Читать книгу Scarlett Taylor - Stefanie Purle - Страница 8
Kapitel 5
ОглавлениеZoe führt mich durch das komplette Haus. Zuerst zeigt sie mir das Wohnzimmer, mit dem großen Kronleuchter in der Mitte und dem steinernen Kamin. Sie weist auf dunkle Ecken hin, in denen sie „das Ding“, den Schatten, gesehen hat, wobei ich bemerke, dass fast alle Ecken des Hauses äußerst dunkel sind. Trotz all der Fotos mit lachenden Gesichtern darauf, und all der schönen Dinge, die Zoe in das Haus gebracht hat, hängt ein dunkler Schleier über allem.
Wir gehen weiter ins nobel eingerichtete Esszimmer, mit silbernen Kerzenleuchtern auf polierten Tischen, vorbei an der Kellertür zum Hauswirtschaftsraum, in dem Waschmaschine und Trockner stehen. Dann führt sie mich in den ersten Stock, wo die Schlafzimmer und Gästezimmer sind. Sie zeigt mir das große Badezimmer, in dem sie und Julie sich immer beobachtet fühlen. Ich gehe hinein, während Zoe im Türrahmen stehen bleibt und auf ihrer Unterlippe kaut. Das Fenster ist so weit oben, dass eigentlich niemand von außen hineinsehen kann, zumal wir im ersten Stock sind.
Sie führt mich weiter ins Elternschlafzimmer und zeigt mir die Stelle, an der sie in der vergangenen Nacht den mannshohen Schatten gesehen hat, als sie plötzlich erschrocken zurückweicht.
Ihr Blick ist auf das Bett geheftet. „Scarlett, sieh doch!“, schreit sie hysterisch, zeigt mit dem Finger auf das Bett und weicht zurück.
Ich schaue auf das gemachte Bett und es dauert etwas, bis ich erkenne, was sie so erschreckt. Am Fußende sind rechts und links faustdicke Abdrücke in der Decke.
„Genau dort hat das Ding heute Nacht auf die Matratze geschlagen“, kreischt Zoe und läuft rückwärts auf die Tür zu. „Ich bleibe hier nicht länger.“
„Zoe, nun warte doch“, versuche ich sie aufzuhalten, aber sie ist schon im Flur, steht am Treppengeländer und kaut nervös an dem Ärmel ihres Pullovers.
„Ich gehe da nicht wieder rein“ beschließt sie und ihre Stimme zittert. Sie schüttelt mit dem Kopf, wobei ihr zerzauster Haarknoten im Nacken hin und her schlägt.
Ich stelle mich neben sie und streiche über ihren knochigen Rücken. „Ist okay, Zoe“, beruhige ich sie. „Wie wäre es, wenn du unten in der Küche auf mich wartest, und ich sehe mich hier noch ein wenig um?“, schlage ich mit sanfter, aber fester Stimme vor.
Zoe nickt und schnieft. „Julie ist in ihrem Zimmer, falls du sie noch etwas fragen möchtest. Sie weiß, was du tust. Es war ihre Idee dich anzurufen“, sagt sie und flitzt eilig die Treppen hinunter.
Ich atme tief durch und gehe nochmal zurück in das Elternschlafzimmer, um mir die Abdrücke auf dem Bett genauer anzusehen. Sie sind noch da, rechts und links am Fußende des Bettes. Der Rest ist glatt und ebenmäßig mit einer weißen Tagesdecke bedeckt. Ich stelle mich vor das Bett, genau dorthin, wo Zoe meinte den Schatten gesehen zu haben. Dann beuge ich mich nach vorn und versuche beide eingedrückten Stellen zu berühren, schaffe es aber nicht, sie sind zu weit voneinander entfernt.
Ein Keuchen hinter mir lässt mich aufschrecken. Ich blicke mich um, aber ich niemand ist da, ich bin allein.
„Zoe? Julie?“, rufe ich leise, aber niemand antwortet.
Wieder dieses Keuchen, diesmal kommt es vom Bett. Als ich hinschaue, sehe ich plötzlich einen dritten Abdruck auf dem Bettlaken. Genauso groß, wie die zwei anderen, diesmal aber in der Mitte des Bettes. Ich beuge mich vor und versuche ihn zu berühren, komme aber nicht ran. Verwirrt schüttle ich den Kopf. Dieser Abdruck war mir vorher nicht aufgefallen. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass er vor einer Sekunde noch nicht da war! Und ich kann ihn nicht verursacht haben, da ich gar nicht rankomme.
Ich blicke zur Decke, wieder aufs Bett und sogar darunter. Aber dort ist nichts.
Der Regen peitscht gegen die Fensterscheiben und ein Blitz durchzuckt den Himmel, gefolgt von ohrenbetäubendem Donner. Der Donner verebbt und ich höre ein gurgelndes Knurren, direkt hinter mir. Erschrocken drehe ich mich um und weiche zurück, doch da ist wieder nichts.
