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Karakorum-Highway

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Oh Madina-Guesthouse, welch Oase! Wir lassen es uns abermals gut gehen, die Sonne scheint, die patschnassen Sachen trocknen auf der Leine. Es ist nun endgültig an der Zeit, die ersten Rad-Etappen vorzubereiten. Verpflegung muss her. Dazu ist Gilgit prinzipiell schon der richtige Ort, nur Einkaufen läuft hier anders als bei uns daheim. Supermarkt ist eher eine unbekannte Einrichtung. Die Jobmaschine in Asien heißt „eigener Laden“. Wenn man sonst nichts kann, verkauft man eben was und darin sind sie gut. So reiht sich im Bazar Laden an Laden, in denen man alles bekommt, was man für den täglichen Bedarf so benötigt, aber eben nur stückweise und so ist man doch ganz schön unterwegs, bis alles beisammen ist. Wir finden schließlich doch noch so was Ähnliches wie einen Supermarkt, der örtliche Großverkäufer quasi und in vertrauter Umgebung kauft es sich einfach schneller ein. Weil wir Europäer mögen zwar Uhren haben, aber die Zeit gehört anderen.

Wir schreiben den 9. August 2005. Ein historisches Datum, für uns zumindest. Unsere erste Radetappe steht an. Es kribbelt im Bauch, endlich können wir loslegen! Die lange Vorbereitung hat nun ein Ende, jetzt wird es ernst, vor uns Karakorum, China, Tibet. Wir kommen!

Zunächst aber bereitet es uns schon einige Probleme, auch nur aus Gilgit wieder rauszukommen. Die Hängebrücke über den Hunza-River hat es in sich, eine äußerst wackelige Holzkonstruktion. Heimtückisches Hindernis jenseits, ein Tunnel. Die Brücke bietet nur gerade so Platz für ein Fahrzeug. Zum Glück sieht man, ob jemand in den Tunnel einbiegt. Da die örtlichen Verkehrsregeln sich auf den Grundsatz reduzieren lassen, der mit der größeren Masse ist immer der Gewinner, Vorfahrt hin oder her, müssen wir einen Moment abpassen, in dem Brücke und Tunnel gleichzeitig frei sind, dann so schnell wie möglich hinüber zum Tunnel und durch diesen im Eiltempo hochtreten. Im Loch geht es zu allem Überfluss auch noch bergauf. Wir haben jedoch Glück, kein anderer beansprucht in diesem Moment die Flussüberquerung und so stehen wir schließlich keuchend jenseitig am anderen Ufer. Puh, über die Brücke das war wackelig. Ganz schön schwankende Angelegenheit, als ob man sich besoffen auf das Fahrrad schwingt.

Diese haben zwar noch nicht ihr volles Kampfgewicht erreicht, sind aber trotzdem schon ganz schön beladen. Als da wären, zwei vordere Gepäcktaschen mit Verpflegung, Töpfen und Benzinkocher. Hinten zwei Gepäcktaschen mit Kleidung, Zelt, Schlafsack, jeder Menge Werkzeug und Ersatzmaterial. Darüber spannen wir unseren Trekkingrucksack. Alles in allem mit Fahrrad so etwa vierzig Kilo. Für die härteren noch kommenden Etappen in Tibet verfügen wir über Bergschuhe zwecks besserer Isolation. Für den Moment genügen aber noch Turnschuhe.

Wenn ich daheim an unseren vier mal vier Meter breiten und drei Meter hohen Haufen an Habseligkeiten in der Scheune denke, ist es doch unglaublich, wie viel Zeug man so mit durchs Leben schleppt. Dabei würde doch eigentlich ein dicker Geldbeutel und etwas Wechselwäsche langen. Nun ja, ganz so einfach ist es dann doch nicht.

Zurück nach Pakistan, es ist trotz zunehmender Höhe brütend heiß. Der Karakorum-Highway schlängelt sich immer entlang des Hunza-Rivers gen Norden Richtung China. Man radelt durch ein karges braunes Tal, eingerahmt von kahlen Hügeln. Dazwischen hin und wieder grüne Oasen um die hier noch zahlreichen Dörfer.

