Читать книгу Scarlett Taylor - Wendy - Stefanie Purle - Страница 6
Kapitel 4
Оглавление„Was hat er gesehen?“, schreit Carmen hysterisch und rauft sich die Haare, nachdem ich ihr erzählt habe, was passiert ist. „Feuer aus deinen Händen? Wirklich? Oh mein Gott!“
„Das hat er auch immer wieder gesagt.“ Ich zucke mit den Schultern. „Oh mein Gott, oh mein Gott, und dann ist er kreischend weggerannt.“
Chris, der lässig mit verschränkten Beinen in der Ecke der Küchenzeile steht, lacht leise auf.
„Findet ihr das etwa witzig?“, will Carmen mit scharfem Ton wissen und sieht uns abwechselnd an. „Was soll er denn jetzt denken? Er kommt dir hinterher, weil er sich für sein Benehmen am Anfang entschuldigen will, und findet ein feuerspuckendes Monster vor!“
Ich zucke zusammen. „Ein feuerspuckendes Monster? So siehst du mich?“
Sie schlägt die Hände vor ihr Gesicht und stampft mit dem Fuß auf. „Nein, Scarlett, natürlich nicht“, sagt sie nun etwas milder und nimmt die Hände wieder weg. „Aber für ihn muss es so gewesen sein. Versetze dich doch mal in seine Lage! Er wollte sich entschuldigen! Und dann sieht er dich und dieses Feuer aus deiner Hand! Und dabei wollte er sich doch nur entschuldigen.“
Chris stößt sich von der Arbeitsfläche ab und stellt sich neben mich. „Bill wollte sich nicht entschuldigen, weil es ihm leid tat.“ Sein Ton ist leise, aber doch harsch.
Carmen sieht ihn erstaunt an, dann zieht sie die Stirn in Falten. „Doch, natürlich! Bevor du runterkamst, haben wir das schon besprochen! Er wollte sich entschuldigen, sobald sich eine Gelegenheit ergibt.“
„Er hat Angst vor mir, deswegen wollte er sich bei Scarlett entschuldigen. Nicht, weil es ihm leid tat.“
„Was für ein Quatsch!“, entgegnet Carmen wütend. „Woher willst du das überhaupt wissen? Er hat doch keine Angst vor dir! So ein Blödsinn.“
„Bill ist ein intelligenter Mann. Er registriert schnell, wer über ihm steht, ob nun in geschäftlichen Dingen, oder in privaten. Und als er mich sah, war ihm klar, dass er sich mit mir nicht anlegen will.“
Sie schüttelt mit dem Kopf und lacht ironisch auf. „Bill hatte doch keine Angst vor dir! Er hat es schon mit ganz anderen Leuten aufgenommen, jemand wie du schüchtert ihn doch nicht ein.“
„Doch. Ich konnte seine Angst wittern.“
Ein paar Sekunden lang starrt Carmen ungläubig in seine Augen. Dann seufzt sie und greift nach ihrer Handtasche. „Ich werde jetzt gehen“, sagt sie, senkt den Kopf und geht in Richtung Haustür, ohne mich noch einmal anzusehen.
„Carmen?“, rufe ich ihr hinterher, doch sie bleibt nicht stehen. „Du kannst doch nicht allein durch den Wald zurücklaufen!“
Sie hält inne, ohne sich umzudrehen. Ihre Schultern sacken herab. Offenbar hat sie vergessen, dass sie mit Bill zusammen in seinem Auto hergekommen war.
„Ich werde sie nach Hause bringen“, beschließt Chris und zieht bereits seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche.
„Kann Scarlett mich fahren?“
Chris schüttelt mit dem Kopf. „Nein, sie darf nicht mehr fahren“, sagt er und drückt mir einen Kuss auf die Stirn, bevor er Carmen einholt.
Ich lasse mich auf den Hocker vor der Kücheninsel sacken und seufze, während Chris´ und Carmens Schritte sich von mir entfernen. Er hat recht, ich darf nicht mehr fahren. Mir war vorhin schon ganz schwummrig vom Wein. Als Mannwolf und allgemein als Mann seiner Größe, kann er weitaus mehr Alkohol vertragen und nach eineinhalb Gläser Wein kann er allemal noch fahren. Ich hingegen nicht.
