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Von Pflanzen inspiriert: Der Plantoid

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Es gibt also, wie wir gesehen haben, viele gute Gründe, sich bei der Roboterentwicklung von den Pflanzen inspirieren zu lassen. Davon war ich jedenfalls felsenfest überzeugt, als 2003 die Idee in mir reifte, einen Plantoiden zu entwickeln. Die ungeahnten Möglichkeiten, die sich dem Roboterbau durch das Pflanzenvorbild eröffnen würden, begeisterten mich, und der Begriff «Plantoid», in Anlehnung an «Android», schien mir für meine Idee mehr als passend. Ich malte mir aus, wo sich die Plantoiden überall als nützlich erweisen konnten, ob in der Bodenerkundung oder der Weltraumforschung, wusste allerdings auch, wie begrenzt meine Roboterkenntnisse waren und sind. Aus meiner Idee konnte nichts werden, wenn ich sie allein weiterentwickelte, das war mir klar, und ich sah meinen Traum schon, wie viele wissenschaftliche Ideen, in irgendeiner Schublade verstauben.


Plantoiden auf einer Fotomontage. Die von Pflanzen inspirierten Roboter sind für alle Arten von Bodenerkundungen geeignet, ob für die Suche nach Ressourcen oder nach Giften.

Glücklicherweise kam es anders. Damals erzählte ich jedem von der Idee, der mir irgendwie zu nahe kam – wenn mich etwas wirklich interessiert, neige ich leider zur Monomanie –, und eines Tages lief mir genau die Richtige über den Weg, die Frau, mit der mein spannender, aber bislang eher theoretischer Traum doch noch wahr werden konnte. Schon 2003, bei unserer ersten Begegnung, war Barbara Mazzolai, heute Leiterin des Zentrums für Mikrobiorobotik am IIT (Italienisches Institut für Technologie mit Sitz in Pisa), eine herausragende Forscherin im Bereich Robotertechnologie – und durch ihr Studium außerdem in der Biologie bewandert. Mit ihr über Roboter und Pflanzen zu reden, ergab sich sozusagen von selbst. Barbara war von der Idee eines Plantoiden fasziniert, und je öfter wir darüber sprachen, desto überzeugter wurden wir, dass sich die Idee auch verwirklichen ließ. Zweifellos würde es viele technische Probleme geben, aber keine unlösbaren. Wir waren uns sicher: Der Plantoid musste einfach das Licht der Welt erblicken.

Die Entwicklung eines Roboters, der wirklich funktionstüchtig und mehr als ein mechanisches Spielzeug ist, erfordert viel Zeit, Arbeit und Geld, umso mehr, wenn es sich um ein völlig neues Konzept handelt. Wie alle begeisterten Forscher waren wir bereit, Zeit und Arbeit in das Projekt zu stecken, aber mit unserem Geld wären wir, bei aller Liebe, nicht weit gekommen. (Informieren Sie sich mal, wie viel ein Forscher in Italien verdient; ich schäme mich, es zu sagen.) Wir mussten also eine Institution oder Stiftung finden, die das Projekt als Partner fördern würde.

Und das sollte sich als äußerst schwierig und zeitraubend erweisen. Die Argumente und Baupläne, die nach unserer Meinung stichhaltig, solide und makellos waren, ließen unsere Gesprächspartner vollkommen kalt. Auch diesmal war es, wie so oft, schwierig, Menschen von der Leistungsfähigkeit der Pflanzen zu überzeugen, die in diesen eher Gartenschmuck sehen, Organismen an der Grenze zur unbelebten Welt.

Und noch schwieriger war es, potenzielle Geldgeber davon zu überzeugen, dass das pflanzliche Vorbild eine völlig neue Robotergeneration ermöglichen würde. Meiner Ansicht nach – und ich hoffe, bald auch nach der meiner Leser – sprachen wir hier über einen hochinteressanten Ansatz mit spannenden Herausforderungen, doch die Wachhunde an den Geldtöpfen sahen das eindeutig anders. Sie konnten der Idee nichts abgewinnen und vermissten einen konkreten Nutzen. Und wenn man gegen die sogenannte «Vorsicht» dieser Leute, die ich allerdings eher als Mangel an Fantasie bezeichnen würde, anrennt, dann hat man meistens schon verloren.

Aber wer für ein visionäres Projekt Geld auftreiben will, darf nicht verzagen: Wenn man wirklich an seine Idee glaubt, wird irgendwann jemand auftauchen, der sich von der eigenen Begeisterung anstecken lässt. In unserem Fall war das Ariadna, eine Initiative des Teams für Fortschrittliche Konzepte (Advanced Concepts Team, ACT) der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Wir konnten das Team von unseren Argumenten für einen bioinspirierten Weltraumroboter überzeugen, und man finanzierte uns unverzüglich eine Machbarkeitsstudie. Die Mittel dafür waren begrenzt, und wir konnten damit nichts bauen, aber die Studie half uns, unsere Ideen zu präzisieren und mögliche Probleme beim Bau des Plantoiden zu identifizieren. Wir präsentierten der ESA am Ende ein Dokument mit dem vielversprechenden Titel Bio-inspiration from plants’ roots (Pflanzenwurzeln als Bioinspiration), in dem die Pläne für den Plantoiden und mögliche Weltraumeinsätze, besonders auf dem Mars, ausführlich erläutert sind und das sich übrigens noch immer im Internet findet.

