Читать книгу Bessere! Romane! Schreiben! - Stephan Waldscheidt - Страница 14

Erklärungen – die gefährlichste Versuchung des Romanautors ... und wie Sie ihr widerstehen

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Die Frau, die mir die Tür öffnete, kam mir winzig vor. Ich schaute auf sie hinunter wie auf ein Kind. Sie legte den Kopf in den Nacken.

Sie trug ein schwarzes Kleid mit weißem Spitzenkragen. Und feste schwarze Schuhe. Sie mochte Mitte fünfzig sein.

»Wer sind Sie?«, fragte sie.

»Wir haben telefoniert.«

»Sie sind Tabor Süden?«

»Glauben Sie mir nicht?«

»Zeigen Sie mal Ihren Ausweis.«

Ich gab ihr eine Visitenkarte.

»Was soll das denn?«, sagte die Frau, nachdem sie sich die kleine Karte dicht vor die Augen gehalten hatte.

Manchmal war ich übermütig.

So beginnt Friedrich Anis Krimi »Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels« (Knaur Tb 2001). Ein rasanter Anfang. Fehlt ihm etwas? Durchaus. Doch das, was fehlt, vermisst kein Leser: überflüssige Erklärungen.

Überflüssige Erklärungen sind eins der augenfälligsten Kennzeichen, die den Amateurschreiber vom Profiautor unterscheiden. Sie sind auch einer der Hauptgründe, weshalb Manuskripte abgelehnt werden.

Das heißt: Hier geht’s ums Eingemachte.

Warum geben Autorinnen und Autoren immer wieder und zu oft der Versuchung nach, Dinge zu erklären, die nicht erklärt werden müssen, nicht jetzt oder nicht hier?

Grund 1: Das Problem ist nicht bekannt.

Abhilfe: Dieses Kapitel lesen.

Grund 2: Mangelnde Einsicht in die Tragweite des Problems.

Abhilfe: Dieses Kapitel und Romane vor allem von Thriller-Profis lesen. Nachdenken.

Grund 3: Unterschätzen, mit wie wenig Erklärungen sich Leser zufriedengeben, ja, wie schädlich Erklärungen sein können.

Abhilfe: Sich selber beim Lesen beobachten und erfolgreiche Romane nach Erklärungen überprüfen. An wie vielen Stellen stocken Sie und sagen: »Das hätte ich jetzt bitteschön genau erklärt.« Dieses Kapitel lesen. Noch mehr nachdenken.

Grund 4: Überschätzen, wie unverzichtbar zum Verständnis und Genuss des eigenen Romans Erklärungen sind.

Abhilfe: Ausprobieren, mal gar nichts zu erklären. Erklärungen laufen oft auf ein Hervorkramen der Backstory heraus, also der Dinge, die vor Beginn des Romans geschehen sind und sich auf die Handlung und die Personen darin auswirken. Den unerklärten Text Testlesern vorlegen. Wann stocken sie? Wann stocken sie derart, dass sie nicht mehr weiterlesen, weil sie nichts mehr kapieren? Und: Dieses Kapitel lesen. Nachdenken nicht vergessen.

Ein Beispiel aus eigener Erfahrung:

Ich gab einer Testleserin zum zweiten Mal den, nunmehr überarbeiteten, Anfang eines Romans zu lesen. Sie fand, vieles sei jetzt klarer und verständlicher. Was hatte sich geändert? Unter anderem hatte ich Erklärungen weggelassen.

Noch mal: Ich hatte Erklärungen weggelassen.

Amerikanische Lektoren schreiben kaum etwas häufiger an den Rand von Manuskripten als diesen Satz: »Resist the urge to explain«.

Widerstehen Sie der Versuchung, zu erklären.

Drucken Sie sich diesen Satz in der Sprache Ihres Vertrauens in 100-Punkt-Schrift aus und hängen Sie ihn sich gut sichtbar hinter Ihren Monitor. Es ist einer der wichtigsten Sätze in Ihrer Karriere als Autor.

Das meine ich ernst.

Anis Roman-Anfang entfaltet seine intensive Wirkung nicht obwohl, sondern weil er auf Erklärungen verzichtet. Ani lässt den Leser keineswegs im Dunkeln tappen, sondern gibt ihm eine Menge Informationen. Nicht alle davon stehen in den Zeilen.

Der Leser erfährt:

Süden ist groß.

Er hat zuvor mit der Frau telefoniert.

