Читать книгу Dantes Theologie: Beatrice - Stefan Seckinger - Страница 23
2 Grundlegung : Die Verirrung im Wald oder die Ausweglosigkeit in der Lebenskrise 2.1 Das Gefühl, etwas im Leben verpasst zu haben
ОглавлениеNel mezzo del cammin di nostra vita
Mi ritrovai per una selva oscura,
Chè la diritta via era smarrita.
Ahi quanto a dir qual era è cosa dura,
Esta selva selvaggia ed aspra e forte,
Che nel pensior rinnova la paura !
Tanto è amara, che poco è più morte ;
Ma per trattar del ben ch’io vi trovai,
Dirò dell’altre cose ch’io v’ho scorte.
Io nor so ben ridir com’io v’entrai,
Tanto era pien di sonno in su quel punto
Che la verace via abbandonai.139
Der Einleitungsgesang der Commedia – der als solcher vor alle ihre Gesänge gestellt ist und dessen eingeschlagener Bogen erst im letzten Gesang (Par. XXXIII) zu seinem Endpunkt kommt140 – beginnt mit der Schilderung von Dantes Verirrung im Wald. In der Mitte seiner Lebensreise steht der Dichter mit 35 Jahren141 vor der vermeintlichen Orientierungs- und Ausweglosigkeit seines Daseins, er hat seinen Weg verloren. Der dunkle Wald142 ist ebenso allegorisch zu sehen wie der verloren gegangene Pfad ; der Wanderer sucht nach (s)einem wegweisenden Lebensziel in dem Moment, da er sich in die Dunkelheit irdischer Wirrnisse verläuft. In ihr wird ihm seine Situation der Krisis bewusst, die er allein nicht überwinden kann. Seine Abwendung vom direkten Weg (diritta via, V.3) beschreibt er später im irdischen Paradies des Läuterungsberges beim ersten Wiedersehen mit Beatrice, die zu ihm spricht.143
Dantes Lebenskrise, seine Verirrung und Abweichung vom rechten Weg, ist somit zunächst auf den Tod seiner Jugendliebe (sol che pria d’amor)144 zurückzuführen, die in das zweite, bessere Leben hinüberging (wodurch sie an Schönheit und Tugend noch zunahm). Beatricens Tod wird in der Dichtung mit dem Ausbleiben der Möglichkeit ihres Anschauens gleichgesetzt, sein Ideal ist ihm aus den Augen und somit aus dem Sinn geraten145, er trägt mit der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen auch die Hoffnung auf ein gelingendes Leben zu Grabe.146
Da Dante also den Blick auf Beatrice – zu Beginn der Untersuchung zunächst noch als idealisierte Erfahrung der ersten Liebe verstanden – verloren hat, findet er sich in dunklem, bedrohlichem Gelände wieder. Der bloße Gedanke daran flößt dem Dichter noch Jahre nach dem Erlebnis Furcht und Schrecken ein. Seine Orientierungslosigkeit lässt ihn erstarren ; der Verirrte ist zur Fortführung seiner Wanderschaft nicht mehr fähig, will er sich nicht den Gefahren des zur höchsten Vorsicht mahnenden Waldes ausliefern. Doch zu Beginn klingt bereits an, dass einem das Heil nicht als Ausweg aus der Verirrung zufällt, es ist vielmehr in der Wirrnis der Krise selbst zu finden und setzt die Bereitschaft voraus, auch durch die – nicht zu vermeidende – Hölle zu gehen. Das Gute liegt im Wald selbst verborgen, die Dunkelheit des Waldes wird Dante Bedingung der Möglichkeit einer neuen Lichterfahrung, die alles bisher Gewesene übertrifft und auf die unendliche Schau des Schöpfers selbst vorbereitet.