Dann erneut ein Knurren und ein grässliches Fauchen.
Ich könnte schwören, heißen Atem auf meinem Gesicht zu spüren.
Ein eiskalter Schauer läuft mir den Rücken hinunter und ich gehe rasch in Richtung Tür.
„Zoe, bist du hier?“, rufe ich, jetzt etwas lauter, aber ein weiterer Donner übertönt meine Stimme komplett.
Als ich auf dem Flur stehe und die Schlafzimmertür hinter mir schließe, zwinge ich mich zur Ruhe und atme erst mal tief durch. Sicherlich gibt es eine logische Erklärung für das Keuchen, die Abdrücke auf dem Bett und dieses seltsame Knurren. Vielleicht sind es die Rohre, schließlich ist es ein altes Haus.
Als ich mich beruhigt habe, gehe ich zu Julies Zimmer. An ihrer Tür ist mit pinkfarbenen Holzbuchstaben ihr Name geschrieben, darunter hängt das Poster einer Boyband. Ich klopfe an und eine zarte Stimme bittet mich herein.
Als ich die Tür öffne, sehe ich ein wunderhübsches junges Mädchen, mit hellroten langen Haaren an einem Schreibtisch sitzen. Sie lächelt mich an, steht auf, kommt auf mich zu und reicht mir die Hand.
„Bist du Elvira Taylor?“, fragt sie mit einer butterzarten hohen Stimme.
„Nein, ich bin Scarlett Taylor. Ich vertrete meine Tante, bis sie wieder da ist.“
„Oh“, sagt Julie und ihr Lächeln verlässt abrupt ihr Gesicht. „Okay.“
Ich räuspere mich. „Julie, können wir uns über die Dinge unterhalten, weswegen deine Mutter mich angerufen hat?“, frage ich und setze mich auf ihr rosafarbenes Plüschbett.
„Okay“, antwortet sie knapp, setzt sich wieder an ihren Schreibtisch und legt ihre Hände mit den langen dünnen Fingern auf die Tastatur ihres Laptops. Mir fällt auf, dass der Bildschirm schwarz ist.
„Kannst du mir erzählen, was du gesehen hast? Mit deiner Mutter habe ich schon gesprochen.“
Julie dreht langsam den Kopf zu mir. Ihre Mundwinkel deuten ein Lächeln an, welches ihre Augen aber nicht erreicht.
„Ich habe Schatten gesehen“, sagt sie tonlos und schaut wieder zurück auf den schwarzen Bildschirm.
Dieses Kind ist mir irgendwie unheimlich, aber ich weiß nicht wieso. „Julie, haben diese Schatten dir Angst gemacht?“, hake ich nach.
„Ein wenig.“
Ich seufze und schlage die Beine übereinander. „Ist da vielleicht etwas, das du mir erzählen möchtest? Deine Mutter sagte, es sei deine Idee gewesen mich anzurufen.“
Wieder dreht sie den Kopf in meine Richtung und blickt mich aus matten Augen an. „Meine Idee war es, Elvira Taylor anzurufen.“
Genervt verdrehe ich die Augen. „Tja, aber Elvira ist zurzeit leider nicht da, deswegen bin ich als ihre Vertretung hier“, sage ich, vielleicht ein bisschen zu schnippisch. „Möchtest du vielleicht warten, bis Elvira wieder da ist?“, schlage ich vor, obwohl ich nicht glaube, dass Zoe damit einverstanden wäre.
„Darauf werden wir wohl nicht warten können.“ sagt sie und lächelt mich unheimlich an.
Ich stutze. „Was meinst du damit?“
Mechanisch dreht sie den Kopf zurück und blickt ganz vertieft auf den pechschwarzen Bildschirm. „Ach, nur so“, seufzt sie. „Meine Mutter hätte die Sache gern baldigst erledigt.“
Baldigst erledigt, wiederhole ich gedanklich. Welches vierzehnjährige Mädchen spricht denn so?
Ich stehe auf und gehe zur Tür, während Julie weiterhin auf den abgeschalteten Laptop starrt. Ich greife zur Türklinke und will mich verabschieden, als ich für den Bruchteil einer Sekunde eine verzerrte Fratze anstelle von Julies Spiegelbild im Bildschirm sehe. Doch sobald ich einmal blinzle, ist sie weg und ich sehe nur noch das hübsche Gesicht dieses rothaarigen Mädchens darin.
„Okay, Julie. Falls du mir noch etwas sagen möchtest, findest du mich unten bei deiner Mutter“, sage ich kurzatmig und verlasse hastig ihr Zimmer.
Ich gehe die knarrenden Treppen hinab und zurück zu Zoe in die Küche. Sie sitzt an der Kücheninsel und blickt müde in ihre Teetasse. Als ich auf sie zukomme, schreckt sie hoch und atmet erleichtert aus, als sie sieht, dass ich es bin. Ganz kurz kriege ich einen Eindruck davon, welch schöne Frau sie einmal gewesen sein muss, doch die Angst und die Panik, die sie tagtäglich mit sich herumträgt, haben ihr Gesicht verändert. Erwartungsvoll blickt sie mich an, als wäre ich ihre letzte Rettung.