Keine zwanzig Kilometer geradelt, schon verliert der hintere Reifen Luft. Ein Plattfuss! Und das jetzt schon! Taktisch günstig mitten in einem Dorf und so mangelt es nicht an Zuschauern. Für die Kids muss das wie Fernsehen sein. So versammelt sich sehr schnell eine Meute um uns, einer schleppt sogar eine altertümliche Pumpe herbei, aber mit meiner bin ich besser bedient. Der Lochverursacher, ein paar Dornen, die den Schlauch regelrecht perforiert hatten. Als Taktik für solche Fälle hatten wir uns überlegt, sofort einen Ersatzschlauch aufzuziehen und die Löcher abends in Ruhe zu flicken. Während ich da also bastele, gesellt sich ein weiterer Radler hinzu. Paul aus Polen, seines Zeichens Lehrer und auch auf großer Radreise. Wir radeln ein Stück gemeinsam, ein Weggefährte für ein paar Kilometer.

Die Landschaft wird wilder, die Schlucht, in der wir uns befinden, tiefer. Später tauchen die ersten Schneeberge auf. Das blendende Weiß verspricht Kühlung, aber hier unten ist es immer noch brüllend heiß, von unseren Shirts kann man bald garantiert echtes Hunza-Salz abbauen. Die vielen kleinen Läden mit Pepsi sind da ein Segen. Wir nehmen quasi jeden Cola-Stand mit, um den Wasserhaushalt so gerade im orangen Bereich zu halten.

Kindermangel herrscht in diesen Regionen definitiv nicht. Zum Teil sind sie sehr aufdringlich. Vielfach schallt uns ein „One pen, one pen“ entgegen. Den Spruch hat bestimmt jeder Globetrotter schon mal gehört. Irgendeiner unserer Vorfahren muss mal massenhaft Kugelschreiber an die Kinder verteilt haben, aber was wollen die alle damit? Sollte das jeder gute Tourist tausendfach griffbereit in der Satteltasche haben? Man weiß es nicht, aber wozu hat man auch sonst soviel Taschen am Rad hängen.

Der erste Tag auf dem Fahrrad zieht sich somit sehr in die Länge. Durchweg bergauf und die Hitze tut das übrige, so dass wir nach siebzig Kilometer schon sehr froh sind, als wir endlich eine Unterkunft in Ghulmet finden. „Rakaposhi Paradise Hotel“ und genau so kommt es uns auch vor! Ob sich das Personal darüber freut, unsere voll beladenen Räder in den zweiten Stock zu wuchten, sei dahin gestellt. Wir nehmen es dankend an. Ghulmet hat eine kleine Besonderheit zu bieten, man steht hier quasi direkt am Wandfuß des Rakaposhi, seines Zeichens 7788 Meter hoch. Der kleine Ort liegt gerade mal auf 2300 Meter, was die tiefste Schlucht der Welt ergibt. Die Auffassungen hierzu sind sicherlich unterschiedlich, aber diese Dimensionen sind schon sehr beeindruckend. Dabei ist es nicht so wie in anderen Gebirgen, dass auch die großen Flüsse hier entspringen. Die meisten, wie Indus, haben ihre Quelle irgendwo in Tibet und existierten schon bevor der indische Subkontinent Himalaja und Karakorum anhob, als er sich unter die asiatische Platte schob. Im Laufe der Zeit gruben sich die Flüsse also ihren Weg durch das neue Hindernis und somit entstanden diese gewaltigen Schluchten.

Paul begegnen wir hier auch wieder. Den nächsten Morgen verratschen wir uns ziemlich und so wird es Mittag, bis wir die Drahtesel bepacken. Nicht gerade die beste Zeit, weil nun die Sonne nahezu senkrecht über dem Tal zu stehen scheint. Schatten, wo bist du? Steiles auf und ab in praller Mittagshitze. Da kann man nur Wasser nachschütten soviel wie reinpasst. Für Essen ist dann allerdings kein Platz mehr, ein Minusgeschäft!

