Читать книгу Rechtsgeschichte - Stephan Meder - Страница 8

Оглавление

1. Kapitel

Das altrömische Recht

Auf dem hügeligen Gelände, das später „Rom“ heißen wird, befanden sich um 1000 v. Chr. einige Siedlungen, die überwiegend von Latinern und Sabinern bewohnt waren. Über die Anfänge dieser Siedlungen ist kaum etwas bekannt. Gegen Ende des 7. Jahrhunderts geriet die dort ansässige Bevölkerung unter den Einfluss der Etrusker. Sie sind die eigentlichen Gründer der Stadt Rom. Nach der sagenhaften Überlieferung fällt die Stadtgründung in das Jahr 753 v. Chr., in Wirklichkeit steht aber nicht einmal das Jahrhundert der Gründung fest. Man vermutet, dass der Gründungsakt im Zusammenschluss verschiedener Bevölkerungsgruppen bestanden hat. Etwa zweihundert Jahre regierten in der Stadt etruskische Könige (reges), von denen insbesondere der Name der Tarquinier in Erinnerung geblieben ist. Auch der Name des legendären Gründers und ersten Königs Romulus (Rumelna, Rumele) ist etruskischen Ursprungs.

Unter der Herrschaft der Etrusker begann der eigentliche Aufstieg Roms. Die mit der Stadtbildung verbundene Konzentration der politischen Kräfte und die dadurch bewirkte Verdichtung der Staatlichkeit ermöglichte überhaupt erst die Entwicklung der einheimischen Bevölkerung zu einer Macht. Im Jahre 508 v. Chr. organisierte der römische Adel eine Revolte gegen den etruskischen König Tarquinius Superbus. Nach dessen Vertreibung übernahmen die erfolgreichen Adelsfamilien die Macht im Stadtstaat. Sie hießen Patrizier (patricii), weil sie sich wie Väter (patres) um den Staat gekümmert haben sollen. An dessen Spitze standen Beamte, die man zunächst Prätoren (praeire, vorangehen) und später Konsuln nannte. Nach dem Bericht des römischen Geschichtsschreibers Livius (59 v. Chr.–17 n. Chr.) schwor das Volk, nie wieder einen König über Rom zu dulden. Von der Königszeit grenzte sich die frühe Republik dadurch ab, dass die leitenden Beamten jährlich wechseln mussten (Annuität). Die Annuität, eine Art Rotationsprinzip, war aus Sorge vor [<<25] einer Wiederholung der Geschichte eingeführt worden. Nie wieder sollten sich einzelne Personen zum Herren (dominus, tyrannus, rex) über die römische Bevölkerung emporschwingen können.

Die römische Bevölkerung gliederte sich in zwei soziale Gruppen: Den Patriziern, einer relativ kleinen Gruppe von Adeligen, die über Grundeigentum verfügten, standen die zwar zahlenmäßig überlegenen, wirtschaftlich aber unterlegenen Plebejer gegenüber, die aus zugewanderten auswärtigen Flüchtlingen hervorgegangen waren. Die Rechtsordnung beruhte auf ungeschriebenem Gewohnheitsrecht, das mündlich von einer Generation zur nächsten weitergegeben wurde. Bald kam es zu Spannungen und schließlich zum offenen Kampf zwischen Patriziern und Plebejern. Zwar gelang es einigen plebejischen Familien, in wirtschaftlich und gesellschaftlich bedeutsame Positionen aufzusteigen. Von leitenden politischen Ämtern blieben sie aber weitgehend ausgeschlossen. Unzugänglich waren ihnen insbesondere der Senat (senex, alt, Versammlung der Alten) und die Priesterämter der Auguren und Pontifices.

Die Pontifices waren ausschließlich Patrizier. Wegen der engen Verflechtung von religiösem und weltlichem Leben hatte sich ihre Bedeutung nach Beseitigung des Königtums erheblich vergrößert. Zunehmend bewarben sich auch Politiker um das begehrte Amt des Oberpriesters (pontifex maximus). Als Hüter der Kultrituale und der Technik ihrer Anwendung hatten die Pontifices ein Monopol für die Beratung des Senats und der Privatpersonen über die Richtigkeit und Wirksamkeit kultischer Handlungen. Ihre Befugnis erstreckte sich auch auf Situationen, in denen die Anwendung einer Regel des Gewohnheitsrechts auf einen bestimmten Fall zweifelhaft war. Die Normen, nach denen sie ein Urteil fällten, hielten sie geheim. Juristische Entscheidungen waren daher kaum vorhersehbar. Unter den Plebejern regten sich zunehmend Zweifel an der Unparteilichkeit der Pontifices. Sie argwöhnten, dass juristische Entscheidungen nicht immer frei von eigenem Interesse gefällt wurden und empfanden es daher als besonders schmerzlich, dass ihnen der juristische Bereich verschlossen war. Einen Ausweg hätte die schriftliche Fixierung des Gewohnheitsrechts bieten können. Dadurch wären die grundlegenden Rechtsquellen für jeden Römer zugänglich geworden: Würden die Plebejer ihre Rechte besser kennen, so müssten sie die [<<26] Priesterschaft nicht mehr in jedem Fall um Rat fragen. Um 450 v. Chr., als die einzige Kodifikation, die es in Rom jemals gegeben hat, auf zwölf – vermutlich hölzernen – Tafeln veröffentlicht wurde, hatten die Plebejer ihren ersten großen Erfolg im Ständekampf errungen.3

1. Das Zwölftafelgesetz

Gesetze dienen der Freiheit, indem sie die Befugnisse von Einzelnen beschränken. „Es ist vorzuziehen“, schreibt bereits Aristoteles, „wenn das Gesetz regiert und nicht ein einzelner Staatsbürger“. Bis heute hat dieser Gedanke seine Gültigkeit bewahrt, alle modernen Kodifikationen lassen sich auf ihn zurückführen. Auch im alten Rom musste er auf fruchtbaren Boden fallen, da Freiheit dort seit der „Vertreibung der Könige“ zu einem Zentralbegriff der Gemeinschaftsordnung geworden war. Merkmale eines freiheitlichen Rechts sind Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit. Rechtssicherheit gewähren die Zwölf Tafeln durch ihre allgemeine, in konfliktträchtigen Bereichen bisweilen pedantisch genaue Aufzeichnung der Normen in Form von Gebotssätzen. Auch Rechtsgleichheit (aequum ius) suchen die Tafeln zu verwirklichen, was in der römischen Geschichtsschreibung als revolutionäre Tat gefeiert wurde. Das Gesetz habe, so Livius, „die Rechte aller, der Hohen und der Niedrigen, gleichgemacht“, es verhindere, dass einzelne zuviel Macht über die anderen bekommen (Römische Frühgeschichte, III, 34). Die Identifikation der „Rechte aller“ mit den Rechten aller Männer lässt Livius freilich nicht danach fragen, ob die Gleichbehandlung vor dem Gesetz für Frauen ebenfalls gelte (S. 39). Auch haben die Tafeln keineswegs alle Standesunterschiede beseitigt. So war etwa das Eheverbot zwischen Patriziern und Plebejern [<<27] zunächst bestehen geblieben. Es ist allerdings schon kurze Zeit später, nach Livius bereits 445 v. Chr., beseitigt worden (lex Canuleia).

Über die Entstehungsgeschichte der Zwölftafelgesetzgebung weiß man nicht viel. Livius zufolge soll eine Kommission aus Rom nach Griechenland gereist sein, um das eigene Recht nach dem Vorbild der um 600 v. Chr. entstandenen athenischen Gesetze aufzuzeichnen. Wahrscheinlich hatte sich in der antiken Welt herumgesprochen, dass die Athener soziale Spannungen durch Gesetzgebung erfolgreich zu entschärfen wussten. Bis heute sind die Gesetze des Solon wegen ihrer Weisheit und die des Drakon wegen ihrer Strenge sprichwörtlich geblieben. Soziale Spannungen bilden aber nicht den einzigen Grund für den Erlass dieser Gesetze. Sie können – zumindest auch – als das Ergebnis eines durch die griechische Erfindung des Alphabets in Gang gebrachten Veränderungsprozesses betrachtet werden. Aus Griechenland stammt der Gedanke, das Recht aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen bequem zugänglich zu machen. Die römischen Geschichtsschreiber zeigen sich in eigentümlicher Weise blind für den Anteil des Mediums der Schrift an der Entstehung ihrer Rechtskultur. Dagegen gibt es mehrere Beispiele aus der griechischen Literatur, wo die Rolle der Schrift, insbesondere auch für die Gesetzgebung, gewürdigt wird. So enthält etwa das Stück „Die Hilfeflehenden“ des Euripides eine Stelle, die wegen ihrer Parallelen mit dem Bericht des Livius hier wiedergegeben sei:

„Nichts ist dem Volke so verhaßt wie ein Tyrann. Dort gelten nicht als Höchstes die gemeinsamen Gesetze; einer schaltet als Gesetzesherr ganz unumschränkt; und das ist keine Gleichheit mehr. Doch wurden die Gesetze schriftlich festgelegt, genießt der Arme wie der Reiche gleiches Recht.“4

Die auf dem Forum in Rom aufgestellten Tafeln sind der Nachwelt nicht erhalten geblieben. Vermutlich sind sie bereits 390 v. Chr. vernichtet worden, als die Gallier bei einem Eroberungsversuch große Teile der Stadt in Flammen aufgehen ließen. Heute sind nur noch Bruchstücke erhalten. [<<28] Unter den Fragmenten des Gesetzes unterscheidet man zwischen unmittelbaren und mittelbaren Resten. Die ersteren sind Bruchstücke aus dem Gesetzestext selbst, die dessen wirklichen Wortlaut bringen. Die antiken Quellen hierfür sind u. a. Cicero, Festus, Gellius, der ältere Plinius, die Juristen Gaius und Ulpian. Daneben gibt es zahlreiche mittelbare Quellen, die lediglich Angaben über den Inhalt des Gesetzes machen. Über die Anordnung dieses Materials bestehen viele Fragen, die sich wohl niemals abschließend klären lassen.

