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Der fliegende Musharaf

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„Wie, Pakistan? Was wollt ihr denn da? Und auch noch mit dem Fahrrad? Geht das denn überhaupt, soll deine Freundin voll vermummt durch die Gegend radeln? Hinter jeder Ecke fanatische Moslems, die nur darauf warten, ein paar Ungläubige zu entführen. Und überhaupt, Bomben, Terror, Geiseldramas ... und der (damals noch lebende) Bin Laden sitzt dort auch irgendwo in der Ecke!“. Ja, und den wollen wir besuchen ... schockierende News für Eltern und Verwandte. Nicht nur den Job einfach so zu kündigen, dann auch noch diese eher ungewöhnlichen Reiseziele.

Man hat es schon schwer in diesen Zeiten, eher exotische Reiseziele anzusteuern. Die Tagesschau leistet da hervorragende Arbeit, nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten, ein Vorurteil hinter jeder Ecke. Bei Pakistan denkt man automatisch an grimmige, bärtige Höhlenbewohner, die zudem schwer bewaffnet durch die Gegend ziehen und ihre Frauen einkerkern.

Dementsprechend grummelte uns schon der Bauch, als der Flieger in Islamabad, der Hauptstadt Pakistans, zur Landung ansetzte. „Auweia, auf was haben wir uns da dieses Mal wieder eingelassen?“. Lampenfieber nennt man das wohl.

Unser Reisemotto könnte auch „Plagen und wagen“ gewesen sein, aber wir ließen es unter dem Titel „Jetzt oder nie!“ firmieren. Der Plan, zunächst den Karakorum-Highway hochradeln, hinüber nach China wechseln und von Kashgar aus durch eine wirklich einsame Gegend, nämlich quer durch Westtibet, am heiligen Berg Kailash vorbei nach Lhasa. Vieles konnte man da erwarten, nur eines nicht, geteerte Straßen! Nur jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, kann ich sagen, ja es war fantastisch!

Der Plan, welche Strecke wir angehen wollten stand schnell. Viel schwieriger, sich der ganzen kleinen Dingen des Alltags zu entledigen, die einen fesseln und den Tagesablauf bestimmen. Als da wäre zum Beispiel der Freizeitvernichter Nummer Eins, die geregelte Arbeit. Gar nicht so einfach seine Chefs von der Einmaligkeit so eines Unternehmens zu überzeugen, um nicht zu sagen unmöglich. Es blieb nur die Kündigung. Sich soweit zu reduzieren für ein Leben als Nomade, wenn auch nur vorübergehend, gestaltete sich schwieriger und zeitaufwendiger als wir anfangs dachten. Irgendwann hatten wir es geschafft, der Termin stand schon lange und sanft setzte uns der Flieger am Flughafen von Islamabad auf. Wir waren weit weg von daheim. Das Abenteuer konnte beginnen ...

Ich gehe noch mal den Lonely Planet durch, wo ist das Hotel, wie kommen wir dahin. Alles zuvor schon oft gelesen, aber jetzt wo es ernst wird, soll alles passen. Dabei findet sich auch ein Kapitel über die Geschichte von Islamabad.

Nachdem Karachi im Süden am Arabischen Meer zu weit weg von allem war, beschloss der junge islamische Staat namens Pakistan bald, eine neue Hauptstadt musste her. So entstand auf dem Reißbrett Islamabad, etwas nördlich von Rawalpindi. Der Spatenstich erfolgte 1961. Irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft, werden die beiden Städte zusammenwachsen, aber der Unterschied könnte nicht größer sein. Dort das saubere Islamabad, mit Parks und rechtwinklig angelegten Straßen. Hier das Chaos Rawalpindi, mit Menschenmassen, Lärm und viel zu viel Verkehr. All das, was man vom indischen Subkontinent erwartet.

In Karachi hätte ich jetzt auch nicht unbedingt landen wollen, erst kurz zuvor war dort einer dieser sprengwütigen Höhlenbewohner dingfest gemacht worden. Stattdessen bin ich doch recht froh über die geordneten Verhältnisse am Flughafen von Islamabad und danke im Geiste irgendeinem weitsichtigen General, der nicht in Karachi schwitzen wollte. Alles sehr übersichtlich, viele Flieger hat das Personal den Tag über wohl nicht zu betreuen. Die Ausstattung eher spartanisch. Ein hölzernes Pult für den Grenzbeamten, mehr nicht. Viele seiner Landsmänner hat es wohl nach England verschlagen. So gut wie alle mit uns Eingereisten machen den Eindruck, als ob sie gerade von London aus einen Heimatabstecher unternehmen. Selbstverständlich mit Großfamilie im Gepäck. Dazu muss man wissen, Pakistan ist der muslimische Teil des einstigen Kolonialreiches der Briten auf dem indischen Subkontinent.