Inzwischen erreichen wir nun endgültig das Reich der Hunza. Diese Volksgruppe ist erstens für ihre Träger-Hilfsdienste bei Karakorum-Expeditionen bei uns bekannt und zweitens geht das Gerücht um, sie würden sehr besonders alt. Weswegen auch den hier vielfach angebauten Aprikosen magische Kräfte zugesprochen werden. Die Realität fällt leider sehr ernüchternd aus, aber auch der Glaube versetzt Berge. Ich bin der Meinung, die Leute hier sehen mit ihrem tiefen Furchen im Gesicht nur uralt aus und das genaue Geburtsdatum scheint eh nicht so wichtig zu sein. Das raue Klima, geballte UV-Strahlung in der dünnen Luft, das hält die beste Haut nicht aus und so braucht es nicht viel, um die Männer mit langen Bärten und faltigen Gesichtern wie Methusalems aussehen zu lassen. Erfreulicherweise spielen bei den Hunzas auch Frauen wieder eine etwas gleichberechtigtere Rolle in der Gesellschaft. Man sieht wieder die eine oder andere ohne männliche Begleitung auf der Straße gehen. Die meisten Hunza gehören der etwas liberaleren Ismaili-Glaubensrichtung an. Diese spaltete sich im 8. Jahrhundert von der schiitischen ab. Es gibt keine Moscheen, sondern Versammlungshäuser.

Das Tal, durch welches der Karakorum-Highway heute führt, ist seit jeher eine wichtige Handelsroute, ein Seitenarm der legendären Seidenstraße. Durch die Abgelegenheit des Tales blieb das Königreich der Hunza lange unbehelligt von der Außenwelt. Ihre Heimat ist eine Hochgebirgswüste, der wenige Platz zwischen den steilen Bergflanken kostbar. Mühsam wurden den Hängen Terrassen für Ackerbau abgerungen. Das Wasser wird durch komplizierte Bewässerungskanäle von den Gletschern nach unten geleitet. Angebaut werden unter anderem Aprikosen und Walnüsse.

Da im August gerade Aprikosen-Ernte ist, fallen uns sofort die auf den Flachdächern zum Trocknen ausgelegten Früchte auf. In der eher eintönig braunen Umgebung wirken die orangen Farbtupfer umso intensiver. Wir können nicht lange widerstehen und decken uns mit einem Kilo der Leckerbissen ein.

Unser Tagesziel für heute heißt Karimabad, seines Zeichen Hauptstadt der Hunza. Der „Mir“, ihr König, hatte hier seinen Sitz in einem alten Fort, welches noch immer über der Stadt thront. Welch ein Bild, dieser orientalische Bau direkt zu Füssen eines Siebentausenders, des Ultar-Peaks. Der Einstieg zu diesem Berg befindet sich quasi direkt hinter dem Fort. Der heutige Mir, eigentlich entmachtet, haust immer noch in Karimabad. Sein Palast hört aber heute auf den Namen „Darbar Hunza Hotel“ und ja, man kann dort für vergleichsweise teures Geld fürstlich schlafen.

Die letzten Meter vom Karakorum-Highway nach Karimabad hoch sind fürchterlich steil. Gleich neben dem Weg schlachtet jemand Hühner im Serienbetrieb. Mit einem Messer den Kopf abschneiden, den flatternden Rest in einen Korb werfen und das nächste. Heute Abend gibt es wohl Hühnchen. Zum Glück sind die billigsten Hostels gleich am unteren Ende der Stadt. Im ersten halten wir es nicht lange aus, dank fehlender Vorhänge vor den Fenstern und dem Durchgang für alle direkt davor, vermissen wir doch etwas Privatsphäre. Da in Karimabad so gut wie jeder Durchreisende absteigt, lernt man einige Gleichgesinnte kennen und trifft schon vertraute Gesichter wieder. Auch die Gruppe eines sehr bekannten deutschen Trekkingveranstalters sehen wir wieder. Ihr pakistanischer Guide jammert uns gleich etwas von „jedes Jahr im Sommer, das gleiche Programm“ vor. Tja, falschen Beruf gewählt.

