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Wenn Jakob reden würde, stünden seine große Klappe, Ellenbogen und Hervorstechendes an

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Denn das setzte Jakob wie ein Komplettprogramm ein, wie einer in etwas sein Siegel eindrückt. Warum und wem auch immer Jakob damit etwas zu beweisen suchte.

Oktober war es, da ging er, ohne irgendjemand – nicht mal die Eltern – informiert zu haben, ins Plattenwerk. Pah! Brauchte er vielleicht wen?

Verdiente sich hier die eigenen Brötchen als Komplettierer. Allerdings nur wenige Tage später wusste er schon genau, ja doch, das kann nur der erste Schritt gewesen sein. ‚Wie kann ein Mensch diese Plackerei ein Leben lang aushalten?’ Bitumenstreifen auf einem speziellen Ofen weichmachen, die auf Fenster- oder Türrahmen kleben, das Ganze exakt einsetzen; dann mit Schleudern und Schrauben an der rohen Betonplatte fixieren, bis schließlich alles haargenau ausgerichtet und für die Vollendung festgeschraubt wird. Zu guter Letzt hieß es dann die schweren Glasfenster und Glastüren einhängen. Und das alles im Akkord!

Nein, das war nicht sein Ding. Das war auf die Dauer garantiert nichts für Jakob. Aber erst Wochen später konnte er aufatmen. Da kam er denn endlich in die Schlosserbrigade, in die er von Anfang an immer gewollt hatte.

Das waren Kerle.

Die wussten mit dem Schneidbrenner umzugehen!

So was wollte Jakob auch.

‚War das nicht genial? Auf Anweisung etwas kaputtmachen.’ Etwas, das immer im Dreischichtwechsel geschah und nach der Frühschicht scherte er sich gleich auf die Abendschule.

Wegen der Schlosserausbildung, die jetzt für den Dachdecker stand. Zu der Zeit hatte er meistens Frühschicht, zudem noch der Kranschein und der Schweißer-Pass auf ihn warteten. Das galt es unbedingt mitzunehmen. Wer weiß schon, dachte sich Jakob, wann und wozu das noch gut sein kann. Die Sache mit dem Schweißer-Pass gestaltete sich äußerst problematisch, aber den brauchte Jakob zum Schlosserabschluss nun gerade am nötigsten. Doch die Chefs stellten sich quer.

„Das find ich vielleicht doof“, gestand Jakob seinem Kollegen.

„Angeblich ist keine Stelle mehr frei. Von wegen!“, knurrte er vor sich hin.

Da half es nicht mal, dass der Schweißer-Ausbilder sich für ihn stark machte, alles daran setzte, ihn in seine Klasse zu bekommen. Unter sechs Augen mit Bereichsleiter und „Parteifutzi“ des Kombinats – alles nannte letzteren nur so – legte man Jakob an Herz und Verstand: „Tritt doch in die Partei ein. Damit können wir uns begründet für deine Bildung einsetzen.“ Nach heftigem Zwei-Stunden-Gespräch, lauter Geschwafel, und vor allem nach einigen Zugeständnissen seitens des Parteivorsitzenden, hatte Jakob schließlich so manchen Vorteil für sich herauszuschlagen gewusst.

Dann erst unterschrieb er den Aufnahmeantrag in die SED.

Gleich am nächsten Tag hielt er nicht nur die Zusage für die Schweißer-Ausbildung samt geforderter Freistellung in den Händen, nein, er wurde auch um sage und schreibe zwei Lohngruppen höher gestuft. Ein neuer Vertrag und alles, was dazugehörte.

Mit schelmischem Lächeln und gewachsenem Selbstbewusstsein betrat Jakob seinen Arbeitsplatz. Vom Brigadier wurde er sofort als seinesgleichen aufgenommen. Das musste gefeiert werden!

Jakob ging es oft so: Durch viel Fleiß, Überstunden, einer ihm angewachsenen großen Klappe und genügend Ellenbogenarbeit schaffte er tatsächlich den Berufsabschluss Stahlbauschlosser und wurde zudem Kranfahrer für alle im Werk herumstehenden Krane. Nun war er wer und sein Können war gefragt!

Mittlerweile mit Parteibuch in der Brusttasche und dem Parteiauftrag, sich in Zukunft um die Belange besonders der jungen Arbeitskollegen zu kümmern, ihnen bei der Problembewältigung behilflich zu sein.

Jakob nahm diesen Auftrag richtig ernst.

Zu ernst.

Denn wenn sich ein Jakob einmal etwas vorgenommen hat, ist die lästige Angewohnheit, das unter allen, aber auch allen und noch so widrigen Umständen durchzusetzen, nicht weit. Koste es, was es wolle.

Jakob setzte alle Hebel in Bewegung. Bei der Feier zu seinem neuen Vertrag durfte es genauso hoch hergehen wie bei seinem ersten Brigade-Einstand hier.

