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Kapitel 8

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„Dann gehe ich davon aus, dass du von den zwei Männern bei der Polizei verhext wurdest“, sagt Chris, nachdem ich ihm von meinem Besuch bei der Polizei erzählt habe.

Jetzt, da ich das Amulett trage, fällt mir alles wieder ein. Ich kann kaum glauben, dass mich jemand verhext haben soll, wie Chris sagt. Andererseits habe ich auch keine andere Erklärung dafür, wie ich den Besuch bei der Polizei komplett vergessen konnte und wieso ich vor wenigen Minuten noch bewegungsunfähig und stumm war.

„Warum sollte jemand nicht wollen, dass ich Elvira als vermisst melde? Ich verstehe das alles nicht“, sage ich und fahre mit meinen Fingerspitzen über die Inschriften am Amulett.

Chris setzt sich wieder hinter Elviras Schreibtisch und sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Wahrscheinlich will jemand nicht, dass sie gefunden wird“, sagt er, als wäre es ganz offensichtlich.

„Und dieser Jemand arbeitet mit der Polizei zusammen und wirft alle raus, die Elvira als vermisst melden wollen, oder was?“

Chris seufzt, stützt die Ellenbogen auf den Tisch und faltet die Hände. „Ich bezweifle, dass die Polizei mit ihm zusammenarbeitet.“

„Offenbar hatte auf der Dienststelle aber niemand etwas dagegen, dass die Glatzköpfe mich packen und aus dem Gebäude zerren. Sie haben noch nicht einmal hingesehen!“, protestiere ich ein wenig zu lautstark und senke meine Stimme wieder. „Keiner hat reagiert, Chris. Sie hätten sie doch aufgehalten, wenn sie nicht mit ihnen zusammenarbeiten würden.“

„Vermutlich waren die Polizisten selbst verhext“, bemerkt Chris und zuckt mit den Achseln.

Ich schüttle mit dem Kopf und reibe mir die Schläfen. Das alles ist etwas zu viel für mich. Erst verschwindet Elvira, dann dieses geheime Büro, dann die Schattenmann-Geist-Geschichte, und nun sagt mir ein Dämonologe, dass ich verhext worden bin und die halbe Polizeistation gleich mit mir.

Hexen, Geister, Dämonen... Vor ein paar Tagen war mein Leben noch normal, und nun sowas!

„Egal“, unterbricht Chris meine Gedanken und überfliegt weiter ein paar von Elviras Notizen. „Ich werde ein paar Kollegen informieren und zusammen machen wir uns auf die Suche nach Elvira. Solltest du zuerst etwas von ihr hören, dann melde dich bei mir, in Ordnung?“, bittet er mich und steht auf.

„Moment mal“, protestiere ich und halte ihn auf. „Was soll das heißen, du und ein paar Kollegen machen sich auf die Suche? Und was ist mit mir? Ich will Euch helfen!“ Auch wenn ich schon jetzt leicht überfordert bin, so geht es doch um meine Tante! Ich werde nicht tatenlos herumsitzen und darauf warten, dass Chris sich wieder bei mir meldet.

Chris lächelt mitfühlend und legt den Kopf schief, was mich ziemlich verärgert. Ich brauche sein Mitgefühl nicht, ich bin kein kleines Kind, welches man Zuhause lässt, solange die Erwachsenen die Arbeit erledigen.

„Außerdem brauche ich im Moment deine Hilfe bei einem Fall“, erinnere ich ihn. „Elvira wollte, dass ich ihre Fälle übernehme, bis sie wieder da ist. Und ich habe dort etwas gefunden, wobei du mir helfen musst.“

Chris stöhnt ein wenig genervt, verlagert ungeduldig sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und nickt. „Schon gut. Ich helfe dir bei diesem Fall. Worum geht es denn genau?“

Zufrieden nicke ich. „Sehr schön. Und danach helfe ich mit bei der Suche nach meiner Tante.“

Er verdreht die Augen im Kopf. „Das werden wir dann sehen“, hält er mich hin und bittet mich ihm zu erzählen, worum es bei dem aktuellen Fall geht.

Ich hole das Buch aus dem Rucksack und schlage die Seite auf, auf der die Zeichnung des Schattenmannes zu sehen ist. Chris nimmt mir das Buch ab und für einen kurzen Moment streifen seine Fingerspitzen zufällig meinen Handrücken. Mein Blick huscht zu seinem Gesicht. Er hat es auch gespürt, da bin ich mir sicher, denn er sieht mich kurz an, mit seinen großen, von dichten schwarzen Wimpern umrandeten Augen, bevor er seinen Blick schlagartig wieder abwendet. Ich räuspere mich und erzähle ihm von Zoe und Julie, von ihrem alten Haus, dem Gewitter und natürlich von meiner Begegnung mit dem Schattenmann. Chris lauscht interessiert meinen Worten, seine Stirn ist sorgenvoll in Falten gelegt, während ich ihm das eiskalte Fauchen und Knurren schildere.