Wir vertrauen uns einem anderen Guide an, der uns für horrendes Geld durch die alte Königsburg, „Baltit“ genannt, führt. Aus Holz und Lehm erbaut, steht sie in dominanter Lage über dem Tal. Errichtet im 13. Jahrhundert, war sie bis 1945 bewohnt und wurde in den Jahren 1990-96 aufwendig restauriert. Die Sicht von hier oben ist wirklich umfassend. Dank trockenem Klima verfällt alles sehr langsam, der Bau ist also sehr gut erhalten. Es finden sich verschiedene Baustile, sogar ein tibetischer ist zu erkennen. Tibet, vom Ziel unserer Träume sind wir hier eigentlich nur durch ein paar Berge getrennt. Die sind allerdings sehr hoch. Den Sinn der ziemlich niedrigen Türen im Fort erklärt uns der Guide mit der gebückten Haltung, die man zwangsweise annehmen muss, um hindurchzukommen. Macht die Enthauptung leichter, falls ein Feind so weit vorgedrungen wäre.

Nachdem wir nun gesehen hatten, wie die Könige hausten, wollen wir auch noch begutachten, was für das Fußvolk übrig blieb. Ganish heißt die Stadt zu Füssen von Karimabad. Touristen verirren sich hierher nach unten kaum noch, die fünfhundert Höhenmeter wieder hoch zu Bett und Tafel wären nun auch wirklich zu viel des Guten. Wir lassen uns nicht abschrecken und besuchen das Kleinod. Neuerdings erst restauriert, dank finanzkräftiger Unterstützung von Norwegern und Spaniern, ist die alte Handelsstadt Ganish heute ein sehr lebendiges Museum. Als wir ankommen herrscht reger Betrieb auf dem Hauptplatz. Wohl wegen uns sind bald darauf jedoch alle Frauen von der Bildfläche verschwunden. So stehen wir etwas verloren herum und wissen nicht, ob wir uns weiter vorwagen sollen. Doch es findet sich bald wie zufällig ein älterer Herr, der sich unserer annimmt. Wie sich rausstellt, der offizielle Stadtguide, der sozusagen nur auf uns gewartet hat. Ein sehr netter Mensch, der uns viel von der Stadt erzählen kann. So sollen zum Beispiel im Pool am Hauptplatz früher die Ganish-Krieger schwimmen trainiert haben, um sich mit den Nagyrs auf der anderen Flussseite zu bekriegen, wozu dieser eben aber erst mal durchquert werden musste. Relativ viele Mini-Moscheen sind erhalten, nicht größer als die bei uns bekannten Hauskapellen. An der Außenwand der ehemaligen Karawansarai sieht man noch immer ins Mauerwerk eingelassene Wurzeln, an denen die Packtiere festgebunden wurden. Ebenso erhalten, ein Wachturm und Teile der alten Stadtmauer. Früher war Ganish größer, fiel jedoch einerseits einer Flut und andererseits teilweise dem Bau des Karakorum-Highways zum Opfer.

Die Leute hier klagten bis vor kurzem über arge Bauchprobleme, was wohl in erster Linie an dem Second-Hand-Wasser lag, welches Karimabad übrig ließ. Dank einer großzügigen japanischen Spende verfügen sie aber nun auch in Ganish über einen eigenen Zugang zum Gletscherwasser. Interessant sind die im Boden eingelassenen Vorratsfässer, die durch ein ausgeklügeltes System mit Wasser gekühlt werden. Hier reift Butter in Birkenblättern eingewickelt bis zu fünf Jahre heran und gilt als lokale Delikatesse. Beim abschließenden Tee erzählt unser Stadtguide etwas aus seinem Leben. Früher war er Bergführer, wäre es vermutlich immer noch, aber seit diesem 11. September bleiben die Touristen doch spürbar aus. Stolz zeigt er uns seinen Mitgliedsausweis des Deutschen Alpenvereins. Ob dieser auch hierher seine Mitgliederzeitschrift verschickt? Ich wage es zu bezweifeln.

