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Eins

Sofie Kehlenbeck stampfte mit den Füßen, um den Schnee von ihren Stiefeln zu entfernen. Er fiel in glasigen Klümpchen aus dicken Profilsohlen auf die Fußmatte vor der Bürotür des VFFF. Mit einer Handbewegung strich Sofie die Kapuze ihrer Wetterjacke zurück und zog die Handschuhe aus. Sie suchte nach dem Türschlüssel und einem Taschentuch. Warum musste ihr immer die Nase laufen, wenn es draußen so kalt war? Mistwetter!

Sie öffnete die Tür und griff nach dem Lichtschalter. Der kurze Flur war im Nu erhellt. Wie zum Hohn über das frühe Schneetreiben Mitte Dezember hingen an den Wänden eine Reihe sonniger Urlaubsplakate der Ferienregion um die Flensburger Förde. Auf allen Fotos schien die Sonne, die Förde glitzerte mittelmeerblau und die Menschen auf den Fotos waren Urlauber, die nicht froren und vor allem keine kalten Füße hatten. Sie lagen relaxed am Strand. In den Gesichtern spiegelte sich die reinste Lebensfreude über das Himmels- und Fördeblau und über die schönsten Wochen des Jahres. Der Weihnachtsstress und das Verkehrschaos, das durch den frühen Wintereinbruch den Flensburger Straßenverkehr lähmte, waren Lichtjahre von ihren Gedanken entfernt. Wer denkt im Sommer schon an die Adventszeit?

Auf Socken, die dicken Winterstiefel hatte Sofie Kehlenbeck auf eine Doppelseite der gestrigen Tageszeitung im Flur zum Abtropfen gestellt, betrat Sofie das Büro des Verein zur Förderung der Fördeferien Flensburg e.V. – kurz VFFF. Die Büroräume waren noch älter als der Verein selbst, der auf eine Initiative mehrerer an der Förde ansässiger Gastronomen und Hoteliers kurz nach der Gründung der BRD ins Leben gerufen wurde. Dass der Verein bis heute überlebt hat, verdankt er einigen traditionsbewussten und unflexiblen Mitgliedern, die sich mit den Marketingkonzepten der modernen Tourismusindustrie nie anfreunden konnten. Als das Internet aufkam und auch der VFFF seine Mitglieder auf die Möglichkeit dieser schnellen und aktuellen Informationsplattform hinwies, zogen sich die meisten Mitglieder zurück. Sie hätten in den letzten fünfzig Jahren keinen Computer gebraucht und würden jetzt auch keinen brauchen.

Sofies Büro war mit modernster Technik ausgestattet; sie schaltete ihren PC ein, loggte sich ein und startete Outlook. Während das Programm die Mails der letzten sechzehn Stunden abrief, kontrollierte Sofie den Anrufbeantworter und schaltete das Multifunktionsgerät, welches drucken, faxen, kopieren und scannen konnte, ein. Manchmal, wenn sie sich in ihrem modernen Büro umsah, war sie verwundert, wie schnell die Zeit vergangen war. Seit 35 Jahren arbeitete Sofie für den VFFF als Tausendsassa oder wie es neudeutsch heißt: als Projektmanagerin. Sie war Sekretärin, Buchhalterin, Telefonistin und Redakteurin in einer Person.

Als Relikt aus der Vergangenheit war lediglich ein runder, fast wassermelonengroßer Kaktus mit bleistiftlangen und dicken Stacheln, ein sogenannter Schwiegermutterstuhl, geblieben. Der Kaktus war das Erbe ihrer Vorgängerin und gehörte somit auf die Fensterbank des Sekretariats. Es hatte in der jüngeren Vergangenheit Zeiten gegeben, da ging ihr der Geschäftsführer des VFFF, Gerth Roggen, mit seiner Ungeduld und Nörgelei dermaßen auf den Geist, dass sie ihm am liebsten den Kaktus an den Kopf geworfen hätte.

Bevor Sofie Kehlenbeck die dicken Norwegersocken gegen elegantere Fußbekleidung tauschte, stellte sie in der winzigen Kaffeeküche die Kaffeemaschine an. Während das Wasser gurgelnd und prustend in den Filter lief, ging Sofie in das Büro von Gerth Roggen. Im Lichtlichkeit schein des Flurs konnte sie sehen, dass auf dem Besprechungstisch ein Adventsgesteck stand.

