Читать книгу Dantes Theologie: Beatrice - Stefan Seckinger - Страница 29
3 Die Sehnsucht des Menschen nach der Erfüllung seines Liebesstrebens als Maßstab seines Handelns : Paradiso 3.1 Das irdische Paradies 201 3.1.1 Die Begegnung mit Beatrice als Ablösung der Philosophie durch die Theologie
ОглавлениеAm Ende der siebten Stufe des Läuterungsberges, wo die Wollust (luxuria) gebüßt wird, müssen Vergil und Dante (zu denen sich zuvor Statius gesellte)202 durch eine Feuerwand hindurchschreiten, um ins irdische Paradies zu gelangen. Dort verlässt Vergil Dante und kehrt wieder in den Limbus zurück, da nun Beatrice dessen Begleitung übernimmt.203
Dem Interesse dieser Arbeit an der Bedeutung Beatricens entsprechend soll zunächst das Paradies (in Einheit mit dem am Ende des Purgatorio stehenden irdischen Paradieses) bzgl. seiner theologischen Ausrichtung untersucht werden, bevor Purgatorio und Inferno als läuternde Vorstufe bzw. Negativbild des Vollendungshorizontes menschlichen Lebens (als berufenes zur glückselig machenden Schau – visio beatifica) in den Blick genommen werden.204 Dies liegt deshalb nahe, da Beatrice im irdischen Paradies Dante erstmals gegenübertritt. Im Fegefeuer bzw. in der Hölle übt sie ihre Begleiterrolle nur indirekt über (den von ihr gerufenen) Vergil aus, und erst nach Dantes Entsühnung und Absolution unternimmt sie mit ihm den Gang durch die Sterne :205
»Dort wird man sehn, was wir hier unten glauben
Ohne Beweis ; es wird sich offenbaren
Gleich der von uns geglaubten ersten Wahrheit.«206
Wie Dante demnach durch die Verstrickung in die Sünde (Inf. I) Beatrice als sein Idealbild der Tugend und Liebe aus den Augen verlor, so vermag er sie nach Sühne und Vergebung wiederzusehen, sich unter ihren Zauber, aber auch unter ihre Fittiche zu begeben, denn als die in den Himmel Erhobene blickt er stets demutsvoll zu ihr empor. Im Durchgang durch das Feuer macht Vergil dem zagenden Dante207 mit den Worten Mut :
Gli occhi suoi già veder parmi.208
Er verheißt Dante am Ende der Feuerwand das lang ersehnte Wiedersehen mit Beatrice. In dieser Zusage überwindet jener seinen Kleinmut und ist bereit, durch das Feuer zu gehen (Purg. XXVII, 46 ff.)209.
Im irdischen Paradies angelangt, fällt Dante – es ist inzwischen Abend geworden210 – in tiefen Schlaf und empfängt die dritte Traumvision211 auf dem Läuterungsberg und analog zu den beiden anderen Visionen an entscheidender Stelle (eben beim Eintritt in das irdische Paradies). In dieser erblickt er eine junge Frau, blumenpflückend, die sich als biblische Lea212 zu erkennen gibt und im Gegensatz zu ihrer Schwester Rahel als Sinnbild der vita activa (gegenüber der vita contemplativa) auftritt.213 Lea und Rahel werden parallel zu den nun in die Handlung unmittelbar eingreifenden Matelda214 und Beatrice genannt ; Lea und Matelda stehen hierbei für das auf das anschauliche Leben vorbereitende215 (und diesem untergeordnete) aktive Wirken. Die Zuordnung Beatricens zur vita contemplativa ergibt sich auch aus ihrer Position in der Himmelsrose als dem – in Stufen aufgeteilten216 – Sitz aller Seligen im Himmel bei der erwähnten Rahel.217
Nach Sonnenaufgang gehen Vergil und Dante die letzten Stufen empor, wobei der Führer ihm die Erfüllung all seiner – irdisch unerfüllbaren – Sehnsüchte verspricht. Sodann überlässt er ihn sich selbst, beendet somit seine Führerschaft und stellt Dante gar über weltliche und kirchliche (im Sinne der pilgernden Kirche auf der Erde)218 Machtansprüche :
»[…] Das zeitliche und ewige Feuer
Hast du gesehn, mein Sohn ; du bist gekommen
Dahin, wo ich von mir aus nichts mehr kenne.
Mit Geist und Kunst hab ich dich hergeleitet.
Nun nimm zum Führer deinen eignen Willen […]
Erwarte von mir nicht mehr Wort und Zeichen.
Frei, grade und gesund ist nun dein Wille,
Und Sünde wär es, wenn du ihm nicht folgtest.
Drum krön ich dich zu deinem eignen Herren (per ch’ io te sopra te corono e mitrio) !«219
Nachdem Dante also durch Hölle und Purgatorium (il temporal fuoco e l’eterno ; Purg. XXVII, 127) gegangen ist, begleitet von Vergil als Allegorie der natürlichen Gotteserkenntnis bzw. der auf die Theologie zuarbeitenden Philosophie220, überlässt ihn dieser seinem eigenen Dünken (piacere), da sein Wille nun frei (libero), gerade (dritto) und gesund (sano) und daher der erbsündlichen Neigung zum Bösen (Konkupiszenz) nicht mehr unterworfen ist.221 Als letzte Handlung setzt Vergil ihm Mitra (mitrio) und Krone (corono) auf ; diese Krönung ist Versinnbildlichung der neuen Situation : Dante ist im irdischen Paradies, er genießt dessen ursprüngliche Freiheitssituation im status naturae elevatae et integrae.222 Nach Dantes Welt- und Heilsverständnis dienen Kaiser- und Papsttum (im dialektischen Verhältnis gegenseitiger Zuordnung und doch prinzipieller Abgegrenztheit)223 zur Erlangung irdischer Zufriedenheit und himmlischer Seligkeit.