Als Bergsteiger können wir natürlich nicht der Versuchung widerstehen, mal zum Basislager des Ultar hochzuwandern. Gleich hinter dem Fort beginnt der Weg durch eine enge Schlucht mit steilen Granitwänden, die früher vollkommen vom Gletscher aufgefüllt war. Aber auch im Karakorum sind die Eisströme auf dem Rückzug. Das Basislager begrüßt uns mit schlechtem Wetter, so können wir die umgebenden Granitriesen nur erahnen. Für die Einheimischen ist die Wiese hier oben in erster Linie eine sehr gute Sommerweide für ihre Schafe. An der Almhütte gibt es Suppe und Tee und man könnte auch sein Zelt aufstellen. Der Senn erzählt uns ein wenig von der Besteigungsgeschichte des Ultar. Vor allem Japanern hat es der Berg wohl angetan. Viele Tote blieben zurück, bevor der Berg dann doch erstbestiegen werden konnte. Erklärt wohl auch das Engagement der Japaner in der Umgebung. Gespannt sucht unser Gastgeber immer wieder die steilen Granitwände ab. Nein, nicht Kletterer interessieren ihn, ein Ochse hat sich irgendwie auf einen grünen Fleck sehr weit oben verirrt. Wie der da hingekommen ist? Ein pakistanischer Kletterochse, keine Ahnung. Ohne Kletterseil möchte ich ihn jedenfalls nicht holen gehen.

Den ganzen Weg hoch zu dieser Oase faszinierten uns schon die steil in die Granitwände gehauenen Bewässerungskanäle. Wir würden ja gerne einem dieser Kanäle nach unten folgen, trauen uns aber nicht recht. Sie sind ja offensichtlich für den Lebensunterhalt der Leute hier sehr wichtig und es tut den mühevoll in den Fels gemauerten Lebensadern bestimmt nicht gut, wenn ständig eine Horde Touristen darüber stapft. Wir fragen einen Einheimischen, der gerade mit Schaufel unterwegs ist. Kein Problem, also los. So an die hundert Meter über der engen Schlucht spazieren wir nun inmitten einer ansonsten senkrechten und glatten Granitwand. Der Kanal wurde aus dem Fels gehauen und gesprengt, daneben schwindelerregend ein kleiner Fußpfad angelegt. Bald teilt sich der Kanal auf, Schleusen verteilen das Wasser. Terrassenfelder liegen unter uns. Jetzt wissen wir auch, wozu vorhin die Schaufel gut war. Mit einer Schippe Erde wird das Wasser abwechselnd auf die verschiedenen Felder verteilt. Wir folgen willkürlich einem Pfad nach unten und landen in einem Dorf. Enge Gassen, nur einen Meter breit, schlängeln sich zwischen die irrgartenähnlich angelegten Häuser. Hinter jeder Ecke wartet etwas anderes, Wohnzimmer, Kuhstall oder doch der Weiterweg. Mehr als einmal landen wir in einem Stall und stehen mal über, mal links oder rechts der Kuh. Langsam werden wir doch nervös und sind heilfroh, als wir endlich den Dorfplatz finden, wo sich die meisten Leute aufhalten. Die wirken sehr gelassen und freuen sich uns zu sehen. Besonders für die Kinder sind wir eine Schau. Wir fragen uns durch, ein breiter Weg führt zurück nach Karimabad. Die Aprikosenernte ist voll im Gange. Frauenarbeit, wie es aussieht. Verstohlen bekommt Bettina frische Früchte zugesteckt. In diesem Fall bin ich der Störfaktor. Sonst wären die Hunzadamen wohl nicht so gehemmt und Bettina wüsste abends ihre ganze Lebensgeschichte. Aber ich kann mir zugute halten, auf diese Weise Bettina davor beschützt zu haben, zum Aprikosenzupfen eingespannt zu werden.

