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WARUM SCHLAFEN WIR?

Unser Schlafverhalten wird hauptsächlich von zwei Prozessen gesteuert, dem Prozess S (= Schlafhomöostase) und dem Prozess C (= zirkadianer Prozess). Prozess S hängt von der Ansammlung des Botenstoffs Adenosin im vorderen Teil unseres Großhirns (Frontallappen) ab, wodurch über den Tag hinweg kontinuierlich unser Schlafdruck ansteigt. Prozess C stellt unsere innere Uhr dar – diese wird jeden Tag aufs Neue von den äußeren Lichtverhältnissen und dem „Uhrenhormon“ Melatonin gesteuert. Letzteres wird ab der Dämmerung bis in die frühen Morgenstunden von unserer Zirbeldrüse (Glandula pinealis) im Gehirn ausgeschüttet.

WAS BEWIRKT, DASS WIR ABENDS MÜDE WERDEN?

ZWEI-PROZESS-MODELL DES SCHLAFES

Unser Schlafverhalten wird nicht ausschließlich, aber hauptsächlich über zwei Prozesse gesteuert, die miteinander synchronisiert sind. Dieses Modell wurde Anfang der 1980er-Jahre erstmals beschrieben und umfasst:

• Prozess C (zirkadianer Prozess)

• Prozess S (Schlafhomöostase)


Abb. 4: Zwei-Prozess-Modell der Schlafregulation nach Borbely. Prozess C (zirkadianer Prozess) und S (Schlafhomöostase) regulieren gemeinsam unser Schlaf-Wach-Verhalten. a) Während sich abends das Schlaffenster öffnet, wird in den ersten Stunden des Schlafes (dunkelblaue Fläche) rasch Schlafdruck abgebaut. b) Durch Schlafentzug wird deutlich mehr Schlafdruck aufgebaut.

Kommt es z. B. aufgrund einer Flugreise über mehrere Zeitzonen hinweg zu einer Verschiebung zwischen den beiden Prozessen und laufen diese – zumindest vorübergehend – nicht mehr synchron, dann entsteht das Phänomen des Jetlags (siehe dazu Kapitel „Schlaf aus dem Tritt – zirkadiane Rhythmusstörungen“).

Schlafhomöostase (Prozess S)

Während wir untertags wach sind, sammelt sich im vorderen Teil unseres Gehirns (Stirn- oder Frontallappen) der Botenstoff Adenosin an, wodurch der sogenannte Schlafdruck bis zum Abend deutlich und annähernd linear ansteigt.

Zirkadianer Prozess (Prozess C)

Durch den stärksten „Zeitgeber“ Licht wird unsere innere Uhr jeden Tag aufs Neue an den äußeren Tag-Nacht-Rhythmus angekoppelt (entrainment). Tagsüber wird durch helles Tageslicht die Produktion von Melatonin unterdrückt, damit wir wach und aktiv bleiben. Abends beginnt die Melatoninproduktion, und diese wiederum bereitet uns auf den Schlaf vor.

WO SITZT UNSERE INNERE UHR?

Der Begriff „innere Uhr“ müsste eigentlich „innere Uhren“ heißen, da wir im Gehirn eine Hauptuhr (master clock) und in anderen wichtigen Organen, wie z. B. im Herz und in der Leber, zusätzliche innere Uhren (peripheral clocks) besitzen.

Die Hauptuhr, der Nucleus suprachiasmaticus (SCN), ein paariger Nervenkern aus 45.000 bis 50.000 Neuronen im vorderen Teil des Hypothalamus (eines Teils des Zwischenhirns), wird über lichtempfindliche Ganglienzellen in der Netzhaut und eine spezielle Nervenbahn (Tractus retinohypothalamicus) mit Informationen versorgt, die bei hellen Lichtverhältnissen über eine Zwischenstation im obersten Teil des Rückenmarks zu einer Unterdrückung der Melatoninproduktion führen. Erst bei Einbruch der Dämmerung wird vermehrt Melatonin produziert, wodurch sich bei gleichzeitig hohem Schlafdruck (Prozess S) das sogenannte „Schlaffenster“ öffnet und das Einschlafen ermöglicht wird.


Abb. 5: Unsere innere Uhr, der Nucleus suprachiasmaticus (SCN), blockiert tagsüber die Produktion von Melatonin, die erst wieder mit Beginn der Dämmerung einsetzt. Der Cortisolspiegel erreicht dagegen am frühen Vormittag seinen Höhepunkt und sinkt zum Abend hin wieder ab.

SCHLAFEN UNSERE INNEREN ORGANE AUCH?

