Читать книгу Phönix Band 1 - Stefanie Worbs - Страница 6

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Enyo

„Wo ist der verdammte Wolf?!“, entfährt es mir und ich spüre, wie die Wut überhandnimmt. Es ist nicht das erste Mal, dass er weggelaufen ist, aber bis jetzt war er nie so lange verschwunden.

„Ich hab dir gesagt, behalte ihn auf dem Grundstück“, kommt es tadelnd aber leise von meiner kleinen Schwester.

Mein Blick fliegt zu ihr und sie wird merklich kleiner. „Deine dämlichen Ratschläge kannst du dir sonst wo hinstecken!“, fahre ich sie an und weiß im selben Moment, dass ich unfair bin. Aber gerade ist mir einfach nicht danach, irgendwelche blöden Reden darüber zu hören, was ich hätte besser machen können.

Ich habe den Wolf noch nicht lange, dachte allerdings, dass ich ihn mittlerweile gut im Griff hätte. Dem scheint nicht so zu sein, denn ich stehe hier ohne ihn. Basil, mein nächstältester Bruder, den meist alle Bay nennen, grinst blöde hinter Cara und nimmt meinen wütenden Blick ohne weitere Regung hin. Sie wissen zum Glück alle, was sie tun dürfen und lassen sollten, wenn ich in dieser Stimmung bin.

Jeder der weiß, dass ich um meine Unzulänglichkeiten weiß, würde sagen; änder es doch. So einfach ist das aber gar nicht. Ristan, der älteste von uns und Regent der Stadt, hatte mal einen guten Vergleich. Meine Wutausbrüche sind wie Alkoholiker sein. Man kann nicht einfach damit aufhören. So ist das eben auch bei mir. Wenn ich wütend bin, bin ich es. Da hilft auch durchatmen nicht mehr.

„Geh raus und such ihn. Was anderes bleibt dir nicht übrig“, baut sich nun Bent, auch mein Bruder und zweitältester Sohn meines Vaters, ein. Er hebt die Schultern und fügt an: „Oder du wartest ab, ob er zurückkommt.“

„Und wenn nicht?“, fauche ich und versuche es nun doch mit durchatmen.

„Dann hast du keinen Wolf mehr“, grinst Bay dämlich und bringt meine Wut damit wieder zum Kochen. Ohne Vorwarnung fliegt das Buch, das eben noch neben mir auf dem Tisch gelegen hat, in seine Richtung. Im Flug klappt es auf und wird so gebremst.

Bay kann es abwehren und lacht. „Das hast du auch schon mal besser hingekriegt, En.“

„Halts Maul!“, blaffe ich ihn an. „Halt einfach dein scheiß Maul, Bay!“

„En?“ Cara klingt eingeschüchtert und wieder zwinge ich mich dazu, durchzuatmen. „En, er kommt sicher wieder. Lass ihn eine Nacht laufen. Daròn hat das auch gemacht, als er klein war.“ Daròn ist Ristans Wolf und der Vater von meinem. Und Cara hat vermutlich recht. Es könnte ihm einfach im Blut liegen.

Ich seufze: „Okay. Eine Nacht. Aber morgen werde ich ihn suchen.“

Sie lächelt zufrieden und erleichtert zugleich. „Du findest ihn sicher.“

Ich hebe die Hand und winke ab, dann verlasse ich die Bibliothek. Bays bescheuertes Grinsen muss ich mir nicht weiter antun.

Die Nacht war lang und schlaflos, denn ich weiß, wenn ich den Wolf nicht wiederbekomme, habe ich ein Problem mit Ristan.

Der Winzling war der letzte Welpe, den sein Daròn hervorgebracht hat. Er wird ihn nicht noch mal zur Zucht freigeben, denn der Wolf ist alt und schwach geworden. Meiner ist also sein letzter Erbe.

Normalerweise hätte Ristan ihn selbst behalten und hat ihn mir auch nur höchst widerwillig überlassen. Es war der letzte Wunsch unseres Vaters, dass ich einen Welpen aus der Linie seines Wolfes bekomme und das ist nun mal dieser Winzling gewesen. Der letzte Wurf, der letzte Welpe. Er sollte die Blutlinie der Elbwölfe von Maén fortsetzen und nun ist er weg.

