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3.2 Der Aufstieg Dantes durch die Himmel
ОглавлениеDas irdische Paradies als Narthex bzw. Eingangsbereich des Himmels bereitet auf diesen vor. Geläutert und entsühnt vermag Dante frei von aller Sündenlast emporzuschweben, um mit Beatrice die verschiedenen Sphären des Paradieses zu betrachten – dies am Vorabend des siebten Tages der Jenseitsreise, an dem der Schöpfer selbst nach Vollendung seines Werkes ruhte (Par. I, 43 analog zu Gen 2,2 f.). Im Paradiso ist das durch alle Gesänge wie ein roter Faden sich durchziehende Motiv die Unzulänglichkeit der Darstellungskraft des Dichters angesichts der Mysterialität des Geschauten (er ist ja diesbzgl. als noch nicht Gestorbener ganz auf die ihm – vermittelt durch die Fürsprache der Heiligen – zuteilwerdende Gnade angewiesen, die ihn in einer steten Steigerung schließlich zur unverhüllten Anschauung des Dreieinigen führt).266
Die angesprochene Zunahme der Dante in und als Gnade (Licht267) gewährten Sehkraft, das kontinuierliche Tieferdringen, die Zunahme der visio beatifica gemäß der jeweiligen Himmelssphäre, wird durch die jeweilige Anpassung seines Sehvermögens an dasjenige seiner Begleiterin268 ermöglicht. In den auf das Geheimnis der Dreifaltigkeit gerichteten Augen Beatricens wird er wie im Spiegel (also indirekt-vermittelt)269 diesem selbst teilhaftig. Dieses Grundmotiv der Lichtmetaphysik des Paradiso hebt bereits im irdischen Paradies an270 und wird in Par. I, 1–6 und 46 ff. wie folgt ausgeführt :
»Die Glorie des Bewegers aller Dinge
Dringt durch das Weltall, und von ihr erstrahlen
Mehr oder minder die verschiednen Sphären.
Im Himmel, der das meiste Licht empfangen,
War ich, und ich sah Dinge, die kann keiner
Verkünden, der von dort herniedersteiget. […]
Als ich Beatrice nach der linken Seite
Gewendet sah, das Auge hin zur Sonne ; […]
So folgte ihrem Blick, der durch die Augen
Zu meinem Geist gedrungen, nun der meine ;
Ich schaute mehr als jemals in die Sonne. […]
Beatrice hatte in die ewigen Kreise
Den Blick versenkt ; ich hatte meine Augen
Auf sie geheftet, nicht mehr nach dort oben. […]
Verklärung kann man nicht mit Worten sagen,
Darum muß dem das Gleichnis schon genügen,
Dem Gnade das Erleben vorbehalten.«271
Dantes Aufstieg durch die Himmel erfolgt dementsprechend durch den Licht freisetzenden Anblick Beatricens. Wenn Dante ihr in die geliebten Augen blickt, geben diese die Liebe Gottes (die sie selbst in der visio beatifica empfängt) an ihn weiter und entzünden ihn in seiner Sehnsucht nach mehr. Licht und Liebe stehen somit in einem unmittelbaren Zusammenhang und verdeutlichen das Geschenk der darin zum Ausdruck gebrachten Gnade : »Der Liebende erfährt, dass ihm im geliebten Menschen etwas entgegentritt, welches jeder Proportion der Macht, des Rechtes und Verdienstes entrückt ist. Es gehört der Ordnung des Geschenkes, der reinwaltenden Freiheit, der Gnade an. So weckt der geliebte Mensch die Ahnung von dem, was über jeder irdischen Macht ist, dem Himmlischen […]. Der Lichtcharakter alles Seienden, der schon durch die Schöpfung begründet und dann, nach seiner Verdunkelung durch die Sünde, in der Erlösung erneuert worden ist, wird in der Gnade frei.«272
In Beatrice begegnet Dante dem Himmel, aber diese Gnadenerfahrung ermöglicht letztlich und entscheidend nicht die Mittlerin, sondern der unmittelbare Zielgrund allen Liebesstrebens – Gott selbst in seiner unverhüllten Schau. Beatrice ist nur Wegbegleiterin, sie bereitet Dante auf das Höchstmaß jeglicher Liebeserfahrung vor und tritt selbst schließlich ganz zurück.273