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WAS IST SCHLAF?

Schlaf ist ein Vorgang, der uns unser ganzes Leben lang begleitet und sich mit dem Alterungsprozess verändert. Etwa ein Drittel unseres Lebens verbringen wir nicht im Wachzustand, sondern im Schlaf. Zu Beginn unseres Lebens benötigen wir pro Tag zwischen 14 und 16 Stunden Schlaf, der sich in dieser Zeit auf mehrere Schlafphasen verteilt. Während wir etwa ab dem Schulalter nur mehr nachts eine lange Schlafphase haben, nimmt die Zahl der Schlafphasen tagsüber mit dem Erreichen eines höheren Alters wieder zu. Im Schlaf sind unsere Augen geschlossen, unsere hirnelektrische Aktivität wird langsamer und wir regenerieren, lernen und träumen. Im Gegensatz zum Koma („künstlicher Tiefschlaf“) ist im Schlaf stets ein Aufwachen möglich. Die Schwelle für die Wahrnehmung von Außenreizen ist im Schlaf allerdings erhöht.

WAS PASSIERT WÄHREND DES SCHLAFS IM GEHIRN?

Wenn wir die Augen schließen und einschlafen, verlangsamt sich die hirnelektrische Aktivität immer mehr, bis wir normalerweise in 15–30 Minuten über zwei Leichtschlafstadien das erste Mal das Tiefschlafstadium erreichen. Nach ca. 90 Minuten tritt der sogenannte REM-Schlaf auf und schließt den ersten Schlafzyklus ab. Während einer gesamten Nacht durchwandern wir vier bis fünf vollständige Schlafzyklen (siehe Abb. 1).


Schlaf wird grob in den Non-REM- und den REM-Schlaf unterteilt. Im Non-REM-Schlaf unterscheidet man wiederum Leicht- und Tiefschlaf. Der REM-Schlaf (Rapid-Eye-Movement-Schlaf) wird auch paradoxer Schlaf genannt, da sich hier die hirnelektrische Aktivität beschleunigt und der Sauerstoffverbrauch des Gehirns etwa jenem im Wachzustand entspricht, während die Spannung in der Muskulatur erlischt (Atonie).


Abb. 1: Hypnogramm eines jungen Erwachsenen. Darstellung der verschiedenen Schlafphasen während einer Nacht.

FUNKTIONEN DES NON-REM-SCHLAFS

Im Leichtschlafstadium N2 werden Gedächtnisinhalte, die wir tagsüber im Wachzustand im Kurzzeitgedächtnis gespeichert haben, in der Gehirnrinde verfestigt und in bereits vorhandene Erinnerungen und Gelerntes integriert. Dies betrifft vor allem Inhalte, die wir gehört, gelesen oder gesprochen haben.

Im Tiefschlafstadium N3 sid nicht nur der Herzschlag und die Atmung am langsamsten, sondern auch die hirnelektrische Aktivität. Dieser Zustand der größten Ruhe ist geprägt von der Ausschüttung von Wachstumshormon (Gonadotropin) und dem Abbau von neurotoxischen Eiweißkörpern wie z.B. Beta-Amyloid – ein Vorgang, der die Funktionsfähigkeit und die Lebensdauer von Nervenzellen im Gehirn steigert.

FUNKTIONEN DES REM-SCHLAFS

Im REM-Schlaf sinkt die Muskelspannung auf ein Minimum ab und lediglich die Augen bewegen sich rasch. In dieser Schlafphase träumen wir üblicherweise in verschiedenen Szenen und erinnern uns aufgrund der im Verlauf der Nacht zunehmenden REM-Schlafdichte häufig beim Aufwachen an einen oder mehrere Träume. Der REM-Schlaf dient auch der emotionalen Verarbeitung von Erlebnissen und hat wahrscheinlich einen regulierenden Einfluss auf unser Ernährungsverhalten, d. h., er ermöglicht das relativ lange „Fasten“ während unserer Nachtruhe. Zusätzlich spielt der REM-Schlaf eine Rolle beim Abspeichern von neu erlernten Bewegungsabläufen.

