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Kapitel 7

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Wir gehen nach draußen und Fletcher führt uns durch enge Tannen und Bäume hindurch, bis wir nach ein paar hundert Metern an einer Stelle ankommen, wo hohes Gras wächst. Es ist eine kleine, ovale Lichtung, gerahmt von Tannen und großen Farnen. Fletcher weist mich an, keine Pflanzen zu zertreten, da eine weiße Hexe, die mit der Natur im Einklang zaubern möchte, keiner Pflanze etwas zuleide tun darf.

Chris steht am Rand der Grasfläche, steckt die Hände in die Hosentaschen und wartet gespannt. Er wirkt, als wüsste er, was Fletcher nun vorhat und nickt mir aufgeregt zu.

Fletcher geht mit großen Schritten in die Mitte der Lichtung, das hohe Gras reicht ihm fast bis über die Knie. „Ich zeige dir jetzt etwas, das eigentlich keinerlei Nutzen hat, es ist so gesehen nur eine Demonstration dessen, wozu eine weiße Hexe fähig ist, wenn sie im Einklang mit der Natur arbeitet. Wenn ich fertig bin, wirst du es auch versuchen, und dann sehen wir ja, ob du Zugang zur weißen Magie hast, oder nicht.“

Ich sehe angespannt rüber zu Chris. Ich habe keine Ahnung, was Fletcher gleich von mir erwartet und fühle mich, wie damals in der Schule, wenn man einen unangekündigten Test schreiben musste. Chris nickt mir erneut zu und deutet lächelnd auf Fletcher, der die Augen schließt und tief einatmet. Nun widme auch ich meine ganze Aufmerksamkeit diesem leicht verschrobenem Typen, der in der Mitte der kleinen Grasfläche steht, die Arme ausstreckt und den Kopf in den Nacken legt. Er atmet tiefer und tiefer, reißt die Arme höher und höher, als leise Wind aufkommt und das Gras zum Wiegen bringt. Die Grashalme beugen sich hin und her, der Wind wird stärker und wirbelt um uns herum. Mein Haar fliegt wild um meinen Kopf und ich versuche vergeblich es zu bändigen. Blätter beginnen zu wirbeln, drehen sich in einer Spirale um Fletcher, das hohe Gras legt sich flach auf den Boden und kleine, helle Lichtpunkte tanzen in dem Wirbelsturm, der sich um Fletcher herum gebildet hat. Staunend blicke ich empor, wo der Sturm sich wie eine gedrehte Turmspitze über den Baumwipfeln formt und versuche auszumachen, was diese kleinen Lichtpunkte sind. Womöglich handelt es sich um Glühwürmchen, oder so etwas in der Art. Was sonst ist so groß wie ein Insekt und gibt derart warmes Licht von sich?

Der Sturm türmt sich weiter auf, wirbelt kreisend um Fletcher herum. In ihm sammelt sich buntes Herbstlaub, das immer mehr zu werden scheint, bis wir Fletcher durch den Wind hindurch nicht mehr sehen können.

Dann ertönt ein lautes Klatschen. Das Laub fällt gerade und bleischwer zu Boden, der Wind hört schlagartig auf. Fletcher steht mit über den Kopf zusammengeschlagenen Händen in der Mitte der Lichtung und schlägt die Augen auf. Langsam senkt er die Hände und blickt auf den Boden. Als ich seinem Blick folge, sehe ich, dass das Gras um ihn herum flach am Boden liegt. Wie in einem Kornkreis liegen die Halme geknickt auf der Erde und formen ein verschlungenes Muster aus Kreisen und verschnörkelten Kringeln. Das bunte Herbstlaub liegt gefächert in diesem Muster, als hätte jemand tagelang jedes einzelne Blatt sorgsam in die Furchen im Gras gelegt. Es ist atemberaubend schön.

„Wie...?“, stammle ich fassungslos und hocke mich hin. Meine Finger fahren über die abgeknickten Halme, heben die Blätter an, die fächerartig in das Muster hineingelegt sind. „Wie ist das möglich?“

„Das ist weiße Magie“, sagt Fletcher und tritt aus dem Kreis. „Nun ja, es ist ein Teil davon, eher eine Spielerei, die keinen wirklichen Nutzen hat.“

Ich sehe zu ihm hoch, die Hände noch immer auf das Gras und die Blätter gelegt. „Und diese hellen Lichtpunkte, was waren das? Glühwürmchen?“

„Du hast sie gesehen?“, hakt Fletcher nach und wirkt fast ein wenig aufgebracht.

„Ja, natürlich“, sage ich und blicke an Fletcher vorbei zu Chris. „Du hast sie doch auch gesehen, oder? Diese kleinen hellen Lichter im Wirbelsturm.“

Chris zuckt mit den Schultern und schüttelt den Kopf. „Nein.“

Ich stehe auf und sehe fragend in Fletchers hellblaue Augen.