Als die Haustür hinter den beiden zufällt, hole ich eine Gabel aus der Schublade vor meinem Bauch heraus und beginne die Lasagne direkt aus der Form zu essen.
Nach knapp zwanzig Minuten ist Chris wieder zurück und ein Viertel der Lasagne verschwunden.
„Hat sie noch was gesagt?“, will ich wissen, sobald er zu mir in die Küche kommt.
Er setzt sich mir gegenüber auf einen Hocker und nimmt mir die Gabel aus der Hand. „Nein, gar nichts“, sagt er, nimmt sich eine Gabel voll Lasagne und steckt sie sich in den Mund. „Sie hat schweigend aus dem Fenster gestarrt. Ich konnte ihre Unsicherheit wittern.“
Ich nicke, schüttle aber mit dem Kopf, als er mir die Gabel zurückgeben will. „Aber Angst hatte sie nicht vor dir?“
„Nein“, antwortet er und nimmt sich eine weitere Gabel voll Lasagne. „Gute Lasagne, richtig gut!“
Ich sehe ihm eine Weile beim Essen zu und nippe an meinem halbvollen Weinglas. „Bevor du runtergekommen bist, hat Bill bei der Begrüßung meine Figur beleidigt und wollte mir danach die Nummern von ein paar Chirurgen dalassen, wegen meiner Narbe. Er war richtig angewidert davon und hat auch keinen Hehl daraus gemacht, mich das spüren zu lassen“, erzähle ich und sehe zu, wie sich Chris´ Gesicht verdunkelt. „Carmen hat ihm erzählt, du seist Privatdetektiv und er hat gefragt, wie man sich dann so ein Anwesen leisten kann. Er ist so herablassend und widerlich, ich verstehe nicht, was Carmen an ihm findet.“
Chris richtet sich auf und sieht mich verwundert und verärgert zugleich an. „Er hat dich beleidigt?“ Das letzte Wort kommt geknurrt aus seiner Kehle.
„Ja, aber das ist mir mittlerweile wieder egal. Ich frage mich allerdings, was in Leuten vorgeht, die beim ersten Treffen den Gastgeber als dick bezeichnen und ihm im zweiten Satz auf einen offensichtlichen Makel ansprechen. Was soll das?“
„Das ist ein sehr primitives Verhalten. Bei Tieren kann man sowas beobachten. Ein niederes Tier begegnet einem Alpha, doch anstatt zu ducken, greifen manche Tiere gleich an, um ihre hohe Position klarzumachen“, versucht Chris zu erklären.
„Aber als er dann auf den echten Alpha traf, war er plötzlich ganz klein“, bemerke ich und deute auf Chris selbst. „Denn nachdem du da warst, war er still.“
Chris zuckt mit dem Schultern. „Hätte er dich in meinem Beisein beleidigt, hätte ich ihn rausgeworfen. Das wird er gespürt haben.“
Es ärgert mich, dass Bill dachte, er könnte mich beleidigen. Allerdings beruhigt mich der Gedanke, dass er nun wahrscheinlich Angst vor mir hat, nun da er gesehen hat, zu was ich fähig bin. Wenn dieser Idiot wüsste, dass ich noch zu so einigem mehr fähig bin, als nur Feuer zu manifestieren!
„Warum grinst du?“, will Chris wissen und reißt mich aus meinen Gedanken.
Mein Grinsen wird breiter. „Eigentlich bin ich ganz froh, dass er einen Teil meiner Magie gesehen hat.“
Chris erwidert mein Grinsen und nickt. „Er hat eine Spur aus Angstschweiß hinterlassen, die ich noch immer riechen kann“, sagt er und wir beide lachen.
Am nächsten Morgen entdecke ich beim Frühstück eine SMS von Fletcher.
„Sorry, dass ich mich jetzt erst melde. Ich war beim See, konnte aber nichts entdecken. Alles wie immer. Aber wenig Tiere, könnte aber auch an einem Wolf oder Fuchs liegen. Werde es weiter beobachten.“
Seufzend lege ich das Handy zurück auf den Tisch.