Aha, da hatte er wohl gestern Besuch. Gerth Roggen, das wusste Sofie genau, würde nie Geld für ein Adventsgesteck ausgeben. Er hielt den Gemütlichkeit verbreitenden Brauch für Firlefanz und damit für überflüssig. Das Gesteck war an Gerth Roggen verschwendet. Sofie gefiel, was sie sah: Um eine dicke nachtblaue Kerze war in einem Rund Tanne gesteckt. Vier Porzellanengel, die frivole goldfarbene Miniröckchen trugen und in Posaunen bliesen, waren symmetrisch um die Kerze angeordnet. Der Raum zwischen den Engeln schimmerte in tuffigen Wölkchen aus Goldhaar. Sofie stieg der Geruch von Tanne und Marzipan in die Nase. Es war der Duft der Adventszeit und er passte weder zu Gerth Roggen, noch in das unaufgeräumte Chefzimmer. Sofie trat näher und blieb erschrocken stehen. Warum sagte er nicht, dass er schon da war und warum saß er hier im Halbdunkeln? Schlief er etwa? Hatte er gestern Abend beim Chatten wieder zu viel Rotwein getrunken und war dann eingeschlafen? Sofie machte Licht. Ach du meine Güte! Was war denn mit dem passiert? Sofie wusste es sofort, obwohl sie nie zuvor einen Toten gesehen hatte und sie auch nie wieder einen sehen wollte. Ihr Chef saß hinter seinem Schreibtisch auf dem protzigen schwarzen Ledersessel, sein Kopf auf dem kurzen Hals war nach hinten an die Lehne gesunken. Das Gesicht mit den geschlossenen Augen und dem halbgeöffneten Mund machte einen entspannten Eindruck. Die schlaffen, bartstoppeligen Wangen des Dreiundsechzigjährigen hingen in Falten auf dem Hemdkragen. Eine Krawatte trug die Leiche nicht.

Sofies Gedanken rasten. Hatte sie sich das nicht oft gewünscht, wenn Gerth Roggen ihr, seiner besten und einzigen Mitarbeiterin, die Hölle heiß machte und ihr zu viel Arbeit zumutete? Hatte sie nicht oft gedacht, hoffentlich bekommt der alte Choleriker einen Schlaganfall und sitzt sabbernd vor einer Schnabeltasse im Pflegeheim? Nun war es soweit. Oder war er doch nur total besoffen?

Sofie traute sich nicht ihren Chef anzufassen. Wie oft hatte sie im Fernsehen gesehen, dass in diesem Moment der Tote vom Sessel kippte oder zufällig jemand kam. Das würde ihr hier nicht passieren. Nicht einmal die Putzfrau hatte einen Schlüssel für das Büro. Sofie rief die Polizei.

Während Sofie auf das Eintreffen der Polizei wartete, sah sie sich noch einmal genau im Büro ihres Chefs um. Die gesamte Schreibtischfläche war durch hohe Aktenstapel belegt. Lediglich eine Freifläche von vierzig mal vierzig Zentimeter war als Schreibfläche ausgespart. Auf dem schmalen Schenkel des Schreibtisches stand das Notebook ihres Vorgesetzten. Sofie trat näher und sah, dass das Notebook im Standby-Betrieb lief. Daneben stand – halb verdeckt von Aktenstapeln – eine filigrane Keramikschale, in der Weihnachtsgebäck lag. Es sah selbstgebacken aus. Die Mandeln auf den Keksen waren nicht professionell ausgerichtet. Und das Schwarzweißgebäck war an den Rändern fast verbrannt.

Mandelkekse! Der Keksbäcker oder die Keksbäckerin kannte Gerth Roggen noch nicht lange oder ignorierte seine Abneigung gegen harte Speisen. Gerth Roggen hatte ein extrem schiefes und unregelmäßiges Gebiss. Seine langen Zähne standen wie bei einem Steinbeißer in Zweierreihen ohne eine gerade Linie in seinem Mund. Sofie hatte diese Entdeckung erst nach vielen Jahren gemacht, ihr Chef lachte wenig und seine Zähne zeigte er auf andere Art.

Es roch intensiv nach Mandeln und Sofie überlegte, ob sie sich von den Mandelkeksen einen oder zwei stibitzte?

Bevor sie zugreifen konnte, klingelte es an der Tür und die Polizei traf ein.

Keks-Mord. Ein Hanseaten-Krimi

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