Drei Fünfliterkanister aus Plaste mussten heran.

Wurden im nächsten Dorf mit Obstwein gefüllt und um die Werkshalle herum bewusst vom Hinter-Tor aus in die angrenzende Schlosserei geschleust. Zum Wein kamen noch zwei große Flaschen Pfefferminzlikör und vier Flaschen Sprudel hinzu, weil der Kleine, der noch Lehrling im zweiten Lehrjahr war, keinen Alkohol trinken durfte.

Er hatte ohnehin gleich Feierabend und sollte in der Lage sein, ihnen mit dem Moped noch etwas Nachschlag heranzuschaffen. Es war nichts Besonderes, fiel nicht weiter auf, dass an diesem Tag über die Hälfte der Schlosser eine Doppelschicht einlegte; denn zu tun gab es reichlich.

Die Arbeit selbst allerdings vollzog sich vorn in der Werkstatt. Auch dafür lösten sie sich fairer Weise zu regelmäßigen Zeiten ab. Als die Spätschicht zur Hälfte um war, trafen die der Nachtschicht Zugeteilten ein. Auch sie zogen, als sie sich zu den schon ziemlich angesäuselten Kollegen hinzugesellten, zwei Flaschen „Pfeffi“ aus ihrer Jackentasche.

Ohne Frage, das Heimkommen war die reinste Herausforderung.

Gestaltete sich offensichtlich schwierig.

Aber Patte, der Brigadier des eingeschworenen Haufens, hatte selbst dafür eine Lösung. Er ließ einfach drei Taxis vor die Umkleide kommen. Um die neun Männer, die alle heimwollten, abzuholen.

Doch der Heimfahrtsgedanke war ihnen ganz plötzlich, während sie da drinnen saßen, wie weggeblasen. Es schoss ihnen vielmehr in den Sinn, dass sie eigentlich die Brigadeversammlung gleich jetzt noch in ihrer Stammkneipe abhalten könnten. Was geschah.

Die Nacht war kurz, aber am nächsten Tag stand alles zur Frühschicht wieder auf der Matte. War zwar noch nicht ganz bei sich, doch Erscheinen war Pflicht. Viel ist an dem darauffolgenden Tag nicht fertig geworden, eher nur das Notwendigste. Drei Formenwagen rüsteten sie um und ein Absperrgeländer für den Kipptisch wurde angeschweißt.

Der dazu diente, den jeweiligen Formenwagen anzukippen, die darin befindliche Betonplatte aus ihrer Form zu lösen und sie an den Kran mittels Traverse zu hängen, um sie dann in die Komplettierung auf die Förderschiene zu heben. Von da an fuhr die Traverse, also die Aufhängung mit ihrer weiteren Aufhängung, entweder samt Platte oder auch mal ganz leer nur noch hängend auf Schienen durch die Halle. Das vorangegangene Einfädeln auf die Schiene war immer eine Übung für sich, da musste der Kranfahrer ein sehr ruhiges Händchen haben, wenn keiner der Untenstehenden von der Last erschlagen werden sollte.

An diesem Tag war Jakob an der Reihe. Die Frühschicht war ohne Kranfahrer geblieben, weil der wegen einer Grippe ausgefallen war. Jakob musste also in seinem Zustand, mit Schmerzen und Drehen im Kopf, die Sache übernehmen.

Nun, an Aufputschmitteln mangelte es nicht. Kaffee beispielsweise wurde ihm in regelmäßigen Abständen in einer großen Tasse auf die gerade am Haken hängende Traverse gestellt. Die zog Jakob dann in die Höhe und über den Kippschalter, den er überbrückte, ganz nah an seine Krankabine heran, so dass er aus dem Seitenfenster mit nur wenigen Streckungen oder Verrenkungen die Tasse ergreifen und Kaffee tanken konnte.

‚Etwas Gutes hat dieser Kranjob!’, fand Jakob, man hat wenigstens seine Ruhe.

Und gegen Mittag waren auch die Kopfschmerzen wie weggeblasen.

Nur, als in der Mittagspause Jakob vom Kran herunterstieg, um die Essenmarke in der Kantine gegen Kartoffeln, Kassler und Sauerkraut einzutauschen, nahm ihn der Betriebsleiter beiseite. Fragte ihn ungewöhnlich freundlich: „He, Jakob, hast du nach Feierabend heute was vor?“

Jakob stutzte. Worauf wollte der denn hinaus?

„Kommt ganz drauf an“, gab er zurück.

Aber eine Antwort schien der Fragende gar nicht erwartet zu haben. „Mensch, kannst du uns nicht zusätzlich noch die Spätschicht fahren? Der Lothar hat auch die Grippe gekriegt und ich finde einfach keinen Ersatz.“ Er sah flehend zu Jakob hoch, meinte zwar, man suche noch, doch Jakob möge sich schon mal drauf einstellen. Auch das noch. Noch ’ne Nachtschicht.