IST „KÜNSTLICHER TIEFSCHLAF“ AUCH SCHLAF?

Das Koma oder auch der „künstliche Tiefschlaf“ unterscheidet sich in drei wesentlichen Punkten vom natürlichen Schlaf, obwohl ein Patient im Koma einem Schlafenden äußerlich im Verhalten sehr ähnelt:

• Aus dem Koma ist kein spontanes Erwachen möglich, da entweder eine Erkrankung des Gehirns oder ein Medikament die Zentren für das sogenannte „Arousal“ (Weckreaktion) im Hirnstamm und Zwischenhirn (Thalamus) dauerhaft oder zumindest vorübergehend blockiert hat.

• Die hirnelektrische Aktivität im Koma ist überwiegend langsam und von niedriger Amplitude und zeigt nicht die Charakteristika von typischen Schlafstadien.

• Im Koma ist üblicherweise die Fähigkeit zum selbständigen Atmen durchgehend vermindert, sodass künstliche Beatmung und damit eine Intubation notwendig wird.

WARUM KÖNNEN WIR WIEDER AUFWACHEN?

In unserem Hirnstamm befindet sich ein weitläufiges Netzwerk von Nervenzellen (Formatio reticularis), die z. B. durch äußere Reize wie Geräusche, helles Licht und Berührungen aktiv werden (Aufsteigendes Retikuläres Aktivierungs-system [ARAS]) und über das Zwischenhirn (Thalamus) die Großhirnrinde in den Wachzustand zurückführen.

Die wesentliche Botenstoffe (Neurotransmitter) dafür sind:

• Serotonin

• Dopamin

• Histamin

• Acetylcholin

• Noradrenalin

Diese Weckreaktionen treten auch wiederholt auf, während wir schlafen und stellen ein ständiges Testprogramm dar, das uns aus evolutionsbiologischer Sicht in Bereitschaft hält, vor möglichen Bedrohungen flüchten zu können.

Neurotransmitter


Abb. 2: Motivation, Lust, Stimmung, Energie, Verlangen, aber auch der Schlaf werden von Neurotransmittern im Gehirn gesteuert.

WIE VIEL SCHLAF BRAUCHT DER MENSCH?

Das Schlafbedürfnis steht indirekt mit dem Lebensalter in Zusammenhang, da Säuglinge und Kleinkinder deutlich mehr (14–16 Stunden) Schlaf benötigen als alte Erwachsene (fünf bis sieben Stunden) (Abb. 3). Der durchschnittliche erwachsene Mensch benötigt zwischen sieben und acht Stunden Schlaf pro Tag.

Der Anteil des REM-Schlafs beträgt zu Beginn des Lebens ca. 50% und nimmt bis zum Erwachsenenalter auf 20–25 % ab. Der Anteil des Tiefschlafs (N3) nimmt ebenfalls von ca. 30 % auf 5–10 % ab, während der Anteil des Leichtschlafs und der Wachphasen nach dem Einschlafen im Laufe des Lebens zunimmt.


Abb. 3: Durchschnittliche Schlafdauer und Verteilung von Non-REM- und REM-Schlaf beim Menschen während der gesamten Lebensspanne.

WARUM TRÄUMEN WIR?

Wir träumen jede Nacht, obwohl wir uns nicht jedes Mal nach dem Erwachen am Morgen daran erinnern können. Leider existiert keine Messmethode, mit der wir Träume messen oder aufnehmen können. Somit bleiben Träume ein ausschließlich subjektives Erlebnis, von dem wir erzählen können.

