Читать книгу Triceratops - Stephan Roiss - Страница 14

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VATER SETZTE UNS mit einer Sporttasche voller Gewand in Aschbach ab. Großmutter winkte Vaters Auto nach, der Kater schnupperte an unseren Schuhen. Der Boden im Hof war gesprenkelt mit Hühnerkot, vor der Stallmauer wölbten sich Inseln aus hart gewordenem Schnee. In der Stube goss uns Großmutter einen Löffel Ribiselmarmelade mit kaltem Wasser auf und schenkte sich ein großes Glas Most ein. Das Gulasch auf dem Herd schlug Blasen. Die Hauptspeise wurde aus demselben Teller gegessen wie die Suppe davor und der Grießkoch danach. Am Abend schaute uns Großmutter beim Zeichnen zu, schlief im Sitzen ein, erwachte wieder, füllte ihr Glas auf und erzählte. Früher hatten zum Haus Getreidefelder gehört, und der Stall war voller Tiere gewesen. Heute war der Misthaufen seinen Namen nicht mehr wert. Unser Onkel, Vaters jüngerer Bruder, hatte nach Großvaters Tod den Betrieb übernommen, aber bald genug von der Landwirtschaft gehabt, und war mit seiner Frau in die Schweiz ausgewandert. Ein paar Kühe und die Hühner hatte sich Großmutter behalten. Sie brauchte etwas Leben um sich herum. Nur drei ihrer Kinder hatten das Erwachsenenalter erreicht. Die anderen drei waren jung gestorben. Eines hatte den Schlitten über den gefrorenen Tümpel gezogen und war ins Eis eingebrochen, eines hatte verdorbene Würste gegessen, eines war behindert zur Welt gekommen und in der Nacht nach seiner Taufe nicht mehr aufgewacht.

Wir liefen in der Spur der Rodel, die ohne uns losgesaust war und nun am Fuß des Friedhofsberges stand, die Kufen halb im Schnee und halb im Gras. Wir schlitterten über eine glatte Stelle, fielen hin, legten uns quer zum Hang und ließen uns das letzte Stück hinunterrollen. Dabei rutschte unser Anorak hoch. Beißende Kälte. Mutter hätte uns geschimpft, weil wir nicht den Skioverall angezogen hatten. Als wir uns neben der Rodel aufrichteten, fielen wir gleich wieder um. Halb, weil uns so schwindlig war, und halb, weil wir es nicht anders wollten.

»Das heißt nicht Plüschiater«, sagte die Aschbach-Großmutter.

Sie schlug die Sohlen unserer Winterschuhe gegeneinander, Schneekristalle spritzten auf ihren Kittel, es hallte im Hof.

»Das heißt Psychiater«, sagte sie und entfernte mit ihren gelben Fingernägeln Labkrautsamen aus den Klettverschlüssen. »Und davon gibt es schon genug auf der Welt. Willst du nicht lieber Pfarrer werden?«

Die alte Laterne schwankte. Der Wind beugte die Wipfel der beiden Kastanienbäume und drückte die Flügel des Hoftores auf. Wir schauten hinaus in die Düsternis. Wir warteten darauf, dass die Hügel zerreißen, dass ein Feuerturm aus dem gefrorenen Acker bricht und den Nachthimmel erleuchtet, in weiten Bögen Gestein in die Bäche geschleudert wird, während sich ein Drache aus den Schatten vor uns löst und das Wort an uns richtet, ein Drache, groß und feuerrot, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern und mit sieben Diademen auf seinen Köpfen. Sein Schwanz fegte ein Drittel der Sterne vom Himmel und warf sie auf die Erde herab. Die Wolkendecke knisterte.

»Morgen kommt Mutter wieder heim«, sagte Vater am Telefon. »Nach dem Frühstück hole ich dich ab und dann fahren wir gemeinsam zu ihr. Geht es dir gut?«

Großmutter zwängte ihr offenes Bein in eine braune Stützstrumpfhose. Der Kater schärfte seinen Krallen an einem Holzscheit. Die Gasflammen des Herdes zischten.

»Ja.«

In der Nacht schlichen wir in die Stube, nippten am Most, spuckten aus, naschten vom Rhabarberkuchen und malten bei Kerzenschein Monster in unser Heimatkundeheft: eine Riesenspinne, ein Gespenst mit neun Herzen und zuletzt einen Kampfroboter, der brennende Fische abfeuern kann. Hatten wir ein Monster fertiggemalt, schrieben wir seinen Namen über das Bild: Oktama, Egonil, KRX-2000. Unter dem Bild notierten wir, wo das Monster zu finden ist: Rattenhaus, Kalter Urwald, Galaxis. Wir bliesen die Kerze aus und beobachteten, wie der Rauch vom Docht aufstieg, sich kräuselte, verblasste.

Auf dem Weg zurück in unser Zimmer wollten wir mit dem Fuß ein welkes Blatt zur Seite wischen, das mitten auf dem Gang lag. Doch als wir es anstießen, löste sich ein Ärmchen aus dem dunklen Fleck und ein kleiner Flügel spannte sich auf. Uns entfuhr ein Schrei, wir zogen den Fuß zurück. Die Fledermaus hob ein wenig ihren Kopf. Ihr blieb nicht mehr viel Zeit. In wenigen Sekunden würde das Licht angehen, die Schlafzimmertür sich öffnen und die Großmutter den Reisigbesen aus der Küche holen.

»Ihr habt mir so gefehlt«, sagte Mutter, stellte ihren Koffer auf dem Asphalt ab, ging in die Hocke, schloss erst unsere Schwester, danach uns in ihre Arme. In einer Pfütze des Parkplatzes spiegelte sich eine Wolke, die wie ein Einhorn aussah. Wir blickten hoch, Mutter drückte unseren Kopf zurück an ihre knochige Schulter.

»Ihr habt mir so gefehlt.«

Triceratops

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