Abends treffen wir uns mit einem Pärchen wieder, welches wir im Madina-Guesthouse kennen gelernt hatten. Die beiden Bayern verbringen ihre Zeit eigentlich im indischen Goa beim Tätowieren. Nur im Sommer verschlägt es sie mit ihrem Bus nach Pakistan. Goa ist so was wie der letzte Zufluchtsort für Hippies und genauso sehen die beiden aus. Dabei ist ein Husky, dem die Hitze aber nichts auszumachen scheint. Die beiden haben sich in Altit einquartiert. Auch hier gibt es ein kleines Fort, welches gerade renoviert wird. Der Besitzer des Guesthouses schmeißt abends ein kleines Fest. Dauert nicht lang, bis der selbstgebrannte Aprikosenschnaps seine Runden dreht. Unverdächtig abgefüllt in eine Cola-Flasche. Eine der Grundregeln für Muslime ist, vom Schnaps die Finger zu lassen. Hat sich bis hierher noch nicht rumgesprochen. Wir werden noch zum Essen eingeladen und ein echter Chauffeur bringt uns im Jeep nach Hause.

Gleich hinter Karimabad finden sich direkt an der Straße prähistorische Felszeichnungen. Die ersten entstanden wohl im ersten Jahrhundert nach Christus und sind so etwas wie ein Gästebuch dieses Tales. Von frühen buddhistischen Pilgern, bis hin zu den Arbeitern des Karakorum-Highways hat sich jeder verewigt. Wahrscheinlich alle ergriffen von Ehrfurcht, ob der eindrucksvollen Landschaft voraus. Die nächsten Kilometer bis nach Passu, unserem nächsten Tagesziel, zählen wohl zu den schönsten, die man auf diesem Planeten mit dem Fahrrad zurücklegen kann. Es geht los in tiefen Schluchten. Der tosende Hunza-River weit unten hat sich tief durch die Granitwände gegraben. Bei einer Brücke weitet sich das Tal. Ein einsamer Polizist schiebt hier Wache und wir werden empfangen wie Staatsgäste. Die Langeweile muss groß sein, aber uns steht grad nicht der Sinn nach einem Plausch. Brücken sind hier eher lästig, weil jenseitig meist mit einem saftigen Gegenanstieg gewürzt. Und es ist schon wieder Mittag mit entsprechender Hitze. Aber zum Glück, das nächste Dorf ist nicht weit. In der einzigen Kneipe treffen wir eine Kanadierin wieder, der wir in Karimabad schon öfters über den Weg gelaufen waren. Die ganzen Touristen reisen zwar unterschiedlich, also per Anhalter, mit Bus, zu Fuß oder wie wir per Fahrrad, aber abends treffen sich doch wieder alle im selben, vom Lonely Planet empfohlenen Guesthouse.

Nach diesem Dorf, Gulmit, wird die Straße richtig spektakulär. Berge wie Kathedralen stehen plötzlich vor einem. Zur linken Siebentausender, so wie Kleinkinder Berge zeichnen würden. Tief unten in den kargen Tälern, von der alles zu fressenden scheinenden Wüste sich abhebend, malerische grüne Flecken und Siedlungen. Mühsam wird bewässert und so dem Land Essbares abgerungen. Die Straße führt steil bergauf und wie immer in solchen Momenten lauert am Straßenrand die Dorfjugend. Man weiß ja nie, was die Rabauken nun wieder aushecken und bergauf mit all dem Gewicht kann man nicht wirklich einfach mal eben davon strampeln, sondern ist ihnen ausgeliefert, was diese wiederum sehr genau wissen. Wir müssen wohl einen sehr erschöpften Eindruck erweckt haben. Mit viel Getöse und Lachen werden wir kurzerhand den Hügel hochgeschoben! Nicht schlecht, schneller bitte! Für diese Mühe wird natürlich eine kleine Belohnung erwartet. „Sweets, sweets“ schallt es uns entgegen. Betty zieht unsere getrockneten Aprikosen hervor und man würde nun erwarten, dass die Jungs gelangweilt abwinken. Äh, Aprikosen, gibt es eh jeden Tag. Stattdessen reißen die Früchtchen ihr dieselbigen aus der Hand und können gar nicht genug bekommen.