Weiterhin fällt auf, alle laufen hier im „Pyjama“ herum. Man sieht, wie es in islamischen Ländern üblich ist, fast nur Männer. Alle in weiten, vorzugsweise hellblauen, bis zu den Knien reichenden, dünnen Leinen-Hemden gekleidet. Darunter eine gleichfarbige Hose vom selben Material. Nennt sich „Shalwar Kameez“ und ist so etwas, wie die pakistanische Nationalkleidung. Frauen, wenn man sie denn sieht, tragen prinzipiell dasselbe, nur dürfen es geschlechtsspezifisch mehr Farben und Muster sein. Zusätzlich kommt noch das Kopftuch hinzu.

Jeder, der schon mal sein Fahrrad einer Airline anvertraute, kennt das mulmige Gefühl an der Gepäckausgabe zu stehen, und sich zu sorgen, wo ist mein Fahrrad und vor allem, in welchem Zustand hat es den Flug überlebt? So frage ich einen dickeren Herrn hinter dem obligatorischen Holzpult, wo wir denn unsere Drahtesel abholen könnten. Achselzuckend verweist er darauf, sein Job hier wäre es nur, das Telefon neben sich auf dem Pult zu bewachen. Es ist das öffentliche Fernsprechgerät im Flughafen. Altertümlich mit Wählscheibe.

Wir erspähen schließlich unsere Foltergeräte auf der anderen Seite der Halle. Alles noch dran, keine größeren Verluste, ein guter Start! Natürlich mussten wir beim Einchecken in Frankfurt Übergepäck bezahlen und das obwohl uns die Airline vorab zugesichert hatte, Fahrräder kommen als Sportgepäck umsonst mit. Am Flughafen hieß es lediglich, nur zehn Kilogramm pro Rad. Unsere Stahlrösser sind aber nun mal keine Leichtgewichte. Stabil und zuverlässig sollten sie sein. Also berappen und zwar nicht zu knapp.

In Zusammenarbeit mit dem Taxler finden wir unser Hotel der Wahl in Islamabad, das Ambassador. Hört sich prunkvoll an und man fühlt sich gleich bei Betreten der Eingangshalle ins britische Kolonialreich zurückversetzt. Dazu passt auch der Wächter an der Tür, der wohl noch persönlich für Ihre Majestät das britische Reich gegen aufständische Paschtunen verteidigt hatte. Gewehr, Marke Bärentöter, in der Hand, Patronengurt um die Schulter. Kaliber und so weiter sind nicht mein Metier, aber die Patronen sehen vom Format aus wie eine Filmdose. Diese Nacht werden wir wohl sicher schlafen.

Vorher wagen wir uns noch in das dunkle Islamabad. Nur schnell die Straße runter, auf der Suche nach einem Internet-Cafe. Viele Banken reihen sich aneinander, kleine Restaurants und sogar eine echte Bäckerei! Damit scheint die Versorgung schon mal gesichert. Wenige Meter weiter, das gesuchte Internet-Cafe. Der Besitzer lädt uns zu einem Tee ein und führt uns bald auf das flache Dach des Hauses. Ein schöner Nachthimmel breitet sich über Islamabad aus.

Er stellt sich uns als Ali vor. „German, good people. American, British – no good!“. So einfach ist das für ihn. Weiter erzählt er uns von seinem Vater, dem hier in der Umgebung so gut wie alles gehört. Ein Familienbusiness also. Was Ali weiter noch so erzählt, hört sich für uns allerdings eher nach mafiösen Strukturen an, aber so läuft es hier wohl. Er betreibt das Internet-Cafe und hat eine Horde Angestellter, die Dokumente in alle möglichen Sprachen dieser Welt übersetzen können. Während er so im eher schlechten Englisch daherplaudert, dreht er sich einen Joint nach dem anderen und weiß natürlich, wo in der Stadt Wein, Whiskey und Bier aufzutreiben sind. Man könnte also nicht behaupten, dass er dem Laster abgeneigt wäre. Nur Heiraten geht nicht, weil viel zu teuer in Pakistan. Das Mitgift-System ist hier auch als mafiös zu bezeichnen und Wert sowie Qualität der Hochzeit bemessen sich an der Größe der Feier. Deswegen sollen wir in Deutschland nach einer Frau für ihn Ausschau halten. Er spekuliert wohl auf einen Preisnachlass. Hmm, ich frage mich, was er für ein Bild vom Westen hat?

