Читать книгу Dantes Theologie: Beatrice - Stefan Seckinger - Страница 36
3.3.2 Das Übermaß an irdischem Streben oder der Merkurhimmel
ОглавлениеDie Zunahme der Leuchtkraft von Beatricens Augen (die sie von Gott bzw. dessen Schau empfängt) steigert die Lichtempfänglichkeit und das Sehvermögen Dantes, der in dieser Bewegung, in der Licht, Schauen, Freude (letizia in Par. V, 107) oder auch Lächeln (riso in Par. VII, 17), Erkennen und Lieben eine Einheit bilden330, emporgehoben wird zum zweiten Stern, dem Merkurhimmel. Innerer Antrieb des Aufstieges331 ist das unauslöschbare Sehnen Dantes nach Gott, das in Beatricens Blick Aufnahme und (zunächst noch vermittelte) Erfüllung erfährt. Dante wird von den Seligen des Merkurhimmels begrüßt mit den Worten : Ecco chi crescerà li nostri amori. Die von Gott auf sie ausstrahlende Liebe gewinnt in der Gemeinschaft durch jede neue ihnen hinzugewonnene Seele Zuwachs.332 Die Liebe der communio sanctorum ist demnach auch als eine gemeinschaftliche zu sehen, als eine von Gott selbst herkommende Dynamik, die den anderen mit hineinnimmt und niemals individualistisch sich nur zwischen dem Einzelnen und seinem Schöpfer abspielt (dies im Unterschied zum Wesen der Verdammten – von jedweder Geborgenheit vermittelnden Gemeinschaft Isolierten – als der sich gegenseitig Schädigenden und Verleumdenden).
Im Merkurhimmel trifft Dante Kaiser Justinian333 (Selbstnennung in Par. VI, 10), der in Par. VI, 1 ff. die Geschichte des römischen Imperiums als gottgewollt und das Kaisertum als Gewähr allgemeiner Wohlfahrt ansieht. Die Seelen dieser Sphäre zeichnen sich durch ihre Aktivität (che son stati attivi ; Par. VI, 113) in irdischen Belangen aus (in Relation zum Saturnhimmel, der für die vita contemplativa steht). Der zweitunterste Himmel steht ebenso wie Mond- und Venushimmel noch im Bannkreis des sublunaren weltlichen Strebens (hier nach onore e fama ; Par. VI, 114).
Justinian bezeichnet sich selbst als ein vom Monophysitismus334 Bekehrter (Par. VI, 13–18), der sich für die Kirche auf Erden einsetzte mit Hilfe der ihm von Gott verliehenen Gnade (Par. VI, 22–24). Er macht sich Dantes Idee des gottgewollten römischen Kaiserreichs zu eigen, indem er den Parteienzank seiner Zeit und v. a. das französische Königshaus anklagt, che son cagion di tutti vostri mali (Par. VI, 99).335 Die Einheit des Reiches ist nach ihm Gewähr für Frieden, allgemeine Wohlfahrt und das Seelenheil des Einzelnen, da die Kirche selbst hineingezogen in die unterschiedlichen Parteiungen letztlich wider sich selbst steht, anstatt sich ihrem seelsorglichen Auftrag zu stellen.