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3.3.1 Das verklärte Scheitern oder der Mondhimmel
ОглавлениеVon Beatricens gottschauenden Augen beflügelt (s. o.) wird Dante in den ersten Himmel emporgehoben, den Mondhimmel : Beatrice in suso, ed io in lei guardava.280 Die Bewegung durch die einzelnen Sphären wird auf die im Menschen innewohnende Sehnsucht nach der Gottesschau281 zurückgeführt (desiderium naturale ; la concreata e perpetua sete del deiforme regno)282. In Par. III, 7 ff. begegnet Dante den ersten Seelen des Paradiso, qui rilegate per manco di voto (»sie sind hier, weil sie ihr Gelübde brachen«), perchè fur negletti li nostri vòti, e voti in alcun canto (»weil wir die Gelübde versäumt und irgendwie gebrochen haben«).283 Die Aufforderung Beatricens parla con esse e odi e credi284 gilt für alle Begegnungen mit den gottschauenden Seelen in den (ihren) jeweiligen Himmelssphären als Einladung zu Gespräch und Austausch. Sprechen (Anreden), Hören (das Sichbelehrenlassen)285 und Glauben (dadurch sich immer mehr für Gott bereiten)286 sind die Kennzeichen der Pilgerfahrt Dantes in der ganzen DC (in Infernum und Purgatorium geschieht dies allerdings auf die negative Art der abschreckenden bzw. mahnenden Gegenbeispiele). Entsprechend der hohen Bedeutung, die Dante seiner DC gemäß Purg. XXXII, 104 zuschreibt, und die ihn zur Benennung nur damals allgemein bekannter Persönlichkeiten und großer Gestalten der Geschichte veranlasst, spricht er – als Vertreterin des Mondhimmels – mit Piccarda Donati (die wiederum in Par. III, 118 ff. auf die einer Legende nach – wie sie selbst – aus einem Kloster entführte Kaiserin Konstanze verweist, Gemahlin Kaiser Heinrichs VI. und Mutter Friedrichs II.), einer Klarissin, die von ihrer Familie wider ihren Willen aus dem Kloster (Par. III, 107 : la dolce chiostro) geholt und daraufhin mit Rossalino della Tosa vermählt wurde (Par. III, 46 ff. und 97 ff.).287
Kernfrage dieser Himmelssphäre ist die vermeintliche Inferiorität der Seligen des Mondhimmels gegenüber denen höherer, Gott näherer Sphären. Aufgrund eines (unfreiwilligen) Gelübdebruches (bzw. -versäumnisses) ist ihnen dieses Los (sorte che par giù cotanto ; Par. III, 55) beschieden. Dante erkundigt sich :
»[…] Ihr, die ihr hier glücklich lebet,
Geht euer Wunsch nach einem höhern Orte,
Um mehr zu sehn, euch enger zu befreunden ?«288
Der folgende Monolog Piccardas ist als eine Kurzpredigt über die Selbstbescheidung des in Christus seines Heiles sicheren Erlösten zu verstehen. Die Problematik der Gradualität der Gottesschau der Heiligen lässt sich demnach unschwer auf die Unterschiedlichkeit der Begnadung und Christusnachfolge auf Erden übertragen. Es geht darum, die verschiedenen zur Heiligkeit führenden Wege des Menschen zu Gott in den Blick zu nehmen, ohne einer Beliebigkeit das Wort zu reden, die die persönliche Freiheit und Verantwortlichkeit gegenüber der eigenen Berufung zum Heiligungsdienst der Welt außen vor lässt. Nicht die Frage, welcher Weg der bessere, sondern welcher der jeweils eigene ist, wird dabei zum Hauptkriterium der individuellen Entschiedenheit im Konkreten. Aus gnadentheologischer Perspektive heraus ist alle Wertung unterschiedlicher Nachfolgewege in der DC eine für den Menschen niemals zum Selbstlob verleiten wollende Anerkennung der persönlichen Zuwendung Gottes gegenüber dem Einzelnen. Piccardas Rede richtet sich daher an alle, die sich ob ihrer Religiosität brüsten (vgl. etwa Mk 9,33 ff.) und anderen dementsprechend ihr Seelenheil – wie die Arbeiter in Mt 20 – implizit absprechen wollen, genauso wie an jene, die sich der (vermeintlich) ausgewichenen Nachfolge bezichtigen, an alle also, die sich die Frage nach der eigenen Berufung über Gebühr zu eigen machen :
»Mein Bruder, unser Wille wird gestillet
Durch Kraft der Liebe, sie läßt uns nur wünschen
Das, was wir haben ; andrer Durst entschwindet.
Wenn wir nach einem höhern Ort uns sehnten,
Dann wären nicht in Einklang unsre Wünsche
Mit dessen Willen, der uns hierher sendet.
Das kann in diesen Kreisen nicht geschehen,
Wenn wir hier in der Liebe leben sollen
Und die Natur der Liebe du betrachtest.
Vielmehr ist dieses Seligsein gebunden,
Sich drin zu halten in dem göttlichen Willen,
Damit sich unser aller Wille eine.
So daß es, da wir Stuf um Stufe stehen
In diesem Reich, dem ganzen Reiche recht ist,
Gleichwie dem König, der uns lenkt den Willen.
In seinem Willen finden wir den Frieden,«289