Er ist vermutlich Polizist.

Er sieht nicht so aus, wie man sich einen typischen Polizisten vorstellt, eher gefährlich oder sogar wie ein Verbrecher.

Er hat Humor (Manchmal bin ich übermütig.).

Er ist kein Mann vieler Worte, eher ein karger Typ.

Er urteilt nicht vorschnell (Er beschreibt die Frau nüchtern, ohne zu werten.).

Mit diesem Anfang gibt Ani den Ton für den ganzen Roman vor. Ausufernde Erklärungen fehlen. Zugleich, und das ist entscheidend, erkennt der Leser, dass er sich dem Autor anvertrauen darf. Er ist neugierig, was Süden bei dieser Frau will. Er ist neugierig auf Süden. Die Knappheit und der aufblitzende Humor machen Süden sympathisch und zugleich interessant. Der Charakter – und damit sein Autor – hat uns am Haken.

Backstory? Nicht ein Satz.

Erklärungen sind eben oft nicht nur unnötig, sondern kontraproduktiv. Sie verbauen dem Leser das Verständnis, weil sie verwirren oder an der falschen Stelle kommen oder weil sie Fragen beantworten, die der Leser nicht stellt.

Oft reißen Erklärungen aus dem Fluss der Handlung, weil sie nichts anderes sind als Rückblicke en miniature. (Beispiel: Ich ging in die Kneipe an der Ecke, so wie ich das die letzten drei Wochen jeden Mittwoch getan hatte.) Oder eben Vorgriffe auf ein Problem, das noch nicht akut ist.

Erklärungen, die zu früh kommen, töten Spannung und Suspense.

(Randnotiz: Es gibt viele Möglichkeiten, Spannung und Suspense zu definieren. Folgende erscheinen mir zweckdienlich.

Spannung = Ungewissheit darüber, wie ein Konflikt gelöst wird.

Suspense = Spannung + gespannte Erwartung + emotionales Interesse am Ausgang des Konflikts.)

Es gibt noch weitere gute Gründe, dem Bedürfnis zu erklären zu widerstehen. Welche sind das und wann ist der optimale Zeitpunkt für Erklärungen?

Beispiel:

Alles war wie damals, der Geruch nach Benzin und Blut, meine Hände: voller Blut, und Blut tränkte die Knie meiner Jeans. Er lag in meinen Armen, noch warm, und ich drückte ihn fester an mich, als könnte ich so die Wärme halten. In einer Pfütze spiegelte sich Blaulicht. Ich hätte nicht sagen können, ob die Pfütze vom letzten Regen stammte oder mit dem Blut meiner Erinnerung gefüllt war … Tommy, kleiner Tommy. Er atmete nicht mehr. (S. 44)

Hier durchlebt die Heldin eines nicht existierenden Romans ein traumatisches Erlebnis aus ihrer Vergangenheit ein zweites Mal. Würde der Rückblick an der Stelle enden, gäbe das dem Leser einige spannende Fragen mit auf den Weg. Wer ist Tommy? Wer ist Tommy für die Heldin? Was ist mit ihm geschehen? Lebt er noch? Solche Fragen beleben einen Roman. Sie sich zu stellen und auf Antworten zu warten oder selbst welche zu suchen, sind Gründe, warum Leser lesen.

Es geht weiter:

Tommy, mein kleiner Bruder. Ich hatte auf ihn aufgepasst, seit ich denken kann. Er war in die falschen Kreise geraten und die Kreise bildeten einen Strudel, der ihn mit in die Tiefe zog. Ich hätte ihn aufhalten müssen, ich hätte hartnäckiger sein, ihn zwingen müssen, damit aufzuhören.

Das große H stand für seinen Tod: H wie Heroin und H wie Helikopter-Landeplatz auf dem Dach der Uniklinik. Wenn es nur die Droge gewesen wäre, die ihn getötet hätte. Aber es war eine Kugel, keine Spritze, Tommy war ein Dealer, kein Junkie. Es war kein Trost, dass er auch als Junkie nicht älter geworden wäre. Sein Mörder? Die Justiz sucht nicht sehr intensiv nach dem Mörder eines Dealers.

Statt den Leser eine Weile im Unklaren zu lassen, ergeht der Autor sich sofort in langwierigen Erklärungen: Wer Tommy ist und dass sein Mörder nie gefunden wurde. Dass er ein Dealer war, kein Junkie und einiges mehr.

