Читать книгу Ronnys Flucht - Steinar Sörlle - Страница 4

2

Оглавление

Die letzten Kilometer geht Ronny schwerer. Die Nachbarstadt kommt näher. Zuerst vereinzelte Häusergruppen, dann rücken die Gebäude enger zusammen. Lehnen sich aneinander. Um ihn. Jetzt überfällt ihn dasselbe Gefühl, das er in letzter Zeit in seinem Städtchen daheim hatte. Das Gefühl, eingesperrt zu sein. Es schnürt ihm den Hals zu, als er durch die Straßen geht. Doch die Nachbarstadt ist größer als seine eigene. Die Leute hasten an ihm vorbei, ohne ihn anzusehen. Das macht ihn langsam sicherer. Trotzdem setzt er die Sonnenbrille auf. Es ist, als wären damit auch die Geräusche weiter entfernt.

Hinauf zur Eisenbahnstation führt eine lange, herrliche Gutshofallee. An ihrem Ende steht nur ein kleines, sparsam gelb gestrichenes Holzgebäude. Der Bahnhof.

Aber mit jedem seiner Schritte wächst es. Als er schließlich da ist, hat es sich in ein großes Gebäude verwandelt. Sogar die Tür wirkt größer als normal.

Das ist, weil du Angst hast, hört er seine innere Stimme. So redete auch der Vater mit ihm, wenn er seine Bilder erklärte.

Ronny stemmt die schwere Tür mit der Schulter auf. Vor dem Schalter fühlt er sich immer noch klein. Der uniformierte Mann starrt an ihm vorbei, während er ihn bedient. Ein Zehner für seine Gedanken, denkt Ronny erleichtert, als er hinausgeht. Der Kerl war ja nur mit den Händen bei der Sache.

Ronny pfeift vor sich hin. Spürt, wie er wieder wächst. Oder schrumpft das Gebäude? Jedenfalls scheint alles um ihn wieder normal zu sein.

Der Intercity glitt fast lautlos durch die Landschaft. Die meisten Fahrgäste, die Ronny sah, waren in ihre Zeitungen vertieft, während sie dahinschwebten. Ronny hob den Kopf und schaute hinaus. Einen Augenblick hatte er das Gefühl, als stünde der Zug und die Landschaft drehe und drehe sich. Schneller und schneller. Du bist wohl etwas schwindlig im Kopf, Ronny, sagte er zu sich selbst.

«Quatsch», antwortete er seinen eigenen Gedanken und lächelte. Ich werde sicher Maler und Zeichner wie mein Vater. Er hat auch immer so viel Merkwürdiges gesehen.

«Der junge Mann ist wohl unterwegs zu einem Ausflug?» Die Frau ihm gegenüber hatte die Zeitung zur Seite gelegt und ihn scharf ins Auge gefaßt.

«Komplette Wanderausrüstung. Willst du in die Berge?»

Ihre graublauen Augen hatten kleine Pupillen. Jetzt fotografierte sie ihn damit. Ronny wußte es. Sobald man ihn als vermißt melden würde, würde sie beim Blick in die Zeitung nicken und sofort die Polizei anrufen.

«Klar», antwortete er endlich. «Rondane. Treffe mich mit Freunden.»

Altes Scheusal, dachte er. Laß mich in Ruhe. Warum hockst du da und klebst dir das Bild von mir in dein Gedächtnis? Das mag ich nicht. Da will ich nicht sein. Schau woanders hin.

«Wo triffst du dich denn mit ihnen?» Die Frau beugte sich vertraulich vor.

«Geht Sie einen feuchten Dreck an», entfuhr es Ronny.

Die Frau lehnte sich auf der Stelle zurück, verzog den Mund, ihr Blick wurde leer, und sie starrte aus dem Fenster.

Blödmann! Idiot! sagte Ronny zu sich selbst. Nach dieser frechen Bemerkung konnte er sicher sein, daß sie sich an ihn erinnern würde.

Der Lautsprecher krächzte: «Wir machen die neu zugestiegenen Reisenden auf unseren Minibar-Service aufmerksam. In Waggon drei steht ein Telefon zu Ihrer Verfügung. Wir wiederholen ...»

Ronny schaute für einen Moment in die argwöhnischen Augen der Frau und zuckte zusammen. Hatte sie nicht ihn angesehen und gleich darauf dem Schaffner einen vielsagenden Blick zugeworfen, als der gerade kontrollierte?

Er spürte, wie heiß sein Gesicht war, bestimmt war es auch rot. Als der Zug das nächste Mal hielt, erhob er sich. Folgte fast automatisch denen, die aussteigen wollten.

Auf dem Bahnsteig blieb er verwirrt stehen. Registrierte nur, daß die Waggons davonfuhren. Einer nach dem anderen wurden sie von einem dunklen Tunnel verschluckt.

Ronnys Flucht

Подняться наверх