„Eigentlich müsst ich Koffer packen – aber sonst liegt nichts Umwerfendes an …“

„Überleg’s dir. Für Kaffee, Essen und das Finanzielle hab ich schon gesorgt.

Da sollte ganz schön was für dich drin sein“, klopfte er dem Angesprochenen auf die Schulter, als würde es dadurch besiegelt. Noch während er davon ging, fragte Jakob sich und lauter dann ihn: „Gesetzt den Fall, ich tue es. Wie komm ich denn danach bloß zu den anderen? Es steht ja langes Wochenende an. Und wir wollen doch alle zusammen den Betriebsausflug für verdiente Jungarbeiter und -genossen machen, oder?“

Aber Jakobs Einwand war schnell vom Tisch.

„Falls sich kein andrer für die Nachtschicht findet? Dann wirst du direkt vor Ort chauffiert. Könntest vorher noch mal nach Hause, Sachen packen und dich frisch machen. Ich regle das schon.“

Alles klar.

Und es kam, wie es kommen sollte.

Jakob fuhr auch noch die dritte Schicht.

Hintereinander.

Handelte sich damit zugleich den „Aktivisten“ und den Bonus von zweihundert Ostmark ein und die ungewöhnliche Ehre für den Folgetag: im Wolga des Betriebs in die Ferien chauffiert zu werden. Hatte in der Tat reichlich viel Arbeit, da außerdem das Soll ziemlich auf der Kippe stand, wegen der vielen Grippeausfälle. All das bedurfte Unmengen an Tassen Kaffee.

Aber Jakob war eben Jakob.

Schaffte es, ohne mit dem Kran dabei irgendeinen Schaden anzustellen, über diese Nachschicht hinwegzukommen.

Der Bereichsleiter stand Punkt 6.00 Uhr in der Umkleide, drückte Jakob das Geld in die Hand und legte zum Lob gleich noch einen Fünfziger als Bonus auf den Bonus mit drauf. Auch der Wolgafahrer wartete schon und chauffierte Jakob fix nach Hause, Koffer holen und dann weiter in die Ferien, auf nach Marienberg.

Von der Fahrt allerdings bekam Jakob wenig mit. Er war ihm schon mühsam genug gewesen, beim Kofferpacken nichts zu vergessen. Die Hinreise sollte er vollends verschlafen. Gleich beim Auffahren auf die Autobahn war es um ihn auf der Rückbank geschehen. Das dumpfe raue Surren des Motors und die regelmäßigen Stöße der Bitumenfugen taten ein Übriges.

In Marienberg hingen dichte Nebelschleier über dem Ort, es war diesig und nasskalt. Schlaftrunken stieg Jakob aus und gewahrte einen ebenso verschlafenen Ort. Das passte ja wieder mal. ‚Nichts los hier!’, gähnte er. Er stieß einen Kieselstein mit dem rechten Schuh von sich und drehte sich einmal um die eigene Achse.

Ach da, ein paar Meter hinter ihm stand ein Bus. Und bekannte Gesichter stiegen aus dem. Nanu? Verblüffte Gesichter. Der ganze Bus staunte nicht schlecht.

„Das gibt’s doch gar nicht. Du bist schon da? Wie jetzt?“

Ab sofort war Jakob das Gesprächsthema Nummer eins. Die jungen Kollegen und Parteigenossen, die wie er fast alle FDJler waren und sich sowohl von Veranstaltungen, als auch von der Arbeit her kannten, begrüßten ihn anständig.

Was für ein Hallo! Die Gespräche wollten gar kein Ende nehmen. Bis plötzlich einer der jungen Männer Köpfe an den Fenstern der Herberge ausmachte.

Klar, da gab es ein Restaurant.

Genau in das kehrten sie ein.

Drinnen saß bereits eine ganze Frauenbrigade.

Was für ein Zufall! Etwa fünfzehn Frauen mittleren Alters, auch ein paar jüngere waren darunter, stellte Jakob erfreut fest. Auch denen war natürlich das Ungewöhnliche seiner Anreise nicht verborgen geblieben. Was ihn um einiges interessanter als den Rest der Truppe machte. Jakob genoss das Getuschel, die neugierigen Blicke und die spitzen Kommentare der Frauen. Er behielt sich generell vor, ihnen mit einem ihm angeborenen – oder doch etwa angewöhnten, jedenfalls aber mit einem entwaffnenden – Lächeln, und also wortlos, zu begegnen.

Das hatte er ausprobiert.

Das machte ihn umso interessanter bei dem weiblichen Geschlecht.

Obwohl die Frauen ganz sicher von ihm lieber ein paar Komplimente gehört hätten.

Aber Jakob redet nicht.

Warum auch. Wenn das Angebot schon anklopft.

Jakob

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