitimation analoger Sprechweise über das Jenseits unterstreicht. Die Hermeneutik als Methodik der Geisteswissenschaften unterscheidet dabei zwischen Sinn und Wahrheit der jeweiligen Aussage.119 Im Bereich der systematischen Theologie gilt allerdings, dass die theologische Hermeneutik in Entsprechung der Grundstruktur des christlichen Glaubens angewandt wird.120 Letztlich ist der Glaube – dessen Angebot einer Sinnstruktur für das Leben – Kriterium seiner Hermeneutik, die wiederum diesen in seiner eigentlichen Bedeutung (etwa in der Unterscheidung von Geist und Buchstabe) zur Geltung bringen will angesichts veränderter Bedingungen der Gegenwart (auch und v. a. im interdisziplinären Wissenschaftsdialog). Entscheidend ist dabei, ob der Konstruktivismus selbst den Glauben derart subjektiviert, dass er dessen Heilslehre selbst als bloßes Konstrukt relativiert und so den Glauben im Modus des ›So- tun-als-ob‹ verankert.