2. Zum Inhalt des Zwölftafelgesetzes

Mehr als jede spätere literarische Quelle vermitteln die Zwölf Tafeln Einblicke in das Leben der altrömischen Periode. Cicero (106 – 43 v. Chr.) preist sie als „das starke und getreue Bild der Vergangenheit“. In ihnen sei die gesamte „Staatsordnung mit ihren Interessen und Teilen abgebildet“. Früher habe man den Text der Tafeln „wie ein unentbehrliches Lied“ (carmen necessarium) in der Schule auswendig gelernt, was nun aber, im ersten vorchristlichen Jahrhundert, nicht mehr üblich sei. Auch sagt man, dass ihr „wuchtig lapidarer Ausdruck“ seinesgleichen in der späteren Gesetzessprache nicht mehr wiederfand (Wieacker).

Die Zwölf Tafeln bilden die wichtigste Quelle des alten ius civile (S. 56). Unter ius civile verstehen die Römer jenen Bereich der Privatrechtsordnung, der allein für den römischen Bürger gilt. Weil die römischen Bürger seit alters her auch „Quirites“ hießen, wurde das ius civile auch als ius Quiritium bezeichnet. Der deutsche Übersetzungsbegriff für ius civile ist „Zivilrecht“. Daneben sind in der modernen Fachsprache die Begriffe „Bürgerliches Recht“ und „Privatrecht“ (ius privatum) geläufig (zu den Unterschieden vgl. 21. Kapitel 1, S. 456.). Die Zwölf Tafeln suchen ein Recht umfassend darzustellen, das bislang weitgehend ungeschrieben war. Sie stehen an der Schwelle des Übergangs von der Mündlichkeit zu Denkformen der Schrift. Allerdings bezeichnet dieser Übergang keine Epochenschwelle, sondern eine kulturelle Transformation. Die bloße Aufzeichnung von Texten macht eine Kultur nicht schon zur Schriftkultur. Die vielen Spruchformeln und rituellen Elemente der in [<<29] den Zwölf Tafeln erwähnten Rechtsinstitute lassen vermuten, dass sich das geschriebene Wort hier nur in geringem Maße strukturierend auf das Recht auswirkt. Es handelt sich um verschriftlichte Mündlichkeit, deren Einfluss über das Ende der Antike hinaus bis ins Mittelalter und die Neuzeit reicht (S. 77.). Das römische Recht hat sich von der in den Zwölf Tafeln aufgezeichneten mündlichen Tradition zunächst also nicht abgesetzt, sondern diese in einzigartigem Umfang aufgenommen und weitergeführt. Die Folge war, dass Mündlichkeit und Schriftlichkeit über lange Zeit nebeneinanderstanden. Erst in der klassischen Epoche hat letztere eindeutig das Übergewicht erlangt.

Die Zwölf Tafeln enthalten Vorschriften über den Ablauf des gerichtlichen Verfahrens, der Vollstreckung sowie über diejenigen Rechtsgebiete, die wir heute als Privat- und Strafrecht so sorgfältig voneinander abgrenzen. Um die Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. bildete das Bauerntum mit Viehzucht und Ackerbau die wirtschaftliche Grundlage der römischen Bevölkerung. Dementsprechend enthält das Zwölftafelgesetz eine beträchtliche Zahl von Regeln aus den Bereichen des Familien-, Erb- und Nachbarrechts. Von Handelsgeschäften und anderen schuldrechtlichen Verträgen ist in den erhaltenen Fragmenten dagegen nur sehr wenig die Rede. Dies mag auf die damals noch wenig entwickelten wirtschaftlichen Verhältnisse zurückzuführen sein. Erwähnt werden allerdings bereits die für die spätere Rechtsentwicklung wichtigen Libralakte und die Stipulation. Keine Regelung haben die Ordnung des Gemeinwesens und jener Teil des Rechts erfahren, welcher die Verhältnisse der Rechtsgemeinschaften als Träger hoheitlicher Gewalt betrifft. Die Beschränkung des Rechtsstoffs auf eine Zusammenfassung der Normen, die für das Recht des einzelnen Bürgers – des sog. kleinen Mannes – maßgebend waren, lässt an den Zweck des Gesetzes erinnern: Es sollte vor allem den sozial Schwachen Schutz vor Willkür bei der Rechtsfindung bieten. Der folgende Überblick über den damaligen Rechtszustand muss auf einige Beispiele aus dem Vermögens-, Familien-, Straf- und Deliktsrecht beschränkt bleiben. [<<30]

2.1 Vermögensrecht

Es gab einmal eine Zeit, in der Geld aus Vieh, Reis, Salz, Tabak oder ähnlichen nützlichen Dingen bestanden hat. Das lateinische Wort für Geld (pecunia) bezeugt, dass auch in Rom das Vieh (pecus) einmal Verrechnungseinheit gewesen ist. Der sich entwickelnde Handelsverkehr erzwingt indes schon bald eine Befreiung der Geldform aus ihrer Abhängigkeit vom Gebrauchsgut. Insbesondere der Handel über See sucht nach einem festen, beweglichen, dauerhaften, nicht verderblichen, zum Transport geeigneten Äquivalent und findet es im Metall. Am Anfang steht das ungemünzte, lediglich nach Gewicht bemessene Barrengeld. Im Wort für das englische Pfund klingt noch heute an, dass Geld ursprünglich eine Gewichtseinheit gewesen ist. Den entscheidenden Schritt in die Zukunft bedeutet der Übergang von den Metallbarren zu den kleinen Münzen aus Erz oder Kupfer (aes). Gegenüber dem alten Barrengeld hat die Münze den Vorteil, dass sie sich stückeln und relativ leicht transportieren oder thesaurieren lässt.

Nach einer berühmten Formulierung des römischen Juristen Paulus (S. 87) liegt „der Ursprung des Kaufens und Verkaufens im Tausch; früher gab es nämlich noch keine Münze“ (D. 18.1.1). Diese Feststellung verweist auf die gemeinsame Wurzel von Kauf und Tausch, bei denen es sich jeweils um zweiseitige Geschäfte handelt (S. 72). Davon zu unterscheiden sind einseitige Formen des Besitzwechsels wie Raub oder Geschenk, die nach allgemeiner Meinung am Anfang der Rechtsentwicklung stehen.5 Anders als beim Kauf wird beim Tausch keine Kaufpreiszahlung vereinbart. Von Kauf pflegen wir daher nur zu sprechen, wenn Ware gegen Geld umgesetzt wird. Der altrömische Kauf ist ein Barkauf, bei dem die Leistungen Zug um Zug ausgetauscht werden (vgl. § 320 BGB). [<<31]

2.1.1 Die Libralakte

Die ältesten römischen Geldgeschäfte sind die Libralakte, die auch als Geschäfte „durch Erz und Waage“ (per aes et libram) bezeichnet werden. Sie weisen zurück in eine Zeit, in der das römische Geld noch nicht aus Münzen, sondern aus Kupferbarren bestand, deren Wert sich nach der Höhe des Gewichts gerichtet hat. Die Libralakte werden in Form eines Rituals vollzogen, bei dem der Geldgeber dem Nehmer vor mindestens fünf Zeugen und dem Waagehalter (libripens) eine bestimmte Geldsumme zuwiegt. Formale Voraussetzungen sind ferner Gebärden und das Aussprechen bestimmter Worte oder Sätze, deren Inhalt – je nach Art und Alter des jeweiligen Geschäftstyps – divergiert.

Die Libralakte geben Aufschluss über die Eigenarten eines Rechts, das auf struktureller Mündlichkeit beruht. Zu seinen Merkmalen gehören die Verwendung von Spruchformeln oder Gebärden und die Hinzuziehung von Zeugen. Der Gebrauch von Spruchformeln soll den Rechtsakt aus dem formlosen, unverbindlichen Fluss bloßen Gesprächs herausheben. Das Erfordernis von Zeugen dient der Absicherung mündlich getroffener Vereinbarungen. Die Zwölf Tafeln erwähnen mit mancipatio und nexum die beiden das altrömische Vermögensrecht beherrschenden Libralgeschäfte. Sie sagen aber nichts über ihre Handhabung in der Praxis. Wir sind hier auf die Überlieferung späterer Autoren angewiesen. Die wichtigste Quelle, welche Rückschlüsse auf die ursprüngliche Gestalt dieser Geschäfte zulässt, sind die im 2. Jahrhundert n. Chr. von dem römischen Juristen Gaius verfassten Institutionen (S. 84, 88).

Mancipatio

Ihre vielseitige Verwendbarkeit und der Umstand, dass die mancipatio im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung eine besondere Anpassungsfähigkeit bewiesen hat, lassen diesem Institut eine exemplarische Stellung im Bereich der altrömischen Geldgeschäfte zukommen. Bei Gaius (I, 119) findet sich die folgende Beschreibung der mancipatio:

Es ist aber die Manzipation eine den römischen Bürgern eigentümliche Rechtsform, wie schon gesagt, eine Art symbolischen Verkaufs und geht so [<<32] vor sich: Unter Zuziehung von wenigstens fünf mündigen römischen Bürgern als Zeugen und außerdem eines anderen von gleicher Rechtsfähigkeit, der die eherne Waage hält, des sogenannten Waagehalters, spricht der, welcher zu mancipium empfängt, indem er das Erz mit der Hand erfaßt, so: Ich behaupte, daß dieser Sklave nach quiritischem Recht mein ist, und er ist mir gekauft durch dieses Kupfer und die kupferne Waage. Dann stößt er mit dem Kupfer an die Waage und gibt dieses Kupfer demjenigen, von dem er zu mancipium empfängt, gleichsam anstatt des Kaufpreises (est autem mancipatio, ut supra quoque diximus, imaginaria quaedam venditio: quod et ipsum ius proprium civium Romanorum est; eaque res ita agitur: adhibitis non minus quam quinque testibus civibus Romanis puberibus et praeterea alio eiusdem condicionis, qui libram aeneam teneat, qui appellatur libripens, is, qui mancipio accipit, aes tenens ita dicit: Hunc ego hominem ex iure Quiritium meum esse aio isque mihi emptus esto hoc aere aeneaque libra; deinde aere percutit libram idque aes dat ei, a quo mancipio accipit, quasi pretii loco).