Zirkadiane Prozesse steuern nicht nur unser Schlafverhalten, sondern zahlreiche weitere Körperfunktionen. Dabei übernimmt der SCN die Funktion des Schrittmachers bzw. Dirigenten für die übrigen Organe. Im übertragenen Sinne kann man davon sprechen, dass unsere inneren Organe auch Schlafphasen haben, in denen sie ihre Aktivität, wie z. B. die Produktion von Insulin in der Bauchspeicheldrüse, reduzieren. Für die Aufrechterhaltung unseres Gesundheitszustandes ist es daher unbedingt notwendig, dass wir neben unserem Schlafverhalten auf einen stabilen Tag-Nacht-Rhythmus unserer Nahrungsaufnahme und körperlichen Aktivität achten.


Abb. 6: Gleichklang unserer inneren Uhren. Diese sitzen sowohl zentral im Gehirn (Nucleus suprachiasmaticus) als auch peripher in den inneren Organen. Laufen diese Uhren synchron, steigert dies unser Wohlbefinden (links). Durch Schlafmangel und helles Licht oder Mahlzeiten in der Nacht (rechts) kann dieser Gleichklang empfindlich gestört werden.

HABE ICH GENUG TIEFSCHLAF?

Der Tiefschlaf hat aufgrund seiner regenerativen Funktionen (siehe Kapitel „Was ist Schlaf?“) zu Recht einen sehr guten Ruf, und in der klinischen Praxis wird häufig die Sorge hinsichtlich eines Tiefschlafmangels geäußert. Diese wäre beim gesunden Erwachsenen berechtigt, wenn der Anteil der Tiefschlafstadien während der gesamten Schlafzeit längerfristig unter 10 % läge. Grundsätzlich lässt sich aber auch festhalten, dass Kinder und Jugendliche von Natur aus deutlich mehr und sehr alte Menschen deutlich weniger Tiefschlaf haben.


Verteilung der Schlafstadien (gesunder Erwachsener):

• Leichtschlaf ca. 40–60 %

• Tiefschlaf ca. 10–25 %

• REM-Schlaf ca. 10–25 %

VERÄNDERT SICH UNSER SCHLAF, WENN WIR ÄLTER WERDEN?

Zu Beginn unseres Lebens, im Säuglings- und Kleinkindalter, schlafen wir einerseits noch deutlich länger und andererseits in mehreren Schlafphasen, die sich über den ganzen Tag verteilen (polyphasischer Schlaf). Mit zunehmendem Alter halten wir vorübergehend – zumeist im Vorschulalter – noch einen Mittagsschlaf (biphasischer Schlaf) und ab dem Volksschulalter schlafen wir ausschließlich in der Nacht (monophasischer Schlaf).

Der Anteil des REM-Schlafs bleibt nach einer Abnahme bis zum jungen Erwachsenenalter anschließend bis ins hohe Alter relativ konstant. Der Leichtschlafanteil nimmt im Alter zu und der Tiefschlafanteil ab. Parallel dazu erhöht sich die Zahl der Weckreaktionen (arousals) pro Nacht und der Schlaf büßt dadurch an Kontinuität (erhöhte Schlaffragmentation) ein.

Verschiedene Schlafstörungen, wie z. B. die Schlafapnoe (siehe Kapitel „Atempausen im Schlaf – die Schlafapnoe“), erhöhen zusätzlich die Anzahl von Arousals und können den Schlaf weniger erholsam machen.


Abb. 7: Vom polyphasischen zum monophasischen Schlaf im Laufe unseres Lebens.

WARUM IST LICHT AM TAG WICHTIG?

Licht wirkt über unsere Netzhaut, in der sich Ganglienzellen befinden, die aufgrund eines speziellen Eiweißkörpers (Melanopsin) Lichtimpulse registrieren und zu unserer inneren Uhr (SCN) weiterleiten können. So hilft Licht als stärkster Zeitgeber, unsere innere Uhr mit der Außenwelt zu synchronisieren. Das Tageslicht der Sonne gibt uns vor allem morgens einen starken Impuls aufzuwachen und bahnt zusätzlich die abendliche Produktion von Melatonin (ca. zwölf Stunden später) an.

Gegen Abend nehmen die kurzwelligen Blauanteile des Sonnenlichts ab und die langwelligen Rotanteile nehmen zu. Künstliche Blaulichtquellen, wie z. B. das Bildschirmlicht von Mobiltelefonen oder Tablets, unterdrücken die natürliche Melatoninproduktion und verschieben die Schlafphase nach hinten. Dies kann z. B. Einschlafprobleme auslösen oder zumindest fördern.