„Hat Carmen sich heute Nacht noch gemeldet?“, fragt Chris, der mir gegenüber sitzt und seine Spiegeleier isst.
Ich schüttle mit dem Kopf. „Nein, aber Fletcher. Ich hatte ihn gestern gebeten, beim See vorbeizuschauen. Aber ihm ist auch nichts aufgefallen.“
Chris´ Blick gleitet zur Fensterfront und ich sehe, wie seine Pupillen erst kleiner, dann größer werden. „Ist der See deiner Meinung nach immer noch verändert?“
„Ja, es ist fast sogar noch etwas schlimmer geworden“, sage ich und stehe auf. „Ich kann dieses leise Weinen darin hören, ein schwaches Jammern.“ Ein Schauer durchzuckt mich. „Es ist fast schon gruselig.“
Chris kommt an meine Seite und zusammen blicken wir zwischen den Bäumen hindurch runter zum See. Er hat eine tiefdunkle Farbe und ist beinahe schwarz. Wenn ich auf die still daliegende Wasserfläche sehe, höre ich dieses leise Weinen unbekannten Ursprungs. Es ist so leise, dass ich noch nicht einmal ausmachen kann, ob es von einer männlichen oder weiblichen Stimme stammt.
„Was hast du vor? Willst du wieder runter zum See und nachschauen?“, will er wissen und legt den Arm um meine Hüfte.
Ich lehne den Kopf an seinen Brustkorb und atme seinen beruhigenden Duft ein. „Ja, aber zuerst muss ich wieder ins Büro. Danach fahre ich bei Carmen vorbei, vielleicht hat sie Zeit und wir können uns wegen gestern Abend unterhalten. Und dann schaue ich mir noch einmal den See an.“
„Hey, ich hatte gestern schon mal angerufen und auf den AB gesprochen“, zitiert das Band des Anrufbeantworters im geheimen Parapsychologen-Büro. Die Aufnahme ist schwer zu verstehen, die Stimme wirkt abgehackt und wird immer wieder von Rauschen durchbrochen. „Ich weiß nicht, ob Sie uns helfen können, aber… Hey, lass das!“ Es raschelt und ich höre gemurmelte Worte im Hintergrund. „Gib mir das Handy wieder!“ Und damit endet die Aufnahme.
Ich denke mir nicht viel dabei und klicke mich weiter zum nächsten Anrufer und mache mir meine Notizen. Danach setze ich mich mit den Auftragszetteln in der Handtasche in den Bulli und fahre zum Booh. Ich parke neben Jasons Wagen und steige aus. Es ist nicht selten, dass er schon früh am Morgen im Booh ist. Soweit ich weiß, wohnt er allein in einer kleinen Wohnung und ist nicht gerade der beste Koch, weswegen er gerne zum Frühstuck ins Booh geht. Manchmal erledigt er dann gleich noch einige Recherchen für unsere Leute.
Als ich die gemütliche Kneipe betrete, sehe ich Jason alleine am Tresen sitzen. Er trägt seine Lieblingshose aus rostrotem Cord, dazu ein muffiges Jackett aus grünem Filz mit karierten Flicken an den Ellenbogen, was mir viel zu warm für das Wetter erscheint. Sein Haar ist wieder etwas länger geworden. Er hat es sich stramm hinters Ohr geklemmt und ist ganz vertieft in sein Tablet. Daneben steht eine kleine Schüssel Rührei und ein Teller mit einer halben Scheibe Buttertoast.
„Hey Jason!“, begrüße ich ihn und setze mich neben ihn.
„Hey Scar“, antwortet er ohne Aufzusehen.
Ich sortiere meine neuen Auftragszettel in den Korb vor mir und schaue nach, welche Aufträge noch nicht abgearbeitet sind. Die verschlossenen Briefumschläge mit den fertigen Berichten stecke ich ein. Einmal im Monat berechne ich Fahrtkosten, Verpflegung und Aufwand und schicke Rechnungen an die Kunden, falls meine Leute dies noch nicht vor Ort selbst geregelt haben. Als ich fertig bin, schiebe ich den Korb zurück auf die Tresenecke und sehe Jason an. Er ist ungewöhnlich still heute Morgen.
„Darf ich dir etwas bringen, Scar?“, fragt Olivia mit ihrer rauchigen Stimme und legt die Hand vor mir auf den Tresen.
