Читать книгу Scarlett Taylor - Stefanie Purle - Страница 6
Kapitel 3
ОглавлениеNachdem ich die halbe Nacht in dem verrückten Buch gelesen habe, für das Elvira Jahre gebraucht haben muss, um es zu verfassen, fahre ich am nächsten Morgen zur Polizei. Ich möchte Elvira als vermisst melden. Nun, da ich gelesen habe, womit Elvira sich wirklich beruflich beschäftigt hat -nämlich mit übernatürlichen Dingen wie Geister, Dämonen, Hexenpriester und Teufelsaustreiber- mache ich mir noch mehr Sorgen um meine Tante. Entweder ist sie geistesgestört, oder sie glaubt all das wirklich und ist vielleicht irgendeinem Satanskult in die Falle gegangen. Egal was es ist, Elvira braucht Hilfe!
Ich sage dem Beamten vorne am Schalter, dass ich eine Vermisstenmeldung aufgeben möchte. Ohne den Blick auch nur einmal von seinem Computerbildschirm zu heben, schickt er mich in das Büro seines Kollegen.
„Den Gang runter, dritte Tür rechts“, nuschelt er und steckt sich die stumpfe Seite eines Bleistiftes zwischen die Lippen.
Ich folge seiner Wegbeschreibung und klopfe an die Tür. Von innen höre ich eine gelangweilte Stimme. „Ja, bitte.“
Eine billige Parfumwolke kommt mir entgegen, als ich die Tür öffne. Hinter dem Schreibtisch sitzt ein breitschultriger Mann, Mitte dreißig, mit kurzen, braunen Haaren. Ein Dreitagebart sprießt auf seinem Kinn und er trägt eine schwarze Hornbrille auf der Nase, über die hinweg er mich fragend ansieht. „Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“
Ich schlucke hörbar, schließe die Tür hinter mir und trete vor seinen Schreibtisch.
„Bitte, setzten Sie sich doch“, sagt er und deutet mit der Hand auf einen Stuhl.
Ich nehme Platz und lege meine Handtasche auf den Schoß. „Ich möchte meine Tante Elvira Schneider als vermisst melden, bitte“, sage ich und merke plötzlich, wie nervös ich bin.
Der Polizist wird es auch bemerkt haben, so wie meine Stimme gezittert hat. Er lächelt mich mitfühlend an, öffnet ein Programm an seinem Computer und lässt sich meine Personalien zeigen. Dann stellt er mir ein Dutzend Fragen, tippt auf der Tastatur herum und bittet mich um ein aktuelles Foto meiner Tante. Ich gebe mir Mühe, alles so korrekt wie möglich zu beantworten. Von dem geheimen Büro und dem Buch sage ich natürlich nichts.
„Elvira Schneider, S-C-H-N-E-I-D-E und R, richtig?“, fragt er nun schon zum zweiten Mal.
„Ja, das sagte ich doch bereits.“
Der Polizist schüttelt sanft mit dem Kopf, seine Augen huschen wild über den Bildschirm. In seinem Blick meine ich Verwirrung und Ratlosigkeit zu sehen.
„Was ist denn?“, hake ich ungeduldig nach und versenke angespannt meine Fingernägel im Leder meiner Tasche.
Er räuspert sich. „Es tut mir leid, aber eine Elvira Schneider habe ich hier nicht im System“, sagt er schließlich und kratzt sich am Kinn.
„Wie bitte?“, hake ich verdutzt nach und lehne mich vor. Ich versuche auf seinen Bildschirm zu sehen, doch er dreht ihn von mir weg und blickt mich über seine Brille hinweg tadelnd an.
„Ihre Tante ist nicht im System. Die Frau, die sie als vermisst melden möchten, ist nicht gemeldet“, versucht er sanft zu erklären.
Ich gebe seltsame, protestierende Laute von mir und fahre nervös durch meine Haare. „Aber... Das ist nicht möglich! Natürlich ist sie hier gemeldet. Sie hat das Reisebüro drei Straßen von hier entfernt!“, erkläre ich aufgebracht.
Er schüttelt sachte mit dem Kopf, blickt erneut auf den Bildschirm und wieder zu mir. Dann nimmt er die Brille ab, stützt sich auf seine Unterarme und sieht mich eindringlich an. „In unseren Daten ist keine Elvira Schneider gemeldet, auf die Ihre Beschreibung passt. Aber wenn Sie möchten, kann ich meine Leute auf den Fall ansetzen.“
„Natürlich möchte ich das! Deswegen bin ich ja hier!“, rufe ich ihm aufgebracht ins Gesicht, als die Tür hinter mir mit Schwung geöffnet wird.
Ich zucke zusammen, als sie gegen die Wand prallt und drehe mich um. Zwei Männer in grauen Anzügen kommen auf mich zu, beide mit Glatze und rahmenlosen Brillen auf der Nase. Ich sehe verdutzt zu dem Polizisten, der jedoch nur gelangweilt auf seinen Bildschirm starrt. Einer der Männer umfasst meinen Oberarm und zieht mich hoch, nicht gewaltsam, aber doch energisch und fordernd.
„Wir werden uns um die Angelegenheit kümmern, Sie hören dann von uns“, sagt er monoton und führt mich aus dem Büro.