„Das ist ein sehr gutes Zeichen, Scarlett“, sagt er, dreht sich zu Chris um und zeigt ihm den erhobenen Daumen, bevor er sich wieder an mich wendet. „Das waren Feen!“

„Ach, Quatsch“, sage ich und lache, doch mein Lachen verstummt, sobald ich Fletchers finstere Miene erblicke. „Im ernst? Feen?“

Fletcher nickt. „Genau... Ich sehe schon, da liegt noch eine Menge Arbeit vor mir“, erkennt er und reibt sich die Stirn. „Willst du es jetzt mal versuchen, oder lieber noch nicht?“

Ich besehe mir den hübschen Ring aus Blättern und umgeknickten Grashalmen, der die kleine Lichtung ziert und zucke mit den Schultern. „Ich wüsste nicht, wie ich es versuchen sollte.“

„Es gibt sechs Elemente, Scarlett“, beginnt Fletcher und spreizt seine Finger. „Feuer, Erde, Wasser, Luft“, erklärt er und tippt einen Finger nach dem anderen ab. „Geistwesen und Dämonen.“

„Geistwesen und Dämonen zählen zu den Elementen?“, hake ich nach, als Chris sich interessiert zu uns stellt.

„In der magischen, übernatürlichen Welt ja, da gehören Geistwesen und Dämonen zu den Elementen. Alles hat seinen Gegenpol. Feuer hat Wasser, Erde hat Luft, Geistwesen haben Dämonen, verstehst du?“ Ich nicke. „Als weiße Hexen rufen wir gedanklich die Elemente auf, lassen aber die Dämonen weg. Die sind für die dunkle Seite gedacht.“

„Verstehe“, sage ich. „Und wie rufe ich die Elemente im Geiste?“

„Du stellst dich hin, mit beiden Füßen stramm auf die Erde“, erklärt er weiter und macht vor, wie ich mich hinstellen soll. Ich mache es ihm nach. „Hüftbreit auseinander, genau so. Und dann stellst du dir vor, aus deinen Füßen würden Wurzeln bis tief in die Erde wandern.“ Fletcher schließt die Augen, legt den Kopf in den Nacken und sein Körper wird starr, wie der Stamm eines Baumes. „Somit bist du mit dem Element Erde verbunden. Dann geht es weiter mit dem Element Luft. Atme tief ein und aus, spüre, wie die Luft deine Lungen füllt.“

Ich tue, wie er sagt und atme die kühle Waldluft tief ein. Der Duft erinnert mich an Chris; Fichtennadeln, frischer Regen, saftiges Gras mit einer Prise feuchter, salziger Erde.

„Feuer und Wasser hast du schon in dir“, fährt Fletcher fort. „Das Feuer ist die Wärme in deinem Blut. Konzentriere dich darauf, spüre, wie es warm durch deine Adern gepumpt wird. Somit hast du das Element Feuer.“

Ich stehe stramm, stelle mir die Wurzeln zu meinen Füßen vor, konzentriere mich auf die Luft in meinen Lungen und das Feuer in meinen Adern.

Fletcher lässt die Schultern sacken und nimmt wieder eine lockere Haltung an. „Und das Element Wasser sind deine inneren Säfte“, sagt er und ich verziehe ein wenig angewidert das Gesicht.

„Meine inneren Säfte?“, hake ich verwundert nach.

Fletcher nickt. „Dein Speichel, dein Blut, deine Magensäure, und so weiter. Der menschliche Körper besteht zum Großteil aus Wasser.“

„Okay, verstehe“, sage ich und nicke, während ich mir die Elemente in Gedanken aufsage. Feuer, Erde, Wasser, Luft. „Und was ist mit den Geistwesen?“

„Die Geistwesen musst du gedanklich rufen. Es gibt Feen, Elfen, Kobolde, Gnome, Geister, Banshees, Irrlichter und noch viel mehr, aber du kennst sie noch nicht. Halte dich also zuerst einmal an die Feen, denn die hast du wenigstens schon einmal gesehen.“

Ich denke an die kleinen Leuchtpunkte, die im Wirbelsturm zwischen den Blättern um Fletcher herumtanzten und lächle in mich hinein. Sie erinnern mich ein wenig an die Seelen der Mädchen, die wir bei meinem ersten Auftrag befreit haben und die dann von Kitty gen Himmel geschickt wurden. Sie sahen aus wie Sternschnuppen, und ein bisschen sehen auch die Feen aus wie Sternschnuppen, bloß dass ihr Licht wärmer und ein wenig kleiner ist.