Ich habe die Stadt lange nicht so verlassen gesehen, aber das liegt neben der letzten Jagd wohl auch am Wetter. Früh am Morgen hat es zu schütten angefangen und sämtliche Jäger waren noch vor Sonnenaufgang zurück. Nicht ein Elf ist mir bisher über den Weg gelaufen, dafür aber tatsächlich ein paar wenige, mutige Menschen. Zwei haben mich als Elf erkannt und sind im Dauerregen untergetaucht. Ein anderer war ein Bote, der sich ehrfürchtig verneigt hat und dann lautlos verschwunden ist.

Die vierte war eine alte Frau, die kaum laufen konnte. Auch sie hat mich bemerkt, wahrscheinlich aber resigniert, weil sie eh nicht hätte fliehen können. Ich habe sie ziehen lassen, was sie sichtlich irritiert hat.

Der fünfte Mensch jetzt, ist ein Mädchen, das nicht viel jünger als ich zu sein scheint. Auch sie hat mich nicht bemerkt, aber ich habe sie bemerkt und ich habe den Wolf an ihrer Seite bemerkt. Meinen Wolf, wie ich feststellen musste. Doch statt Zorn darüber, dass er sich bei einem Menschenmädchen aufhält, ist Neugierde in mir aufgeflammt und nun folge ich den beiden schon eine Weile. Sie hat den Wolf nicht angeleint, er folgt ihr freiwillig, als würde er zu ihr gehören.

Vorsichtig wie ein Reh, das den Wald verlässt, schleicht die Kleine durch die Stadt und es gelingt ihr tatsächlich, mich ab und zu zu verwirren und abzuhängen. Doch nie für lange. Sie besucht einen Medizinhändler und dann eine Zwergenfrau.

Mein Erstaunen wächst mehr und mehr, denn die Zwergin lebt sehr nah am Anwesen und hierher verirren sich äußerst selten Menschen, die nicht in unseren Diensten stehen. Das Mädchen zeigt keine Angst und setzt souverän, aber achtsam, einen Fuß vor den anderen.

Noch mehr erstaunt es mich dann, als sie in Richtung der Rosengärten schleicht. Das schlechte Wetter hat den Norden der Stadt noch nicht erreicht und nichts und niemand verdeckt die Sicht auf sie. Jeder Elf in Sichtweite, könnte sie als Menschen erkennen und sich holen.

Entweder ist ihr das egal oder sie denkt einfach nicht daran. Wäre ich ein anderer, hätte auch ich sie schon geholt. Aber ich jage keine Menschen. Auch wenn ich vieles von dem, was sie getan haben, abgrundtief verabscheue, weiß ich, dass nicht alle so sind und es ist Ewigkeiten her. Ich für meinen Teil urteile erst, wenn ich die Person kenne und das Mädchen war bis jetzt nicht mehr als ein mutiges, kleines Ding.

Und hübsch ist sie. Wirklich sehr hübsch. Unter der weiten Kleidung kann ich ihren schlanken Körper erkennen und ihre Haltung zeugt von Stolz. Ihre langen dunklen Haare trägt sie zu einem hohen Zopf gebunden, der beim Gehen hin- und herschwingt.

Würde ich ihn mir um die Hand wickeln, würde er locker zwei- oder dreimal darum reichen. Ihre Augen fliegen aufmerksam über ihre Umgebung, doch sie hat mich noch nicht entdeckt. Ich bin gut im Beobachten. Kaum ein Elf ist nicht in der Lage, mit Leichtigkeit mit seiner Umgebung zu verschmelzen. Trotzdem muss ich aufpassen, denn sie hat ihre Augen wirklich überall.

Hübsche hellgraue Augen. Am Rosengarten angekommen wirkt sie unentschlossen. Jetzt liegt ihre Aufmerksamkeit bei den Pflanzen. Leise schleiche näher heran und bleibe in Elfenhörweite hinter einem Baum stehen. Sie redet mit dem Wolf, als sei er ihr Freund und sie will eine Rose haben.

Als sie einen Versuch startet, ist mir sofort klar, dass er misslingen wird. Ich würde die Blüte, die sie gewählt hat, vielleicht erreichen. Doch ihre Arme sind definitiv zu kurz. Zu meiner Überraschung bekommt sie sie dennoch zu fassen. Beim Heranziehen reißt die zarte Pflanze aber und schwingt zurück. Als ich das Gesicht des Mädchens wieder sehe, ist es schmerzverzerrt.