Bettina und ich, wir sind natürlich verheiratet. Spontan bei Ankunft in diesem Land hatten wir entschlossen, uns seit sechs Monaten im sicheren Hafen der Ehe zu befinden. Damit wollen wir einige unangenehme Fragen und Situationen umschiffen und womöglich in irgendeinem Hotel nicht auch noch in getrennten Zimmern übernachten müssen. Gegenfrage kommt natürlich prompt, wo sind denn dann die Kinder? Ähmm ... nach nur sechs Monaten, so schnell ist Mutter Natur nicht.

Ali lädt uns für den nächsten Tag zu einer Tour in die Margalla Hills gleich hinter der Stadt ein. Die Chance lassen wir uns nicht entgehen und finden uns am nächsten Tag im Taxi mit Ali wieder. Sein Prachtauto, von dem er uns gestern noch so stolz erzählte, zog es bei der Heimfahrt in der Nacht unwiderstehlich gegen eine Wand und ist deswegen heute nicht einsatzbereit. So zumindest sein Ausrede.

Die Margalla Hills gleich nördlich am Stadtrand von Islamabad sind schon der erste Ausläufer des westlichen Himalajas und Teile davon wurden als Nationalpark ausgewiesen. An die 2000 Meter hoch bieten die dicht bewaldeten Hügel vor allem eines, Kühle! So strömen die Leute an freien Tagen in Scharen hoch, um der Hitze von Islamabad zu entkommen. Gerüchteweise soll hier sogar schon mal Schnee gelegen haben.

Was Ali nun so alles für den Tag geplant hat, wollte er uns nicht verraten. Ganz geheuer ist uns die Sache nicht, aber wir sind nun mal hier, um Abenteuer zu erleben. Jedenfalls zeigt er sich spendabel und besteht darauf, wir sind eingeladen. Er sucht wohl nur Gesellschaft. Sonntags sind die Geschäfte geschlossen und das kann für einen Single schon mal langweilig werden. Da ist es allemal besser, sich mit ein paar Westlern im Hinterland rumzutreiben. Zunächst einmal steht die Besichtigung seines Baugrundes für das zukünftige Haus an. Nette Hanglage, aber da bleibt noch viel zu tun. Die Leute sprechen in hier mit „Schah“ an, einem Ehrentitel für einflussreiche Personen. Irgendwie ergibt sich der Rest dann eher zufällig, aus dem kurzen Spaziergang in den Wald wird letztendlich eine ausgewachsene sechsstündige Wanderung zurück nach Islamabad. Wie aus dem Nichts findet sich noch ein Begleiter, „Musharaf“, dank seines Namens auch „Präsident“ genannt. Der derzeitige Militärmachthaber Pakistans heißt so. Er selber findet den Vergleich wohl am besten, immer wieder gibt er ein lautes „I am Musharaf – President of Pakistan“ von sich, um dann gleich in schallendes Gelächter ob dieses Kalauers auszubrechen. Die zwei sind Haschbrüder vor dem Herrn. Jeder der beiden dürfte den Tag über so an die 15 Joints geraucht haben. Auch hier ist das illegal, aber man gönnt sich ja sonst nichts. Um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen, Bettina und ich sind in der Hinsicht absolute Abstinenzler. Aber wie soll man das jemandem klar machen, der mit jedem Zug mehr in eine Parallelwelt abgleitet.

Dank der zwei wird uns quasi uneingeschränkter Zugang zu all den Dörfern entlang des Weges gewährt. Wir dürfen überall rein, oder müssen viel mehr. Je nachdem wie man es nimmt. Im ersten Dorf gibt es ein „Lassi“. Kuhmilch, frisch gepresst, mit Butter. Nächste Station Tee und Kekse. So treiben wir die Akklimatisierung unserer Mägen an asiatische Verhältnisse im Eilschritt voran. Der Gusseisenmagen, den man sich mit jedem Schluck einredet, wird es schon aushalten.