Bald hört man in der Ferne Ketten klirren. Wir kennen das Geräusch gut, es gehört zu einem Lastwagen. In Pakistan sind dies fahrende Kunstwerke. Die Besitzer geben sich unglaublich viel Mühe, ihre Gefährte anzumalen und mit allerlei Gehängsel zu verschönern. Standard sind dabei die am Boden schleifenden Ketten. Lichterkette ist ebenso absolute Pflicht. Was für eine Schau und absolut fotogen! Natürlich schwillt den Fahrern die Brust, wenn man sich genau ihr fahrendes Kunstwerk zum Fotografieren ausguckt.

Wir schauen aber nun vor allem auf die Gletscher, die hier direkt bis zur Straße reichen. Man muss sich das so vorstellen, es geht um die Kurve und vor einem breitet sich ein Eis-Highway aus. Es ist der Passu-Gletscher, so an die zwanzig Kilometer lang. Eher klein im Vergleich zu dem, was da links und rechts sonst noch in den Tälern liegt. Aber wie er da blendend weiß in gerader Linie vor einem auftaucht, das ist schon beeindruckend. Den plastischen Eindruck verstärken die Gerölllinien auf dem Eis. Sieht in der Tat wie eine gigantische Straße aus.

Auf einem Moränenhügel thront darüber das „Glacier Breece Restaurant“. Der Weg hoch mit Gartenlampen ausgeleuchtet. Irgendwie unwirklich, dieser Luxus in so einer weltabgeschiedenen Gegend. Wir sind die einzigen Gäste an diesem Abend. Für hiesige Verhältnisse ist das Lokal doch relativ teuer, aber wir speisen wie Allah in Pakistan. Irgendwann gibt es Stromausfall und so kommen wir zu einem echten Candle-Light-Dinner mit Privat-Kellner. Nicht ohne Reue, am nächsten Morgen hat der Magen doch arge Schieflage und das Toilettenpapier wird mal wieder zum wichtigsten Ausrüstungsgegenstand. Das hält uns aber nicht davon ab, zu Fuß die fantastische Gegend zu erkunden. Also machen wir uns auf dem Weg zum Passu-Gletscher, wo es in ein sehr trockenes Seitental geht, das Yunz-Valley. Ringsum gut abgeschirmt von Bergen, ist hier wohl noch nie ein Tropfen Regen gefallen. Es wächst absolut gar nichts, Eidechsen sind die einzigen Wegbegleiter. Keine Ahnung, von was sich die ernähren. Wahrscheinlich von liegengebliebenen Wanderern mit Dünnpfiff. Inzwischen hatten wir auch den Namen des von Kleinkindern gezeichneten Berges herausgefunden, Shispar, was für ein Blickfang! Vom Yunz-Valley aus lässt sich leicht der Felsklotz über Passu namens Zard Sar erklimmen und von dort oben liegt er einem zu Füssen, der Batura-Gletscher. Stolze 56 Kilometer lang. Vom Schutt schwarz gefärbt. Die Größe lässt sich gar nicht begreifen, einfach nur enorm. Zur anderen Seite die Bergkathedralen, darunter die grünen Flecken von Passu und mitten durch der Karakorum-Highway. Man meint, der Batura-Gletscher endet am Straßengraben.