„Ich müsste mal kurz auf die Toilette. Bin gleich wieder bei dir“, entschuldige ich mich und gehe ins Gästebad.
Ich muss einfach mal kurz allein sein, weg von dieser Frau, die all ihre Hoffnungen in mich gesetzt hat.
Die Rohre hinter den Wänden gluckern, als ich das kalte Wasser aufdrehe. Es hört sich an, als käme eine Horde Ratten mit metallenen Füßen über ein Blechdach gerannt. Ich lasse das Wasser über meine Hände laufen und benetze mein Gesicht damit. Die Kühle tut gut und wirkt beruhigend. Ich nehme das flauschige Gästehandtuch und halte es mir vors Gesicht, während ich über Zoe und Julie nachdenke. Gerne hätte ich mit Zoes Mann Peter gesprochen und seine Sicht der Dinge erfahren. Seine Frau sagte mir ja schon am Telefon, dass er dem Ganzen keinen Glauben schenkt. Vielleicht hätten wir zusammen eine natürliche und logische Erklärung für den Spuk finden können.
Seufzend besehe ich mir mein Gesicht im Spiegel, als ich hinter mir, in der Ecke des Badezimmers, einen ziemlich großen, mannshohen, schwarzen Schatten sehe.
Ich kreische und greife nach der Türklinke. Panisch ziehe und rüttle ich daran, doch sie geht nicht auf. Der Schatten ist immer noch da und zu meinem blanken Entsetzen, kann ich Kopf, Schultern, lange Arme und gebeugte Beine an ihm ausmachen. Sein Gesicht teilt sich gespenstisch, und da, wo ein Mund sein könnte, öffnet sich der Schatten und ein gurgelndes Lachen ertönt. Ein Lachen, das nicht menschlich ist. Es geht mir durch Mark und Bein.
Ich reiße immer noch am Türgriff, zerre daran und versuche zu entkommen. Der Schatten macht einen Schritt auf mich zu, sein Lachen kommt näher und ich spüre wieder diesen heißen Atem, als endlich die Tür aufgeht.
Fallend renne ich durch die Tür, komme auf den Knien auf, rapple mich wieder hoch und blicke hinter mich.
Der Schatten ist verschwunden.
„Du hast ihn auch gesehen, Scarlett, oder?“, kreischt Zoe und hält ängstlich ein paar Meter Abstand, während sie die Gegend hektisch mit ihren verweinten Augen sondiert. „Ist er noch hier?“
Mein Herz rast in meiner Brust, schlägt mir bis zum Hals. „Nein, er ist wieder weg“, keuche ich.
Zoe bricht in Tränen aus. „Es reicht! Es reicht wirklich!“, schreit sie zwischen lauten Schluchzern, dreht sich um und geht in die Küche.
Ich folge ihr, wobei ich keine Ahnung habe, wie ich sie beruhigen soll, wie ich ihr und mir selbst erklären kann, was gerade geschehen ist.
Hektisch zieht Zoe zwei schwere Koffer aus dem Abstellraum neben der Küche hervor und ruft lauthals nach ihrer Tochter.
„Wir gehen“, verkündet sie energisch, wobei Tränen unaufhörlich von ihren Wangen tropfen.
Julie kommt durch die Tür, sieht mit aufgerissenen Augen zwischen mir und ihrer Mutter hin und her.
„Nimm deinen Koffer, Julie. Wir gehen zu Tante Mira.“
Das Mädchen nimmt ihrer Mutter einen Koffer ab. Dann blickt sie mich fast entschuldigend an, doch Zoe drängt sie an mir vorbei in den Flur.
Schnell nehme ich meine Sachen und folge den beiden. Zoe läuft mit schnellen Schritten zur Haustür und mahnt ihre Tochter zur Eile. Ich haste hinterher.
Draußen tobt der Wind, der Regen peitscht durch die nun geöffnete Haustür hinein und ein weiterer Blitz erhellt kurzzeitig den Himmel. Zoe holt einen Schlüsselbund aus ihrer Hosentasche, fummelt daran herum und wirft mir einen einzelnen Schlüssel zu. Nur mit Mühe fange ich ihn. Sie befiehlt ihrer Tochter zum Auto zu gehen und diese rennt los.
„Wir gehen, Scarlett. Ruf mich an, wenn das Ding weg ist. Egal wie lange es dauert, oder was es auch kosten mag, mach es weg!“, ruft sie mir entschlossen über den Donner, den prasselnden Regen und das Peitschen des Windes zu.
Dann rennt sie selbst zur Garage, den Koffer hinter sich herschleifend, durch die herabfallenden Wassermassen und lässt mich allein zurück.