Vereinfacht ausgedrückt ist unser Gehirn nach wie vor – auch in unserer „modernen“ und nachts vielfach stark beleuchteten Umwelt – auf einen großen Rotlichtanteil am Abend (z. B. beim Sonnenuntergang, vor dem Lagerfeuer) und anschließende vollständige Dunkelheit trainiert, um Schlaf produzieren zu können.


Abb. 8: Unsere innere Uhr reagiert stark auf das Überwiegen der Rotanteile des Abendlichts; diese signalisieren ihr den Beginn der Nacht.

WAS UNTERSCHEIDET „EULEN“ VON „LERCHEN“?

Jeder Mensch besitzt einen eigenen Biorhythmus, dessen Voraussetzungen uns bereits in die Wiege gelegt werden. Dieser Biorhythmus, auch „Chronotyp“ genannt, verändert sich allerdings im Laufe unseres Lebens. So sind wir als Kinder Frühaufsteher („Lerchen“) und werden bis zum Ende der Adoleszenz (20. Lebensjahr) immer mehr zu Nachtmenschen („Eulen“), bevor wir uns allmählich bis ins hohe Alter wieder zu Frühaufstehern entwicklen.

Aufgrund unserer genetischen Unterschiede und deren Verteilung in der Bevölkerung gibt es nur einen kleinen Anteil von extremen Lerchen bzw. Eulen; die meisten Menschen befinden sich hinsichtlich ihres Chronotyps zwischen dem leichten Früh- und Spättyp (siehe Abb. 9).

Frauen erreichen den Zeitpunkt der spätesten Schlafphase früher als Männer (ca. 19,5 Jahre versus 21 Jahre), jedoch verliert sich gegen das 50. Lebensjahr dieser Unterschied zwischen den Geschlechtern.


Abb. 9: Eulen und Lerchen und ihre unterschiedlichen Schlafphasen.

IST SCHLAF VOR MITTERNACHT BESONDERS GUT?

Die Volksweisheit „Der beste Schlaf ist der vor Mitternacht“ hat zwar einen richtigen Kern, kann aber nicht grundsätzlich mit Ja beantwortet werden. Da die meisten Menschen, ihrem eigenen Biorhythmus (Chronotyp) folgend, zwischen 22 und 23 Uhr zu Bett gehen, kommt es natürlich bereits vor Mitternacht häufig zu einer ersten Tiefschlafphase. Da die Schlafphasen sich zyklisch abwechseln, tritt der Tiefschlaf auch im weiteren Verlauf der Nacht, also auch nach Mitternacht, auf. Darüber hinaus sind auch andere Anteile des Schlafes wie der Leicht- und der REM-Schlaf, deren Anteile erst gegen Ende der Nacht zunehmen, für uns wichtig (siehe Kapitel „Was ist Schlaf?“).

Ergebnisse jüngster Studien legen uns nahe, dem eigenen Biorhythmus (Chronotyp) zu folgen, d. h. nicht regelmäßig deutlich früher oder später als gewohnt ins Bett zu gehen. Dies dürfte sich in Hinblick auf das Auftreten von Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen positiv auswirken.

WAS VERSTEHT MAN UNTER SCHLAFHYGIENE?

Der Begriff „Schlafhygiene“ fasst sämtliche Verhaltensregeln und Maßnahmen zusammen, die auf einen gesunden und erholsamen Schlaf abzielen. Befolgt man die nachfolgenden Tipps, unterstützt man die – zuvor beschriebenen – natürlichen Regelprozesse C und S:

• regelmäßige Bettgehzeiten

• ruhige und abgedunkelte Schlafumgebung

• körperliche Aktivität nur tagsüber (bis zum späten Nachmittag)

• letzte Mahlzeit bis vier Stunden vor dem Schlafengehen

• keine großen Mahlzeiten, kein Alkohol oder Nikotin kurz vor dem Schlafengehen

• festes Abendritual etablieren (Buch lesen, Tag gedanklich abschließen, Tagebucheintragungen etc.)

• kein Bildschirmkonsum (TV, Handy, Tablet, PC etc.) ab ein bis zwei Stunden vor dem Schlafengehen

HELFEN POWERNAPS WIRKLICH?

Kurze Schläfchen tagsüber mit einer Dauer von 20 bis 30 Minuten werden „Powernaps“ genannt und können tatsächlich die geistige Leistungsfähigkeit verbessern. Wesentlich ist dabei, nicht länger zu schlafen, da sonst üblicherweise eine Tiefschlafphase erreicht wird. Dies wiederum geht mit einer zumeist unangenehmen und unter Umständen länger anhaltenden Schlaftrunkenheit einher.