Ich will mich zu ihm umdrehen, doch hinter mir steht der andere Glatzkopf und blockiert die Sicht.
„Hallo? Was soll das? Hey!“, protestiere ich lautstark und versuche mich aus dem Griff des Anzugträgers zu befreien, schaffe es aber nicht.
Sie führen mich den Flur entlang, vorbei an dem bleistiftkauenden Beamten, der so tut, als würde er uns nicht bemerken, und hinaus auf den Parkplatz. Ich zapple und wehre mich heftig. Ich schreie sogar, doch niemand reagiert. Vor meinem Auto bleiben wir stehen. Der schmalere der beiden Glatzköpfe stellt sich vor mich, während der andere immer noch mühelos meinen Oberarm in seinen riesigen Händen hält. Ich ziehe und zerre, doch er kommt noch nicht einmal ins Wanken. Der schmale Glatzkopf sieht mich an, blickt mir direkt in die Augen, und ich beginne mich augenblicklich zu entspannen. Ich weiß nicht warum, aber plötzlich lasse ich meine Abwehrhaltung fallen und konzentriere mich ganz auf ihn.
„Es ist alles in Ordnung. Wir werden Ihre Tante suchen, Sie brauchen sich um nichts zu kümmern. Machen Sie sich keine Sorgen mehr. Sie fahren jetzt nach Hause und vergessen, dass Sie hier waren. Die Sache ist für Sie abgeschlossen. Verlassen Sie jetzt das Gelände“, säuselt er und ein Gefühl von Frieden überkommt mich.
Ich nicke und lächle ihn an. Der Griff um meinen Oberarm löst sich. Ich steige in mein Auto und fahre davon.
Zuhause sitze ich wenig später wie benommen auf meinem Sofa und starre vor mich hin. Ich habe keine Ahnung, was ich vorhatte. Es ist wie dieses Gefühl, wenn man einen Raum betritt und vergessen hat, was man eigentlich wollte, bloß zehnmal stärker. Innerlich bin ich leer. Ich weiß nicht, wo ich war, ich weiß nur, dass ich plötzlich auf meinen Parkplatz fuhr, ausstieg und hoch in meine Wohnung ging. Der restliche Morgen ist wie ausradiert. Immer wieder reibe ich mir die Augen, bis mein ganzer Lidstrich verschmiert ist. Ich habe Kopfschmerzen und spüre einen unangenehmen Druck hinter der Stirn. Als ich ins Badezimmer gehe, um mein Gesicht mit kaltem Wasser zu bespritzen, sehe ich mich im Spiegel an. Meine Augen wirken matt und ein wenig milchig. Verwirrt schüttle ich mit dem Kopf. Was ist bloß los mit mir?
Ich stelle mich unter die Dusche und lasse das warme Wasser über mein Gesicht laufen, in der Hoffnung, dass es auch meine Gedanken wieder klarer werden lässt. Immer wieder denke ich, dass ich etwas vergessen habe. Etwas Wichtiges. Einen Termin?
Als ich wieder aus der Dusche steige, binde ich mir ein Handtuch um die nassen Haare und ziehe meinen Bademantel über. Anschließend gehe ich schlurfend und noch immer wie benommen ins Wohnzimmer, um in meinen Kalender zu schauen. Auf dem Tisch liegt er, neben dem dicken, in Leder gebundenem Buch von Elvira.
Elvira!
Wie ein Film im Zeitraffer laufen vor meinem inneren Auge die Geschehnisse des gestrigen Tages ab. Elviras Mail, ihr Reisebüro, das geheime, versteckte Büro. Das Buch, die seltsamen Utensilien und Amulette, mein neuer Name. Und der Auftrag!
Ich schnappe nach Luft, falle vor dem Wohnzimmertisch auf die Knie und öffne meinen Kalender. Darin klebt ein Zettel mit der Anschrift der Frau, die gestern auf Elviras Anrufbeantworter gesprochen hat. Hektisch gucke ich auf die Uhr. Ich habe noch eine halbe Stunde Zeit bis ich da sein muss.
Im Eiltempo föhne ich mir die Haare, ziehe den Lidstrich neu, tupfe etwas Rouge auf die Wangen und getönten Lippenbalsam auf die Lippen. Danach schlüpfe ich in eine schwarze Hose und wähle hastig eine schwarze Seidenbluse dazu aus. Schwarz scheint mir die angemessenste Farbe für diesen Job zu sein.
Ich raffe alles zusammen, was Elvira mir hinterlegt hat, und renne zum Auto.
Der schwarze Panther steht auf dem Parkplatz. Mein altes Auto wirkt neben ihm trist und matt. Es fällt mir leicht ihn stehen zu lassen und mich stattdessen in meinen neuen BMW zu setzen. Ich lege meine Sachen auf den Beifahrersitz und streiche über das weiche Lenkrad, während mir der herbe Neuwagengeruch angenehm in der Nase kitzelt.
„Ich bin jetzt Scarlett Taylor“, sage ich leise zu mir selbst. „Parapsychologin im Außendienst.“
Ich drehe den Schlüssel im Schloss und der Panther fängt an zu schnurren.