Wir nähern uns nun unaufhaltsam der chinesischen Grenze. Nach Passu ist das Gelände bis Sost eher angenehm zu radeln, bevor es dann zum Khunjerab Pass, dem mit 4730 Meter höchsten Punkt des Karakorum Highways noch mal mächtig bergauf geht. Dort befindet sich die Grenze zwischen China und Pakistan. Sost ist davon noch achtzig Kilometer entfernt, dennoch sind hier schon die Grenzformalitäten zu erledigen. Dementsprechend schaut die Stadt auch aus. Grenzstationen gleichen sich irgendwie auf der ganzen Welt, schmuddelig und anrüchig. Heruntergekommene Häuser, viele Märkte, zwielichtige Gestalten und es liegt immer ein Hauch von Glücksrittertum und Schmugglerei über der Stadt. Sost bildet da keine Ausnahme. Hier werden die von Pakistan kommenden Güter auf die schmucklosen chinesischen Laster umgeladen. Kein Vergleich zu den Prachtstücken der pakistanischen Kollegen. Für uns ist in Sost erst mal wieder Schluss mit Radfahren. Aus irgendeinem Grund sind die ersten hundert Kilometer bis Tashkurgan auf chinesischem Boden für Individualreisende gesperrt und für Radfahrer insbesondere. Wahrscheinlich aufgrund der Nähe zur afghanischen Grenze und der verstärkten Präsenz des chinesischen Militärs in der Gegend. Für uns bleibt da also nur die Möglichkeit, diesen Teil der Strecke mit dem Bus zurückzulegen. Ganz hartgesottene Kollegen radeln an einem Tag zum Pass hoch und wieder runter, um die Strecke gemacht zu haben. Darauf verzichten wir, Bergpässe erwarten uns wahrlich noch genug.

Unsere Visa für China hatten wir daheim in München schon besorgt, hier an der Grenze wäre das nicht möglich gewesen. Normalerweise gibt China nur Visa für einen Monat an Touristen aus. Für uns zu wenig, zu mal wir in den Regionen, in denen wir uns bewegen wollen, wohl nicht darauf hoffen können, eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Also mussten wir ein wenig in die Trickkiste greifen. Aber den Eindruck hatte ich noch öfter, die chinesische Bürokratie fordert das richtig heraus, meist mit Geld verbunden, umgangen zu werden. So gab ich auf dem Antragsformular eine politisch äußerst korrekte Route durch Rotchina an. Hongkong, Shanghai, Peking und natürlich die große Mauer nicht zu vergessen. Das Fahrrad erwähnte ich dabei nicht. Für so eine schöne Route benötigt man natürlich viel Zeit und bat daher um ein 90-Tage-Visa. Die Konsulat-Beamten fanden meine „geplante“ Route sehr begeisternd und so sind wir nun stolze Besitzer von Drei-Monats-Visa. Von all den tollen Highlights Rotchinas ist Sost aber denkbar weit entfernt und die genehmigte Route wird zum Glück im Visa nicht vermerkt.

Die steilen Meter zum Khunjerab Pass fahren sich im Bus äußerst entspannt. Die Straße windet sich eindrucksvoll durch enge Schluchten und ist dementsprechend ziemlich gefährlich angelegt. In der Regenzeit geht hier ein Bergrutsch nach dem anderen ab, der dann zur Trockenzeit wieder weggeschaufelt werden muss. Die Kurven sind unübersichtlich und so sehen wir doch erschreckend viele Lastwägen unten im Fluss vor sich hinrosten.

Die Gegend um den Khunjerab Pass wurde zum Nationalpark erklärt, hier streunen noch die bei Trophäensammlern so begehrten Marco-Polo-Schafe mit ihren riesigen gewundenen Hörnern umher, sowie Schneeleoparden. Touristen müssen Eintritt bezahlen, auch wenn sie nur auf der Durchreise sind. Wenn es der Erhaltung dieser einmaligen Tierwelt dient, soll es uns recht sein. Die Ranger führen uns stolz ein nur wenige Monate altes Schneeleoparden-Kätzchen vor, welches sie mutterlos aufgefunden hatten. Für den Moment noch so groß wie eine ausgewachsene Hauskatze und sehr verspielt.

Im Bus trifft sich die altbekannte Reisegesellschaft wieder. All die Leute, die wir auch die letzten Tage immer wieder in den Hostels getroffen hatten, sind auch hier am Start. Man fühlt sich von der Stimmung her glatt auf eine beliebige Kaffeefahrt durch die Alpen versetzt. So geht die Fahrt immer bergauf. Das Wetter wird immer schlechter, links und rechts kommen abermals Gletscher in Sicht. Auf Passhöhe schneit es. Vor uns ein Stacheldrahtverhau, quer durch das ganze Tal. Die Grenze zu China!

Kuerzlich in Asien

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