Wie uns die angeführte Stelle sagt, handelt es sich bei der mancipatio nicht um einen eigentlichen Kauf, sondern um eine Art des symbolischen Verkaufs (imaginaria quaedam venditio). Gaius hat diesen Verkauf (venditio) deshalb als symbolisch (imaginaria) bezeichnet, weil zu seiner Zeit das alte Barrengeld längst nicht mehr in Umlauf und durch gemünztes Geld vollständig ersetzt worden war. Die Zahlung des Preises erfolgte nicht mehr durch die tatsächliche Zuwägung des Kupfers, sondern durch Anschlagen der Waage mit einem Geldstück (mancipatio nummo uno). Doch hat uns Gaius auch darüber informiert, welchen Zweck die Waage ursprünglich zu erfüllen hatte. Danach beruhte die mancipatio anfänglich auf einer wirklichen Wägung des als allgemeines Tauschmittel anerkannten Kupfers. Die Zuwägung bildet die frühzeitliche Form einer Bezahlung des Kaufpreises (vgl. Gaius I, 120 – 122).

Das Anschlagen der Waage ist also der geschichtliche Überrest eines ursprünglich umfassenderen Vorgangs. Die vorstehende Textstelle erwähnt aber noch eine weitere Gebärde, und zwar den rituellen Ergreifungsakt, der dem Geschäft seinen Namen verliehen hat: Der Zahlende ergreift unter öffentlicher Autorität die zu erwerbende Sache oder Person und spricht die Formel: „Ich behaupte, dass dieser Sklave [als Beispiel] nach quiritischem Recht mein ist“ (hunc ego hominem ex [<<33] iure Quiritium meum esse aio). Sodann wird das Kupfer dem Gegner mit der Waage zugewogen, was im zweiten Teil der Spruchformel seinen Ausdruck findet: „Und er ist mir gekauft durch dieses Kupfer und die kupferne Waage“ (isque mihi emptus esto hoc aere aeneaque libra, Gaius I, 119). Den Quellen lässt sich entnehmen, dass das Wort mancipium auf die Handanlegung des Erwerbers (manu capere) zurückzuführen ist. Von einem gewöhnlichen Kaufgeschäft unterscheidet sich die mancipatio durch die besondere Einseitigkeit des Erwerbsrituals. Die Rolle des Veräußerers beschränkt sich auf die schweigende Duldung des Aktes und die Annahme des dargewogenen Geldes. In dieser Form gewinnt die mancipatio mit der Zeit die Bedeutung eines Barkaufs. Sie verschafft dem Erwerber die mancipium-Gewalt, die allerdings nur an Sklaven und bestimmten Sachgütern (res mancipi) ausgeübt werden darf (Gaius I, 120).

Wie dem Anschlagen der Waage mit einem Geldstück in früherer Zeit eine wirkliche Zahlung in rohem Kupfer zu Grunde lag, so dürfte auch der zweite Gestus: der Ergreifungsakt, anfänglich auf einer realen Handlung beruht haben. Ursprünglich wird der Erwerber den Gegenstand nicht nur der Form halber, sondern zur Ausübung der tatsächlichen Sachherrschaft mit der Hand ergriffen haben. Mit ihrem eigentümlichen Ritual hätte die mancipatio damit Elemente aufbewahrt, deren Formalisierung in eine Zeit zurückweist, in der zur Durchführung von Austauschgeschäften noch kein allgemein anerkanntes Äquivalent vorhanden war, in der ein Erwerb aus eigener Kraft stattfand und in der die Gewalttat den eigentlichen Geltungsgrund für einen Besitzwechsel bildete.

Über den Ergreifungsakt gibt aber noch ein weiterer Umstand Aufschluss, der mit dem altrömischen Eigentumsprozess zusammenhängt (legis actio sacramento in rem), aus dem sich später die rei vindicatio entwickelt hat. Noch heute sprechen wir von Vindikation oder Vindikationsanspruch, wenn ein Kläger sein Eigentum herausverlangt (§ 985 BGB). Begriffe wie vindicare (herausverlangen) oder vindex (Retter, Befreier) sind ein Kompositum aus vis (Gewalt) und dicere (sprechen, behaupten). Nach dem Bericht des Gaius (IV, 16) müssen Kläger und Beklagter jeweils sagen, die Sache gehöre ihm (meum esse). Der Kläger vindiziert, indem er die an die Gerichtsstätte (in iure) gebrachte, streitbefangene Sache [<<34] ergreift, mit dem Stab berührt (vindicta) und feierlich die Formel ausspricht: „Ich behaupte, dass dieser Sklave [als Beispiel] nach quiritischem Recht mein ist“ (hunc ego hominem ex iure Quiritium meum esse aio). Gewalt (vis) im Sinne der vindicatio ist also bloße Scheingewalt, sie darf durch Berührung und Aussprechen der Formel nur behauptet (dicta), nicht aber tatsächlich ausgeübt werden (Heumann-Seckel, S. 626). Wem die Sache wirklich zusteht, entscheidet nicht die Gewalt, sondern das Recht. Wieder liegt es nahe anzunehmen, dass den rechtlichen Handlungen ein Szenario zum Vorbild dient, wo derjenige, der einen Anspruch auf die Sache zu haben glaubt, diese nicht nur der Form halber, sondern tatsächlich sich nehmen wird (1. Kapitel 3, S. 47.).

Der Manzipationserwerber bedient sich derselben Formel wie der Kläger im Eigentumsprozess. Bei der mancipatio erklärt der Veräußerer durch Schweigen jedoch sein Einverständnis mit der Ergreifung. Dagegen streitet der Beklagte bei der vindicatio mit dem Kläger, indem er die contravindicatio vollzieht: Auch er berührt die Sache mit dem Stab (vindicta) und spricht die Formel. Auf Befehl des Gerichtsherrn müssen beide die Sache dann loslassen. Der Kläger fragt anschließend den Beklagten, warum er vindiziere (herausverlange). Dieser antwortet, weil er Eigentümer sei. Schließlich behaupten die Parteien unter Eid (sacramentum), der andere habe jeweils zu Unrecht vindiziert. Letztlich geht es darum zu beweisen, wem die Sache eher gehört als dem Gegner. Die Entscheidung fällt der Gerichtsherr. Sie betrifft nur das Verhältnis der Beteiligten. Ob die Sache möglicherweise einem Dritten gehört, wird nicht erörtert.

Der Eigentümer kann seine Sache im Rahmen eines Eigentumsprozesses von jedem herausverlangen, bei dem er sie findet, ohne dass es darauf ankäme, ob der augenblickliche Besitzer für den Erwerb bezahlt hat, ob sie dem Eigentümer gestohlen wurde oder sonst abhanden gekommen ist oder ob er sie freiwillig aus der Hand gegeben hat. Wer eine Sache im Wege der mancipatio erworben hat, muss daher jederzeit damit rechnen, dass ein Dritter nachträglich als Eigentümer auftritt und sie im Eigentumsprozess herausverlangt. Bei solchen Rechtsproblemen, die wir heute unter dem Stichwort „gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten“ erörtern, zeigt sich eine weitere Besonderheit der mancipatio. [<<35]

Die modernen Regelungen über den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten dienen dem Schutz des Rechtsverkehrs: Ist der Veräußerer einer Sache nicht Eigentümer und nicht zur Verfügung befugt, so kann im Grundsatz dennoch Eigentum erworben werden (§§ 932 ff. BGB). Dagegen macht die mancipatio den Erwerber nur dann zum Eigentümer, wenn es auch der Veräußerer gewesen ist. Entsteht nachträglich ein Streit über das Eigentum an der Sache (vindicatio), so ist der Manzipationserwerber gezwungen, sich gegenüber dem von dritter Seite geltend gemachten Eigentumsherausgabeanspruch zu verteidigen. Zur Unterstützung kann er sich hier der Gewährschaftshilfe (auctoritas) seines Veräußerers (auctor) bedienen. Hintergrund ist der Gedanke, dass der auctor über das bisherige Schicksal der Sache meist besser unterrichtet ist als der Erwerber. Unterlässt dieser die Hilfeleistung oder gelingt dem Dritten der Nachweis der Unrechtmäßigkeit des Besitzes, dann haftet er dem Erwerber für den doppelten Betrag der Manzipationssumme. Die Gewährschaft (auctoritas) führt also zu einer Verstärkung der Rechtsposition des Manzipationserwerbers und dient insoweit auch dem Schutz des Rechtsverkehrs. Dieser Bestimmung der auctoritas ist der moderne Begriff ‚Autorität‘ entsprungen, worauf noch zurückzukommen ist (S. 81).