Ein Auszug älterer und neuerer Theorien zur Bedeutung von Träumen:

• Vorhersage der Zukunft

• Spiegel des Geisteszustands eines Menschen

• Erleben von Unterbewusstem

• Emotionsregulation

• Gedächtniskonsolidierung

• probeweises Durchspielen von bedrohlichen Situationen

Aufgrund von Untersuchungen an Patienten im Schlaflabor wissen wir, dass Menschen von Traumerlebnissen berichten können, sowohl wenn sie aus dem Non-REM- als auch wenn sie aus dem REM-Schlaf aufgeweckt werden. Die Berichte nach REM-Schlafphasen sind lebhafter, haben geschichtenartigen Charakter und sind bizarrer. Berichte nach Non-REM-Schlafphasen am Beginn einer Nacht sind eher kürzer, rationaler und beschäftigen sich häufiger mit konkreten Fragestellungen, während sie gegen Ende der Nacht den Berichten nach REM-Schlafphasen ähnlicher werden.

LUZIDES TRÄUMEN

Der Begriff „luzides Träumen“ beschreibt einen Zustand, in dem sich die träumende Person bewusst ist, dass sie träumt, und zum Teil auch aktiv in das Traumgeschehen eingreifen kann. Dieser Zustand lässt sich mit verschiedenen Übungen bzw. durch Anleitung trainieren und tritt am häufigsten in der/den letzten REM-Schlafphase/n vor dem Aufwachen auf.

TRÄUME UND GEHIRNAKTIVITÄT

Wenn wir nun die Gehirnaktivität im REM-Schlaf näher betrachten, fällt auf, dass einzelne Teile, die im Wachzustand eine wesentliche Rolle spielen, kaum bis gar nicht aktiv sind, während andere so aktiv sind wie im Wachzustand.

Gehirnregionen mit hoher Aktivität im REM-Schlaf sind im Wachzustand zuständig für:

• Motorik (primär motorische Hirnrinde, Kleinhirn, Basalganglien)

• Emotionsregulation (Thalamus, basaler Frontallappen, limbisches System)

• Gedächtnis und Selbstreflexion (mediale Teile des Frontal- und Temporallappens, posteriores Cingulum)

Gehirnregionen mit reduzierter Aktivität im REM-Schlaf sind im Wachzustand zuständig für:

• aktives Teilnehmen an der Umwelt/Unterscheidung von Eigen- versus Fremdperspektive (inferiore parietale Gehirnrinde)

• Metakognition („Nachdenken über das eigene Denken“), Einordnung seiner selbst in Raum und Zeit, „Reality Check“ (dorsale präfrontale und orbitobasale Gehirnrinde, Präcuneus)

Aus dieser speziellen Konstellation im REM-Schlaf ergeben sich die typischen Veränderungen der Wahrnehmung im Traum, wie reduzierte aktive Teilhabe am Traumgeschehen, reduzierte Selbstreflexion und die anschließende (zumindest teilweise) Traumamnesie bei gut ausgeprägter Emotionswahrnehmung und teilweise außergewöhnlichen motorischen Aktivitäten.

ZUSAMMENFASSUNG

Schlaf ist ein Zustand der äußeren Ruhe, den wir Menschen üblicherweise im Liegen verbringen. Er ist kein einförmiger Zustand, sondern von einem klar strukturierten Wechselspiel zwischen Non-REM- und REM-Schlaf geprägt. Beide Schlafanteile erfüllen unterschiedliche und essenzielle Funktionen, um die Integrität unseres Organismus aufrechtzuerhalten. So führt der Non-REM-Schlaf zu einer Verfestigung von Gedächtnisinhalten und fördert die Reinigung des zentralen Nervensystems, während der REM-Schlaf neben motorischen Gedächtnisinhalten auch die Speicherung und Verarbeitung emotionaler Inhalte ermöglicht. Der Schlaf zeichnet sich durch die ständige Bereitschaft zum Aufwachen aus; dies unterscheidet ihn klar vom Koma („künstlicher Tiefschlaf“). Während unseres gesamten Lebens verändert sich nicht nur die Zusammensetzung der einzelnen Schlafanteile, sondern auch unsere benötigte Schlafdauer. Grob gesagt schlafen wir am Beginn unseres Lebens in etwa doppelt so lang wie gegen Ende unseres Lebens.

Der Schlaf

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