Da Powernaps den Schlafdruck (Prozess S, siehe oben) etwas reduzieren, können sie Menschen, die nachts arbeiten müssen (Schichtarbeit, siehe auch Kapitel „Schlaf aus dem Tritt – zirkadiane Rhythmusstörungen“) helfen, in der Arbeit konzentrierter zu sein. Dieses „Vorschlafen“ ist also in speziellen Situationen sinnvoll, aber man sollte vor allem bei einer Schlafstörung wie der Insomnie (siehe Kapitel „Insomnie – schlaflos durch die Nacht“) Powernaps tagsüber meiden, da es hier gerade darum geht, genügend Schlafdruck für die Nacht aufzubauen.


Abb. 10: Powernaps mit einer Dauer von max. 20–30 Minuten helfen, die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit im Alltag vorübergehend wieder zu steigern.

WELCHE FOLGEN KANN SCHLAFMANGEL HABEN?

Schlafmangel kann in akuten und chronischen Schlafmangel unterteilt werden. Die Gründe für Schlafmangel können äußerst vielfältig sein und werden in den entsprechenden Kapiteln ausführlich behandelt. Der relative Schlafmangel durch verlängerte Wachzeiten (social jetlag, siehe auch Kapitel „Schlaf aus dem Tritt – zirkadiane Rhythmusstörungen“) ist in der Gesamtbevölkerung ein häufiges Phänomen und nimmt aus Erfahrung des Autors mit der Verfügbarkeit von Internet, 24-Stunden-TV, Fitnessstudios mit 24-Stunden-Öffnungszeiten etc. leider weiter zu.

FOLGEN VON AKUTEM SCHLAFMANGEL

Eine oder zwei Nächte mit einer Schlafdauer von weniger als fünf Stunden führt bzw. führen aufgrund der gestörten Schlafhomöostase (Prozess S) zu einem tagsüber deutlich erhöhten Schlafdruck, zu einer erhöhten spontanen Einschlafwahrscheinlichkeit und damit zum „Sekundenschlaf“. Zusätzlich finden sich häufig Veränderungen des psychischen Zustandes, die von Euphorie und Distanzlosigkeit bis zur Reizbarkeit und vermehrten Impulsivität reichen. Manche Menschen entwickeln unter akutem Schlafmangel paranoide Gedanken oder erleben vorübergehende visuelle Halluzinationen.

FOLGEN VON CHRONISCHEM SCHLAFMANGEL

Sehr kurze oder stark unterbrochene Schlafphasen, die über Wochen, Monate oder gar Jahre bestehen, führen unseren Organismus in einen Zustand des negativen Dauerstresses (Distress) über. Dieser Zustand ist von einer gestörten Hormonbalance gekennzeichnet. Das Stresshormon Cortisol, das von unseren Nebennieren produziert wird und üblicherweise den höchsten Level am Morgen erreicht, wird hier im Übermaß und in Hinblick auf den Prozess C zu den „falschen“ Zeiten, d. h. vor allem abends und bereits wieder im Morgengrauen produziert. Der Organismus kämpft bei chronischem Schlafmangel praktisch mit einer andauernden Entzündung, d.h., im Blut lassen sich unter Umständen sogar erhöhte Werte des C-reaktiven Proteins (CRP) messen. Die häufigsten Folgen von chronischem Schlafmangel sind daher:

• schlechtere Immunabwehr und erhöhte Infektanfälligkeit

• verschlechterte Glukosetoleranz (prädiabetische Stoffwechsellage)

• Verschlechterung der Stimmung (Depression) und des Antriebs (Lustlosigkeit)

• Störung der Aufmerksamkeit und von Gedächtnisfunktionen („Stressdemenz“)

• vermehrte Anfälligkeit für Arbeits- und Verkehrsunfälle

• höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (z. B. Bluthochdruck, Herzinfarkt oder Schlaganfall)

ZUSAMMENFASSUNG

Wir schlafen, weil wir einerseits Schlafdruck aufbauen, wenn wir wach sind, und andererseits, weil das Licht in der Umgebung unserer inneren Uhr signalisiert, wach und aktiv zu sein, und erst bei Einbruch der Dunkelheit Melatonin ausgeschüttet wird, damit wir einschlafen können. Schlaf stabilisiert unseren Organismus und schützt uns tagtäglich aufs Neue vor Infektionen und Depression. Schlaf stabilisiert unsere geistigen Funktionen und ermöglicht uns, mit anderen Menschen sinnvoll und ausgewogen zu interagieren.

Der Schlaf

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