Jeder dieser Punkte hätte später kommen können. Warum den Leser nicht eine Weile auf die Spur führen, Tommy sei ein Junkie gewesen? Und erst dann aufklären, wenn es unbedingt sein muss: Nein, Tommy war ein Dealer.

Sogar den Absatz oben hätte der Autor noch stärker mit Suspense aufladen können, wenn er weggelassen hätte, dass Tommy nicht mehr atmete. Eine Frage mehr für den Leser – und für sein Lesevergnügen: Lebt Tommy noch?

Hinzu kommt, dass unser fiktiver Autor die Erklärungen von Seite 44 auf Seite 84 wiederholt. Dort hätten sie ausgereicht, da sie früher eher nicht notwendig waren. Zudem hätten sie Leser vierzig Seiten im Unklaren gelassen. Damit ist nicht gesagt, dass sie auf Seite 84 optimal kommen. Womöglich hätte man sie noch weiter nach hinten ziehen können.

Viele Autoren verwechseln Erklärungen mit Vorausdeutungen. Die Grenzen sind nicht immer leicht zu ziehen, da direkte Vorausdeutungen durchaus erklärenden Charakter haben.

Eben auf Seite 84 betrachtet der Held, Sven, im Büro seiner Chefin Gudrun beim BKA ein Foto eines Mannes.

»Das ist Falk«, sagte sie. »Das war Falk.« Gudrun drehte den Rahmen so, dass Sven das Foto betrachten konnte.

Anschließend folgt eine Beschreibung des Fotos. Ganz offensichtlich liebte Gudrun diesen Mann. Da Sven ein bisschen in Gudrun verschossen ist, wäre das Foto hervorragend geeignet, in Sven Fragen aufzuwerfen oder ihn eifersüchtig zu machen.

Der Autor torpediert das – mit Erklärungen, denen er nicht widerstehen konnte.

Bereits die erste wegzulassen, hätte für mehr Suspense gesorgt: »Das war Falk.« Gut, der Satz lässt offen, ob Falk noch lebt oder sich bloß von Gudrun getrennt hat. Fehlte diese Erklärung, wüsste Sven nicht, ob Gudrun noch immer mit Falk zusammen ist. Direkt nachdem Sven das Foto betrachtet hat, setzt Gudrun zu einer langen Erklärung an: wer Falk ist, wie er gestorben ist und und und. Was Sven im Gegenzug selbst zu seiner Erklärung über Tommy ausholen lässt, seinen Bruder.

Beide Erklärungen, über Falk, über Tommy, sind unverzichtbar. Aber sie kommen an der falschen, oder, vorsichtiger gesagt: an einer suboptimalen Stelle. Die beiden Charaktere stehen in Gudruns Büro, während der Arbeitszeit. Wie viel wirkungsvoller hätte man sich das Ganze zu einem intimeren Zeitpunkt vorstellen können!

Wann ist nun der optimale Zeitpunkt für Erklärungen?

Erstens: Wenn die Erklärung unumgänglich ist.

Dies ist ein Knackpunkt, weil viele Autoren diesen Zeitpunkt als zu früh ansetzen. Das können Sie umgehen: Lassen Sie eine Erklärung probeweise weg. Testen Sie zunächst sich selbst, indem Sie innerlich einen Schritt von Ihrem Text zurücktreten. Muss der Leser an dieser Stelle wirklich wissen, dass die Remoulade in derselben Fabrik hergestellt wird wie das Halsband für den ermordeten Wellensittich? Geben Sie den Text jemandem zu lesen. Nur wenn der Leser völlig verloren ist, sollten Sie die Erklärung wieder einfügen.

Schieben Sie die Erklärung – probeweise – weiter nach hinten, sehr viel weiter nach hinten. Etwa dahin, wo das Problem mit der vergifteten Remoulade akut wird. Oder, wenn die Erklärung der Vorbereitung dient, nicht ganz so weit.

Sie werden erstaunt sein: Beim Verschieben ergibt sich häufig, dass die Erklärung herausfallen kann, ohne dem Text zu schaden. Nicht selten wird die Geschichte durch das Weglassen einer Erklärung sogar verständlicher. Siehe mein Erlebnis mit der Testleserin.

Zweitens: Wenn die Erklärung ihre emotional oder dramatisch intensivste Wirkung entfaltet.