„Gut, dass du mich gleich angerufen hast“, sagt er und klappt das Buch zu. „Was hast du über das Haus herausfinden können?“

Ich schlucke und zucke mit der Schulter. „Soweit war ich noch nicht“, gebe ich zu und blicke zu ihm auf.

Auf seiner Stirn bilden sich noch tiefere Falten. „In Ordnung. Dann recherchiere das. Ich habe noch etwas zu erledigen“, sagt er und blickt auf seine Uhr. „Ich kann in zwei Stunden wieder hier sein, dann fahren wir zu dem Haus. Bis dahin suchst du alles Erdenkliche über das Haus und das Grundstück zusammen.“

„Und wie?“, frage ich ahnungslos.

Chris seufzt. „Elvira hat dich wirklich kein bisschen eingearbeitet, oder?“

„Nein“, antworte ich. „Vor achtundvierzig Stunden dachte ich noch, sie führt ein stinknormales Reisebüro!“

Wieder lächelt Chris mitfühlend. Ein wenig sanfter erklärt er mir, dass ich mit Elviras Laptop Zugriff auf alle Datenbanken, Dokumente und Akten der Stadt und des Landes habe. Illegal natürlich, aber das spielt keine Rolle, sagt Chris. Außerdem kann ich auf alte Zeitungsartikel, Todesanzeigen, Sterbeurkunden und Krankenakten zugreifen. Der Laptop ist so gesichert, dass man damit fast alle behördlich registrierten Daten abrufen kann, ohne bemerkt zu werden. Chris erklärt mir sogar ein wenig genauer, wie es funktioniert, aber nachdem er mein ratloses und verwirrtes Gesicht sieht, gibt er auf.

„Suche einfach, als ob du etwas bei einer Suchmaschine im Internet suchst“, rät er mir und ich nicke.

Dann verabschiedet er sich rasch und lässt mich an Elviras Schreibtisch allein zurück.

Als ich den Laptop hochfahre, muss ich lächeln. Das Hintergrundbild zeigt Elvira, meine beste Freundin Carmen, meine Mutter und mich vor ungefähr zehn Jahren. Wir stehen zusammen in der damaligen Küche meiner Mutter vor einer Torte mit einer brennenden Kerze in Form einer Siebzehn darauf. Wir lachen und liegen uns in den Armen. Mit schwerem Herzen denke ich daran, dass dies der letzte Geburtstag war, den wir richtig gefeiert haben. Doch ich verbanne den Gedanken schnell wieder und mache mich an die Arbeit. Schließlich möchte ich etwas vorweisen können, wenn Chris in zwei Stunden wiederkommt.

Es dauert sicherlich eine Viertelstunde, bis ich herausgefunden habe, unter welchem Programm ich suchen muss. Dann klicke ich mich mindestens eine Stunde durch alte Zeitungsartikel und Todesanzeigen und werde tatsächlich fündig: Die Stelle, an der das Haus vor genau einhundertfünf Jahren gebaut wurde, beherbergte zuvor einen Friedhof mit kleiner Kapelle. Ganz in der Nähe war ein Kloster.

Als ob das nicht schon gruselig genug wäre, finde ich dann noch einen uralten Zeitungsartikel, der belegt, dass sich in der Kapelle eine Nonne erhängt hat. Kurz darauf wurde die Kapelle abgerissen, der Friedhof verlegt, das Kloster geschlossen und eine Siedlung entstand. Die Grabsteine wurden versetzt und kamen auf den neuen Friedhof, der bis heute genutzt wird. Ob man die Leichen und Särge auch ausgebuddelt und verlegt hat, steht in den Artikeln nicht.

Ich frage mich, warum die Nonne sich erhängt hat. Und warum gerade in der Kapelle? Ihr Name war Schwester Constanze Maria, sie lebte in dem Kloster, nicht weit von dem Friedhof und der Kapelle entfernt. Über ihr Leben finde ich nichts. Alles, was die Zeitungen, Akten und Dateien zu bieten haben, ist ein Artikel über ihren Selbstmord in der Kapelle.

Doch dann stoße ich neben der Sterbeurkunde noch auf einen Polizeibericht. Als ich endlich die krakelige Handschrift entziffern kann, schlage ich vor Schreck die Hand vor den Mund. Schwester Constanze Maria soll zum Zeitpunkt ihres Todes im achten Monat schwanger gewesen sein und ein Mädchen erwartet haben.

Scarlett Taylor

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