Nexum

Als Zug-um-Zug-Geschäft erzeugt die mancipatio keine ‚Distanzwirkung‘ im Sinne von zeitlich aufgeschobenen oder weiterwirkenden Verpflichtungen. Hier liegt der Hauptunterschied zum nexum, einem Darlehnsgeschäft. Das Darlehn gehört zu den ersten Geschäften, die zeitliche Distanzwirkung entfaltet haben. Die Abwicklung der Leistungen erfolgt hier nicht simultan, sondern sukzessiv. Der Darlehnsgeber muss vorleisten und läuft damit Gefahr, dass der Empfänger das Geld nicht rechtzeitig oder nicht in der geschuldeten Höhe zurückbezahlt. Auch bei einem modernen Fernabsatzgeschäft erfolgt der Austausch von Leistungen nicht sofort und gleichzeitig, sondern in Form eines zeitlich gestreckten Vorgangs. So trägt etwa im E-Commerce der Händler das Vorleistungsrisiko, wenn er vor Eintreffen der Zahlung an den Besteller liefert. Allerdings tritt hier neben das zeitliche noch ein weiteres, auf räumlicher Distanz beruhendes Risiko: Da die Beteiligten physisch nicht zusammentreffen, kann [<<36] die Identität des Kunden nicht oder nur mit Schwierigkeiten überprüft werden. Bestehen Zweifel an dessen Vertrauenswürdigkeit, so muss der Händler sich z. B. durch eine Lieferung per Nachnahme oder Vorkasse absichern. Auf diese Weise kann er ein der Zug-um-Zug-Leistung vergleichbares Maß an Sicherheit gewinnen (dazu näher Meder, Bezahlen im E-Commerce, JZ 2004, 503).

Auf der Notwendigkeit einer Absicherung des Vorleistungsrisikos beruht auch die Eigenart des nexum (Fesselung). Seinen Namen verdankt es dem Umstand, dass der Darlehnsnehmer durch den Empfang des Geldes, das ihm vor Zeugen zugewogen wurde, buchstäblich in die Gewalt des Gläubigers gerät. Kann er sich nicht rechtzeitig durch Rückzahlung lösen, so fällt er, ohne dass es einer gerichtlichen Verurteilung bedarf, in die Schuldknechtschaft des Geldgebers, bei dem er die Schuld abdienen muss. Das frührömische Recht zeigt also seine ganze Härte, um die Risiken zu kompensieren, die mit einer zeitlichen Distanzwirkung verbunden sind. Die Zahlung der Lösungssumme ist auf dieser frühen Stufe des Rechts noch nicht Gegenstand einer Pflicht im heutigen Sinne, sondern in erster Linie Mittel zur Haftungsabwehr. Der Ablösung des Haftenden dient die nexi liberatio (oder solutio per aes et libram). Sie regelt insbesondere den Fall, in dem nicht der Haftende selbst, sondern ein Dritter für diesen die Lösungssumme bezahlt. Das nexum und die nexi liberatio sind bereits gegen Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. außer Übung gekommen.

2.1.2 Stipulatio

Neben die beiden ältesten römischen Vertragstypen tritt die stipulatio, die in den Zwölf Tafeln ebenfalls erwähnt ist (II, 1.b). Hergang, Gestalt und Funktion bleiben jedoch weitgehend im Dunkeln. Abermals sind es die Institutionen des Gaius, die uns über Einzelheiten informieren (III, 92 ff.). Auch die stipulatio verlangt die Einhaltung eines in den Einzelheiten genau festgelegten Rituals. Auch sie ist – jedenfalls der Form nach – ein einseitiges Geschäft. Nur einer der beiden Vertragspartner ist aktiv. Der andere ist zwar anwesend, tut aber nichts, schweigt oder sagt allenfalls ein einziges Wort, während der andere den Vertrag formuliert. [<<37]

Die stipulatio ist ein mündliches Schuldversprechen, das auf einer bestimmten Frage- und Antwortform beruht. Sie ist einfach zu handhaben, nur drei Voraussetzungen müssen erfüllt sein: Gegenwart der Parteien, die vorausgehende – mündlich gestellte – Frage des Gläubigers unter Verwendung des Wortes spondere und die sofortige und entsprechende Antwort des Schuldners (Beispiel: Versprichst Du mir, 100 zu geben? [centum mihi dare spondesne?] Ich verspreche! [spondeo!]). Der stipulatio sollte die Zukunft gehören, ihre praktischen Vorteile springen ins Auge: Auf die Mitwirkung anderer ist sie nicht angewiesen. Im Unterschied zur mancipatio muss die Gegenleistung nicht sofort erbracht werden. Auch bedarf es keiner übermäßigen Kompensation für den Verzicht auf sofortige Gegenleistung, wie es beim nexum der Fall ist, wenn dem Geldgeber eine Rechtsgewalt auf den Körper des Geldnehmers eingeräumt wird. Schließlich erübrigt sich eine symbolische Darstellung der Gegenleistung, welche noch die mancipatio nummo uno erforderte. Erstmals kann hier von einem Schuldverhältnis im modernen Sinne gesprochen werden, da die Beteiligten in den Rollen von Gläubiger und Schuldner auftreten.

Die durch die Antwort (responsio) des Schuldners begründete Verpflichtung besteht im Prinzip unabhängig von dem mit dem Geschäft verfolgten wirtschaftlichen Zweck. Die Parteien müssen ihren Willen nur formgerecht geäußert haben. Hier zeigt sich ein grundlegender Unterschied zum modernen Recht, das auf dem Prinzip der Formfreiheit beruht. Zwar kennt auch die gegenwärtige Rechtsordnung eine Vielzahl von Formvorschriften. Doch haben diese lediglich abgeleitete Funktionen zu erfüllen, sie dienen in erster Linie äußerlichen Zwecken der Beweissicherung, Verkehrssicherheit, Rechtssicherheit und neuestens auch zunehmend der Beseitigung von Informationsasymmetrien (S. 465). Dagegen sind die Formerfordernisse im altrömischen Recht Geltungsgrund und eigentliche Wirksamkeitsvoraussetzung von Rechtsgeschäften.

Als Rom während der jüngeren Republik (3. bis 1. Jahrhundert v. Chr.) ansetzte, die Weltherrschaft zu erringen und zunehmend mit fremden Rechtskulturen in Kontakt trat, sind die strengen Formen der altrömischen Stipulation allmählich gelockert worden. Parallel dazu haben sich verschiedene Arten herausgebildet, wobei neben die abstrakte die kausal gefasste Stipulation getreten ist. Die kausale Stipulation nimmt [<<38] ihre materiale Zweckbestimmung – etwa Kaufpreiszahlung, Schenkung oder Darlehnsgewährung – ausdrücklich in das Versprechen auf. Sie ist nur dann wirksam, wenn ein gültiges Kausalverhältnis besteht. Ist eine Schuld, etwa aus Kauf, Schenkung oder Darlehn, nicht begründet worden, so wird die Klage abgewiesen. Dagegen verschweigt die abstrakte Stipulation ihre Zweckbestimmung. Eine Obligation entsteht auch dann, wenn deren Zweckbestimmung nicht gültig zustande gekommen oder weggefallen ist. Steht fest, dass der Beklagte in der vom Recht anerkannten Form Schuldner geworden war, dann ist ihm jede Möglichkeit genommen, durch anderweitig begründete oder unbegründete Behauptungen den Lauf des Prozesses zu hemmen. Es kann also selbst dann geklagt werden, wenn das Darlehn nicht ausbezahlt oder die zu bezahlende Ware nicht geliefert worden ist. Um 450 v. Chr. konnte der Schuldner derartige Mängel wohl überhaupt nicht geltend machen (s.a. S. 133). Erst in der klassischen Zeit wurde es möglich, in bestimmten Fällen Einwendungen auch gegenüber einer abstrakten Stipulation zu erheben. Im 19. Jahrhundert hat man in Anlehnung an die frührömische Stipulation das moderne Institut der abstrakten Verbindlichkeiten entwickelt (vgl. §§ 780, 783 BGB).

2.2 Familienrecht

Familien- und Schuldrecht werden selten unter gemeinsamen Gesichtspunkten betrachtet. Der BGB-Gesetzgeber war der Ansicht, dass zwischen den Gebieten scharf zu trennen sei. Diese Annahme stößt heute zunehmend auf Widerspruch. Sie scheint durch neuere Tendenzen im Familienrecht überholt zu werden (vgl. 21. Kapitel 1.2.4, S. 471). Vor dem aktuellen Hintergrund interessieren die Verbindungen zwischen altrömischem Familien- und Vermögensrecht.

In altrömischer Zeit unterfiel die Ehefrau der Ehegewalt des Mannes (pater familias). In Anknüpfung an das Symbol der zugleich herrschenden und schützenden Hand hieß diese Ehegewalt manus. Der Übertritt der Frau in die manus des Mannes (conventio in manum) erfolgte in der Regel durch coemptio, einer Sonderform der mancipatio (zu den Verbindungen [<<39] von Manzipation und Emanzipation vgl. 2. Kapitel 1.2, S. 58). Danach tritt der pater familias der Braut in einem Libralakt vor fünf Zeugen und dem libripens seine Gewalt über diese für einen symbolischen Kaufpreis (nummo uno) dem Bräutigam ab. Eine besondere Formel, die der „Erwerber“ zu sprechen hat, soll dafür sorgen, dass der Unterschied zwischen der Gewalt über erworbene Sachen (res mancipi) und der Gewalt über die Frau (uxor in manu) gewahrt bleibt (vgl. Gaius I, 113, 123). Man vermutet, dass bei der coemptio (wie bei der mancipatio) einst auch wirkliches Geld zugewogen wurde. So könnte sie dem „Brautkauf“ gedient haben, den viele frühzeitliche Rechte kennen. Weiter wird vermutet, dass die Frau in Zeiten, als die coemptio noch nicht existierte, durch eine reguläre Manzipation in die manus des Mannes kam. Der für die mancipatio charakteristische Ergreifungsakt (manu capere) könnte so auch familienrechtsgeschichtliche Bedeutung haben. Sollte es nämlich zutreffen, dass dieser Ergreifungsakt ursprünglich auf einer realen Handlung beruhte und die Gewalttat Geltungsgrund für den Besitzwechsel war, so würde die bis heute umstrittene Frage, ob es in Roms Frühzeit eine „Raubehe“ gegeben habe, in neuem Licht erscheinen. Bislang hatte sich die rechtsgeschichtliche Forschung in dieser Frage vornehmlich auf die Sage vom Raub der Sabinerinnen gestützt (zu unterschiedlichen Formen der Raub- und Kaufehe vgl. G. Simmel, Philosophie des Geldes, 405).