„Wenn du diese fünf Elemente gedanklich angerufen hast, stellst du dir vor, was passieren soll. Ich habe mir dieses Muster und den Wirbelsturm vorgestellt“, erklärt er und deutet auf den schnörkeligen Kreis in der Mitte der Lichtung. „Ich stellte mir vor, wie der Wind die Halme flachdrückt, die Blätter aus dem Wald zu mir wehen und sich fächerartig auf das Muster legen.“

Ich presse die Lippen zusammen und sehe wieder auf die Blätter am Boden, die säuberlich aufgereiht auf den geknickten Halmen liegen und ein buntes Muster erzeugen. „Okay.“

„Gut. Dann versuch es mal“, fordert Fletcher mich auf und führt mich in die Mitte der kleinen Lichtung. „Am besten versuchst du zuerst meinen Zauber rückgängig zu machen. Schicke die Blätter zurück in den Wald und lass die Grashalme sich wieder aufrichten.“

Er weist mich an, mich auf die Stelle zu stellen, an der er zuvor stand. Peinlichst genau platziere ich meine Füße auf seine Fußspuren, stelle mich stramm hin, straffe die Schultern und sehe zu Chris, der am Rande der Lichtung steht. Er nickt mir zu und senkt dabei kurz die Lider. Mein Herz rast und ich habe Angst zu versagen. Was, wenn ich für die weiße Magie nicht geschaffen bin, weil in mir nur dunkles Hexenblut fließt? Ich will Chris nicht verlieren und ich will auf keinen Fall so werden wie der schwarze König!

„Bereit?“, will Fletcher wissen, sieht mich an und wartet auf eine Reaktion.

„Ich glaube schon“, antworte ich mit zittriger Stimme und sehe zu, wie Fletcher sich von der Lichtung entfernt und neben Chris stellt.

„Dann fang an“, ruft Fletcher mir zu und ich schließe die Augen. „Zuerst die Erde!“

Ich konzentriere mich, stelle mir vor, wie lange, dünne Wurzeln aus meinen Füßen wachsen und die feuchte Erde durchdringen. Mein Körper spannt sich wie von selbst an, wird starr und steif, wie der Stamm eines Baumes.

„Und nun die Luft!“, höre ich Fletcher rufen.

Ich atme tief ein, konzentriere mich auf das kühle Gefühl, das die hereinströmende Luft in meinen Nasenlöchern hinterlässt. Leichter Wind kommt auf und ich öffne erstaunt die Augen.

„Augen zu!“, herrscht Fletcher mich an, doch ich habe bereits gesehen, dass die Bäume und Blätter sich um mich herum drehen und biegen.

Ich bin so euphorisch, dass ich scheinbar doch zu weißer Magie fähig bin, dass es mir schwerfällt, mich weiter zu konzentrieren und die Augen geschlossen zu halten.

„Jetzt kommt Feuer!“, ruft Fletcher mir über das immer lauterwerdende Rauschen des Windes zu.

Ich konzentriere mich auf meinen rasenden Puls und mein pochendes Herz, spüre, wie die Wärme mich erfüllt und durch meine Adern fließt.

„Wasser!“, schreit Fletcher.

Ich presse die Augen weiter zu, um der Versuchung zu widerstehen, sie zu öffnen und mich umzublicken, während ich spüre, wie mein Mund sich mit Speichel füllt, mein Bauch grummelt und die Haut in meinem Gesicht von feinem Nebel überzogen wird.

Der Sturm rauscht immer lauter, er saust und zischt um mich herum, ohne mich jedoch dabei zu berühren. Ich stehe in der Mitte, wie im Auge eines Wirbelsturms, wo es windstill ist.

„Geistwesen!“, schreit Fletcher nun und der Sturm trägt seine Sprachfetzen an mein Ohr.

Ich rufe mir die kleinen Lichtpunkte in Erinnerung, denken daran, wie sie in Fletchers Sturm tanzten und sich sammelten, wie ein Schwarm von Fischen im Meer.

Meine Haut beginnt zu kribbeln, die Haare an meinen Armen richten sich auf und ein wohliges Gefühl durchströmt mich. Die Luft um mich herum vibriert, als ich mir vorstelle, wie die Blätter sanft zurück in den Wald wehen, sich auf die Lagen des restlichen Herbstlaubes legen, das den Waldboden bedeckt. Konzentriert denke ich an die Grashalme, stelle mir vor, wie sie sich aufrichten und das schöne Muster wieder verschwindet.

Instinktiv recke ich die Arme hoch, führe meine Handflächen über meinem Kopf zusammen und klatsche.

Bevor ich die Augen öffnen kann, werde ich schon hochgehoben und herumgewirbelt. Chris lacht kehlig und drückt mich an sich. „Ich wusste, dass du es kannst! Ich wusste es!“, sagt er begeistert und hält nach zwei Umdrehungen wieder an. Er umfasst mein verdutztes Gesicht mit seinen großen Händen und küsst mich. Sein Kuss ist voller Erleichterung und Freude.

Als er seine Lippen wieder von meinen löst, blicke ich zu Boden. Das Blätterkunstwerk ist weg, die langen Grashalme stehen wieder aufrecht und es ist nichts von Fletchers Zauber übriggeblieben.

Chris streicht zart über meine Wange. Als ich zu ihm hochblicke, sehe ich ein Funkeln in seinen moosgrünen Augen. „Ich wusste es“, sagt er erneut, diesmal leiser und dennoch überglücklich.

Scarlett Taylor

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