In unserem fiktiven Thriller wäre das vielleicht eine Szene, in der Sven und Gudrun sich näherkommen. Oder wo sich ein Konflikt entspinnt: Gudrun macht sich an Sven heran, aber Sven, unsicher über Gudruns Beziehung zu Falk, weist sie zurück.

Erst nachdem der Konflikt eskaliert ist, rückt Gudrun damit heraus, wer Falk ist. Die kommt dann jedoch zu spät. Sie macht den Konflikt nicht mehr ungeschehen. Folge: Die Spannung steigt weiter.

Ob eine Erklärung notwendig ist, können letztlich nur Sie als Autor beantworten. Denn nur Sie wissen, was Sie mit der Erklärung bezwecken. In manchen Fällen mag es Ihrem Ziel entgegenkommen, etwas sehr früh zu erklären. In den meisten Fällen sind Sie besser beraten, mit der Erklärung zu warten.

Selbst kleinere Erklärungen, die nur für eine Szene oder einen Absatz – ja, nur für einen Satz – relevant sind, können Sie nach hinten schieben. Auf diese Weise sorgen Sie dafür, dass Ihr Roman an jeder Stelle spannend bleibt.

Ein Roman erfordert aber noch andere Arten von Erklärungen. Warum sollten Sie auch die umgehen? Und wie schaffen Sie das?

Tipp 1: Vermeiden Sie Infodump

Zu viele Romane fangen, statt mit Handlung, mit langwierigen Erklärungen an. Wer die Heldin ist, warum sie dort steht, wo sie gerade steht, wie sie dorthin gekommen ist, wer die Frau an ihrer Seite ist, was die beiden verbindet und wo sie diese echt scharfen Schuhe gekauft haben – ein klassischer Infodump, auf Deutsch: eine Ladung Informationsmüll.

Gerade Autoren, die Welten bauen, wie in Fantasy und Science Fiction üblich, meinen, ihren Lesern als erstes genau erklären zu müssen, wie die drei Geschlechter der Aliens von Beteigeuze 12 funktionieren oder wie es dazu gekommen ist, dass Oberbentagorien im Erbfolgekrieg mit Unterbentagorien liegt.

Sie irren.

Selbst hier sind Anhäufungen von Erklärungen fast immer unnötig. Erläutern Sie nebenher, während Ihre Charaktere handeln, oder suchen Sie sich ein etwas stilleres Plätzchen zwischen zwei actiongeladenen Stellen, um dem Leser das nahe zu bringen, was er unbedingt wissen muss, damit er der Handlung folgen kann.

Der Anfang eines Romans ist der schlechteste Ort für Erklärungen.

Stellen Sie sich Ihren Leser als einen Besucher vor, der aus der Kälte zu Ihnen kommt. Den lassen Sie doch auch zuerst ins Haus, bevor Sie ihm erklären, was es zum Abendessen gibt und wie es Ihrer Stieftante Olga geht (»Na ja, du weißt schon, mal so, mal so. Wenn da nicht die Hüfte wäre. Die macht ihr ja schon seit Jahren … He, wieso bist du so blau um die Lippen? Ja, saukalt heute. Du bist aber auch dünn angezogen. Wo war ich? Ah, Olga. Also, Olgas Hüfte …«).

Tipp 2: Keine Erklärungen im Prolog

Eine besondere Form des Anfangs ist der Prolog. Es gibt Lektoren, die lesen grundsätzlich keine Prologe. Meist zurecht. Die Mehrzahl der Prologe zeigt Dinge, die außerhalb der eigentlichen Handlungszeit stattfinden, oft aus Sicht eines anderen, statt aus der des Protagonisten. Gerne verschieben Autoren die Erklärungen vom Anfang der eigentlichen Handlung dort hinein. Gewonnen haben sie damit nichts.

Ein klassischer Prolog zeigt den Serienkiller, wie er eins seiner Opfer abmurkst, häufig aus Sicht des Opfers erzählt. Meist kein guter Anfang, weil der Leser dazu neigt, die erste auftretende Figur für den Helden oder die Heldin zu halten.

Um bei dem Beispiel mit dem Besucher zu bleiben: Beim Prolog führen Sie Ihren frierenden Besucher erst noch in den Garten, um ihm zu zeigen, woher der Kohl stammt, den er nachher in der Suppe finden wird.

Vermeiden Sie den Prolog als Vehikel für mehr oder wenig verkappte Erklärungen. Überhaupt sollten Sie auch Prologe eher vermeiden. Falls das Voranstellen eines Prologs Ihnen unabdingbar erscheint, stellen Sie die Ereignisse darin möglichst szenisch und dramatisch dar.