„Einen Marmeladentoast und einen Milchkaffee, bitte“, antworte ich lächelnd.
Eigentlich wollte ich ja so schnell wie möglich zu Carmen, doch nun merke ich, dass ich mich insgeheim davor drücke und Jasons Schweigsamkeit als Ausrede benutze.
Ich lehne mich näher zu ihm heran. Er schiebt sich eine Gabel voll Rührei in den Mund, wobei die Hälfte wieder zurück in die Schüssel fällt. „Jason, ist alles okay?“
„Hmm“, macht er und nimmt mich offenbar zum ersten Mal heute richtig wahr. „Ja, ja, alles klar.“
„Was liest du da?“, hake ich nach und schiele zu seinem Tablet.
Er schiebt das Gerät näher zu mir und scrollt nach oben. Es ist ein Zeitungsartikel. „Das ist ein Artikel über einen vermissten Jungen. Er wird seit Montagnacht vermisst. Ich kenne seinen großen Bruder, wir waren zusammen in einer Klasse.“
„Marcus Daim vermisst“, lese ich leise und schaue mir das Bild von dem Jungen an. Er sieht durchschnittlich, wenn nicht sogar unscheinbar aus. Auf dem Foto, was sicherlich von einem Schulfotograf geschossen wurde, trägt er einen dunkelblauen Kapuzenpullover. Er wirkt schlank, hat ein schmales Gesicht und kurze blonde Haare, die er mit Gel stachelig nach oben frisiert hat. Sein Lächeln wirkt ehrlich und fröhlich, präsentiert ein paar schiefstehende Frontzähne. Die Augen sind hellblau, mit hellen Wimpern umrandet, und auf seiner Nase sind ein paar Sommersprossen zu sehen.
„Laut dem Artikel wurde er Montag abend zum letzten Mal von seiner Mutter gesehen. Er wollte sich mit ein paar Kumpels treffen, kam aber nicht wieder nach Hause. Am nächsten Morgen hat seine Mutter sein leeres Zimmer bemerkt und ihn gleich als vermisst gemeldet“, fasst Jason für mich den Artikel zusammen.
Ich ziehe fragend die Augenbrauen zusammen. „Wieso hat sie sein Fehlen erst am nächsten Morgen bemerkt?“
„Es sind Sommerferien und er ist fünfzehn. Seine Mutter hat ihm erlaubt, bis 22:30 Uhr unterwegs zu sein, aber sie ist eingeschlafen, bevor er nach Hause kam.“
„Und sein Bruder? Und was ist mit seinem Vater?“
Jason schüttelt mit dem Kopf. „Soweit ich weiß, absolviert sein Bruder Thomas gerade ein Auslandssemester. Die Mutter ist alleinerziehend. Der Vater starb, als Thomas und ich in der fünften Klasse waren. Er hatte einen Herzinfarkt und ist eines Morgens einfach nicht mehr aufgewacht.“
„Oh nein“, seufze ich und denke an die arme Frau, die erst ihren Mann und nun vielleicht auch noch ihren Sohn verloren hat. „Und es gibt noch keine Spur von Marcus?“
Wieder schüttelt Jason mit dem Kopf. „Laut diesem Artikel nicht.“
Olivia kommt aus der Küche und bringt mir meinen Marmeladentoast und den Milchkaffee. Sie stellt ihn vor mir ab und ihr Blick gleitet über das Tablet. „Schlimm, die Sache mit diesem Marcus Daim, oder?“, seufzt sie und stützt die Unterarme auf den Tresen. „Ich kenne die Mutter, sie hat früher in unserer Siedlung gewohnt. Aber als ihr Mann starb, musste sie mit den Kindern in eine kleine Wohnung in der Stadt ziehen. Es gab Zeiten, da hatte sie drei Jobs gleichzeitig, nur um sich und die Kinder über Wasser zu halten!“
Mein Mitleid für diese Frau wächst noch weiter und ich schüttle traurig mit dem Kopf. „Kennst du auch ihre Kinder?“
„Als beide noch ganz kleine Burschen waren. Ich glaube der Ältere war zwölf, als der Vater starb. Der Kleine muss erst fünf oder sechs gewesen sein. Nachdem sie in die Stadt gezogen sind, habe ich die Familie nur noch selten gesehen.“ Olivia presst die schmalen Lippen aufeinander und steckt sich eine Strähne ihres grauen Haares zurück in ihren Dutt. Dann beugt sie sich weiter zu uns vor und flüstert, obwohl wir alleine im Booh sind. „Aber man erzählt sich, dass der Kleine auf die schiefe Bahn geraten ist. Angeblich soll er geklaut haben und in der Schule total abgesackt sein.“ Ihre Augenbrauen wackeln bedeutungsvoll. „Aber das habt ihr nicht von mir.“
Ich kann Marcus noch nicht einmal einen Vorwurf daraus machen, sollten diese Gerüchte stimmen. Er hat erst seinen Vater verloren, war gezwungen umzuziehen, hat seine Mutter wahrscheinlich kaum noch gesehen, weil sie immer arbeiten musste, und dann zieht auch noch sein Bruder für ein Semester ins Ausland. Wahrscheinlich wird Marcus sich alleingelassen gefühlt haben, und Stehlen und schlechte Noten werden ihm ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit zurückgebracht haben.