Unsere Grundidee war simpel: Weil Pflanzen per se Pioniere sind, müssen wir ihre Überlebensstrategien erforschen und nachbilden, wenn wir einen Plantoiden bauen wollen, der in feindlicher Umgebung überlebensfähiger ist als andere Roboter. Und welche Umgebung wäre feindlicher als der Weltraum, etwa der Mars? Das Projekt sah vor, unzählige etwa 10 Zentimeter große Plantoiden in die Marsatmosphäre zu bringen und dort auszusetzen. Sie sollten sich auf dem Mars verteilen und ihre Wurzeln in den Boden graben. So konnten sie den Boden erkunden, während der Roboter durch Fotovoltaikzellen in den oberirdischen Scheinblättern unbegrenzt mit Strom versorgt wurde. Unser Projekt bedeutete eine völlige Umkehrung des Ansatzes, mit dem man die Marserkundung bisher in Angriff genommen hatte. Wir würden keine teuren Roboter ins All schicken, die im Schneckentempo ein winziges Gebiet erkundeten, sondern Tausende von Plantoiden, die sich wie Samenkörner in der Atmosphäre ausbreiteten und über ein großes Gebiet verteilten, die untereinander und mit der Erde kommunizierten und uns so, ohne sich fortzubewegen, unzählige präzise Bodendaten zur Erstellung verlässlicher Landkarten senden würden.


Der erste Plantoid-Prototyp, der im Rahmen des europäischen FET-Projekts gebaut wurde, kann seine Wurzelspitzen in den Boden wachsen lassen.

Nach der Machbarkeitsstudie für die ESA geriet das Projekt allerdings wieder ins Stocken, und jahrelang wollte sich niemand finden, der es finanzierte. Doch 2011 bewarben Barbara und ich uns um eine Förderung der Europäischen Union, mit der «visionäre», also hochriskante, aber auch hochinnovative Projekte ausgezeichnet werden. Die FET-Initiative (Future and Emerging Technologies) war und ist die wichtigste Arena für alle bahnbrechenden europäischen Technologieprojekte. Hier treten sie gegeneinander an und kämpfen um eine ausreichende Finanzierung. Zu unserer großen Überraschung erhielt unsere Bewerbung mit dem Titel Plantoid. Innovative robotic artefacts inspired by plant roots for soil monitoring eine Bewertung von 15/15. Besser ging es nicht! Und wir erhielten endlich eine Finanzierung, mit der wir unseren ersten Plantoiden bauen konnten.

Die nächsten drei Jahre verbrachten wir mit der Planung, Entwicklung und schließlich dem Bau der zahlreichen Module des Plantoiden. Jeder Schritt stellte uns vor Herausforderungen. Als eine der größten Hürden für Barbaras Forschungsinstitut erwies sich die Nachbildung des Wurzelwachstums. Keine leichte Aufgabe; noch heute gehören selbstwachsende Mechanismen zu den großen Herausforderungen der Robotertechnik.

Den Wachstums- und Bewegungsprozessen der Wurzeln liegen hauptsächlich zwei Mechanismen zugrunde: die Zellteilung im Apikalmeristem, unmittelbar unter der Wurzelspitze, und die Zellvergrößerung im dahinterliegenden sogenannten Streckungsbereich. Beim Bau der Roboter-Wurzelspitzen ahmten wir beide Mechanismen mithilfe eines Kunststofftanks nach, der das Wachstum der Roboterwurzel vorantrieb. Unsere Roboter-Wurzelspitze bildete zudem die sensorischen Fähigkeiten der Wurzel nach: Mit einem Beschleunigungssensor folgte sie der Schwerkraftrichtung, mit einem Feuchtigkeitssensor spürte sie geringste Wasserdifferenzen auf; verschiedene chemische Sensoren sowie Osmose-Aktoren verwandelten osmotischen Druck in Bewegung und gewährleisteten die richtige Ausrichtung und das Eindringen in den Boden, und eine der verteilten Wurzelintelligenz nachempfundene Mikrosteuerung verwaltete sämtliche Sensordaten. Als die Roboterwurzeln unseres Plantoiden schließlich fertig waren, mussten wir noch die Blätter bauen. Sie stellten uns allerdings vor weniger Probleme. Wir bildeten den Fotosyntheseprozess einfach durch Fotovoltaikzellen nach, die den nötigen Betriebsstrom für alle Funktionen erzeugten.

Weil der Plantoide sich, analog zur Anpassungsstrategie der Pflanze, äußerst langsam bewegt, kann er seine Umgebung effizient erforschen und sich an die vorgefundenen Bedingungen anpassen. Dank neuartiger Osmose-Aktoren können die Wurzelspitzen wachsen und ihre Lage im Boden verändern. Dabei kommunizieren sie mit allen anderen Wurzelspitzen und erfassen auch deren Daten. Sie arbeiten also mit der pflanzentypischen Strategie der verteilten Intelligenz.

Heute sind Plantoiden Wirklichkeit und können in verschiedenen Bereichen eingesetzt werden: bei radioaktiver und chemischer Verseuchung, Terrorangriffen, der Kartierung von Minenfeldern, in der Weltraumforschung, bei Mineralien- oder Erdölsuche, speziellen Urbarmachungen oder in der Landwirtschaft 2.0. Barbara arbeitet bis heute an Verbesserungen und Spezialausstattungen für Plantoiden. Wir sind schließlich noch ganz am Anfang unseres spannenden Weges. Doch mittlerweile betrachten immer mehr Menschen Pflanzen als ein vielversprechendes Vorbild, dessen Nachahmung uns neue technologische Möglichkeiten eröffnet. Und ich wünsche mir oder bin mir eigentlich sicher, dass sich schon bald friedliche Plantoiden um unsere Gärten und Fabriken kümmern werden.

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