Den Prolog sollte Handlung beherrschen, nicht das Erzählen. Seien Sie sich über eins im Klaren: Die Romane von heute sind eher Dramen als Erzählungen, eher zu Papier gebrachte Filme – die Leser erwarten das. Zeigen Sie, was Wichtiges geschehen ist, anstatt es zu erklären.

Tipp 3: Erklären Sie bereits Gezeigtes nicht noch mal

Manche Erklärungen kommen nicht an der falschen Stelle, sondern sie sind komplett überflüssig. Am überflüssigsten (und leider am häufigsten anzutreffen): Bereits Gezeigtes wird zusätzlich erklärt.

Diese Dopplung verstößt nicht nur gegen die Erzählökonomie, sie deutet noch etwas Schlimmeres an: Der Autor scheint entweder den Leser für dumm zu halten. Oder er vertraut seiner eigenen Schreibe nicht.

Egal, was davon zutrifft, einen packenden Roman lässt das nicht erwarten. Zumindest keinen, der nicht noch packender werden könnte.

Ein Roman ist weder Lehrbuch noch Ratgeber, wo es sinnvoll sein kann, Dinge zu wiederholen (wie eben die Sache mit dem Prolog, dem ja schon eigene Kapitel in diesem Buch gewidmet sind).

Beispiel (aus unserem fiktiven Thriller).

Ohne darüber nachzudenken sortierte Sven das Besteck nach Größe und richtete es danach sorgfältig senkrecht zum Rand des Platzgedecks aus. (S. 55)

Hier zeigt der Autor den Ordnungsfimmel seines Helden. Dass es wirklich ein Fimmel und keine einmalige Angelegenheit ist, belegt er mit weiteren Beispielen, etwa auf Seite 61:

Er schob den Ordner von sich, genau bis an die Kante der Tischplatte. Auch im Regal hatte jemand die Ordner nicht richtig zurückgestellt. Er stand auf, stellte sie gerade hin und weil er schon dabei war, stapelte er die Boxen mit altem Beweismaterial passgenau aufeinander.

Und noch einmal auf Seite 64:

Nachdem Gudrun fort war, rückte Sven die beiden Stühle zurück an ihre Plätze parallel zum Tisch.

Spätestens hier hat jeder Leser Svens Ordnungsfimmel verinnerlicht, der Autor hat ihn drei Mal gezeigt und in die Handlung integriert.

Leider hat der Autor bereits auf Seite 55 (an der der Fimmel das erste Mal gezeigt wurde) Folgendes erklärt:

Ordnen, Sortieren, Ausrichten – es tat ihm gut, wenn alles seine Ordnung hatte. Ja, dieses Penible war ein Fimmel von ihm, das hatte ihm schon seine Schwester erklärt, als er noch ein Teenager war.

Etwas in Handlung zu zeigen, ist eine wunderbare Möglichkeit, Erklärungen nicht nur zu umgehen, sondern sie auch bildlich und damit eindringlicher darzustellen. Die Maxime lautet dann auch »Show, don’t tell!«. Und keineswegs »Show and tell!« Zeigen und Erklären sind zu viel des Guten.

(Randnotiz: Das hier ist ein Ratgeber. Daher zeige ich manches und erkläre es zusätzlich. So bleibt es Ihnen besser im Gedächtnis. Ein Roman verfolgt ganz andere Ziele.)

Tipp 4: Keine zusätzliche Erklärung durch Adverbien

Auch Adverbien sind ein beliebtes Mittel, den Leser mit zu vielen Erklärungen zuzuschütten.

Beispiel:

»Ich frage mich manchmal, was der Sinn des Lebens ist«, sagte Daniel nachdenklich.

Dass Daniel nachdenklich ist, kommt durch das Gesagte zum Ausdruck. Die Wiederholung durch das Adverb ist eine überflüssige, sogar ärgerliche, Erklärung. Wer wird schon gerne für dumm gehalten? (Kleiner Hinweis: Ihre Leser vermutlich nicht.)

Fazit:

Erklärungen lauern in Ihrem Roman an jeder Ecke wie Prostituierte auf Freier – sie warten nur darauf, dass Sie schwach werden. Widerstehen Sie der Versuchung. Es ist zum Besten Ihres Romans.

Und jetzt lassen Sie endlich Ihren frierenden Besucher ins Haus.

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