„Heute Abend findet eine großangelegte Suche statt“, sagt Jason und zeigt auf einen fettgedruckten Text in dem Artikel. „Um neunzehn Uhr geht es los. Treffen ist am Feuerwehrhaus.“
„Da sollten wir auch mitmachen“, schlage ich vor und stehe auf. „Kannst du allen eine Nachricht schicken, Jason?“
„Ja, klar. Kann ich machen“, sagt er und zückt bereits sein Handy. „Treffen wir uns auch beim Feuerwehrhaus? Oder wollen wir selbst etwas starten?“
Ich denke kurz nach. „Nein, besser wir arbeiten mit den örtlichen Behörden zusammen, denke ich.“
Jason nickt und Olivia hält beide Daumen nach oben. „Wir sind auch dabei“, sagt sie und ihre Augen funkeln dabei.
Ich verabschiede mich und mache mich auf den Weg zu Carmens Wohnung. Bereits auf der Fahrt dahin sehe ich ein paar Jugendliche, die Plakate an Bäume, Stromkästen und Schaufenster kleben. Auf allen ist das Gesicht von Marcus Daim zu sehen. Selbst als ich auf dem Parkplatz vor Carmens Haustür parke, lacht mich Marcus von einem Birkenstamm aus an. Über ihm prangt in roten Lettern das Wort „Vermisst“.
Ich klingele an der Tür und warte. Doch anstatt dass der Türöffner brummt, reißt Carmen plötzlich selbst die Tür auf.
„Scarlett, was willst du denn hier? Ich habe eigentlich gar keine Zeit, ich muss schnell los“, sagt sie hastig, während sie noch dabei ist, ein paar Wäschestücke in ihre Handtasche zu quetschen.
„Was ist los, Carmen, wo willst du denn hin?“, frage ich und strecke die Hand nach ihr aus, doch sie weicht zurück und läuft rückwärts auf ihr Auto zu.
„Es ist alles in Ordnung, aber ich muss jetzt schnell zu Bill. Wir sprechen ein anderes Mal, okay? Der Freund von Bills Sohn ist verschwunden und die Polizei war gestern spät abends bereits bei ihnen. Bei ihnen zuhause! Hat man sowas schonmal erlebt? Bill hat mich heute früh angerufen, er steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Das ist alles zu viel für ihn, verstehst du? Und seine Frau ist ja auch nicht da, er kann das nicht alles alleine regeln, er braucht mich jetzt.“ Sie hat ihr Auto erreicht, öffnet es und wirft ihre übervolle Tasche hinein. „Ich muss jetzt wirklich los, okay?“
Ich stehe verdattert da und sehe Carmen zu, wie sie mit quietschenden Reifen vom Parkplatz fährt, wobei sie einen Rosenbusch rammt und trotzdem weiter Vollgas gibt. Ihr Motor heult auf, weil sie offenbar zu schalten vergisst, und selbst als sie aus meinem Sichtfeld verschwunden ist, kann ich ihren Wagen noch protestieren hören.