Bekanntlich tritt die nichteheliche Lebensgemeinschaft (concubinatus) heute zunehmend in Konkurrenz zur Ehe. Daher mag interessieren, dass das alte römische Recht neben der coemptio noch eine weitere Möglichkeit zum Eintritt der Frau in die manus des Mannes kennt, und zwar durch bloßen usus: Dazu kommt es, wenn die Ehefrau ein Jahr mit dem Mann zusammengelebt hat, es sei denn, sie hat alljährlich drei aufeinanderfolgende Nächte außer Haus verbracht (trinoctium). In diesem Fall gilt die Jahresfrist als unterbrochen (Tafel VI, 4). Zugunsten von Frauen ist so die Möglichkeit eröffnet, eine gewaltfreie (manus-freie) Ehe zu führen. Manus-Ehen und manus-freie Ehen existierten also schon in der Zwölftafelzeit nebeneinander, wobei damals die manus-Ehe die Regel und die manus-freie Ehe die Ausnahme war. In der spätrepublikanischen Zeit wird die manus-freie Ehe zum Normalfall, der usus verschwindet aus der Rechtspraxis und mit ihm das trinoctium. Das Kernelement der [<<40] manus-freien Ehe ist die Willensübereinstimmung (consensus facit nuptias). Im Unterschied zur manus-freien Ehe ist die Frage nach der Rolle des Konsenses bei Schließung einer manus-Ehe noch kaum geklärt. Anders als in der christlichen Tradition erschöpft sich nach römischer Vorstellung der Konsens nicht in einer einmaligen Einigung zum Zeitpunkt der Eheschließung (initiale Konsensstruktur). Vielmehr muss er während des Zusammenlebens ständig aufs Neue bestätigt werden (kontinuative Konsensstruktur): „Die moderne Ehe wird geschlossen, die römische wurde gelebt“ (G. Pacchioni, Manuale del diritto romano, 320). Da nichteheliche Lebensgemeinschaften – früher wie heute – ebenfalls auf einer kontinuativen Konsensstruktur beruhen, ist im römischen Recht die Grenze zur Ehe nicht immer leicht zu ziehen. Die Römer sehen das Problem der Abgrenzung eher im Bereich der gesellschaftlichen Wertung als in der juristischen Begriffsbildung (dazu kritisch A. Bürge, Römisches Privatrecht, 161).

Frühe Rechtskulturen pflegen den Menschen noch nicht als Einzelwesen anzusehen, sondern als Glied der Verbände, in denen er steht.6 Einer der wichtigsten dieser Verbände ist die Familie. Die altrömische Familie bildet einen monokratisch aufgebauten Rechtsverband mit dem pater familias als Oberhaupt und den Personen, die seiner umfassenden Hausgewalt unterworfen sind. Der Hausgewalt unterstehen: die Ehefrau, die Kinder und Enkel des pater familias, deren Frauen, die an Kindes Statt angenommenen Personen sowie Hörige, Sklaven und Dienstpersonal. Ein besonderes Merkmal der altrömischen Familie ist das Agnationsprinzip. Danach gelten diejenigen Personen, die unter gleicher Hausgewalt stehen, als verwandt. Vom Agnationsprinzip zu unterscheiden ist das (jüngere) Kognationsprinzip, wonach sich die Zugehörigkeit zur Personengruppe durch Blutsverwandtschaft ergibt.

Ursprünglich hieß die Hausgewalt in allen ihren Anwendungsfällen manus. Später jedoch verstand man darunter nur noch die Gewalt über die Ehefrau, während man hinsichtlich der Kinder und Enkel von väterlicher [<<41] Gewalt (patria potestas) sprach. Die Herrschaft des pater familias war rechtlich nahezu unbeschränkt (ius vitae ac necis). Der Inhalt der ehelichen und väterlichen Gewalt umfasste auch die Befugnis, Strafen zu verhängen sowie das Recht, seine Kinder zu verkaufen, zu verheiraten und ihre Ehen zu scheiden (Tafel IV, 1). Ähnlich dominierend war die Stellung des pater familias in anderen frühen Rechtsordnungen, z. B. im Codex Hammurabi (ca. 1750 v. Chr.) oder im altjüdischen Recht. Es wäre allerdings falsch, diese Herrschaft für eine „totale“ zu halten. Der pater familias konnte von der ihm rechtlich zustehenden Vollgewalt aufgrund des geltenden Sakralrechts und den von der Sitte geschaffenen Bindungen nur in eingeschränktem Maße Gebrauch machen. Schwere Verfehlungen blieben daher die Ausnahme.

In vermögensrechtlicher Hinsicht beinhaltete die Familiengewalt des pater familias das ausschließliche Verwaltungs- und Verfügungsrecht über das gesamte Hausvermögen. Die Gewaltunterworfenen – sogar erwachsene Haussöhne, die selbst bereits verheiratet waren und Kinder hatten – konnten selbständige Rechte im zivilrechtlichen Sinne nicht wahrnehmen; sie waren unfähig, eigenes Vermögen zu haben. Vermögensfähigkeit erlangten sowohl Söhne als auch Töchter erst, wenn die patria potestas durch den Tod des Vaters oder durch Emanzipation (2. Kapitel 1.1, S. 57) erloschen war. Während der erwachsene Sohn dadurch völlig gewaltfrei (sui iuris) wurde, blieben die Frauen unselbständig: Die Ehefrau in manu des Verstorbenen und seine Töchter kamen unter die Vormundschaft der nächsten männlichen Verwandten. Diese Geschlechtsvormundschaft (tutela mulierum) gab dem Vormund (tutor) zwar nur noch eine begrenzte Gewalt über die Frau, berührte auch ihre Rechtsfähigkeit nicht mehr, schränkte sie aber weiterhin in ihrer Handlungsfähigkeit ein (7. Kapitel 2.2, S. 180). Zur Wirksamkeit der von ihr abgeschlossenen Geschäfte bedurfte es nun der Zustimmung des Vormunds (tutor), so wie es früher der Zustimmung des pater familias bedurft hatte.

Der Status der Frau war in der altrömischen Periode also durch lebenslange Gewaltunterworfenheit gekennzeichnet. Mit der fortschreitenden Verselbständigung der Frau im sozialen Leben kam es jedoch schon bald zu frauenfreundlichen Rechtsänderungen. Seit der späten Republik bildete sich neben der manus-Ehe auch die tutela mulierum immer stärker [<<42] zurück. Am Ende der klassischen Epoche erreichte die Frau hinsichtlich ihrer privatrechtlichen Rechts- und Handlungsfähigkeit eine fast völlige Gleichstellung mit dem Mann (3. Kapitel 4.1, S. 90).

2.3 Straf- und Deliktsrecht

Der Akt der Rache für erlittenes Unrecht bildet seit Menschengedenken einen zentralen Bestandteil der Rechts- und Unrechtsgeschichte. Von Strafe und Schadensersatz unterscheidet sich Rache dadurch, dass das empfundene Leid des Verletzten den Maßstab für Sanktionen bildet: Rache ist durch Leidenschaft und Willkür bestimmt, geringfügige Beeinträchtigungen können härteste Sanktionen zur Folge haben, wenn es keine Rolle spielt, ob der Verursacher imstande ist, die Verantwortung für seine Tat zu tragen. Deshalb können sogar Tiere, unbelebte Gegenstände oder natürliche Elemente einer „Bestrafung“ unterzogen werden. Berühmte Beispiele sind die Auspeitschung des Meeres durch den Perserkönig Xerxes oder die Tierstrafe im Alten Testament.7 Als Erfolgshaftung tritt das Prinzip der Rache in Gegensatz zur modernen Verschuldenshaftung. Rache sieht auf die Tat als solche, auf die Verwirklichung des Schadens. Der Schmerz, die Gefühlskränkung des Verletzten, lassen nicht danach fragen, ob der Verursacher den Erfolg auch verantworten kann.

Das Zwölftafelgesetz regelt Straf- und Deliktsrecht vor allem in der VIII. Tafel, in der sein kulturgeschichtlicher Standort besonders deutlich hervortritt. Archaische und in die Zukunft weisende Regelungen liegen dicht beieinander. Im Mittelpunkt steht das Prinzip privater Rache. Eine öffentliche Strafverfolgung ist noch kaum entwickelt, sie beschränkt sich auf einige gegen das Gemeinwohl gerichtete Delikte. Sogar die Bestrafung des Mörders bleibt der privaten Initiative der Agnaten [<<43] des Getöteten überlassen. Das Gesetz enthält aber auch Regeln, die der Rache Grenzen setzen, vgl. etwa Tafel VIII, 2:

Wenn jemand [einem anderen] ein Glied verstümmelt, soll [der Täter] das Gleiche erleiden, wenn er sich nicht [mit dem Verletzten] gütlich einigt (si membrum rup(s)it, ni cum eo pacit, talio esto).