Warum? Sie redet wieder mit dem Wolf, hebt den Blick zum Himmel und ... hat sie sich gerade entschuldigt? Bei wem denn?

Ihr Gesicht zeigt Missmut, als sie den Kopf wieder senkt, doch fast sofort ist sie erneut aufmerksam. Ich halte den Atem an, als sie sich erhebt und dann an dem Baum vorbeikommt, hinter dem ich stehe. Wie absurd. Ich, als Elf, verstecke mich vor einem Menschen. Noch dazu einem Mädchen, das ich sicher locker mit einem Arm hochheben könnte.

Als sie vorbei ist, kann ich ihre Kehrseite aus der Nähe bewundern und muss feststellen, dass die sehr viel mehr hermacht, als die mancher Elfenfrauen. Überhaupt ist die Kleine wirklich heiß, mit ihren zarten, weiblichen Rundungen und ihren leicht schwingenden Hüften.

Bei allen Göttern, En! Sie ist ein Mensch! Auch wenn es Männer aus meinem Volk gibt, die sich Menschenfrauen als Gespielinnen nehmen ... hier gehöre ich ebenfalls nicht dazu. Sie sind viel zu zerbrechlich und als Elfenmann muss man höllisch aufpassen, wegen der Kraft und so.

Ich schüttle den Kopf, um ihn frei zu bekommen, dann folge ich dem Mädchen wieder. Mein Wolf trottet neben ihr her, als wäre er ihr Haushund. Ein wenig macht mich das schon wütend, wenn ich ihn so sehe und er mich überhaupt nicht registriert.

Das Mädchen läuft Richtung Stadtzentrum. Als sie auf eine Häuserecke zuhält, wird mir klar, wo sie hin will. Zur U-Bahn. Mir wird schlecht. Der einzige Ort, an den ich ihr sicher nicht und niemals folgen werde, ist die U-Bahn. Unter Tage gibt es kein natürliches Licht. Es gibt wenig frische Luft und es ist eng und überhaupt ... es hat Gründe, warum Elfen dort nicht leben. Es ist einfach viel zu winzig und viel zu gefährlich.

Ich muss sie aufhalten. Ich muss meinen Wolf davon abhalten, ihr zu folgen. Kurzerhand entscheide ich, sie anzusprechen. Erst hab ich keine Ahnung wie, denn ich bin nun mal, was ich bin und sie ist, was sie ist. Sicher wird sie nicht seelenruhig abwarten und mir dann höflich meinen Welpen zurückgeben. Aber was habe ich für eine Wahl?

„Hey Kleine“, rufe ich und achte auf einen Abstand, der ihr eine gewisse Sicherheit geben sollte. Sie dreht sich zu mir und ihre Augen werden groß. „Warte mal. Der Wolf ...“, schaffe ich zu sagen, da dreht sie sich fluchtbereit zurück. „Bleib mal stehen.“ Nun rennt sie schon. Verflucht!

Ich setze ihr nach und rufe, denn auch mein Wolf folgt ihr wie am Faden gezogen. Sie ist verdammt schnell und wendig dazu. Ihr Weg führt sie - wie erwartet - Richtung U-Bahn. Ich schaffe es, aufzuholen, und kann sie quasi fast greifen, als sie die Treppe zu einer Station erreicht und mit einem Satz nach unten springt.

Rutschend komme ich zum Stehen und kann nicht mehr tun, als ihr nachzuschauen. Mein Herz rast, aber nicht weil ich gerannt bin, sondern weil sie da unten ist und ich ihr nicht folgen kann. Keine Höhlen, keine U-Bahn. Eine innere Bremse hält mich vom Weiterlaufen ab. Die Kleine kommt unten an, fällt und dreht sich sofort nach mir um. Mein Wolf ist ihr natürlich gefolgt und wirft mir einen fast schelmischen Blick zu.

Innerlich könnte ich platzen vor Wut. Ich sehe, wie sie mich mustert und die Angst in ihren Augen wächst, dann steht sie auf und macht einen Schritt zurück.

„Mein Wolf“, sage ich und bin selbst erstaunt, dass es doch relativ ruhig klingt. Dafür, dass ich gerade schäume vor Zorn. Ihr Blick fliegt zwischen uns hin und her, dann tönt vom Bahnsteig aus der ankommende Zug und ich weiß, dass sie ihn nehmen wird. Jetzt hab ich so gut wie keine Chance mehr, meinen Wolf zurückzubekommen.

Phönix Band 1

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