Frauen halten sich meist versteckt, oder müssen den Raum verlassen, sobald wir antraben. Bettina bekommt trotzdem Zugang und sitzt anschließend zusammen mit mir in der Männerrunde. Keine Ahnung, was die islamischen Regeln für diesen Fall vorschreiben. Die Leute, welche wir auf diese Weise besuchen können, leben einfach. Lehmhütten dienen als Behausung. Jeder hat ein paar Kühe und Hühner. Viel anbauen lässt sich am Hang nicht und so versuchen sie, eher mit Weben und ähnlichen Handarbeiten über die Runden zu kommen. Andere wie Musharaf ergattern unten in Islamabad hin und wieder einen kleinen Job. Die Wanderung führt uns weiter durch dichte grüne Wälder. Mit jedem Schritt hinunter wird es heißer und alle sind wir schweißgebadet. Nur der inzwischen arg zugedröhnte Musharaf nicht, der breitet die Arme aus und fliegt ...

Für Abkühlung sorgen klare Bäche und schließlich in der Nähe einer Moschee im Grünen der obligatorische Coca-Cola-Stand. Bald erreichen wir wieder die Außenbereiche von Islamabad. Von der Hitze doch ziemlich erledigt, wollen wir eigentlich nur noch zurück ins Hotel. Aber wie den Fängen von Ali entgehen? Der besteht darauf, wir müssen unbedingt noch seine Stadtwohnung ansehen und mit ihm Abendessen. Ehe wir uns versehen, dürfen wir also seine Junggesellen-Residenz auch noch in Augenschein nehmen. Sagen wir mal so, der Fernseher nimmt eine sehr zentrale Rolle im Mobiliar ein und das ganze Haus scheint nur aus Schlafzimmern zu bestehen. Bald springt Ali im Unterhemd durch das Haus, was nun auch bei uns daheim vor Leuten, die man gerade erst kennengelernt hat, nicht gerade angebracht ist. Nach meinem Verständnis müsste so was in einem islamischen Land also völlig daneben sein.

„Look here, good muscle!“ so deutet er auf seinen Bizeps. „You will find good woman in Germany for me!“. Jaja Ali, lass gut sein. Schließlich begeben wir uns doch noch auf den Heimweg, aber für Bettina muss unbedingt noch ein Shalwar Kameez her. So in Hemd und Hosen kann sie nicht durch die Straßen dieses Landes laufen. Deswegen landen wir beim Stoffverkäufer, Männer-Business im Übrigen. Der Sohnemann darf ran, und die besten Stoffe Asiens gekonnt anpreisen. Die Leute sind hier eindeutig zum Verkaufen geboren! Ohne Handeln geht natürlich nichts, aber Schah Ali bekommt selbstverständlich einen Sonderpreis. Es ist inzwischen spätabends, doch der Schneider nimmt noch die Maße auf, und voila, bis morgen früh ist der Pyjama in Landestracht maßgeschneidert fertig. Jetzt aber, Bett, bitte! Doch Ali will uns immer noch nicht entlassen. Zum Glück erkennen wir die Gegend wieder und können uns daher Alis Ablenkungstaktiken zum Trotz in Richtung Hotel absetzen. Jedoch nicht ohne seinen Begleitschutz versteht sich. Die letzten Meter um die Ecke bis zum Hoteleingang will er aber partout nicht mitgehen. Standhaft weigert er sich, auch nur in Sichtweite des Hoteleingangs zu geraten. Ende der Einflusszone? Gefährliche Hood? Nein, schlimmer! Angeblich gehört das Ambassador einer Engländerin! Ist natürlich klar, da kann man schon mal seinen guten Ruf verlieren, wenn man vor so einem Establishment gesichtet wird.

Wir versinken schließlich doch noch im Bett, aus dem Fernseher dröhnt amerikanische Teufelsmusik mit halbnackten Weibern am Mikro. Irgendwie hatte ich mir Pakistan doch anders vorgestellt. Weit und breit keine Gotteskrieger und auf MTV schwingen knapp bekleidete Mädels ihre Hüften.

Kuerzlich in Asien

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