Das Prinzip der Vergeltung von Gleichem mit Gleichem (talio) ist in vielen alten Rechten überliefert. Schon das Alte Testament kennt es als Grundlage der Rechtspflege („Auge um Auge, Zahn um Zahn“, 2. Mose, 21, 24). Diese Form des Unrechtsausgleichs wird häufig – und gerade in der jüngsten Zeit wieder – als Beleg für die Grausamkeit „alttestamentarischer Rache“ angeführt.8 Dabei wird übersehen, dass die Talion gegenüber der Willkür archaischer Sanktionsformen bereits einen großen Fortschritt bedeutet: Sie dient dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit, indem sie das Maß der Vergeltung nach dem Schaden des Verletzten bestimmt und der Rachsucht damit Grenzen setzt. Als zukunftsweisend erscheint zudem die in Tafel VIII, 2 angesprochene Möglichkeit der gütlichen Einigung. Geeinigt hat man sich vermutlich über die Zahlung von Geldbußen, deren Bemessung vielleicht auch davon abhängig gemacht wurde, ob der Verletzer absichtlich gehandelt hatte.

Die physische Vergeltung mit dem gleichen Übel gestatten die Zwölf Tafeln aber nur bei schweren Körperverletzungen. Bei leichteren Verletzungen ordnen sie Geldbußen an. So hat der Täter für den Knochenbruch (os fractum) 300 As zu entrichten, wenn der Verletzte ein Freier, 150 wenn er ein Sklave ist, für geringere Verletzungen sogar nur 25 As (Tafel VIII, 3, 4). Einschränkungen des Talionsprinzips finden sich auch im Diebstahlsrecht (Tafel VIII, 12 ff.). Die Zwölf Tafeln unterscheiden danach, ob der Dieb auf frischer Tat ertappt wurde oder nicht. Im zweiten Fall darf der Bestohlene nur eine Geldbuße fordern, die meistens nach dem [<<44] doppelten Wert der gestohlenen Sache bemessen wird. Typisches Kennzeichen von Privatstrafen sind Bußen, die höher sind als der Schaden. Die Zwölf Tafeln gehen hier die ersten Schritte in eine Richtung, an deren Ende die privatrechtliche Regelung von Eigentumsverletzungen steht (vgl. § 823 Abs. 1 BGB). Den auf frischer Tat ertappten Dieb darf der Bestohlene dagegen eigenmächtig töten. Er muss ihn allerdings bei Nacht erwischt haben. Bei am Tag gefassten Dieben ergeben sich zusätzliche Einschränkungen. Insgesamt wird deutlich, dass das Gesetz die Möglichkeiten der Selbsthilfetötung zu beschränken sucht.

Der Gedanke der Wiedervergeltung kommt auch in Bereichen zum Tragen, in denen das Zwölftafelrecht die Todesstrafe verhängt. So heißt es etwa in Tafel VIII, 10:

Wer ein Haus oder einen neben das Haus gesetzten Getreidehaufen niederbrannte, soll, wenn er wissentlich und vorsätzlich gehandelt hat, in Ketten gelegt, verprügelt oder gegeißelt und durchs Feuer hingerichtet werden. Geschah die Tat aber mehr zufällig, d.h. infolge Fahrlässigkeit, so soll der Täter entweder den Schaden wiedergutmachen oder, wenn er weniger leistungsfähig ist, leichter bestraft werden (qui aedes acervumve frumenti iuxta domum positum combusserit, vinctus verberatus igni necari iubetur, si modo sciens prudensque id commiserit; si vero casu, id est negligentia, aut noxiam sarcire iubetur, aut, si minus idoneus sit, levius castigatur).

Die Hinrichtung spiegelt die Begehung des Verbrechens, was an den Talionsgedanken erinnert. Ferner fällt auf, dass unabsichtliches Verhalten bei der Bemessung der Strafe zugunsten des Verursachers berücksichtigt werden soll. An anderer Stelle sagen die Zwölf Tafeln, dass den Agnaten des Getöteten ein Schafbock zu stellen sei, „wenn der Speer mehr aus der Hand geflogen als geworfen ist“ (Tafel VIII, 24). Das Ziel einer Beschränkung der Rache kann also auch über ein stellvertretendes Objekt erreicht werden. Daneben wurden auch minderjährige Täter privilegiert. So zieht sich von Vorschriften der alten Zwöltafelgesetzgebung (z. B. Tafel VIII, 9, 14) eine Linie über die Constitutio Criminalis Carolina von 1532 bis zum Reichsstrafgesetzbuch von 1871, das Kinder unter 12 Jahren für strafunmündig erklärte und für jugendliche Straftäter zwischen 12 und 18 Jahren eine obligatorische Strafmilderung vorsah. Dies bedarf in [<<45] Zeiten, in denen Fragen der Kinderdelinquenz und Herabsetzung von Strafbarkeitsgrenzen wieder in den Fokus öffentlicher Wahrnehmung gerückt sind, besonderer Hervorhebung.

Zusammenfassend und mit Blick auf die weitere Entwicklung lässt sich feststellen: Der älteste Zweck, der mit einer Vergeltung verfolgt wird, ist die Sühne für eine Unrechtstat (delictum), die jemand einer anderen Person gegenüber begangen hat. Auf diesen Zweck lässt sich auch die persönliche Haftung beim nexum zurückführen, wonach der Gäubiger auf den Körper des Haftenden greifen darf, wenn dieser nicht durch Rückzahlung des Darlehns gelöst wird. Ein Privatunrecht wird nach altem Recht durch die Rache des Verletzten gesühnt. Das Ziel dieser Rache ist ursprünglich auf die Tötung des Täters gerichtet. Das Zwölftafelgesetz sucht nun die Befugnisse des Verletzten einzuschränken, um den Täter vor unberechtigter Verfolgung zu schützen. Eine erste Einschränkung bildet die Talion. Hinzu kommt die Privilegierung unabsichtlichen Handelns bei der Strafbemessung. Weitere Einschränkungen ergeben sich aus den gesetzlich fixierten Bußtaxen, etwa im Fall von Körperverletzungen oder Diebstahl. Die Bußtaxen bilden den Ausgangspunkt für die spätere Entwicklung des Privatstrafrechts, aus dem das moderne Recht der Unerlaubten Handlungen hervorgegangen ist. Im 3. Jahrhundert v. Chr. werden die Schadensersatzbestimmungen der Zwölf Tafeln durch eine zusammenfassende Regelung in der lex Aquilia (vermutlich 286 v. Chr.) ersetzt. Betrachtet man die einzelnen Haftungsvoraussetzungen der lex Aquilia, so lässt sich der moderne Begriff der Unerlaubten Handlung in Umrissen erkennen. Kausalität, Rechtswidrigkeit und Verschulden sind als Merkmale der Haftung auf Schadensersatz bereits ausgeprägt. Es ist daher kein Zufall, dass der Name des Gesetzes in Italien und Frankreich in den Ausdrücken responsabilitá Aquiliana und responsabilité Aquilienné noch fortlebt.

Der in der Folgezeit weiter ausgebaute Schutz des Täters vor unberechtigter Verfolgung hat zu einer Funktionsteilung von Privat- und Strafrecht geführt. Heute steht die Fachliteratur der Frage, ob das Zivilrecht unter bestimmten Umständen auch strafrechtliche Funktionen ausüben könne, überwiegend ablehnend gegenüber. Dabei glaubt man, sich auf folgende Argumente berufen zu können: Pönale Elemente seien [<<46] im Zivilrecht ein Fremdkörper, jede Form der Bestrafung müsse hier als unzulässiger, systemwidriger Übergriff in die Kompetenz des Strafrechts missbilligt werden. Schadensersatz könne keine Straffunktionen ausüben, weil das private Haftungsrecht lediglich den Ausgleich der gestörten Vermögensverhältnisse bezwecke. Die öffentliche Strafe sei dagegen keineswegs auf die Vermögenseinbuße des Verletzten begrenzt, sie könne wertmäßig erheblich darüber liegen. Dass das Schadensopfer über seine Vermögenseinbuße hinaus bereichert werde, sei mit den Zwecken des Schadensersatzrechts unvereinbar. Außerdem müsse Strafe anders als Geldersatz nicht an den Verletzten, sondern an die öffentlichen Kassen geleistet werden. Würde ein Schädiger zum Beispiel Strafgeld an sein Opfer ausbezahlen, so käme dies einer Privatstrafe gleich. Das Institut der Privatstrafe gehöre aber zu den „Sauriern der Rechtsgeschichte“ und sei schon längst „ausgestorben“ (Heck). So haben auch die Verfasser des BGB gedacht (Mot. II, 17 f.). Demgegenüber treffen ältere Gesetze wie die Zwölf Tafeln oder die lex Aquilia keine klare Unterscheidung zwischen Schadensersatz und Strafe. Im Hintergrund steht der Gedanke, dass auch die Verpflichtung zum Schadensersatz eine Sanktion normwidrigen Verhaltens und damit Strafe ist. Neueste Entwicklungen, etwa im Bereich der Bemessung von Schmerzensgeldern oder sogenannter punitive damages scheinen den wahren Kern dieses Gedankens zu bestätigen. Die Problembereiche zeigen, dass sich die Grenzlinie zwischen Schadensersatz und Strafe keineswegs so eindeutig ziehen lässt, wie man es gemeinhin für möglich hält. Diese Einsicht hat inzwischen dazu geführt, dass die Privatstrafe und Fragen nach den pönalen Elementen des Zivilrechts wieder stärker in den Bereich wissenschaftlichen Interesses gerückt sind.

3. Die Entstehung des Rechts aus der Gewalt

Viele der in den Zwölf Tafeln enthaltenen Regelungen weisen zurück in eine Zeit, in der die Gewalt das grundlegende Mittel zur Durchsetzung von ‚Recht‘ gewesen ist. Ein anschauliches Beispiel bildet die eigentümliche Zeremonie der mancipatio, die vermuten lässt, dass der Erwerber ursprünglich den Gegenstand nicht nur der juristischen Form halber, [<<47] sondern zur Ausübung der tatsächlichen Sachherrschaft mit der Hand ergriffen hat (S. 34). Ähnlich weist das Ritual der vindicatio zurück in eine Zeit, wo ein Erwerb aus eigener Kraft stattfand und die Gewalttat den eigentlichen Geltungsgrund für einen Besitzwechsel darstellte. So sah es bereits Gaius (IV, 16):

Den Stab aber gebrauchte man gleichsam anstatt des Speeres als ein symbolisches Zeichen des zivilrechtlich anerkannten Eigentums, weil man vor allem das als sein Eigentum glaubte, was man den Feinden abgenommen hatte (festuca autem utebantur quasi hastae loco, signo quodam iusti dominii, quando iusto dominio ea maxime sua esse credebant, quae ex hostibus cepissent).

Etwa 200 Jahre vor Gaius spricht der römische Dichter Vergil (70 – 19 v. Chr.) im 7. Buch der Aeneis von den Ureinwohnern Italiens, den Latinern: Sie „sind des Saturnus Volk, das weder Zwang noch Gesetze braucht, sondern freiwillig dem Fug des ältesten Gottes gehorcht“, was unter anderem bedeutet: Sie „wissen und wünschen nichts Besseres als Raub vom Feind und Leben vom Raub“. Im 19. Jahrhundert hat vor allem Rudolf v. Jhering (15. Kapitel 2, S. 333.) auf die ordnungs- und rechtsstiftende Funktion der Gewalt aufmerksam gemacht. Seine Lehre ist durch neuere Forschungen zur Streitregelung in archaischen Gesellschaften weitgehend bestätigt worden. Danach bildet die Selbsthilfe (S. 128) das ursprüngliche Mittel zur Streitregelung. Selbsthilfeordnungen kommen ohne institutionalisierte Intervention Dritter aus: Die Konfliktlösungen beschränken sich auf gewaltsame Selbsthilfe und direkte Verhandlung zwischen den Kontrahenten. Die Selbsthilfeakte stehen immer unter der Drohung, dass der Konflikt dadurch nicht gelöst wird, sondern eskaliert, was Anlass zu neuen Gewalthandlungen gibt. Vor diesem Hintergrund mag die These naheliegen, das Recht habe im Unrecht seinen Ursprung (Dershowitz, Fögen). Eine solche Annahme läuft jedoch Gefahr, heutige Vorstellungen auf frühe Formen normativer Ordnung zu projizieren, in denen ‚Recht‘ eine ganz andere Bedeutung hatte. In Selbsthilfeordnungen gibt es zwar Sitten und Bräuche, aber noch kein Recht (M. Weber). Von Recht – und von Unrecht – darf erst gesprochen werden, wenn die Organisationsform eines Dritten [<<48] auftritt – wenn sich also andere Menschen mit dem Konflikt befassen, die nicht im engen Sinne Partei sind (v. Trotha).

Selbsthilfeordnungen sind nicht nur von staatlichen Rechtsordnungen mit ihren Monopolisierungen, sondern auch von jenen nichtstaatlichen Ordnungen streng zu unterscheiden, in denen Konfliktlösungen bereits über einen überparteilichen Dritten erfolgen.9 Die Zwölf Tafeln bewahren die Erinnerung an den grundlegenden Bruch, den das Fehlen und Vorhandensein des Dritten markiert. An die einstige Vorherrschaft der Selbsthilfe erinnern neben mancipatio, coemptio oder vindicatio auch Privatrache und Erfolgshaftung sowie die im Gesetz wiederholt betonte Bevorzugung gütlicher Streitbeilegungen. Als die Zwölf Tafeln in Kraft traten, war die Vorherrschaft der Selbsthilfe freilich schon längst gebrochen. Sie stehen auf einer Entwicklungsstufe, wo das Recht in wachsendem Maße autonome Funktionen für sich in Anspruch nimmt (18. Kapitel 1.1, S. 391). Dies zeigt nicht zuletzt der Auftritt des Dritten, der in Gestalt etwa des libripens das Geld zuwägt (mancipatio) oder als Gerichtsherr über die Zuweisung des Eigentums entscheidet (vindicatio).10 [<<49]

Literatur

Quellen: FIRA, Bd. I (23 ff.: Das Zwölftafelgesetz). Eine Übersetzung bieten R. Düll, Das Zwölftafelgesetz, 7. Auflage (1995) und D. Flach, Die Gesetze der frühen römischen Republik (1994), 109 (mit Text und umfassenden Literaturangaben zum frührömischen Recht, 309); Gaius, Institutiones, hg.v.M. David, 2. Auflage (1964), deutsche Übersetzung: J. Lammeyer, Die Institutionen des Gaius (1929); L. Huchthausen, Römisches Recht in einem Band, 4. Auflage 1991 (Zwölftafelgesetz, Gaius); U. Manthe, Gaius, Institutionen (2004).

Allgemeines: HHL 1 (2002), §§ 110 ff. (Liebs); H.S. Maine, Das alte Recht – „Ancient Law“. Sein Zusammenhang mit der Frühgeschichte der Gesellschaft und sein Verhältnis zu modernen Ideen (1861), hg. u. übers. v. H. Dahle (1997); N. D. Fustel de Coulanges, Der antike Staat. Kult, Recht und Institutionen Griechenlands und Roms (1864), übers. v. I.-M. Krefft (1981); Heumann / Seckel, Handlexikon; G. Wissowa, Religion und Kultus der Römer, 2. Auflage, 1912 (ND 1971); L. Wenger, Die Quellen des römischen Rechts (1953); F. Schulz, Geschichte der römischen Rechtswissenschaft (1961); M. Kaser, RP I; J. Gaudemet, Les institutions de l’Antiquité (1967), 7. Auflage (2002); P. Jörs, Römisches Recht (bearb. v. H. Honsell), 4. Auflage (1987); F. Wieacker, Römische Rechtsgeschichte, 1. Abschnitt (1988); R. Zimmermann, The Law of Obligations. Roman Foundations of the Civilian Tradition (1990; 1996); H. Dieter / R. Günther, Römische Geschichte bis 476, 3. Auflage (1990); P. Raisch, Juristische Methoden. Vom antiken Rom bis zur Gegenwart (1995); A. Söllner, Einführung in die römische Rechtsgeschichte, 5. Auflage (1996); P. Apathy / G. Klingenberg / H. Stiegler, Einführung in das römische Recht, 2. Auflage (1998); M. Bretone, Geschichte des römischen Rechts. Von den Anfängen bis zu Justinian, 2. Auflage (1998); A. Bürge, Römisches Privatrecht. Rechtsdenken und gesellschaftliche Verankerung (1999); P. G. Stein, Römisches Recht und Europa, 3. Auflage (1999); H. Hausmaninger / W. Selb, Römisches Privatrecht, 9. Auflage (2001); K. Bringmann, Geschichte der römischen Republik (2002); M.Th. Fögen, Römische Rechtsgeschichten (2002); W. Dahlheim, Die Antike. Griechenland und Rom von den Anfängen bis zur Expansion des Islam, 6. Auflage (2002); Hähnchen, RG, 13; É. Jakab / U. Manthe, Recht in der römischen Antike, in: Die Rechtskulturen der Antike, hg. v. U. Manthe (2003), 239; U. Manthe, Geschichte des römischen Rechts, 5. Auflage (2016); D. Liebs, Römisches Recht, 6. Auflage (2004); G. Dulckeit / F. Schwarz / W.Waldstein, Römische Rechtsgeschichte, 10. Auflage (2005); H. Honsell, Römisches Recht, 8. Auflage (2015); M. Kaser / R. Knütel / S. Lohsse, Römisches Privatrecht, 21. Auflage (2016); W. Kunkel / M. Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, 14. Auflage (2005); J. Rüpke, Die Religion der Römer, 2. Auflage (2006); Wesel, GdR, 153; F. Wieacker, Römische Rechtsgeschichte, [<<50] 2. Abschnitt (2006); D. Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, 7. Auflage (2007); J. D. Harke, Römisches Recht (2008); H. D. Spengler, Zum Menschenbild der römischen Juristen, JZ 2011, 1021; K. Boosfeld, Grundzüge der römischen Rechtsgeschichte, JuS 2017, 490.

Zwölftafelgesetz: E. Täubler, Untersuchungen zur Geschichte des Decemvirats und der Zwölftafeln (1921); M. Kaser, Das altrömische Ius (1949); D. Daube, Forms of Roman Legislation (1956), 23; J. Delz, Der griechische Einfluss auf die Zwölftafelgesetzgebung, in: Museum Helveticum 23 (1966), 69; F. Wieacker, Die XII Tafeln in ihrem Jahrhundert, in: Entretiens sur l’antiquité classique, Teil XIII, Les origines de la République romaine (1966), 291; G. Radke, Beobachtungen zu den leges XII tabularum, in: FS U. v. Lübtow (1970), 223; M. Kaser, Die Bedeutung von „lex“ und „ius“ und die XII Tafeln (1973), in: Ausgewählte Schriften Bd. I (1976), 179; O. Behrends, Der Zwölftafelprozess. Zur Geschichte des römischen Obligationenrechts (1974); F. Wieacker, Römische Rechtsgeschichte I (s. o.), 287. Die Einleitung von D. Flach, Die Gesetze der frühen römischen Republik (s. o.); S. Hähnchen, Der Vergleich – historische Betrachtung eines Instruments zur gütlichen Streitbeilegung, in: Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler (2002), 139, 141; M. Humbert (Hg.), Le Dodici Dai Decemviri agli Umanisti (2005).

Altrömische Geldgeschäfte: Th. Mommsen, Nexum, SZ (RA) 23 (1902), 348; W. Kunkel, Mancipatio, in: RE 14, 1 (1928); F. Leifer, Altrömische Studien IV / 1: Mancipium und auctoritas. Mit Beiträgen zum römischen Schuld- und Haftungsproblem, SZ (RA) 56 (1936), 136 und IV / 2, SZ (RA) 57 (1937), 112; U. v. Lübtow, Studien zum altrömischen Kaufrecht, in: FS P. Koschaker, Bd. II (1939), 113; K. F. Thormann, Der doppelte Ursprung der Mancipatio. Ein Beitrag zur Erforschung des frührömischen Rechts unter Mitberücksichtigung des nexum (1943); J.G. Wolf, Zur legis actio sacramento in rem, in: FS F. Wieacker (1985), 1; St. Meder, Die bargeldlose Zahlung (1996), 14, 29; U. Manthe, Agere und aio: Sprechakttheorie und Legisaktionen, in: FS Th. Mayer-Maly (2002), 431.

Familienrecht: Marianne Weber, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung (1907), 158; F. Zagelmeier, Die rechtliche Stellung der Frau im römischen Familienrecht (1928); W. Kunkel, Matrimonium, in: RE 14, 2 (1930); G. Pacchioni, Manuale del diritto romano, 3. edizione (1935); P. Koschaker, Die Eheformen bei den Indogermanen, in: Deutsche Landesreferate zum II. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung im Haag (1937), 77; G. Simmel, Philosophie des Geldes, 6. Auflage 1958 (ND 1977), 405; E. Burck, Die Frau in der griechisch-römischen Antike (1969); J. Huber, Der Ehekonsens im römischen Recht (1977); D. Balsdon, Die Frau in der römischen Antike (1979); G. MacCormack, Coemptio and Marriage by Purchase, in: Bull. 81 (1978), 179; K. Kroj, Die Abhängigkeit der Frau in Eherechtsnormen [<<51] des Mittelalters und der Neuzeit als Ausdruck eines gesellschaftlichen Leitbilds von Ehe und Familie (1988), 117; M. C. Grosse, Freie römische Ehe und nichteheliche Lebensgemeinschaft (1991); G. Heyse, Mulier non debet abire nuda. Das Erbrecht und die Versorgung der Witwe in Rom (1993); J. F. Gardner, Frauen im antiken Rom (1995); E. Holthöfer, Die Geschlechtsvormundschaft. Ein Überblick von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, in: FGR, 390 (vgl. insbes. die Nachw. S. 402 f. bei Note 53); B. Feldner, Zum Ausschluss der Frau vom römischen officium, RIDA 2000, 381; E. Höbenreich, G. Rizzelli, Scylla. Fragmente einer juristischen Geschichte der Frauen im antiken Rom (2003); B. Feldner, Zur Vermögensverwaltung durch Frauen im klassischen römischen Recht, in: Frauenrecht und Rechtsgeschichte (hg.v. St. Meder, A. Duncker, A. Czelk), 2006, 1.

Straf- und Deliktsrecht: Th. Mommsen, Römisches Strafrecht 1899 (ND 1990); E. Levy, Privatstrafe und Schadensersatz im klassischen römischen Recht (1915); F. H. Lawson, Negligence in the Civil Law (1950); W. Kunkel, Untersuchungen zur Entwicklung des römischen Kriminalverfahrens in vorsullanischer Zeit, Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, N. F. (1962); ders., Prinzipien des römischen Strafverfahrens (1968), in: Kleine Schriften zum römischen Strafverfahren und zur römischen Verfassungsgeschichte (1974), 11; S. Schipani, Responsabilità „ex lege Aquilia“ – criteri di imputazione e problema della „culpa“ (1969); U. v. Lübtow, Untersuchungen zur lex Aquilia de damno iniuria dato (1971); R. Wittmann, Die Körperverletzung an Freien im klassischen römischen Recht (1972); G. Schiemann, Das allgemeine Schädigungsverbot: „alterum non laedere“, JuS 1989, 345; R. Zimmermann, The Law of Obligations (s. o.); H. Hausmaninger, Das Schadensersatzrecht der lex Aquilia, 5. Auflage (1996); B. Winiger, La responsabilité aquilienne romaine (1997); St. Meder, Kann Schadensersatz Strafe sein? Zum Wandel des Verhältnisses von Schadensersatz und Strafe unter Berücksichtigung von Gefährdungshaftung, Versicherung und Familienrecht, in: FS H. Rüping (2006), 125.

Staats- und Verfassungsrecht: Th. Mommsen, Römisches Staatsrecht, 3 Bde., 3. Auflage 1887 (ND 1971); ders., Abriß des römischen Staatsrechts, 2. Auflage 1907 (ND 1974); H. Siber, Römisches Verfassungsrecht in geschichtlicher Entwicklung (1952); W. Kunkel, Zum römischen Königtum (1959), in: Kleine Schriften zum römischen Strafverfahren und zur römischen Verfassungsgeschichte (1974), 345; J. Gaudemet, Institutions de l’Antiquité (1967), 251; E. Meyer, Römischer Staat und Staatsgedanke, 4. Auflage (1975); W. Eder, Der Bürger und sein Staat – Der Staat und seine Bürger. Eine Einführung zum Thema Staat und Staatlichkeit in der frühen Römischen Republik, in: Staat und Staatlichkeit in der frühen Römischen Republik (1990), 12; H. Bellen, Grundzüge der römischen Geschichte von der Königszeit bis zum Übergang der Republik in den Prinzipat, 2. Auflage (1994); W. Kunkel / R.Wittmann, Staatsordnung und Staatspraxis der römischen Republik, II: Die Magistratur [<<52] (1995); J. Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, 8. Auflage (1999). Einen Einblick in den neuesten Stand von Literatur und Forschung bietet A. Heuss, Römische Geschichte (hg.v.J. Bleicken / W. Dahlheim / H.-J.Gehrke), 10. Auflage (2007); N. Jansen / R. Michaelis, Private Law and the State. Comparative Perceptions and Historical Observations, in: RabelsZ 71 (2007), 345 (s. auch die Nachweise im Anschluss an die folgenden Kapitel).

Rechtsentstehung: R. v. Jhering, Geist des römischen Rechts, Erster Teil (1852), 9. Auflage (1953), 108; ders., Der Zweck im Recht, Bd. I (1877), 4. Auflage 1904 (ND 1970), 186; ders., Die geschichtlich-gesellschaftlichen Grundlagen der Ethik, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 6 (1882), 1, 12; M. Weber, WuG, 14; H. Arendt, Über die Revolution (1963), 2. Auflage (1974). G. Spittler, Streitregelung im Schatten des Leviathan, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 1980, 4; H. Popitz, Phänomene der Macht, 2. Auflage (1992); A. M. Dershowitz, Die Entstehung von Recht und Gesetz aus Mord und Totschlag, 2000 (dt. 2002), 184, 224; T. v. Trotha, Was ist Recht? Von der gewalttätigen Selbsthilfe zur staatlichen Rechtsordnung, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 2000, S. 327; P. Hanser / T.v. Trotha, Ordnungsformen der Gewalt (2002); M.Th. Fögen, Römische Rechtsgeschichten (2002), 102, 18. [<<53]

3Bis zu dessen endgültiger Beilegung sollten freilich noch über hundert Jahre vergehen. An der Frage nach der Bedeutung der Ständekämpfe für den Erlass des Gesetzes hat sich neuerdings eine wissenschaftliche Kontroverse entzündet (vgl. die Nachweise bei D. Flach, Die Gesetze der frühen römischen Republik, 24).

4Bereits die Athener hatten ihre Gesetze auf Tafeln geschrieben und öffentlich aufgestellt (zu weiteren Parallelen: W. Dahlheim, Die Antike, 155 ff.).

5Dazu näher III. Zur Rolle des Geschenks in archaischen Gesellschaften: M. Mauss, Die Gabe, 1990, 27 ff.

6Vgl. etwa die Regelung im Alten Testament, wonach Jehova bis ins dritte und vierte Glied straft (2. Mose 20, 5, 6; Hesekiel 18, 20).

7„Wenn ein Ochse einen Mann oder eine Frau zu Tode stößt, so soll man ihn steinigen und sein Fleisch nicht essen, der Eigentümer des Ochsen aber bleibe ungestraft“ (2. Mose 21, 28).

8Vgl. aber auch Jesaja 59, 18: „Wie es die Taten verdienen, so übt er Vergeltung“, und Jeremias 16, 18: „So vergelte ich zunächst nach dem Maß ihrer Schuld und Sünde“. Anders dagegen das Neue Testament: „Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin“ (Matthäus 5, 39).

9Vor allem in den Vereinigten Staaten haben Juristen gemeinsam mit Psychologen, Ethnologen und Anthropologen Formen der Verhandlungstechnik in Selbsthilfeordnungen untersucht. Nichtrechtliche Formen der Streit- und Konfliktlösung wurden als ‚Alternativen zum Recht‘ ein rechtspolitisches Programm, dessen folgenreichstes Kernstück die ‚Mediation‘, also die Streitschlichtung ohne staatliche Gerichte, geworden ist (vgl. etwa P. Hansen / T.v. Trotha, Ordnungsformen der Gewalt, 92).

10Zutreffend hat J. G. Wolf daher betont, dass es sich z. B. beim „Vindikationsritual“ nicht um Scheinakte von Selbsthilfe, sondern um die Behauptung von Recht und Unrecht handele (Zur legis actio sacramento in rem, 3, 12, 28, 30). Zu unterscheiden wäre indes die Frage, ob die von ‚Kläger‘ und ‚Beklagtem‘ vorgespielten Taten in jene Zeit zurückweisen, wo Konflikte noch im Wege von Selbsthilfeakten gelöst wurden.

Rechtsgeschichte

Подняться наверх